Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz

Urteil vom - Az: 2 Sa 152/14

Privatfahrt mit dem Dienstwagen rechtfertigt keine Kündigung

(1.) Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn zur Beseitigung der Vertragsstörung ein milderes Mittel zur Verfügung steht. Aus diesem Grund ist vor dem Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich.

(2.) Liegt die Vertragspflichtverletzung in einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bereits die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses sein Verhalten positiv beeinflussen kann.

(3.) Eine Abmahnung bedarf es jedoch dann nicht, wenn erkennbar ist, dass diese zu keiner Verhaltensänderung führen wird oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber unzumutbar und damit offensichtlich, auch für den Arbeitnehmer erkennbar, ausgeschlossen ist.

(4.) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen das Vermögen oder das Eigentum des Arbeitgebers.

Im Vorliegenden Fall wurde dem Arbeitnehmer ein Geschäftswagen zur Verfügung gestellt. Er erhielt nur die Anweisung diesen für betriebliche Fahrten zu nutzen und diese Fahrten zu dokumentieren. Der Arbeitnehmer nutzten den Wagen gelegentlich auch für seinen Heim- und Arbeitsweg, wenn er von zu Hause arbeitete. Auch diese Fahrten dokumentierte er. Das Unternehmen sah darin eine private Nutzung des Geschäftswagens und kündigte dem Arbeitnehmer fristlos.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27.02.2014 - 5 Ca 2725/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die von der Beklagten gegenüber dem Kläger fristlos und hilfsweise mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen worden ist.

Der 1964 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 01. März 1993 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt in der Abteilung 3100 "Marketing Services BRIEF" am Standort K-Stadt. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50; seine rechte Hand ist nicht vollständig ausgebildet. Aufgrund der im Arbeitsvertrag des Klägers enthaltenen Verweisungsklausel fand zunächst der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost und dann der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Deutschen Post AG (MTV) Anwendung. Der Kläger ist nach der in § 34 MTV enthaltenen Übergangsregelung ordentlich unkündbar.

In der Zeit von Dezember 2001 bis August 2012 war der Kläger in seiner Funktion als Gruppenleiter personell/organisatorisch und fachlich für ein Team von neun Mitarbeitern verantwortlich. Nach der im September 2012 erfolgten Neuorganisation der Abteilung wurde der Kläger als fachlicher Teamleiter in der Abteilung Marketing Services am Standort K-Stadt mit einem Team von neun Mitarbeitern eingesetzt und berichtete in dieser Funktion personell/organisatorisch an den neu eingesetzten Leiter des Standorts K-Stadt, Herrn Z.. Wegen der Einzelheiten der dem Kläger obliegenden Aufgaben in der Zeit von Dezember 2001 bis August 2012 und ab September 2012 wird auf das dem Kläger von der Beklagten erteilte Arbeitszeugnis vom 04. Juli 2013 (Bl. 38, 39 d. A.) verwiesen.

Im Sitzungsprotokoll vom 05. Januar 2009 (Bl. 67, 68 d. A.) der zweiten Klausurtagung der Abteilungsleitung "Marketing Services BRIEF" vom 11. Dezember 2008 heißt es unter "Besprechungsergebnisse" zu TOP 10.2:

"Firmenwagen (für bestimmten Personenkreis zur geschäftlichen und privaten Nutzung) werden zurzeit in der gesamten SNL BRIEF nicht zur Verfügung gestellt.

Geschäftsfahrzeuge (für Auswärtstätige zur geschäftlichen Nutzung) sind/werden an den Standorten K-Stadt, M-Stadt und D-Stadt zur Verfügung gestellt und sind vorrangig zu nutzen, wenn die Geschäftsreise mit einem Kfz angetreten werden soll/muss.

In die Pauschalgenehmigungen für die genannten Standorte ist sinngemäß darauf hingewiesen worden."

Im Verteiler dieses Sitzungsprotokolls vom 05. Januar 2009 ist der Kläger aufgeführt, der selbst an der Klausurtagung nicht teilgenommen hatte.

Der von der Beklagten für den Standort K-Stadt seit 2005 zur Verfügung gestellte Geschäftswagen (Poolfahrzeug) wurde im Februar 2009 durch einen neuen Geschäftswagen (Poolfahrzeug) ersetzt. Eine Einweisung des Klägers in die Nutzung des im Februar 2009 übergebenen Geschäftswagens (Poolfahrzeug) erfolgte nicht. Dem Kläger wurde das Handbuch für Fahrer und Fahrerinnen der Deutschen Post übergeben.

Vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung des Klägers mit Herrn Z. am 25. April 2013 über die Nutzung des Geschäftswagens für sportliche Veranstaltungen des Fanclubs Deutsche Post kam es am 07. Mai 2013 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und seinem Abteilungsleiter, Herrn M., in dessen Rahmen dem Kläger eine Liste mit elf Terminen (Bl. 176 d. A.) vorgelegt wurde, zu denen er sich äußern sollte. Er wurde darüber belehrt, wie zukünftig das Fahrtenbuch zu führen sei. Ferner wurde ihm ein Merkblatt mit der Überschrift "Geschäftswagen" (Bl. 66 d. A.) ausgehändigt.

Unter dem 10. Juni 2013 erhielt der Kläger folgendes Schreiben der Beklagten (Bl. 69 d. A.):

"Betrifft: Verdacht der missbräuchlichen Nutzung eines Geschäftswagens

Sehr geehrter Herr C.,

im Fahrtenbuch des Geschäftswagens der Abteilung 3100 am Standort K-Stadt wurden von Ihnen Fahrten dokumentiert, von denen nicht ersichtlich ist, dass sie aus dienstlichen Gründen durchgeführt worden sind. Wir haben daher den Verdacht, dass Sie gegen Ihre arbeitsrechtlichen Pflichten verstoßen haben, indem Sie den Geschäftswagen missbräuchlich für private Zwecke verwendet haben, insbesondere dazu, mit diesem morgens und abends den Weg von Ihrer Arbeitsstelle zu Ihrem Wohnort zurückzulegen.

Wir geben Ihnen Gelegenheit, sich hierzu bis zum 13.06.2013 zu äußern. Insbesondere alle Fahrten von K-Stadt nach C-Stadt seit Januar 2009 sowie die Fahrten an folgenden Tagen bedürfen aus unserer Sicht einer Erläuterung: 24.04.2009, 30.06.2009, 26.08.2009, 27.11.2009, 02.03.2010, 03.08.2011 und 16.09.2001: Eine Kopie des Fahrtenbuches stellen wir Ihnen als Anlage zur Verfügung.

Zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und ggf. Anhörung zu möglichen arbeitsrechtlichen Konsequenzen laden wir Sie für den 14.06.2013, 09:30 Uhr, zu einem Gespräch in A-Stadt im Haus, Zimmer Nr. 0.000, ein. Hieran werden Ihr Abteilungsleiter, Herr M., Ihr Standortleiter Hr. Z. und die Abteilungsleiterin Personal/Service, Frau L., teilnehmen. Bitte melden Sie sich bei Ihrer Ankunft über Handy bei Frau L., um Zugang zum bzw. im Gebäude zu erhalten, F.: 0000 0000000."

Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 13. Juni 2013 (Bl. 94 - 99 d. A.) Stellung und führte u.a. folgendes aus:

"Sehr geehrte Frau L.,

ich habe Ihr Schreiben vom 10. Juni 2013 erhalten und bin über den Inhalt dieses Schreibens und insbesondere über den mir gegenüber erhobenen Vorwurf mehr als erstaunt. Mit diesen Vorwürfen wurde ich bereits am 07. Mai im Rahmen des mtl. Standortmeetings konfrontiert und ich habe da schon Erläuterungen gegeben. Es wurde mir an dem Tag auch eine Aufstellung verschiedener Fahrten ausgehändigt, sowie ein Blatt mit Hinweisen zur Nutzung von Geschäftswagen. Herr M. sagte mir anschließend, dass damit der Fall für ihn erledigt sei und auch keine größere Sache daraus machen wolle.

Nun zu Ihrem Schreiben:

Von meiner Seite aus lag und liegt zu keinem Zeitpunkt die missbräuchliche Nutzung des zur Verfügung gestellten Geschäftswagens vor. Dieser ist von mir immer nur genutzt worden, wenn dies im geschäftlichen Interesse gewesen ist und die erfolgte Nutzung, die so bereits seit 2005 gegeben ist, ist bislang in keinster Weise moniert worden, obwohl die Art und Weise der Nutzung allen, auch Vorgesetzten, bekannt gewesen ist und auch von allen anderen Kollegen so gehandhabt wird.

Die Nutzung dieses Geschäftswagens ist seit 2005 möglich. Als einzige Absprache für die Frage der Art und Weise der Benutzung ist gegeben gewesen, dass ein geschäftliches Interesse für die Fahrt gegeben sein muss. Weitere Anweisungen bzw. konkrete Verhaltensmaßnahmen hat es nach meinen Erkenntnissen nicht gegeben. Das Fahrtenbuch wurde im Februar 2009 von mir bei der S. Procurement (in deren NL auch unserer Unterbringung war) beschafft. Hier habe ich mich auch informiert, wie die Nutzung bei denen geregelt ist. Es wurde eindeutig darauf hingewiesen, dass ein dienstliches Interesse vorliegen muss und nebenbei das Fahrtenbuch Info für die Nutzung und zur Nachvollziehbarkeit bei Verkehrsdelikten geführt werden muss. Dies war auch der Kenntnisstand den ich für die vorhergehenden Geschäftswagen hatte.

Durch die Nutzung dieses Wagens ist auch kein geldwerter Vorteil auf meiner Seite entstanden, da, und dies ergibt sich aus meinen Lohnabrechnungen, ich seit 2006 ein Jobticket habe und die Kosten hierfür unabhängig davon entstehen, wie häufig ich diese Möglichkeit nutze.

Die insbesondere angesprochenen Fahrten von meinem Arbeitsort zu meinem Wohnort und zurück haben verschiedene geschäftliche Anlässe gehabt. So ist dies beispielsweise dann geschehen, wenn ich am anderen Morgen einen wichtigen geschäftlichen Anlass hatte. Hierzu habe ich entweder ganz früh am Morgen im Büro sein müssen, oder am Abend zuhause noch etwas vorbereitet. Wenn ich das Fahrzeug aus diesem Grund mit nachhause genommen habe, ist es dort auch nicht für private Zwecke genutzt worden, sondern das Fahrzeug ist ordnungsgemäß vor meiner Haustür abgestellt worden.

Weiterhin habe ich das Fahrzeug teilweise mit zu meinem Wohnort genommen, wenn ich auf Dienstreise am Folgetag gegangen bin oder noch Präsentationen für den nächsten Tag vorzubereiten hatte und hierfür verschiedene Gerätschaften gebraucht habe. Aufgrund meiner Schwerbehinderung bin ich nicht in der Lage, mehrere Gegenstände zu tragen, so dass ich die notwendigen Gerätschaften dann im Auto transportiert habe, um zuhause meine Arbeit fortsetzen zu können. Am anderen Tag habe ich dann mit dem Wagen die Gerätschaften wieder mit auf den Arbeitsplatz zurückgebracht. Auch bei diesen Gelegenheiten ist das Fahrzeug ansonsten nicht privat genutzt worden.

Diese Art und Weise der Nutzung des Fahrzeuges ist allgemein bekannt gewesen und wird auch von den anderen Kollegen so gehandhabt. Meines Erachtens liegt hier eine betriebliche Übung vor. Gegenteilige Dienstanweisungen hat es nicht gegeben. Soweit mir bekannt ist, wird dies beispielsweise auch von anderen Gruppen in der Niederlassung in D-Stadt so gehandhabt bzw. ist so gehandhabt worden. Ich kann daher nicht erkennen, dass ich mich in irgendeiner Art und Weise vertragswidrig verhalten hätte.

Wenn in Zukunft eine konkrete/finale Dienstanweisung für die Art und Weise der Nutzung dieses Fahrzeuges vorliegen sollte, werde ich mich selbstverständlich hieran halten.

Betreffend die einzelnen im Schreiben vom 10. Juni 2013 angeführten Daten gebe ich nachfolgende Erklärung ab:

(…)"

Am 14. Juni 2013 fand ein Gespräch zur Anhörung des Klägers zu dem von der Beklagten angeführten "Verdacht auf missbräuchliche Nutzung des Geschäftswagens der Abteilung 0000 am Standort K-Stadt" statt. Sodann wurde dem Kläger das Schreiben der Beklagten vom 13. Juni 2013 (Bl. 184 d. A.) ausgehändigt, mit dem er ab sofort von der Arbeit freigestellt wurde. Wegen der von Seiten der Beklagten nach Überprüfung des seit dem 02. Februar 2009 geführten Fahrtenbuches (Fahrtenbuch für die Zeit vom 02. Februar 2009 bis 14. Mai 2013 = Bl. 70 bis 93 d. A.) im Einzelnen beanstandeten Fahrten wird auf ihre Klageerwiderung vom 12. Dezember 2013 (S. 5 ff. = Bl. 56 d. A. ff.) verwiesen.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2013 (Bl. 108 - 117 d. A.) beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu der von ihm beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung und hilfsweise zur außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sieben Monaten. Unter dem 02. Juli 2013 erging auf diesen Antrag folgender Bescheid des Integrationsamtes vom 02. Juli 2013 (Bl. 118 - 137 d. A.): "Der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses von Herrn C., C-Stadt, wird zugestimmt. In der Begründung heißt es im vorletzten Satz: "Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung wird in einem gesonderten Bescheid entschieden." Ein weiterer Bescheid liegt der Beklagten nicht vor.

Mit Schreiben vom 03. Juli 2013 (Bl. 7 d. A.), dem Kläger am 04. Juli 2013 zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Ablauf des Tages des Zugangs des Kündigungsschreibens (04. Juli 2013), hilfsweise unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sieben Monaten zum 28. Februar 2014.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 23. Juli 2013 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Kündigungsschutzklage. Weiterhin begehrt er seine vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Wegen des wechselseitigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 27. Februar 2014 - 5 Ca 2725/13 - sowie ergänzend auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der fristlosen Kündigung vom 03. Juli 2013, zugegangen am 04. Juli 2013, zum 04. Juli 2013 geendet hat,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 03. Juli 2013, zugegangen am 04. Juli 2013, zum 28. Februar 2014 enden wird,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn über den 04. Juli 2013 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses als fachlichen Teamleiter im Bereich Dialogmarketing Standort K-Stadt zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen / zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat mit Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 Ca 2725/13 - der Klage stattgegeben. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 02. April 2014 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 02. April 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 25. April 2014, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 29. April 2014 eingegangen, begründet.

Sie trägt vor, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass das Arbeitsverhältnis durch die von ihr ausgesprochene außerordentliche Kündigung wegen der unzulässigen missbräuchlichen Nutzung des Geschäftswagens zu privaten Zwecken nicht beendet worden sei. Soweit der Kläger der Ansicht sei, sämtliche von ihm unternommene Fahrten seien geschäftlich veranlasst gewesen oder hätten im betrieblichen Interesse gelegen, habe er augenscheinlich die ihm angenehmste Definition zugrunde gelegt. Eine geschäftliche bzw. betriebliche Nutzung könne per Definition nur dann gegeben sein, wenn sie zur Erfüllung einer Auswärtstätigkeit in Erledigung einer Geschäftsreise erfolge. Diese Definition sei vor Übergabe des Geschäftswagens an den Standort K-Stadt im Sitzungsprotokoll der 2. Klausurtagung der Abteilungsleitung 0000 vom 11. Dezember 2008 festgehalten worden. Daraus ergebe sich bereits durch die Unterscheidung in der Begrifflichkeit zwischen Firmenwagen einerseits und Geschäftsfahrzeug andererseits ein klares Privatnutzungsverbot für Geschäftsfahrzeuge. Weiterhin ergebe sich ein klares Privatnutzungsverbot für Geschäftsfahrzeuge ebenfalls aus dem im Februar 2009 mit der Fahrzeugmappe übergebenen Fahrerhandbuch (S. 8 = Bl. 356 d. A.). Der Umstand, dass der Kläger selektiv und anlassbezogen im Einzelfall bei dem Vorgesetzten, Herrn O., nachgefragt habe, ob er den Geschäftswagen am Abend mit nach Hause nehmen dürfe, um dann am nächsten Morgen direkt von seinem Wohnort in C-Stadt aus zu einer Geschäftsreise zu starten, zeige, dass der Kläger sich über das Privatnutzungsverbot sehr wohl im Klaren gewesen sei. Soweit sich Herr S. in seinem Schreiben vom 15. Juni 2013 im Sinne der "Definition" des Klägers zu dessen Gunsten eingelassen habe, sei dies unbeachtlich. Unabhängig davon, dass es sich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handele, habe Herr S. sie zum 31. Juli 2007 und damit vor dem streitgegenständlichen Zeitraum verlassen. Außerdem habe Herr S. keinerlei personelle Weisungsbefugnisse gegenüber dem Kläger gehabt. Eine ausdrückliche Dienstanweisung, abends oder am Wochenende von zu Hause aus zu arbeiten, sei von ihrer Seite nie erteilt worden und lasse sich auch den vom Kläger vorgelegten E-Mails nicht entnehmen. Soweit der Kläger angeführt habe, er könne in Anbetracht des Zeitablaufs nicht bezüglich jeder Fahrt bis rückwirkend Februar 2009 die Gründe hierfür rekapitulieren, sei dies bezeichnend. Hätte der Kläger das Fahrtenbuch so geführt, wie es geboten gewesen wäre, hätte er nicht nachträglich Gründe rekapitulieren müssen, weil sich dann die korrekten und insoweit grundsätzlich selbst erklärenden Einträge aus dem Fahrtenbuch ergeben würden. Angesichts der in regelmäßigen Abständen erfolgten Anfragen nach einem Firmenwagen mit Privatnutzung und der sich regelmäßig daran anschließenden Diskussion, sei für alle damaligen Gruppenleiter und somit auch für den Kläger deutlich erkennbar gewesen, worin der Unterschied zwischen dem einem einzelnen Beschäftigten zur Verfügung gestellten Firmenwagen und einem Geschäftswagen zur ausschließlich dienstlichen Nutzung durch mehrere Mitarbeiter bestehe. Aufgrund der Tatsache, dass der streitgegenständliche Geschäftswagen einem privaten Nutzungsverbot unterlegen habe, hätte der Kläger seinerseits dezidiert vortragen müssen, wo genau er zu den in der Klageerwiderung aufgeführten Daten aufgrund welcher dienstlichen Anweisung bzw. zu welchem dienstlichen Zweck gewesen sei und wie viele Kilometer er gefahren sei. Der Global-Access-Zugang stelle keine Rechtfertigung oder Begründung dafür dar, dass eine dienstliche Weisung zur Nutzung des PC´s und somit zur Arbeit von zu Hause aus erfolgt sei oder habe erfolgen müssen. Der Kläger habe ihre Organisationsstruktur, nach der der jeweilige Vorgesetzte in A-Stadt und nicht vor Ort in K-Stadt tätig sei, ausgenutzt und das in ihn in seiner Funktion als Gruppenleiter gesetzte Vertrauen in seine Redlichkeit und Integrität missbraucht, indem er den Geschäftswagen für private Zwecke genutzt habe. Soweit das Arbeitsgericht auf das Schreiben des bei ihr in S-Stadt nur in den Jahren 2005 bis 2007 beschäftigten Herrn S. verweise, habe dieser keine Personalverantwortung für den Kläger gehabt. Der Kläger sei weder verpflichtet noch berechtigt gewesen, seine Arbeitsleistung vom Wohnort aus zu erbringen. Die vom Kläger vorgenommene Fehlinterpretation der Nutzung des Geschäftswagens zu Fahrten zwischen der Arbeitsstätte und seinem Wohnort als geschäftliche Nutzung sei kein Versehen, sondern volle Absicht gewesen. Die Summe der dem Kläger als Privatfahrten vorgeworfenen Fahrten gemäß ihrer Klageerwiderung ergebe einen Schaden zu ihrem Nachteil in Höhe von 4.956,00 EUR. Art, Schwere und Häufigkeit der vorgeworfenen Pflichtwidrigkeiten über die Dauer von mehreren Jahren (Februar 2009 bis Mai 2012) sowie der Missbrauch des in den Kläger gerade in seiner Funktion als Gruppenleiter gesetzten Vertrauens sowie dessen Vorbildfunktion führe nicht dazu, dass die Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausgehe. Die Erteilung einer Abmahnung reiche nicht aus, um eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft erwarten zu können. Das endgültig verlorene Vertrauen könne nicht durch eine etwaige künftige Vertragstreue des Klägers zurückgewonnen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf ihre zweitinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 27. Februar 2014 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - 5 Ca 2725/13 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, für ihn sei jede einzelne von Seiten der Beklagten monierte Fahrt eine betrieblich veranlasste Fahrt gewesen, für die er aus seiner Sicht die Erlaubnis der Beklagten zur Nutzung des Fahrzeuges gehabt habe. Er habe von der Rechtmäßigkeit seines Handelns ausgehen können, weil ihm von Herrn S. eine entsprechende Genehmigung vorgelegen habe, die von diesem mit dem vorgelegten Schreiben vom 15. Juni 2013 (Bl. 204 d. A.) auch schriftlich bestätigt worden sei, und dies auch Herrn O. bekannt gewesen sei. Zudem habe auch Herr V. anlässlich eines Meetings am Standort K-Stadt 2007/2008 nochmals ausdrücklich ihm gegenüber mündlich geäußert, dass er - der Kläger - ja wisse, wie er sich zu verhalten habe und er den Geschäftswagen bei einem geschäftlichen Anlass für die Fahrt nutzen dürfe und dies auch Fahrten zu seinem Wohnort mit einschließen würde. Mit dem von der Beklagten angeführten Begriff der Auswärtstätigkeit sei nicht gesagt, dass es sich hierbei nur um Tätigkeiten handeln könne, die darin begründet seien, dass das Fahrzeug zum Besuch eines Kunden oder zum Besuch eines Seminars genutzt werde. Eine Auswärtstätigkeit könne auch dann gegeben sein, wenn das Fahrzeug genutzt werde, um damit von zu Hause aus notwendige Arbeiten durchzuführen. In Bezug auf das von der Beklagten angesprochene Handbuch sei zunächst darauf hinzuweisen, dass er nicht als Fahrer bei der Beklagten tätig sei. Das Handbuch spreche von sog. Fahraufträgen, die er nie erhalten habe. Unabhängig davon habe es sich bei den von ihm durchgeführten Fahrten seiner Ansicht nach auch nicht um private Fahrten im Sinne des Handbuches gehandelt. Entgegen der Darstellung der Beklagten sei er nicht für die Verwaltung des Fahrzeuges verantwortlich gewesen, sondern habe ausschließlich die Schlüssel und die Fahrzeugmappe aus Praktikabilitätsgründen verwahrt. Soweit er bei einzelnen Gelegenheiten abgeklärt habe, ob er den Geschäftswagen bereits am Vorabend mit zu seinem Wohnort nehmen könne, um dann am Folgetag von dort aus direkt die Dienstfahrt antreten zu können, widerspreche dies nicht seinem Vortrag. Er habe nie eine schriftliche Anfrage gestellt, ob er das Fahrzeug zu privaten Zwecken nutzen dürfe, weil dies aus seiner Sicht auch gar nicht veranlasst gewesen sei. Es habe aber die mündliche Zusage des Herrn O. gegeben, dass ein dienstliches Interesse auch dann gegeben sei, wenn die Notwendigkeit bestehe, von zu Hause aus weiterzuarbeiten und er hierfür Arbeitsmittel benötige, die er ohne das Fahrzeug nicht transportieren könne. Im Hinblick darauf, dass er von einer genehmigten Nutzung des Fahrzeuges ausgegangen sei, habe er auch immer offen und ehrlich seine Fahrten von K-Stadt zu seinem Wohnort nach C-Stadt in das jederzeit für den jeweiligen Vorgesetzten frei zugängliche Fahrtenbuch eingetragen. Von den fachlichen Vorgesetzten sei schlichtweg erwartet worden, dass bei Bedarf auch von zu Hause gearbeitet und der Global-Access-Zugang benutzt werde. Es seien von der Fachseite E-Mail-Nachrichten versandt worden, die außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit geschrieben worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben.

I. Die fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten ist mangels wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Auch wenn man davon ausgeht, dass der von der Beklagten vorgetragene Kündigungssachverhalt "an sich" als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist, hätte im Streitfall eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausgereicht, so dass eine außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt ist.

1. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16, NZA 2013, 319; BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, NZA 2010, 1227). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Auch in diesem Bereich gibt es keine "absoluten" Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 38, NZA 2010, 1227).

2. Danach war im Streitfall eine Abmahnung nicht entbehrlich.

a) Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand für den Kläger kein "klares Privatnutzungsverbot für Geschäftsfahrzeuge", aufgrund dessen eine Hinnahme seiner Verfahrensweise bei der Nutzung des Geschäftsfahrzeuges offensichtlich - auch für ihn erkennbar - ausgeschlossen war.

aa) Der Kläger hat gegen den Vorwurf der privaten Nutzung des Geschäftsfahrzeuges eingewandt, dass seiner Auffassung nach sämtliche Fahrten geschäftlich veranlasst gewesen seien. Er habe das Dienstfahrzeug lediglich zur Heim- und Rückfahrt verwendet, wenn er seine Arbeit von zu Hause aus habe fortführen wollen bzw. müssen. Aufgrund seiner Behinderung sei ihm der Transport der Arbeitsmaterialien in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich gewesen.

Der bis 2007 für die vom Kläger geleitete Außenstelle in Koblenz zuständige direkte Ansprechpartner, Herr S., hat in seinem Schreiben vom 15. Juni 2013 (Bl. 204 d. A.) bestätigt, dass er bis 2007 bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei und u.a. auch die Betreuung der Außenstelle in Koblenz zu seinen Hauptaufgaben gehört habe. In diese Zeit sei auch die Beschaffung eines Geschäftswagens für diese Außenstelle gefallen. Es sei bei Übergabe des Fahrzeuges keine besondere Einweisung bezüglich der Nutzung des Wagens oder Führung des Fahrtenbuches durchgeführt worden. Es sei Voraussetzung gewesen, dass die Fahrten mit Ort, Gesamtkilometer und Abfahrt bzw. Ankunft zeitlich dokumentiert würden und die Fahrt in einem dienstlichen Interesse stehen müsse. Weitere Anforderungen seien nicht gestellt worden. Im Rahmen des Dienstes und der regelmäßig stattfindenden Koordinatorentagungen sei auch über die Nutzung des Fahrzeuges für Fahrten zwischen Koblenz und dem Heimatort gesprochen worden. Wenn diese Fahrten zur Aufgabenerledigung und in einem dienstlichen Interesse gelegen seien, sei dem Kläger auch die Zusage gegeben worden, dass auch die Nutzung des Wagens aufgrund der Schwerbehinderung und des erhöhten Gepäcks nach C-Stadt zum Heimatort möglich sei.

Herr O., der bis Ende 2009 als Abteilungsleiter u.a. auch personell Vorgesetzter des Klägers als Leiter der Außenstelle in Koblenz gewesen war, hat in der von der Beklagten vorgelegten E-Mail vom 17. Juni 2013 (Bl. 103 d. A.) ausgeführt, dass er aufgrund der Vielzahl der organisatorisch an seine damalige Abteilung angebundenen Außenstellen diesen als direkte Ansprechpartner die Consultants der Abteilung zugeordnet habe. Diese hätten u.a. die Aufgabe gehabt, direkte Ansprechpartner gegenüber den Außenstellen zu sein, und die notwendigen Abstimmungen mit der Fachseite bzw. mit seiner Person zu veranlassen. Für die Außenstelle in Koblenz habe Herr S. diese Aufgabe wahrgenommen. Personell weisungsbefugt sei aber ausschließlich er selbst gewesen und nicht Herr S.

bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist unerheblich, dass Herr S. nach ihrer Darstellung keine personellen Weisungsbefugnisse gegenüber dem Kläger hatte. Auch wenn Herr S. nicht personell weisungsbefugt war, durfte der Kläger im Hinblick darauf, dass Herr S. als direkter Ansprechpartner für die Außenstelle in Koblenz benannt war, davon ausgehen, dass dieser zu den von ihm abgegebenen Erklärungen betreffend die Nutzung des dem Standort Koblenz zur Verfügung gestellten Geschäftswagens auch befugt war. Unerheblich ist auch, dass Herr S. die Beklagte bereits im Jahr 2007 verlassen hat. Anlässlich der im Februar 2009 erfolgten Übergabe des neuen Geschäftswagens, der den zuvor für den Standort Koblenz zur Verfügung gestellten Geschäftswagen aus dem Jahr 2005 ersetzt hat, ist unstreitig keine Einweisung des Klägers in die Nutzung des Geschäftswagens erfolgt. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich auch dem Sitzungsprotokoll vom 05. Januar 2009 der zweiten Klausurtagung der Abteilungsleitung "Marketing Services BRIEF" jedenfalls nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass die zuvor abgegebenen Erklärungen keine Geltung mehr haben und der Kläger den Geschäftswagen künftig nicht mehr einsetzen darf, um von zu Hause aus Arbeitsaufgaben zu erledigen und hierfür betätigte Arbeitsmaterialien zu transportieren. Im Sitzungsprotokoll der Klausurtagung der Abteilungsleitung, bei der der Kläger selbst nicht anwesend war, heißt es unter TOP 10.2 lediglich, dass Firmenwagen (für bestimmten Personenkreis zur geschäftlichen und privaten Nutzung) zur Zeit nicht zur Verfügung gestellt werden und Geschäftsfahrzeuge (für Auswärtstätige zur geschäftlichen Nutzung) u.a. am Standort Koblenz zur Verfügung gestellt werden und vorrangig zu nutzen sind, wenn die Geschäftsreise mit einem KFZ angetreten werden soll. Daraus lässt sich jedenfalls nicht hinreichend klar entnehmen, dass eine zuvor gemäß dem Schreiben des Herrn S. vom 15. Juni 2013 praktizierte Handhabung bei der Nutzung des für den Standort Koblenz zur Verfügung gestellten Geschäftsfahrzeuges künftig geändert bzw. eingeschränkt werden soll.

Das von der Beklagten angeführte Handbuch für Fahrer und Fahrerinnen bei der Deutschen Post ("Fahrerhandbuch") gilt in Bezug auf sämtliche der darin enthaltenen Regelungen offenbar nur für das eigentliche Fahrpersonal. Unabhängig davon ist unter der Überschrift "Fahrauftrag" lediglich festgelegt, dass der Fahrer ein Kfz nur für betriebliche Zwecke und nur im Rahmen des Fahrauftrages führen darf und private Fahrten nicht erlaubt sind. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Kläger nach Maßgabe der ihm gegenüber abgegebenen Erklärungen durch den für die Außenstelle in Koblenz zuständigen Ansprechpartner in den von ihm absolvierten Fahrten zu seinem Wohnort einen betrieblichen Zweck bzw. ein dienstliches Interesse sehen durfte, geht daraus nicht hervor. Das vorgelegte Merkblatt zur Nutzung von Geschäftswagen ist dem Kläger erstmals in dem Gespräch mit seinem Abteilungsleiter am 07. Mai 2013 ausgehändigt worden.

In Anbetracht der dargestellten Umstände ist im Streitfall objektiv die Prognose berechtigt, dass sich der Kläger jedenfalls nach einer Abmahnung künftig an konkrete Vorgaben zur Nutzung des Geschäftsfahrzeuges - wie in dem ihm ausgehändigten Merkblatt - halten wird.

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Kläger aufgrund der ihm obliegenden Erwiderungspflicht (§ 138 Abs. 2 ZPO) vorliegend auch nicht gehalten, seinerseits im Einzelnen vorzutragen, wo genau er zu den auf Seiten 5 bis 11 der Klageerwiderung aufgeführten Daten aufgrund welcher dienstlichen Anweisung bzw. zu welchem dienstlichen Zweck war und wie viele Kilometer er gefahren ist.

aa) Die Nutzung des Geschäftsfahrzeuges durch den Kläger ist von Seiten der Beklagten zuvor zu keinem Zeitpunkt beanstandet worden. Der Kläger hat die von der Beklagten beanstandeten Fahrten nicht verheimlicht, sondern offen im Fahrtenbuch dokumentiert. Eine besondere Einweisung des Klägers in die Führung des Fahrtenbuches ist nicht erfolgt. Die Eintragungen im Fahrtenbuch wurden auch nicht überprüft. In Anbetracht des erheblichen Zeitablaufs kann vom Kläger nicht verlangt werden, dass er nach der erst im Juni 2013 erfolgten Anhörung zu den beanstandeten Fahrten in dem zurückliegenden Zeitraum von Februar 2009 bis Mai 2012 zu jeder einzelnen Fahrt detaillierte Erklärungen abgeben kann und muss. Vielmehr ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass er sich zu einzelnen Fahrten und deren Verlauf aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs und der nicht beanstandeten Vorgehensweise nicht mehr im Einzelnen erklären kann. Soweit der Kläger bezüglich der beanstandeten Fahrten vom 29. Februar 2012 bis 02. März 2012 behauptet hat, dass er hierfür eine Genehmigung des ehemaligen Standortleiters für die Nutzung des Geschäftswagens zur Einweihung des Büros in Koblenz gehabt habe, musste die Beklagte sogar selbst einräumen, dass dies zutrifft. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es auch nicht widersprüchlich, dass der Kläger für Fahrten zu seinem Wohnort, die er wegen der dort von ihm unter Einsatz der mit dem Dienstfahrzeug transportierten Arbeitsmittel als im betrieblichen Interesse angesehen hat, aufgrund der Erklärungen des Herrn S. keine besondere Genehmigung für erforderlich gehalten hat, während er bei anderen Anlässen im Einzelfall ausdrücklich um eine Genehmigung gebeten hat.

bb) Weiterhin ist in diesem Zusammenhang unerheblich, dass es keine Home-Office-Vereinbarung gegeben hat. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Kläger ausweislich des vorgelegten E-Mail-Verkehrs mit Billigung seiner fachlichen Vorgesetzten Arbeiten auch von zu Hause für die Beklagte erledigt hat und jedenfalls annehmen durfte, dass diese - ggf. überobligationsmäßigen - Tätigkeiten im betrieblichen Interesse liegen. So heißt es in der als Anlage K 16 (Bl. 192 d. A.) vorgelegten E-Mail des fachlichen Leiters vom 08. Juni 2010, dass sichergestellt werden soll, dass mit allen personellen Ressourcen über das normale Maß hinaus noch in dieser Woche die betreffende Arbeit beendet wird. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, belegt auch der als Anlage K 26 (Bl. 213 bis 215 d. A.) vorgelegte E-Mail-Verkehr die Erwartungshaltung von Seiten der Beklagten hinsichtlich der zeitlichen Realisierung von Projekten und die daraufhin von zu Hause aus erfolgte Tätigkeit des Klägers (E-Mail des Klägers am Freitag, 30. April 2010, um 21:25 Uhr). Dabei ist unerheblich, ob und inwieweit der Kläger seine Arbeitsleistung auch im Büro hätte erbringen können. Vielmehr ist der Kläger davon ausgegangen, dass die Erledigung der termingebundenen Projekte von Seiten der Beklagten ggf. auch unter überobligationsmäßigem Einsatz erwartet wird und er hierzu ggf. auch von zu Hause aus unter Einsatz des Geschäftswagens für den Transport der benötigten Arbeitsmittel tätig sein kann.

cc) Soweit die vom Kläger verfassten Einträge in das Fahrtenbuch nicht hinreichend präzise oder auch fehlerhaft sein mögen, lässt dies noch keine Rückschlüsse darauf zu, dass der Kläger den Geschäftswagen entgegen seiner Darstellung tatsächlich zu privaten Zwecken genutzt haben soll. Wie bereits oben ausgeführt, können vom Kläger in Anbetracht des eingetretenen Zeitablaufs und des Umstandes, dass der Einsatz des Geschäftswagens und die Eintragungen im Fahrtenbuch zuvor weder beanstandet noch überhaupt überprüft worden waren, keine weitergehenden Angaben verlangt werden.

Unter den dargestellten Umständen war vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegen etwaige Pflichtverletzungen, die auf einer möglicherweise fehlerhaften Interpretation eines dienstlichen Interesses bzw. einer geschäftlichen Nutzung beruhen, so schwer, dass deren Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Das Arbeitsgericht hat mithin zu Recht angenommen, dass die Beklagte vor Ausspruch der fristlosen und hilfsweise mit Auslauffrist ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung dem Kläger eine Abmahnung als milderes Mittel hätte erteilen müssen. Ergänzend wird auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

II. Die Beklagte ist nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG GS 27. Februar 1985 - GS 1/84 - BAGE 48, 122) verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Besondere Umstände, aus denen sich ein überwiegendes Interesse der Beklagten ergibt, den Kläger trotz seines Obsiegens in erster und zweiter Instanz nicht zu beschäftigen, liegen nicht vor. Soweit die Beklagte pauschal darauf verwiesen hat, dass der Kläger anlässlich der Anhörung vor Ausspruch der Kündigung sowie in der Zeit danach mit allen anderen Mitarbeitern des Standortes Koblenz kommuniziere und seine Sichtweise der Dinge deutlich artikuliere bzw. andere Mitarbeiter auf seine Seite zu ziehen suche, fehlt es an hinreichend konkretem Vortrag, aus dem sich ein überwiegendes schutzwertes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers nachvollziehbar entnehmen lässt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.



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