Europäischer Gerichtshof

Urteil vom - Az: C-152/11

Sozialplan - Niedrigere Abfindung wegen baldiger Rente

Ein Sozialplan darf eine geminderte Entlassungsentschädigung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen.
Es stellt jedoch eine nach dem Unionsrecht verbotene Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung dieser Minderung die Möglichkeit einer vorzeitigen Altersrente wegen einer Behinderung berücksichtigt wird.
(Pressemitteilung Nr. 161/12 des EuGH)

Tenor

1. Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist.

2. Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit entgegensteht, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist und bei der Anwendung der alternativen Berechnungsmethode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird.

 

Tatbestand

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Odar und seinem früheren Arbeitgeber, der Baxter Deutschland GmbH (im Folgenden: Baxter), über den Betrag der Entlassungsabfindung, die er aufgrund des zwischen diesem Unternehmen und dessen Betriebsrat geschlossenen Vorsorglichen Sozialplans erhalten hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

In den Erwägungsgründen 8, 11, 12 und 15 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(8) In den vom Europäischen Rat auf seiner Tagung am 10. und 11. Dezember 1999 in Helsinki vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2000 wird die Notwendigkeit unterstrichen, einen Arbeitsmarkt zu schaffen, der die soziale Eingliederung fördert, indem ein ganzes Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen getroffen wird, die darauf abstellen, die Diskriminierung von benachteiligten Gruppen, wie den Menschen mit Behinderung, zu bekämpfen. Ferner wird betont, dass der Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung besondere Aufmerksamkeit gebührt.

...

(11) Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit.

(12) Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit untersagt werden. ...

...

(15) Die Beurteilung von Tatbeständen, die auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, obliegt den einzelstaatlichen gerichtlichen Instanzen oder anderen zuständigen Stellen nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten; in diesen einzelstaatlichen Vorschriften kann insbesondere vorgesehen sein, dass mittelbare Diskriminierung mit allen Mitteln, einschließlich statistischer Beweise, festzustellen ist.“

Gemäß Art. 1 der Richtlinie ist ihr „Zweck ... die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

Die Abs. 1 und 2 von Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) der Richtlinie sehen vor:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2) Im Sinne des Absatzes 1

a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, oder

ii) der Arbeitgeber oder jede Person oder Organisation, auf die diese Richtlinie Anwendung findet, ist im Falle von Personen mit einer bestimmten Behinderung aufgrund des einzelstaatlichen Rechts verpflichtet, geeignete Maßnahmen entsprechend den in Artikel 5 enthaltenen Grundsätzen vorzusehen, um die sich durch diese Vorschrift, dieses Kriterium oder dieses Verfahren ergebenden Nachteile zu beseitigen.“

Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt in Abs. 1:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

...

c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

...“

Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

...“

Art. 16 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass

a) die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden;

b) die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen ... für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.“

Deutsches Recht

Deutsche Rechtsvorschriften

Die Richtlinie 2000/78 wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1897, im Folgenden: AGG) in die deutsche Rechtsordnung umgesetzt. § 1 („Ziel des Gesetzes“) AGG sieht vor:

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

§ 10 („Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters“) AGG bestimmt:

„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

...

6. Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.“

Die §§ 111 bis 113 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518) schreiben Maßnahmen vor, die zur Milderung der für Arbeitnehmer aus der Umstrukturierung eines Unternehmens entstehenden Nachteile zu ergreifen sind. Arbeitgeber und Betriebsräte sind verpflichtet, zu diesem Zweck Sozialpläne abzuschließen.

§ 112 („Interessenausgleich über die Betriebsänderung, Sozialplan“) des Betriebsverfassungsgesetzes sieht in Abs. 1 vor:

„Kommt zwischen Unternehmer und Betriebsrat ein Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung zustande, so ist dieser schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und Betriebsrat zu unterschreiben. Das Gleiche gilt für eine Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen (Sozialplan). Der Sozialplan hat die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. ...“

Gemäß § 127 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs erfolgt die Zahlung von Regelarbeitslosengeld für eine begrenzte Dauer, die vom Alter des Arbeitnehmers und der Länge des Zeitraums abhängt, in dem Beiträge geleistet wurden. Ein Arbeitnehmer hat vor Vollendung des 50. Lebensjahrs Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 12 Monatsgehältern, nach Vollendung des 50. Lebensjahrs in Höhe von 15 Monatsgehältern, nach Vollendung des 55. Lebensjahrs in Höhe von 18 Monatsgehältern und mit Vollendung des 58. Lebensjahrs in Höhe von 24 Monatsgehältern.

Vorsorglicher Sozialplan und Ergänzender Sozialplan

Baxter schloss mit dem Gesamtbetriebsrat am 30. April 2004 einen Vorsorglichen Sozialplan. In § 6 Abs. 1 Punkte 1.1 bis 1.5 dieses Plans heißt es:

„1. Abfindungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (außer ‚Frühverrentung‘)

1.1 Mitarbeitern, denen trotz aller Bemühungen kein zumutbarer Arbeitsplatz bei Baxter in Deutschland angeboten werden kann, bei denen auch eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 5 nicht in Frage kommt und die das Unternehmen verlassen (durch betriebsbedingte Kündigung oder einvernehmliche Beendigung), erhalten eine zu versteuernde Bruttoabfindung in Euro nach folgender Formel:

Abfindung = Altersfaktor x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt [im Folgenden: Standardformel]

1.2 Altersfaktorentabelle

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...

1.5 Bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden oder einvernehmlich das Arbeitsverhältnis beenden, wird die gemäß § 6 Abs. 1 Punkt 1.1 errechnete Abfindung folgender Berechnung gegenübergestellt:

Monate bis zum frühestmöglichen Renteneintritt x 0,85 x Bruttomonatsentgelt [im Folgenden: Sonderformel]

Sollte die [Standardformel-Abfindung] größer sein als die [Sonderformel-Abfindung], so kommt die geringere Summe zur Auszahlung. Diese geringere Summe darf jedoch die Hälfte der [Standardformel-Abfindung] nicht unterschreiten.

Ist das Ergebnis [der Sonderformel] gleich null, kommt die Hälfte der [Standardformel-Abfindung] zur Auszahlung.“

Am 13. März 2008 schloss Baxter mit dem Gesamtbetriebsrat einen Ergänzenden Sozialplan. In § 7 dieses Plans, der die Abfindungen betrifft, heißt es:

„Mitarbeiter, die in den Geltungsbereich dieses Sozialplans fallen und deren Arbeitsverhältnis wegen der Betriebsänderung endet, erhalten die folgenden Leistungen:

7.1 Abfindung. Die Mitarbeiter erhalten die einmalige Abfindung, die sich aus § 6 [Abs.] 1 des Vorsorglichen Sozialplans ergibt.

7.2 Klarstellung. Zu § 6 [Punkt] 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans einigen sich die Parteien auf folgende Klarstellung: Unter ‚frühestmöglichem Renteneintritt‘ wird verstanden der Zeitpunkt, zu dem der Mitarbeiter erstmals eine der gesetzlichen Altersrenten, auch eine solche mit Abschlägen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme, in Anspruch nehmen kann.

...“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Herr Odar, ist österreichischer Staatsangehöriger und 1950 geboren. Er ist verheiratet, hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder und ist als Schwerbehinderter anerkannt; der Grad seiner Behinderung beträgt 50 %. Herr Odar war seit dem 17. April 1979 bei Baxter bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt, zuletzt als Marketing-Manager.

Baxter kündigte das Arbeitsverhältnis von Herrn Odar mit Schreiben vom 25. April 2008 und bot ihm die Fortführung des Arbeitsverhältnisses am Standort München-Unterschleißheim (Deutschland) an. Herr Odar nahm dieses Angebot an und beschloss dann, seinerseits zum 31. Dezember 2009 zu kündigen, nachdem die Parteien vereinbart hatten, dass diese Kündigung seinen Abfindungsanspruch nicht schmälern werde.

Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, hat Herr Odar gegenüber der Deutschen Rentenversicherung mit Vollendung des 65. Lebensjahrs, d. h. ab dem 1. August 2015, Anspruch auf eine Regelaltersrente und mit Vollendung des 60. Lebensjahrs, d. h. ab dem 1. August 2010, Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte.

Baxter zahlte Herrn Odar aufgrund des Vorsorglichen Sozialplans eine Bruttoabfindung in Höhe von 308 253,31 Euro. Nach der Standardformel hätte die ihm zu zahlende Abfindung 616 506,63 Euro brutto betragen. Ausgehend von einem frühestmöglichen Rentenei ntritt nach der Sonderformel, d. h. zum 1. August 2010, errechnete Baxter eine Abfindung in Höhe von 197 199,09 Euro brutto. Sie zahlte ihm daher den garantierten Mindestbetrag, der der Hälfte von 616 506,63 Euro entspricht.

Mit Schreiben vom 30. Juni 2010 erhob Herr Odar beim Arbeitsgericht München Klage. Er beantragte, Baxter zur Zahlung einer weiteren Bruttoabfindung in Höhe von 271 988,22 Euro zu verurteilen. Dieser Betrag entspricht der Differenz zwischen der ihm tatsächlich gezahlten Abfindung und dem Betrag, den er erhalten hätte, wenn er bei gleicher Dauer der Betriebszugehörigkeit zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses 54 Jahre alt gewesen wäre. Herr Odar ist der Ansicht, dass er durch die Berechnung der im Vorsorglichen Sozialplan vorgesehenen Abfindung wegen seines Alters und seiner Behinderung benachteiligt werde.

Das vorlegende Gericht fragt sich, ob § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG und die Regelung des § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans mit der Richtlinie 2000/78 vereinbar sind. Es führt aus, wenn die erste dieser beiden nationalen Bestimmungen nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehe und daher keine Anwendung finde, sei der von Herrn Odar bei ihm erhobenen Klage stattzugeben. Die Regelung der zweiten Bestimmung könne nämlich nicht auf eine mit dieser Richtlinie unvereinbare Vorschrift gestützt werden.

Unter diesen Umständen hat das Arbeitsgericht München beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die vorsieht, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein kann, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie 2000/78, oder ist eine solche Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie gerechtfertigt?

2. Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die vorsieht, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein kann, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie 2000/78?

3. Verstößt eine Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden, eine alternative Berechnung der Abfindung auf Grundlage des frühestens möglichen Rentenbeginns vorgenommen wird und im Vergleich zur reguläreren Berechnungsmethode, welche insbesondere an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft, der geringere Abfindungsbetrag, jedoch mindestens die Hälfte der regulären Abfindungssumme, zu zahlen ist, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie 2000/78, oder ist eine solche Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie gerechtfertigt?

4. Verstößt eine Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden, eine alternative Berechnung der Abfindung auf Grundlage des frühestens möglichen Rentenbeginns vorgenommen wird und im Vergleich zur reguläreren Berechnungsmethode, welche insbesondere an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft, der geringere Abfindungsbetrag, jedoch mindestens die Hälfte der regulären Abfindungssumme, zu zahlen ist und bei der alternativen Berechnungsmethode auf eine Altersrente wegen einer Behinderung abgestellt wird, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie 2000/78?

 

Zu den Vorlagefragen

Zu den ersten beiden Fragen

Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein kann, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

In diesem Zusammenhang ist sogleich auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Randnr. 27, vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a., C-599/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 15, sowie vom 12. Juli 2012, VALE Építési, C-378/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 18).

Genau dies ist hier der Fall.

Die ersten beiden Fragen beruhen nämlich auf der Prämisse von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG, dass die Betriebsparteien Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

In der Vorlageentscheidung deutet jedoch nichts darauf hin, dass das Ausgangsverfahren einen solchen Fall betrifft. Das vorlegende Gericht hat vielmehr ausgeführt, dass Arbeitnehmer, die kurz vor dem Renteneintritt stünden, nach dem Vorsorglichen Sozialplan, im Unterschied zu der in der AGG-Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit, nicht von der Entlassungsabfindung ausgeschlossen werden könnten und der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld auch nicht berücksichtigt werde. Wie aus den Akten hervorgeht, hat Herr Odar eine Entlassungsabfindung erhalten, die jedoch gemäß § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans in Verbindung mit § 7 Punkt 7.2 des Ergänzenden Sozialplans gemindert wurde, was er mit seiner Klage beim genannten Gericht angreift.

Die Frage der Vereinbarkeit von § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG mit der Richtlinie 2000/78 hat daher im Hinblick auf den Gegenstand des Ausgangsverfahrens offensichtlich abstrakten und rein hypothetischen Charakter.

Deshalb sind die erste und die zweite vom vorlegenden Gericht gestellte Frage nicht zu beantworten.

Zur dritten Frage

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit entgegenstehen, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und diesen Arbeitnehmern im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist.

Was zunächst die Frage betrifft, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende innerstaatliche Regelung in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie, wie sich sowohl aus ihrem Titel und ihren Erwägungsgründen als auch aus ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung ergibt, einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jede Person „in Beschäftigung und Beruf“ gleichbehandelt wird, indem ihr ein wirksamer Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe - darunter auch das Alter - geboten wird.

Im Einzelnen ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78, dass diese im Rahmen der auf die Europäische Union übertragenen Zuständigkeiten „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen“, u. a. in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“ gilt.

§ 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans sieht für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind, eine Minderung des Abfindungsbetrags bei Entlassung vor und betrifft somit die Entlassungsbedingungen dieser Arbeitnehmer im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78. Eine solche innerstaatliche Bestimmung fällt daher in den Geltungsbereich dieser Richtlinie.

Wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, müssen die Sozialpartner, wenn sie Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich der das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters für Beschäftigung und Beruf konkretisierenden Richtlinie 2000/78 fallen, unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen (Urteile vom 13. September 2011, Prigge u. a., C-447/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 48, sowie vom 7. Juni 2012, Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrt, C-132/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22).

Zur Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 enthält, ist festzustellen, dass § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans für Arbeitnehmer, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird oder die das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beenden, zur Folge hat, dass die Standardformel-Abfindung der Sonderformel-Abfindung gegenübergestellt wird. Dem betroffenen Arbeitnehmer wird der geringere Betrag gewährt; er hat jedoch die Garantie, einen der Hälfte der Standardformel-Abfindung entsprechenden Betrag zu erhalten.

Nach diesen Bestimmungen wurde Herrn Odar ein Betrag von 308 357,10 Euro gezahlt, der der Hälfte der Standardformel-Abfindung entspricht. Wenn Herr Odar bei seiner Entlassung 54 Jahre alt gewesen wäre, hätte er, unter sonst gleichen Umständen, Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 580 357,10 Euro gehabt. Dass er älter als 54 Jahre war, hat daher zur Anwendung der Vergleichsmethode und zur Zahlung eines geringeren als des Betrags geführt, auf den er Anspruch gehabt hätte, wenn er dieses Alter noch nicht überschritten gehabt hätte. Die im Vorsorglichen Sozialplan vorgesehene Berechnungsmethode bei betriebsbedingter Kündigung stellt somit eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung dar.

Es ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden kann. Nach dieser Bestimmung stellt nämlich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters keine Diskriminierung dar, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Zum Ziel der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen führt das vorlegende Gericht aus, dass der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans keinen Hinweis auf die verfolgten Ziele enthalte. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht jedoch hervor, dass diese mit dem Ziel der Regelung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG übereinstimmen. Wie das vorlegende Gericht ausführt, müssen die von den Sozialpartnern im Rahmen des Sozialplans gewählten Modalitäten geeignet sein, das in dieser Bestimmung des AGG genannte Ziel tatsächlich zu fördern, und dürfen die Interessen der benachteiligten Altersgruppen nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

Gemäß § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 25. September 2001 sei es Sinn und Zweck eines Sozialplans, die Folgen struktureller Veränderungen im betreffenden Unternehmen auszugleichen oder zu verringern. In ihren schriftlichen Erklärungen hat die deutsche Regierung hierzu ausgeführt, dass Abfindungen aufgrund eines Vorsorglichen Sozialplans nicht spezifisch darauf gerichtet seien, die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben zu erleichtern.

Eine Differenzierung nach dem Alter bei Abfindungen aufgrund eines Vorsorglichen Sozialplans verfolge ein Ziel, das auf der Feststellung beruhe, dass, weil es um in der Zukunft liegende wirtschaftliche Nachteile gehe, bestimmte Arbeitnehmer, bei denen solche sich aus dem Verlust ihres Arbeitsplatzes ergebenden Nachteile nicht oder weniger als bei anderen einträten, generell von diesen Ansprüchen ausgeschlossen werden könnten.

Die deutsche Regierung betont in diesem Zusammenhang, ein Sozialplan müsse die Verteilung begrenzter Mittel so vorsehen, dass er seine „Überbrückungsfunktion“ in Bezug auf alle Arbeitnehmer und nicht nur die älteren erfülle. Ein solcher Plan dürfe grundsätzlich nicht dazu führen, den Fortbestand des Unternehmens oder die verbleibenden Arbeitsplätze zu gefährden. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG erlaube es auch, die Möglichkeiten eines Missbrauchs zu begrenzen, der darin bestünde, dass ein Arbeitnehmer eine Abfindung bezöge, die dazu bestimmt sei, ihn bei seiner Suche nach einer neuen Beschäftigung zu unterstützen, obwohl er in den Ruhestand trete.

Die innerstaatliche Bestimmung bezwecke daher die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft, den Schutz der jüngeren Arbeitnehmer sowie die Unterstützung bei ihrer beruflichen Wiedereingliederung und trage zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung.

Solche Ziele können, als Ausnahme vom Grundsatz des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters, u. a. Ungleichbehandlungen in Zusammenhang mit der „Festlegung besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen [und] älteren Arbeitnehmern ... zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen“, im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78 rechtfertigen.

Darüber hinaus ist das Ziel, zu vermeiden, dass eine Entlassungsabfindung Personen zugutekommt, die keine neue Stelle suchen, sondern ein Ersatzeinkommen in Form einer Altersrente beziehen wollen, als legitim anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2010, Ingeniørforeningen i Danmark, C-499/08, Slg. 2010, I-9343, Randnr. 44).

Unter diesen Umständen ist anzuerkennen, dass Ziele wie die mit § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans verfolgten grundsätzlich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters, wie in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 vorgesehen, als „objektiv und angemessen“ „im Rahmen des nationalen Rechts“ rechtfertigen können.

Ferner muss geprüft werden, ob die zur Erreichung dieser Ziele eingesetzten Mittel angemessen und erforderlich sind und ob sie nicht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgehen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten und gegebenenfalls die Sozialpartner auf nationaler Ebene über einen weiten Ermessensspielraum nicht nur bei der Entscheidung über die Verfolgung eines bestimmten sozial- und beschäftigungspolitischen Ziels, sondern auch bei der Festlegung der für seine Erreichung geeigneten Maßnahmen verfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2012, Hörnfeldt, C-141/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 32).

Zur Angemessenheit der in Rede stehenden Bestimmungen des Vorsorglichen Sozialplans und des Ergänzenden Sozialplans ist festzustellen, dass die Minderung des Abfindungsbetrags bei Entlassung, den Arbeitnehmer erhalten, die zum Zeitpunkt ihrer Entlassung wirtschaftlich abgesichert sind, im Hinblick auf das Ziel solcher Sozialpläne, aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel Arbeitnehmer, für die sich der Übergang in eine neue Beschäftigung als schwierig erweist, stärker zu schützen, nicht unangemessen erscheint.

Somit erscheint eine Bestimmung wie § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans nicht offensichtlich unangemessen, um das legitime Ziel einer Beschäftigungspolitik wie der vom deutschen Gesetzgeber verfolgten zu erreichen.

Zur Erforderlichkeit dieser Bestimmungen ist zwar festzustellen, dass gemäß § 7 Punkt 7.2 des Ergänzenden Sozialplans der frühestmögliche Renteneintritt im Sinne von § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans dem Zeitpunkt entspricht, zu dem der Mitarbeiter erstmals eine der gesetzlichen Altersrenten, auch eine solche mit Abschlägen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme, in Anspruch nehmen kann.

Wie in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils festgestellt, sieht der Vorsorgliche Sozialplan für diese Arbeitnehmer jedoch lediglich die Minderung des Abfindungsbetrags bei Entlassung vor.

Dabei entspricht zum einen die Abfindung für den betroffenen Arbeitnehmer gemäß § 6 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans dem geringeren nach der Standardformel oder der Sonderformel errechneten Betrag; der Empfänger hat jedoch die Garantie, dass ihm zumindest die Hälfte des sich nach der Standardformel ergebenden Betrags tatsächlich gezahlt wird. Wie aus der in Randnr. 14 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Tabelle hervorgeht, steigt zudem der Altersfaktor, der ein Koeffizient der Standardformel und der Sonderformel ist, schrittweise ab dem Alter von 18 Jahren (0,35) bis zum Alter von 57 Jahren (1,70). Erst bei einem Alter von 59 Jahren beginnt dieser Faktor abzunehmen (1,50) und erreicht beim Alter von 64 Jahren sein Minimum (0,30). Zum anderen hat der betroffene Arbeitnehmer gemäß § 6 Punkt 1.5 Unterabs. 3, auch wenn das Ergebnis nach der Sonderformel gleich null ist, Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, die der Hälfte der Standardformel-Abfindung entspricht.

Hinsichtlich der Beurteilung durch das vorlegende Gericht ist darauf hinzuweisen, dass § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans die Frucht einer von den Arbeitnehmer- und den Arbeitgebervertretern ausgehandelten Vereinbarung ist, die damit ihr als Grundrecht anerkanntes Recht auf Kollektivverhandlungen ausgeübt haben. Dass es damit den Sozialpartnern überlassen ist, einen Ausgleich zwischen ihren Interessen festzulegen, bietet eine nicht unerhebliche Flexibilität, da jede der Parteien gegebenenfalls die Vereinbarung kündigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2010, Rosenbladt, C-45/09, Slg. 2010, I-9391, Randnr. 67).

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und diesen Arbeitnehmern im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist.

Zur vierten Frage

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit entgegensteht, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist und bei der Anwendung der alternativen Berechnungsmethode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird.

Was erstens die Frage betrifft, ob § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans in Verbindung mit § 7 Punkt 7.2 des Ergänzenden Sozialplans eine Ungleichbehandlung wegen der Behinderung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 enthält, ist festzustellen, dass der Abfindungsbetrag für den betroffenen Arbeitnehmer bei Entlassung gemäß § 7 Punkt 7.2 unter Berücksichtigung des frühestmöglichen Renteneintritts gemindert wird. Der Bezug einer Altersrente setzt jedoch ein Mindestalter voraus, und dieses Alter ist bei Schwerbehinderten anders.

Wie die Generalanwältin in Nr. 50 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wird die erste Komponente bei der Berechnungsmethode nach der Sonderformel für einen schwerbehinderten Arbeitnehmer immer niedriger sein als für einen gleichaltrigen nichtbehinderten Arbeitnehmer. Dass dieser Berechnung das Renteneintrittsalter dem Anschein nach neutral zugrunde liegt, führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer, die die Möglichkeit haben, früher, und zwar mit 60 Jahren statt mit 63 Jahren wie nichtbehinderte Arbeitnehmer, in Rente zu gehen, wegen ihrer Schwerbehinderung eine geringere Entlassungsabfindung erhalten.

Wie aus den Ausführungen von Herrn Odar hervorgeht und wie Baxter in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, hätte die Entlassungsabfindung, die er erhalten hätte, wenn er nicht schwerbehindert wäre, 570 839,47 Euro betragen.

Folglich ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans in Verbindung mit § 7 Punkt 7.2 des Ergänzenden Sozialplans, wonach einem schwerbehinderten Arbeitnehmer bei Entlassung ein geringerer Abfindungsbetrag zu zahlen ist als einem nichtbehinderten Arbeitnehmer, eine mittelbar auf dem Kriterium der Behinderung im Sinne von Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 beruhende Ungleichbehandlung.

Zweitens ist zu prüfen, ob sich schwerbehinderte Arbeitnehmer, die einer kurz vor dem Renteneintritt stehenden Altersgruppe angehören, in einem Kontext, wie er von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmung geregelt wird, in einer Situation befinden, die mit der nichtbehinderter Arbeitnehmer, die derselben Altersgruppe angehören, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 vergleichbar ist. Die deutsche Regierung macht nämlich geltend, dass diese beiden Gruppen von Arbeitnehmern sich in Bezug auf ihren Rentenanspruch in objektiv verschiedenen Ausgangssituationen befänden.

Hierzu ist festzustellen, dass sich Arbeitnehmer, die kurz vor dem Renteneintritt stehenden Altersgruppen angehören, in einer Situation befinden, die mit der der anderen vom Sozialplan betroffenen Arbeitnehmer vergleichbar ist, da ihr Arbeitsverhältnis mit ihrem Arbeitgeber aus demselben Grund und unter denselben Voraussetzungen endet.

Der schwerbehinderten Arbeitnehmern gewährte Vorteil, der darin besteht, dass sie ab Erreichen eines Alters, das drei Jahre niedriger ist als bei nichtbehinderten Arbeitnehmern, eine Altersrente in Anspruch nehmen können, kann sie nämlich gegenüber diesen Arbeitnehmern nicht in eine besondere Situation bringen.

Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen von Arbeitnehmern durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, ob die zu dessen Erreichung eingesetzten Mittel angemessen sind und ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des vom deutschen Gesetzgeber verfolgten Ziels erforderlich ist.

Hierzu ist zum einen in den Randnrn. 43 bis 45 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass Ziele wie die mit § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans verfolgten grundsätzlich eine Ungleichbehandlung wegen des Alters, wie in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 vorgesehen, als „objektiv und angemessen“ „im Rahmen des nationalen Rechts“ rechtfertigen können. Zum anderen erscheint eine solche nationale Vorschrift, wie aus Randnr. 49 des vorliegenden Urteils hervorgeht, nicht offensichtlich unangemessen, um das legitime Ziel einer Beschäftigungspolitik wie der vom deutschen Gesetzgeber verfolgten zu erreichen.

Zur Prüfung, ob § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans in Verbindung mit § 7 Punkt 7.2 des Ergänzenden Sozialplans über das zur Erreichung der verfolgten Ziele Erforderliche hinausgeht, ist diese Vorschrift in dem Kontext zu betrachten, in den sie sich einfügt, und sind die Nachteile zu berücksichtigen, die sie für die Betroffenen bewirken kann.

Baxter und die deutsche Regierung machen im Wesentlichen geltend, die Minderung des Betrags der Entlassungsabfindung, die Herr Odar erhalten habe, sei durch den Schwerbehinderten gewährten Vorteil gerechtfertigt, der darin bestehe, dass sie ab einem Alter, das drei Jahre niedriger sei als bei nichtbehinderten Arbeitnehmern, eine Altersrente in Anspruch nehmen könnten.

Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden. Zum einen liegt eine Diskriminierung wegen der Behinderung vor, wenn die streitige Maßnahme nicht durch objektive Faktoren, die nichts mit dieser Diskriminierung zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 6. April 2000, Jørgensen, C-226/98, Slg. 2000, I-2447, Randnr. 29, vom 23. Oktober 2003, Schönheit und Becker, C-4/02 und C-5/02, Slg. 2003, I-12575, Randnr. 67, sowie vom 12. Oktober 2004, Wippel, C-313/02, Slg. 2004, I-9483, Randnr. 43). Zum anderen liefe diese Argumentation darauf hinaus, die praktische Wirksamkeit der nationalen Vorschriften, die den genannten Vorteil vorsehen, zu beeinträchtigen, deren Daseinsberechtigung allgemein darin besteht, den Schwierigkeiten und besonderen Risiken Rechnung zu tragen, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert sind.

Somit haben die Sozialpartner bei der Verfolgung des legitimen Ziels einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel, die für einen Sozialplan zur Verfügung stehen, entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer relevante Gesichtspunkte, die insbesondere die schwerbehinderten Arbeitnehmer betreffen, unberücksichtigt gelassen.

Sie haben nämlich sowohl das Risiko für Schwerbehinderte, die im Allgemeinen größere Schwierigkeiten als nichtbehinderte Arbeitnehmer haben, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, als auch die Tatsache verkannt, dass dieses Risiko steigt, je mehr sie sich dem Renteneintrittsalter nähern. Diese Personen haben jedoch spezifische Bedürfnisse im Zusammenhang sowohl mit dem Schutz, den ihr Zustand erfordert, als auch mit der Notwendigkeit, dessen mögliche Verschlechterung zu berücksichtigen. Wie die Generalanwältin in Nr. 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist dem Risiko Rechnung zu tragen, dass Schwerbehinderte unabweisbaren finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind und/oder dass sich diese finanziellen Aufwendungen mit zunehmendem Alter erhöhen.

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme bewirkt folglich dadurch, dass sie bei betriebsbedingter Kündigung zur Zahlung eines Abfindungsbetrags an einen schwerbehinderten Arbeitnehmer führt, der geringer ist als die Abfindung, die ein nichtbehinderter Arbeitnehmer erhält, eine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer und geht daher über das hinaus, was zur Erreichung der vom deutschen Gesetzgeber verfolgten sozialpolitischen Ziele erforderlich ist.

Die sich aus § 6 Abs. 1 Punkt 1.5 des Vorsorglichen Sozialplans ergebende Ungleichbehandlung kann deshalb nicht gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden.

Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit entgegensteht, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und denen betriebsbedingt gekündigt wird, die ihnen zustehende Abfindung auf der Grundlage des frühestmöglichen Rentenbeginns berechnet wird und im Vergleich zur Standardberechnungsmethode, nach der sich die Abfindung insbesondere nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet, eine geringere als die sich nach der Standardmethode ergebende Abfindungssumme, mindestens jedoch die Hälfte dieser Summe, zu zahlen ist und bei der Anwendung der alternativen Berechnungsmethode auf die Möglichkeit, eine vorzeitige Altersrente wegen einer Behinderung zu erhalten, abgestellt wird.

 

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.



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