Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

- Az: 23 Sa 1107/22

Kündigung aufgrund früherer antisemitischer Äußerungen einer Redakteurin rechtens?

Ein Arbeitnehmer, der antisemitische Äußerungen zu einer Zeit vor seiner Beschäftigung bei seinem jetzigen Arbeitgeber getätigt hat, kann mangels bestehenden Vertrages zu dieser Zeit an einer für eine verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen Vertragspflichtverletzung nicht gekündigt werden.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Im vorliegenden Streitfall ist die Klägerin bei dem beklagten Sender als gehobene Redakteurin tätig gewesen. Zuvor arbeitete die Klägerin als Journalistin in freier Mitarbeit für ein Online-Magazin und veröffentlichte u.a. mehrfach antisemitische und israelfeindliche Artikel. Als der Beklagte hiervon Erkenntnis erlangte, kündigte dieser das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich. Die Handlungsweise der Klägerin widerspreche den Grundsätzen des Beklagten, die ausdrücklich in Guidelines und Positionspapieren festgehalten seien. Darüber hinaus sei eine Abmahnung im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzungen der Klägerin, auf die ausgeschlossene Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses und auf das Festhalten der Klägerin an ihrer israelfeindlichen Haltung in den Chronicles entbehrlich – so der Beklagte. Zuvor hatte der beklagte Sender den Personalrat über die beabsichtigte Kündigung informiert. Hiergegen legte die Klägerin Kündigungsschutzklage ein – mit Erfolg.
Grundsätzlich können die beanstandeten Veröffentlichungen der Klägerin ein außerordentlicher Kündigungsgrund darstellen. Auch wenn es nicht um Äußerungen im Rahmen der Tätigkeit für den Beklagten gehe, könne hierin eine Verletzung von Loyalitätspflichten liegen. Im konkreten Streitfall habe die Klägerin jedoch zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten verstoßen, da zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen kein wirksames Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand. Eine personenbedingte Kündigung hatte der Beklagte nicht ausgesprochen und dazu auch nicht den Personalrat beteiligt.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

I.    Auf die Berufung der Beklagten wird ‒ unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen ‒ das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 5. September 2022 ‒ 22 Ca 1647/22 ‒ teilweise abgeändert:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, längstens jedoch bis zum 30.06.2023, als Gehobene Redakteurin weiterzubeschäftigen.
  2. Im Übrigen wird der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung zurückgewiesen.
  3. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

II.    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung, um die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin und um die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. 

Die am …1987 geborene Klägerin, die keine Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, war aufgrund befristeten Arbeitsvertrages vom 23.06.2021 seit dem 01.07.2021 mit Fristablauf am 30.06.2023 als Gehobene Redakteurin bei der Beklagten vollzeitig gegen eine Vergütung von 5.423 EUR brutto monatlich beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Befristung zugelassen (§ 5). Die Beklagte unterhält als Anstalt des öffentlichen Rechts den A der Bundesrepublik Deutschland mit Angeboten in Fernsehen, Radio und Internet. Sie beschäftigt eine Vielzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (nachfolgend: Arbeitnehmer) sowie freie Mitarbeiterinnen und freie Mitarbeiter. Bei der Beklagten, deren Tätigkeit und Aufgaben näher im J-Gesetz vom 16.12.1997, zuletzt in der Fassung vom 11.01.2005, geregelt sind, besteht ein Personalrat. 

Die Klägerin ist …Staatsbürgerin und arbeitete seit dem Jahr 2013 als Journalistin in freier Mitarbeit von B aus für das … Online-Magazin R. Vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien absolvierte die Klägerin vom 10.10.2016 bis 02.12.2016 ein Praktikum in der Redaktion „C“ der Beklagten, nachfolgend war sie seit dem 14.08.2017 auf der Grundlage eines befristeten Honorar-Rahmenvertrages vom 09.05.2017, der mehrfach verlängert wurde, als freie Mitarbeiterin in der Redaktion „C“ der Beklagten beschäftigt. Der letzte Honorar-Rahmenvertrag wurde ab dem 01.07.2021 durch den Arbeitsvertrag der Parteien abgelöst. Bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien im Juli 2021 war die Klägerin neben ihrer freien Mitarbeit für die Beklagte weiterhin auch als freie Mitarbeiterin für das Online-Magazin R. tätig. 

Die Klägerin veröffentlichte in den Jahren 2014 bis 2017 im Online-Magazin R. Artikel in … Sprache, die u. a. den Nahostkonflikt und Israel betrafen. Darin äußerte sie sich in acht Artikeln auszugsweise wie folgt:

•    …2014: Israel wird als eine feindliche Existenz bezeichnet, die Israelis als Erfinder aller Arten von Vergewaltigung.
•    …2014: Der Zionismus wird als ein Krebs bezeichnet, den man entfernen müsse, um gesund zu werden.

•    …2015: Sie küsse die Füße derer, die die Quneitra Operation [die Tötung von 3 israelischen Soldaten] durchgeführt hätten, verbeuge sich vor ihnen in Ehrfurcht und Respekt und würde nicht zögern, eine Anhängerin des Kompasses [wohl des sogenannten islamischen Staates IS] zu sein, wenn dieser Kompass nach Jerusalem zeige und Usurpatoren abgeschlachtet würden.

•    …2015: Wenn der IS die Israelis aus dem Heiligen Land dränge, werde sie in seinem Kader sein. 
•    …2016: Die israelische Besatzung sei ein Krebs.
•    …2016: Die Menschen im Osten [wohl die Palästinenser] zahlten den Preis der deutschen Verbrechen im Holocaust.
•    …2017: Der Sender D unterstütze die Verbreitung historischer Lügen, wenn er einzelne Israelis einlade, die über verbrecherische Erfolge gegen Palästinenser prahlten.
•    …2017: Die Israelis mischten seit jeher Gift in die Geschichte, um zu zeigen, dass ihr Staat der Ursprung und Palästina eine reine Fiktion sei.

Die Auszüge aus diesen Artikeln hat die Beklagte in nicht beglaubigter Übersetzung aus dem … schriftsätzlich und in Anlagen zu Schriftsätzen zur Akte gereicht. Die anhand dieser Übersetzung sinngemäß zitierten Äußerungen der Klägerin sind inhaltlich zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist, ob die Äußerungen unter Berücksichtigung von Kontext und Gesamtzusammenhang der jeweiligen Veröffentlichung als israelkritisch oder als israelfeindlich und antisemitisch zu beurteilen sind. Am 11.04.2018 führten die Vorgesetzten der Klägerin in der Redaktion C anlässlich der Veröffentlichung eines nicht beanstandeten Artikels für das Online-Magazin R. ein Personalgespräch mit der Klägerin, in dem sie ihr erklärten, es könne sinnvoll sein, wenn die Klägerin künftig bei ihrer Arbeit für andere Sender auf Kommentare zur Situation in Israel verzichte. Nach diesem Gespräch erfolgten keine von der Beklagten beanstandeten öffentlichen Äußerungen der Klägerin zu Israel und Israelis. Bei der für die Beklagte erbrachte Arbeitsleistung als freie Mitarbeiterin und im Angestelltenverhältnis hat die Beklagte keine Äußerung der Klägerin zum Nahostkonflikt und Israel beanstandet.

Die Klägerin unterhielt seit dem Jahr 2011 einen Account, auf dem sie ab Ende Februar 2018 für das Online-Magazin R. verfasste Beiträge verlinkte. 

Bei der Beklagten existierten seit dem Jahr 2013 Social Media Guidelines, die zuletzt am 11.09.2019 auf Basis einer Dienstvereinbarung Social Media überarbeitet und für Mitarbeiter der Programmdirektion verbindlich aufgestellt worden sind. In diesen Guidelines, auf deren weiteren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 322 ff. d. A.), äußerte die Beklagte im Abschnitt „Hinweise zur privaten Nutzung“ die Erwartung, dass auch bei privater Nutzung von Social Media Loyalität zur Beklagten und die Wahrung der Grundsätze der Beklagten beachtet werden. Im Jahr 2020 veröffentlichte die Beklagte in ihrem Intranet ein Positionspapier zu Israel und den palästinensischen Gebieten, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 69 ff. d. A.). Darin führte sie aus, sie orientiere sich an der Antisemitismus-Definition der IHRA, die der Deutsche Bundestag im Jahr 2017 anerkannt habe. Sie stelle das Existenzrecht Israels nicht infrage und erlaube dies auch niemandem in der Berichterstattung. Sie setze sich gegen Antisemitismus ein, Kritik an der Politik Israels sei allerdings zulässig. In einem weiteren Positionspapier aus dem Jahr 2020 „Kritik vs. Antisemitismus“ führte die Beklagte u. a. aus, Kritik sei dann als antisemitisch zu beurteilen, wenn im Zusammenhang mit Israel antisemitische Bilder, Stereotype oder Adjektive wie „blutrünstig“ oder „gierig“ verwendet würden. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin Kenntnis von den Social Media Guidelines und den Positionspapieren der Beklagten hatte. 

Am 29.11.2021 informierte ein Journalist der E die Klägerin per E-Mail darüber, dass er bestimmte Zitate aus ihren früheren Artikeln für das Online-Magazin R. in einem Beitrag zitieren werde, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Klägerin antwortete in Abstimmung mit dem Pressesprecher der Beklagten und entsprechend der von diesem vorgeschlagenen Antwort, es sei unfair, Zitate aus Artikeln aus dem Jahr 2015 für ein… Medium im Klima der damaligen … Presse zu entnehmen. Teile ihrer Arbeit als junge Journalistin in F seien nach westlichem Standard unangemessen gewesen. Sie sei glücklicherweise aus diesem System herausgekommen, arbeite seit 2017 für die Beklagte und befolge seitdem deren journalistische Vorgaben. Für diese Werte stehe sie professionell und persönlich ein.

Die E veröffentlichte am 30.11.2021 den Artikel „…“. In diesem Artikel, der sich mit fünf Mitarbeitern der Beklagten befasst, sind Zitate der Klägerin aus den von ihr für das Online-Magazin R. verfassten Beiträgen vom …2014, …2015, …2017 enthalten. In dem Artikel, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 325 ff. d. A.), wird betreffend die Klägerin ausgeführt, sie sei mit problematischen Äußerungen bei der Beklagten nicht aufgefallen, sondern setze im Gegenteil einen gemäßigten Ton in Bezug auf Israel. Soweit sie in ihrer Stellungnahme gegenüber der E angegeben habe, sie folge den journalistischen Richtlinien der Beklagten und stehe persönlich und beruflich für diese Werte, lasse sich diese Wandlung in den sozialen Medien nur indirekt nachvollziehen, da die ersten abrufbaren Tweets von Anfang 2018 stammten und die Klägerin sich nicht dazu geäußert habe, ob sie Einträge getilgt habe. 

Die Beklagte führte am 02.12.2021 ein Personalgespräch mit der Klägerin, dessen Inhalt im Verfahren nicht mitgeteilt worden ist. Sie stellte die Klägerin ab dem 03.12.2021 von der Arbeitspflicht frei. Im Zeitraum von Anfang Dezember 2021 bis zum 11.01.2022 veröffentlichte die Klägerin in englischer Sprache neun Artikel unter dem Titel …, von denen die Beklagte im hiesigen Verfahren vier Artikel in englischer Sprache zur Akte gereicht (Bl. 105 ff. d.A.) und auszugsweise in deutscher Zusammenfassung wiedergegeben hat. Die Beklagte beauftragte ‒ nach vorausgegangenen Verhandlungen ‒ am 14.12.2021 drei externe Gutachter mit einer Untersuchung der Antisemitismusvorwürfe gegen einzelne Mitarbeiter der … Redaktion sowie gegenüber einzelnen Partnern. Das von dem Ehepaar G und der ehemaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger erstellte Gutachten wurde am …2022 in anonymisierter Form veröffentlicht und der Beklagten nach deren ‒ von der Klägerin bestrittener ‒ Angabe am selben Tag in nicht anonymisierter umfangreicherer Fassung zur Verfügung gestellt. Während der Recherche der drei Gutachter bat Herr G die Klägerin mit E-Mails vom 16.12.2021, 29.12.2021 und 09.01.2022 um ein Gespräch betreffend die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe. Die Klägerin reagierte zunächst hinhaltend und teilte am 11.01.2022 mit, sie habe sich im Zeitraum seit Dezember 2021 in den im Internet veröffentlichten Chronicles geäußert, die sie den Gutachtern über Links zur Verfügung stelle, und werde sich darüber hinaus nicht an der Untersuchung beteiligen.

Auf den Inhalt des veröffentlichten und anonymisierten Gutachtens wird Bezug genommen. Den die Klägerin betreffenden Teil der nicht anonymisierten Fassung, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Anlage BB5, Bl. 467 ff. d. A.), hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.05.2023 erstmalig zur Akte gereicht. Darin heißt es zur Nutzung des Twitter-Accounts durch die Klägerin in den Zeilen 443-552 (Bl. 467 f. d. A.):
Im E-Artikel „…“ wird erwähnt, dass ihre ersten abrufbaren Tweets vom Beginn des Jahres 2018 seien. Dies entspricht den Tatsachen. H verfügt über einen Twitter Account unter ihrem Namen, den sie im November 2011 eröffnet hat. Der erste abrufbare Tweet ist vom … 2018. Vorrangig verlinkt H ihre Beiträge, die sie auch weiterhin für „I“ verfasste, nachdem sie begann für die J zu arbeiten. Der letzte verlinkte von ihr selbst verfasste Artikel ist vom … 2021.

H hat in dem Online-Magazin „I“ Beiträge zum Thema Israel und Nahostkonflikt verfasst, von denen einige Passagen in dem Beitrag „…“ zitiert werden. Diese Beiträge werden im Folgenden rekapituliert und die im E-Artikel zitierten Passagen in ihrem Kontext wiedergegeben.

Die Beklagte hörte den Personalrat mit Schreiben vom 07.02.2022, am selben Tag um 18:24 Uhr per E-Mail übersandt, zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin an und bat ihn um Mitwirkung zur vorsorglich beabsichtigten hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Beendigungskündigung mit Wirkung zum nächstzulässigen Termin. Darin teilte sie dem Personalrat u. a. mit, in dem Artikel der E vom 30.11.2021 seien ernsthafte Vorwürfe betreffend antisemitische Äußerungen der Klägerin erhoben worden, die durch die durchgeführte externe Prüfung hätten belegt werden können. Die Beklagte machte Ausführungen über die acht streitgegenständlichen Artikel der Klägerin für das Online-Magazin R. und gab als Quelle der Artikel jeweils „I“ an. Die Angaben zu diesen acht Artikeln leitete sie auf Seite 3 des Anhörungsschreibens wie folgt ein:  

Frau H äußerte sich über ihren eigenen Twitter-Account, auf dem sie vorrangig ihre Beiträge verlinkt, die sie auch für das Online-Magazin „I“ verfasste, nachdem sie begann für die J zu arbeiten. 

So hat Frau H im genannten „I“ Beiträge zum Thema Israel und Nahostkonflikt verfasst, von denen auch einige Passagen in dem Beitrag der E „…“ zitiert werden.

Weiter wird dem Personalrat im Anhörungsschreiben, auf dessen weiteren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 94 ff. d. A.), der Inhalt einzelner Artikel der Reihe „Chronicles“ mit englischen Zitaten und deutscher Zusammenfassung auszugsweise mitgeteilt. Zur rechtlichen Bewertung teilte die Beklagte dem Personalrat mit, die geschilderten Aussagen der Klägerin zeigten, dass sie auch während ihrer Tätigkeit als Journalistin bei der Beklagten klassisch antisemitische und israelbezogene antisemitische Einstellungen habe, die sie sogar mit radikal islamischen Gruppierungen sympathisieren ließen. Auf Basis der Werte und Ziele der Beklagten stellten diese Aussagen eine schwere vertragliche Pflichtverletzung dar und begründeten einen erheblichen Schaden für das Ansehen der Beklagten. Sie könne Beschäftigungsverhältnisse mit Mitarbeitern nicht fortsetzen, bei denen durch Tatsachen begründet belegt sei, dass sie der Beklagten schadeten. Der Personalrat äußerte sich weder zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin noch zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 11.02.2022, der Klägerin am selben Tag zugegangen, außerordentlich. Sie kündigte mit Schreiben vom 26.04.2022, der Klägerin über den Klägervertreter am 28.04.2022 zugegangen, zum 30.06.2022 hilfsweise ordentlich. Gegen diese Kündigungen wendet sich die Klägerin mit der Kündigungsschutzklage vom 18.02.2022, am selben Tag bei Gericht eingegangen und der Beklagten am 28.02.2022 zugestellt, und mit der Klageerweiterung vom 29.04.2022, am selben Tag bei Gericht eingegangen und der Beklagten am 06.05.2022 zugestellt.

Die Klägerin hat ausgeführt, sie arbeite seit Beginn der Zusammenarbeit der Parteien beanstandungsfrei. Keiner der vor dem … 2017 von ihr veröffentlichten Artikel für das Online-Magazin R. habe irgendeinen Bezug zur Zusammenarbeit der Parteien während der freien Mitarbeit und erst Recht nicht zum Arbeitsverhältnis, da sie zeitlich davor lägen. Die aus den acht Artikeln zitierten Passagen seien sämtlich aus dem Kontext und dem Gesamtzusammenhang gerissen und bei zutreffender Betrachtung nicht als antisemitisch oder israelfeindlich zu beurteilen. Dies gelte insbesondere für die Artikel vom … 2017. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt irgendeinen der acht Artikel auf ihrem Twitter-Account verlinkt. Die von ihr verfassten Chronicles beinhalteten keine Vertiefung oder Wiederholung der aus den beanstandeten Artikeln zitierten Passagen. Es handele sich vielmehr um Kritik an aus Sicht der Klägerin undifferenziertem Umgang mit diesen Zitaten ohne Berücksichtigung ihrer Sozialisierung in B und ihrer Tätigkeit für ein … Medium sowie ohne Berücksichtigung ihrer loyalen Vertretung der Werte der Beklagten seit Beginn ihrer Tätigkeit für diese. Die Chronicles beträfen die Frage, wie … Journalisten kritikwürdige israelbezogene Sachverhalte angesichts der deutsch-jüdischen Geschichte beleuchten könnten, sowie Kritik an pauschalen Antisemitismus-Vorwürfen einiger Medien gegenüber … Journalisten. Sie habe in den Chronicles weder den Holocaust verharmlost noch das Existenzrechts Israels negiert oder antisemitischen Hass geäußert. Bei der Berichterstattung müssten zulässigerweise neben israelischen auch palästinensische Positionen berücksichtigt werden können. Von den Guidelines und Positionspapieren der Beklagten habe die Klägerin keine Kenntnis gehabt, und zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichungen für das Online-Magazin R. habe sie eine spätere Tätigkeit für die Beklagte nicht vorhersehen können. Es fehle an einer Pflichtverletzung der Klägerin, und es liege deshalb weder ein außerordentlicher Kündigungsgrund vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Zweiwochenfrist des § 626Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei nicht gewahrt, da die Beklagte den Auftrag zur Erstellung des Gutachtens zu spät erteilt und zu weit gefasst habe, ohne sich spezifisch auf die arbeitsrechtlichen Probleme zu fokussieren. Die Dauer der Prüfung durch die drei Gutachter sei nicht nachvollziehbar lang, jedenfalls soweit die Vorwürfe gegenüber der Klägerin betroffen seien. Die Anhörung des Personalrats sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, da der Zugang des Anhörungsschreibens am 07.02.2022 von der Beklagten nicht dargelegt worden sei. 

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 11. Februar 2022 nicht aufgelöst ist;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht aufgrund anderer Beendigungstatbestände endet, sondern über den 11. Februar 2022 hinaus fortbesteht;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.04.2022 nicht beendet wird;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin als gehobene Redakteurin weiterzubeschäftigen. 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erachtete die Äußerungen der Klägerin in den acht streitgegenständlichen Artikeln für das Online-Magazin R. von 2014 bis 2017 als antisemitisch und israelfeindlich. Die Klägerin habe sämtliche acht Artikel auf ihrem privaten Twitter-Account verlinkt und damit während des Arbeitsverhältnisses aufrechterhalten. Darin liege der außerordentliche verhaltensbedingte Kündigungsgrund gegenüber der Klägerin, die im Übrigen mit ihren Äußerungen in den Chronicles ihre früheren Veröffentlichungen für das Online-Magazin R. verteidigt und sich in keiner Weise von ihren Äußerungen distanziert habe. Daraus folge für die Beklagte ein enormer Imageschaden und sei die Beklagte selbst Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt gewesen. Die Klägerin habe Kenntnis von den Guidelines und Positionspapieren der Beklagten gehabt. Aufgrund ihrer Position als Gehobene Redakteurin in Kenntnis der von der Beklagten vertretenen Werte seien ihr die Inhalte der Guidelines und Positionspapiere jedenfalls bekannt gewesen. Außerordentlicher Kündigungsgrund seien die öffentlich zugänglichen Äußerungen der Klägerin auf Twitter bzw. im Rahmen ihrer Artikel für das Online-Magazin R., die während der Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte erfolgt seien. Die Negierung des Existenzrechts Israels und die Glorifizierung des IS ziehe sich wie ein roter Faden durch sämtliche Veröffentlichungen der Klägerin in den acht Artikeln und sei für die Beklagte nicht hinnehmbar. Eine Abmahnung sei im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzungen der Klägerin, auf die ausgeschlossene Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses und auf das Festhalten der Klägerin an ihrer israelfeindlichen Haltung in den Chronicles entbehrlich. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt, da die Ermittlungen in gebotener Eile durchgeführt worden seien. Der Beklagten sei der Kündigungssachverhalt erst nach Vorlage des Prüfberichtes am 06.02.2022 bekannt geworden. Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört und die Kündigung erst nach Ablauf der dreitägigen Äußerungsfrist für den Personalrat zugestellt worden. Die hilfsweise ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Kündigungsgrund seien die Äußerungen der Klägerin, die eine direkte Vertragspflichtverletzung darstellten und zugleich einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gemäß § 241 Abs. 2 BGB. 

Das Arbeitsgericht hat der Klage ‒ mit Ausnahme des allgemeinen Fortbestehensantrags ‒ stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, die außerordentliche Kündigung vom 11.02.2022 scheitere daran, dass veröffentlichte Äußerungen der Klägerin vor Beginn ihrer Tätigkeit als freie Mitarbeiterin am 14.08.2017 mangels Vertragsverhältnisses der Parteien als Vertragspflichtverletzung ausschieden. Antisemitische Äußerungen seien zwar an sich als außerordentlicher Kündigungsgrund geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung komme jedoch nur in Betracht, wenn ein Vertragsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bestehe. Dies sei nur bei dem Artikel vom … 2017 nach Beginn der freien Mitarbeit der Fall gewesen, der jedoch nicht als auf das Arbeitsverhältnis durchschlagende Pflichtverletzung zu beurteilen sei. Im Übrigen sei eine Wiederholungsgefahr angesichts der persönlichen Entwicklung und der entsprechenden Äußerungen der Klägerin nicht ersichtlich und sei die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig. Vorvertragliches Verhalten der Klägerin könne allenfalls zu einem Eignungsmangel als personenbedingtem Kündigungsgrund führen. Auf einen solchen Kündigungsgrund stütze sich die Beklagte jedoch weder im Verfahren noch habe sie den Personalrat dazu angehört, den sie ausdrücklich nur zu einer verhaltensbedingten Kündigung beteiligt habe. Die während des Arbeitsverhältnisses verfassten Chronicles seien nicht als außerordentlicher Kündigungsgrund geeignet, da es sich dabei nicht um eine Verteidigung der früheren Äußerungen der Klägerin für das Online-Magazin R. handele. Im Übrigen sei dem Personalrat diesbezüglich nicht erklärt worden, es handele sich um einen Kündigungsgrund, sondern es handele sich um einen unzureichenden Entlastungsversuch der Klägerin. Ein Dauerverhalten der Klägerin komme als außerordentlicher Kündigungsgrund nicht in Betracht. Soweit die Beklagte die Verlinkung der Artikel für das Online-Magazin R. auf dem Twitter-Account der Klägerin behauptet habe, habe sie diese Behauptung auf das Bestreiten der Klägerin hin nicht näher dargelegt und unter Beweis gestellt.  Die außerordentliche Kündigung scheitere weiter daran, dass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei und ein gebotenes abgeschichtetes und schnelleres Vorgehen nicht erfolgt sei. Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung scheitere am Fehlen eines vertragswidrigen Verhaltens während des Arbeitsverhältnisses. Im Übrigen sei auch die ordentliche Kündigung unverhältnismäßig. Die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zur Rechtskraft des Kündigungsschutzverfahrens sei im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Kündigungen zu beanspruchen. 

Gegen dieses der Beklagten am 30.09.2022 zugestellte Urteil wendet sie sich mit der am 19.10.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Berufung, die sie ‒ nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.12.2022 ‒ mit einem am 28.12.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz begründet hat. 

Die Beklagte führt aus, die streitgegenständlichen Äußerungen der Klägerin in den acht Artikeln für das Online-Magazin R. seien sämtlich als antisemitisch und israelfeindlich zu beurteilen und stünden im klaren Widerspruch zur Verpflichtung der Klägerin, im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beklagte deren berechtigte Vorgaben zum Verbot antisemitischer und israelfeindlicher Äußerungen einzuhalten. Die Beklagte habe von diesen Artikeln keine Kenntnis gehabt. Mit Kenntniserlangung sei das Vertrauensverhältnis zur Klägerin zerstört und das Arbeitsverhältnis schwerwiegend beeinträchtigt worden. Die Beklagte hat mit der Berufungsbegründung und mit ihrem Schriftsatz vom 15.05.2023 ihre erstinstanzliche Behauptung aufrechterhalten, die Klägerin habe die acht streitgegenständlichen Artikel für das Online-Magazin R. während des Arbeitsverhältnisses auf ihrem privaten Twitter-Account verlinkt und ergänzt, dies sei bis Februar 2022 der Fall gewesen. Diese Verlinkung hätten die beauftragten Experten der Beklagten am 06.02.2022 mitgeteilt. Aufgrund der Verlinkung liege eine Aufrechterhaltung der Äußerungen im Arbeitsverhältnis seitens der Klägerin vor und damit ein Dauertatbestand, da die Klägerin mit der Verlinkung einerseits aktiv schwerwiegend gegen ihre vertraglichen Pflichten zum zutreffenden und angemessenen Umgang mit Israel und den Israelis verstoße und andererseits einen direkten Bezug zur Beklagten hergestellt habe, der zu einem unmittelbaren erheblichen Reputationsverlust für diese geführt habe. Damit verbunden sei auch ein direkter Verstoß der Klägerin gegen die Vorgaben der Social Media Guidelines. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB habe erst am 06.02.2022 zu laufen begonnen, da erst zu diesem Zeitpunkt mit der Kenntniserlangung von dem anonymisierten und dem nicht anonymisierten Expertenbericht der Kündigungsentschluss unter Berücksichtigung sämtlicher neuer Erkenntnisse einschließlich der Veröffentlichung der Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin habe gefasst werden können. Zuvor seien lediglich die Angaben im Artikel der E vom 30.11.2021 verfügbar gewesen, ohne dass der Beklagten Nachweise vorgelegen hätten oder ihr die Überprüfbarkeit möglich gewesen wäre. Die Auswahl der Experten und die Vereinbarung mit den Experten sei so schnell wie möglich bis zum 14.12.2021 erfolgt und habe zur umgehenden Aufnahme von deren Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt geführt. Der Prüfauftrag sei inhaltlich und zeitlich angemessen gewesen. Wegen der anhaltenden Veröffentlichung der acht Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin liege im Übrigen ein Dauertatbestand mit der Folge vor, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB täglich neu zu laufen beginne. Die Anhörung des Personalrats sei ordnungsgemäß mit dem Anhörungsschreiben vom 07.02.2022, dem Personalrat am selben Tag mit der im Berufungsverfahren vorgelegten E-Mail übersandt, erfolgt. Dabei habe die Beklagte insbesondere auf Seite 3 des Anhörungsschreibens gegenüber dem Personalrat angegeben, dass die Klägerin die von ihr in der Vergangenheit für das Online-Magazin R. verfassten Beiträge auf ihrem Twitter-Account verlinkt habe. Damit sei der Personalrat darüber informiert gewesen, dass die in der Personalratsanhörung aufgezählten antisemitischen Äußerungen der Klägerin auch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses über ihren Twitter-Account abrufbar gewesen seien. Die Personalratsanhörung sei von dem Personalleiter Strategie und Recht Herrn K verfasst und von dem Personalleiter Herrn L unterzeichnet worden, die beide die nicht anonymisierte Fassung des Expertenberichts im Detail gekannt und auf dieser Grundlage die Personalratsanhörung vorgenommen hätten. Weiter habe die Beklagte dem Personalrat auszugsweise die Inhalte der von der Klägerin verfassten Chronicles mitgeteilt, in denen die Klägerin keine Reue oder Einsicht gezeigt habe, sondern vielmehr Vorwürfe gegenüber der Beklagten betreffend deren „deutsche Empfindlichkeit“ erhoben habe. Inhaltlich sei der Personalrat zutreffend und unter Hinweis auf die aus Sicht der Beklagten maßgebliche Verlinkung der Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin angehört worden. Die Beklagte hatte zum Beweis ihrer Behauptung, die Klägerin habe die acht Artikel auf ihrem privaten Twitter-Account bis Februar 2022 verlinkt, zunächst ihren Personalleiter Herrn L als Zeugen angeboten und hat diesen Zeugen nachfolgend durch den Personalleiter Strategie und Recht Herrn K als Zeugen ersetzt. In dem zur Beweisaufnahme anberaumten Kammertermin am 31.05.2023 hat die Beklagte sodann ‒ nach Vorlage eines Auszugs der nicht anonymisierten Fassung des Expertenberichts mit Schriftsatz vom 30.05.2022 ‒ erklärt, sie halte ihre Behauptung und ihr Beweisangebot betreffend die Verlinkung der acht Artikel auf dem privaten Twitter-Account der Klägerin nicht mehr aufrecht. Zur Begründung ihres am 30.05.2023 angebrachten Auflösungsantrags führt die Beklagte aus, eine weitere sachdienliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht zu erwarten, weil die Klägerin daran festhalte, dass ihre Äußerungen in den Artikeln für das Online-Magazin R. nicht als antisemitisch zu beurteilen seien und weil sie sich nicht von ihren antisemitischen Äußerungen distanziert habe. Im Gegenteil halte sie daran durch die weiterhin veröffentlichten Chronicles und ihre Berichterstattung über den vorliegenden Rechtsstreit auf Twitter fest. Weiter habe die Klägerin Dritten erlaubt, sich auf ihrem Twitter Account über die Beklagte und über die Medien in beleidigender Weise mit Vergleichen mit den Nationalsozialisten und mit Rassisten zu äußern und habe entsprechende Beiträge Dritter nicht entfernt.

Die Beklagte beantragt,

1.    das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 05.09.2022 ‒ 22 Ca 1647/22 ‒ teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen;
2.    hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 2.711,50 EUR brutto nicht überschreiten sollte, zum 30.06.2022 aufzulösen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung und den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Sei verteidigt das angegriffene Urteil und hält daran fest, sie habe zu keinem Zeitpunkt die acht streitgegenständlichen Artikel für das Online-Magazin R. auf ihrem Twitter-Account oder einem sonstigen Social Media Account verlinkt. Soweit die Beklagte sich auf die vorvertraglichen Äußerungen der Klägerin im Online-Magazin R. stütze, könnten diese allenfalls ‒ bei unterstellter Einordnung als antisemitische oder israelfeindliche Äußerungen ‒ als personenbedingter Kündigungsgrund herangezogen werden. Zu einer personenbedingten Kündigung sei jedoch weder der Personalrat angehört worden noch habe die Beklagte die weiteren Wirksamkeitsvoraussetzungen dafür vorgetragen. Wegen des von der Beklagten gelegten Fokus auf den behaupteten Dauertatbestand der angeblichen Verlinkung der Artikel habe der Personalrat keine Veranlassung gehabt, eine personenbedingt fehlende Eignung der Klägerin zu prüfen und sei entsprechend auch nicht zur fehlenden Eignung der Klägerin angehört worden. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB habe die Beklagte nicht eingehalten, da die Dauer der Prüfung bis Anfang Februar 2022 nicht nachvollziehbar und der Prüfungsauftrag zu weit sei. Deshalb seien die der Beklagten seit dem 30.11.2021 bereits bekannten Vorwürfe nicht mehr für die außerordentliche Kündigung verwertbar. Die Personalratsanhörung sei wegen der unzutreffenden Angabe, die Klägerin sei am 07.08.2017 bereits seit vier Monaten und am 18.12.2017 bereits seit neun Monaten freie Mitarbeiterin bei der Beklagten gewesen, nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dadurch sei ein falscher Eindruck erzeugt und ein höheres Gewicht der Vorwürfe unzutreffend vermittelt worden. Die Anhörung des Personalrats sei insgesamt unwirksam, weil die Beklagte ihn bewusst falsch über eine angebliche Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin informiert habe. Die Beklagte habe, obwohl sie sich nach eigener Angabe auf den nicht anonymisierten Expertenbericht gestützt habe, unvollständig aus diesem zitiert und damit dem Personalrat bewusst den unzutreffenden Eindruck vermittelt, die Artikel der Klägerin seien auf Twitter verlinkt gewesen. Da sich aus dem internen Prüfbericht das Gegenteil ergebe, scheide eine versehentliche Falschangabe aus. Selbst wenn die Falschinformation nicht bewusst erfolgt sei, sei die Anhörung des Personalrats unvollständig und damit nicht ordnungsgemäß, weil das Fehlen der Verlinkung nicht als entlastendes Moment angegeben worden sei. Der Zugang der Personalratsanhörung bei dem Personalrat sei weiterhin streitig. Hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 26.04.2022 liege die Personalratsanhörung vom 07.02.2022 zeitlich zu weit zurück. Wegen des zeitlichen Abstands von mehr als zwei Monaten sei ein fortdauernder Kündigungsentschluss der Beklagten nicht mehr anzunehmen. Vielmehr habe die Beklagte im April 2022 einen neuen Kündigungsentschluss zur ordentlichen Kündigung der Klägerin gefasst und hätte den Personalrat dazu erneut beteiligen müssen. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei bereits nicht statthaft, weil die ordentliche Kündigung vom 26.04.2022 nicht nur sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sei, sondern auch im Hinblick auf die nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats unwirksam sei. Es fehle weiter unter jedem Aspekt an Auflösungsgründen im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG, was näher ausgeführt wird. Eine zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag etwa nicht mehr zu erwartende sachdienliche Zusammenarbeit sei vorliegend irrelevant, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen des Ablaufs der vereinbarten Befristung ohnehin am 30.06.2023 und damit zwei Tage nach Verkündung der Entscheidung im Berufungsverfahren ende und die Klägerin sich wegen einer bei ihr bestehenden Schwangerschaft ab dem 27.06.2023 im Mutterschutz befinde sowie noch erhebliche Urlaubsansprüche habe. 

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 28.12.2022, 15.05.2023 und 30.05.2023 (Bl. 289 ff., 446 ff. und 461 ff. d. A.) sowie auf die Schriftsätze der Klägerin vom 09.03.2023, 26.05.2023 und 21.06.2023 (Bl. 417 ff., 453 ff. und 487 ff. d. A.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 10.05.2023 und 31.05.2023 (Bl. 431 f. und 476 f. d. A.) Bezug genommen.
 

Entscheidungsgründe

I.
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.

II.

Die Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache ganz überwiegend keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche oder ordentliche Kündigung wirksam beendet worden noch war es auf den Antrag der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG gerichtlich gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Im Hinblick auf die vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.06.2023 war die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin auf den (kurzen) Zeitraum bis zum Erreichen der Frist zu beschränken.

1. Durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.02.2022 ist das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund einer schuldhaften Verletzung von Haupt- oder Nebenpflichten durch die Klägerin wirksam aufgelöst worden. Ein Verhalten der Klägerin in dem seit dem 01.07.2021 bestehenden Arbeitsverhältnis der Parteien, das der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar machte, ist nicht feststellbar. Die Klägerin hat die von der Beklagten ‒ zu Recht ‒ beanstandeten Artikel für das Online-Magazin R. während des Arbeitsverhältnisses der Parteien weder veröffentlicht noch auf die früheren Veröffentlichungen über ihren Twitter-Account verwiesen. Sie hat die in den streitgegenständlichen Artikeln enthaltenen Äußerungen auch nicht inhaltlich in den während ihrer Freistellung veröffentlichten Chronicles wiederholt, verteidigt oder aufrechterhalten. Die nicht ausdrückliche Distanzierung und die unterlassene Äußerung von Bedauern über die früheren Veröffentlichungen genügen als verhaltensbedingter Kündigungsgrund nicht. Im Hinblick auf das den Vorgaben der Beklagten entsprechende Verhalten der Klägerin seit dem Jahr 2018 genügen die vorvertraglich veröffentlichten Artikel der Klägerin für das Online-Magazin R. nicht als außerordentlicher Kündigungsgrund. Darüber hinaus ist die außerordentliche Kündigung im Hinblick darauf unwirksam, dass die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat entgegen §§ 86 S. 1 und 4 i. V. m. § 85 Abs. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) nicht ordnungsgemäß, sondern bewusst falsch angehört hat. 

1.1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., BAG 23. August 2018 ‒ 2 AZR 235/18 ‒ Rn. 12; 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 - Rn. 27; 27. September 2012 ‒ 2 AZR 646/11 ‒  Rz. 20 f.). 

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09- Rn. 29). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 mwN). Er ist danach auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges - ggf. auch strafbares - außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Der Arbeitnehmer verstößt mit einem solchen Verhalten gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn es einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden (BAG 25. April 2018 ‒ 2 AZR 611/17 ‒ Rn. 44; 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 14; 20. Juni 2013 - 2 AZR 583/12 - Rn. 26).

Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG 23. August 2018 ‒ 2 AZR 235/18 ‒, Rn. 39; 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 - Rn. 54; 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 26). 

1.2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, denn es fehlt an einer schuldhaften Pflichtverletzung der Klägerin im oder zumindest während des Arbeitsverhältnisses. 

1.2.1. Die acht streitgegenständlichen Äußerungen der Klägerin, die sie im Online-Magazin R. veröffentlicht hat, sind grundsätzlich als außerordentlicher Kündigungsgrund „an sich“ geeignet. Die von der Beklagten in deutscher Übersetzung zitierten Äußerungen sind nach Einschätzung der Kammer sämtlich als antisemitisch und antiisraelisch zu beurteilen und damit mit den von der Beklagten zutreffend und im Einklang mit der Bundesregierung vertretenen Werten unvereinbar. Diese Werte umfassen eine uneingeschränkte Anerkennung des Staates Israel und ein Verbot antisemitischer und antiisraelischer Äußerungen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es unerheblich, dass die Beklagte keinen der von der Klägerin veröffentlichten streitgegenständlichen Artikel in beglaubigter Übersetzung zur Akte gereicht hat, obwohl die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 Gerichtsverfassungsgesetz) und keines der Kammermitglieder im Berufungsverfahren die … Sprache lesen und verstehen konnte, da die von der Beklagten vorgelegten unbeglaubigten Übersetzungen in die deutsche Sprache inhaltlich unstreitig zutrafen. Die Klägerin hat zwar beanstandet, dass die zitierten Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen worden seien, hat aber die Äußerungen selbst mit dem von der Beklagten angegebenen Inhalt nicht bestritten. 

Die von der Beklagten vertretenen Werte, deren Berücksichtigung sie von sämtlichen Beschäftigten verlangt und verlangen darf, waren der Klägerin auch während der Zusammenarbeit der Parteien bekannt. Dies gilt unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob der Klägerin die diesbezüglichen Guidelines und Positionspapiere der Beklagten bekannt gegeben worden sind und ob sie davon tatsächlich Kenntnis genommen hat. Eine in der Redaktion C der Beklagten beschäftigte Gehobene Redakteurin wie die Klägerin muss die Vorgaben der Beklagten zu den gerade dort zentralen Themen Antisemitismus und Israelkritik kennen. Ausweislich der unstreitig von der Klägerin geübten Zurückhaltung und angemessenen Wortwahl in Bezug auf Israel und die Israelis während des Arbeitsverhältnisses der Parteien sowie bereits zuvor seit dem Jahr 2018 während der freien Mitarbeit für die Beklagte waren der Klägerin die Vorgaben der Beklagten inhaltlich auch bekannt und sind von ihr berücksichtigt worden. 

1.2.2. Mit ihren streitgegenständlichen Äußerungen im Zeitraum von 2014 bis 2017 während ihrer freien Mitarbeit für das Online-Magazin R. hat die Klägerin zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen jedoch nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten verstoßen, denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen bestand kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. 

Bei den bis zum … 2016 veröffentlichten fünf Artikeln bestand gar kein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Der am ….2016 veröffentlichte Artikel erschien nach dem Ende des Praktikums der Klägerin bei der Beklagten. Welche vertraglichen Vereinbarungen die Parteien im Zusammenhang mit dem Praktikum getroffen haben, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Eine nach dem Ende des Praktikums bestehende Rücksichtnahmepflicht der Klägerin auf die Interessen der Beklagten ist nicht ersichtlich oder vorgetragen. Bei der Veröffentlichung des am … 2017 erschienen Artikels der Klägerin war der Honorar-Rahmenvertrag der Parteien vom 09.05.2017 zwar bereits abgeschlossen, die freie Mitarbeit der Klägerin begann jedoch erst am 14.08.2017. Ausschließlich der am … 2017 veröffentlichte letzte beanstandete Artikel der Klägerin erschien nach Beginn der Zusammenarbeit der Parteien im Rahmen der freien Mitarbeit. Auch im Rahmen dieser freien Mitarbeit war die Klägerin verpflichtet, nicht durch antisemitische Äußerungen gegen die von der Beklagten vertretenen Werte zu verstoßen. Eine Verletzung der diesbezüglichen arbeitsvertraglichen Pflichten konnte jedoch im Dezember 2017 nicht eintreten, da der Arbeitsvertrag der Parteien erst seit dem 01.07.2021 bestand.

1.2.3. Die Klägerin hat im Arbeitsverhältnis der Parteien seit dem 01.07.2021 nicht durch antisemitische und antiisraelische Äußerungen gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Nach der Veröffentlichung vom … 2017 ist es auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht mehr zu solchen Äußerungen der Klägerin gekommen. Ihre Arbeitsleistung einschließlich des Unterlassens antisemitischer und antiisraelischer Äußerungen erbrachte die Klägerin unbeanstandet. Sie wurde von der Beklagten ‒ ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Empfehlungsschreiben ‒ sehr positiv beurteilt. 

Die Klägerin hat ihre beanstandeten Veröffentlichungen aus den Jahren 2014 bis 2017 auch nicht während des Arbeitsverhältnisses durch Verlinkung auf ihrem Twitter-Account aufrechterhalten und dadurch fortdauernd gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen. Eine Verlinkung der Beiträge auf dem Twitter-Account bis Februar 2022, wie es die Beklagte bis zum letzten Verhandlungstermin im Berufungsverfahren am 31.05.2023 behauptet hatte, wäre nach Einschätzung der Kammer als schwerwiegende schuldhafte Vertragspflichtverletzung zu beurteilen und als außerordentlicher Kündigungsgrund „an sich“ geeignet gewesen. Ihre diesbezügliche Behauptung, die die Klägerin von Anfang an bestritten hat, hat die Beklagte erstinstanzlich ohne Beweisantritt vorgebracht. Im Berufungsverfahren hat sie diese Behauptung zur maßgeblichen Begründung der außerordentlichen Kündigung erhoben und unter Zeugenbeweis gestellt. Insoweit hat sie behauptet, aus dem nicht veröffentlichten und nicht anonymisierten Bericht der Expertengruppe ergebe sich die behauptete Verlinkung, die bis Februar 2022 erfolgt sei.

Mit Schriftsatz vom 30.05.2023 hat die Beklagte erstmalig im Verfahren den die Klägerin betreffenden Auszug des nicht anonymisierten Berichts vorgelegt. Daraus ergibt sich die Unrichtigkeit ihrer Behauptung, mit der Vorlage dieses Berichts sei die Information an die Beklagte verbunden gewesen, dass sämtliche streitgegenständlichen Artikel der Klägerin bis Februar 2022 auf dem Twitter-Account der Klägerin öffentlich abrufbar gewesen seien. Denn in diesem Bericht wird gerade im Gegenteil eindeutig die Richtigkeit der Angabe im Artikel der E vom … 2021 bestätigt, wonach die ersten verfügbaren Tweets der Klägerin vom Beginn des Jahres 2018 stammten, konkret vom … 2018.

Im Kammertermin am 31.05.2023 hat die Beklagte erklärt, sie halte ihre Behauptung, die von der Klägerin verfassten acht streitgegenständlichen Artikel seien auf ihrem Twitter-Account verlinkt gewesen, nicht mehr aufrecht, ebenso wie ihr Beweisangebot zum Beweis dieser Behauptung. Auf eine Verlinkung der Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin als Pflichtverletzung während des Arbeitsverhältnisses kann die Beklagte die Kündigung vom 11.02.2022 danach nicht mehr stützen. 

1.2.4. Mit den während der Freistellung der Klägerin auf ihrem Twitter-Account veröffentlichten Chronicles hat die Klägerin entgegen der Einschätzung der Beklagten nicht schwerwiegend gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Die von der Beklagten herangezogenen Passagen aus vier der neun veröffentlichten Chronicles-Beiträge der Klägerin hat die Beklagte ebenfalls nicht in beglaubigter Übersetzung zur Akte gereicht. Auch diese sind aber inhaltlich unstreitig. In den vorgelegten und von der Beklagten in deutscher Sprache zusammengefassten Auszügen der Chronicles wiederholt die Klägerin die beanstandeten Äußerungen aus ihren Artikeln der Jahre 2014 bis 2017 nicht. In den Chronicles setzt sich die Klägerin mit der Berichterstattung in den Medien über sie und andere in Deutschland tätige … Journalisten auseinander, ausgelöst durch den Artikel in der E vom … 2021. Eine Auseinandersetzung mit der Beklagten hat die Klägerin in den Chronicles nicht vorgenommen. 

Zwar hat sich die Klägerin in den Chronicles weder von ihren ‒ nicht inhaltlich wiedergegebenen ‒ streitgegenständlichen Artikeln distanziert noch hat sie erklärt, sie bereue frühere Äußerungen, die in Deutschland als antisemitisch und antiisraelisch beurteilt werden. Die Äußerung in ihrer Stellungnahme gegenüber der E, die einem Formulierungsvorschlag des Pressesprechers der Beklagten folgte und wonach die Klägerin seit 2017 persönlich und professionell für die Werte der Beklagten einstehe, hat die Klägerin in den Chronicles nicht wiederholt. Eine arbeitsvertragliche schuldhafte Verletzung der Rücksichtnahmepflicht auf die Beklagte ist nach Einschätzung der Kammer jedoch in der journalistischen Auseinandersetzung der Klägerin mit der Medienberichterstattung über sie und andere … Journalisten nicht zu erkennen. 

1.2.5. Der Beklagten war das Festhalten am Vertrag auch nicht im Hinblick auf eine Pflichtverletzung durch die Auswirkungen früheren Fehlverhaltens auf das Arbeitsverhältnis unzumutbar i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können auch vor Beginn des Arbeitsverhältnisses liegende Ereignisse oder Umstände eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, sofern sie das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigen und dem Kündigenden nicht schon vor Vertragsschluss bekannt waren (vgl. BAG 5. April 2001 ‒ 2 AZR 159/00 ‒ Rn. 57). Entscheidend ist in diesen Fällen, ob durch das vorvertragliche Fehlverhalten das berechtigte Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört ist. 

In dem vom Bundesarbeitsgericht im April 2001 entschiedenen Verfahren (2 AZR 159/00) hatte die dortige Klägerin im Rahmen von Fusionsverhandlungen vor Abschluss des Arbeitsvertrages von ihr veranlasste Manipulationen bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin verschwiegen und der dortigen Beklagten eine falsche Jahresabrechnung übergeben. Dadurch hatte die Klägerin das Vertrauen der Beklagten in ihre Zuverlässigkeit und Redlichkeit zerstört (BAG a. a. O. - Rn. 58 f.). In einem weiteren vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Verfahren (BAG 17. August 1972 ‒ 2 AZR 415/71 ‒ BAGE 24, 401) hatte sich ein leitender Angestellter, der zuvor Geschäftsführer der als GmbH betriebenen persönlich haftenden Gesellschafterin seines Arbeitgebers war, in dieser Eigenschaft für die Vermittlung eines Großeinkaufs von dem Lieferanten finanzielle Sonderzuwendungen versprechen lassen. Nach Entdeckung des Vorgangs war nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts dadurch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit mit der Folge zerstört, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt war.

Mit diesen Fällen vorvertraglichen Fehlverhaltens mit Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Vorliegend hat die in B sozialisierte Klägerin ihre streitgegenständlichen Beiträge für das … Online-Magazin R. verfasst. Diesem gegenüber war sie nicht zur Berücksichtigung der von der Beklagten und der Bundesregierung vertretenen Werte verpflichtet. Ein Fehlverhalten der Klägerin gegenüber ihrem damaligen Auftraggeber R. und ein Bezug der freien Mitarbeit für R. zum nachfolgend mit der Beklagten begründeten Arbeitsverhältnis ist nicht feststellbar. Ein erst gegenüber der Beklagten relevantes Fehlverhalten durch antisemitische Äußerungen ist im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht erfolgt. Entsprechend hat der Pressesprecher der Beklagten in seinem Vorschlag für eine Antwort der Klägerin an die E formuliert, die für das … Medium verfassten Artikel seien nach westlichen Standards unangemessen, und die Klägerin habe nachweislich seit ihrem Wechsel zur Beklagten deren journalistische Vorgaben befolgt. 

Die Kammer teilt die Einschätzung der Beklagten, dass die streitgegenständlichen Veröffentlichungen mit den von der Beklagten berechtigterweise vertretenen Werten nicht vereinbar sind. Es liegt jedoch kein vorvertragliches durchschlagendes Fehlverhalten der Klägerin vor, das das berechtigte Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört. Ihre Zuverlässigkeit und Redlichkeit hat die Klägerin dadurch gezeigt, dass sie seit der Zusammenarbeit der Parteien und erst recht seit Beginn des Arbeitsverhältnisses deren Vorgaben betreffend die Berichterstattung über Israel umgesetzt hat. Dies gilt auch im Hinblick auf die beiden letzten streitgegenständlichen Artikel von … 2017, bei deren Veröffentlichung die freie Mitarbeit der Klägerin bereits vereinbart war bzw. begonnen hatte. Insoweit ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses wegen Fehlverhaltens nach vierjähriger unbeanstandeter Tätigkeit in der Redaktion C unter Beachtung der einschlägigen Vorgaben der Beklagten nicht nachvollziehbar. Die Beklagte beanstandet nicht eine fehlende Zuverlässigkeit und Redlichkeit der Klägerin, sondern ihre Eignung für die vereinbarte Tätigkeit und damit kein durchschlagendes Fehlverhalten.

1.2.6. Mangels arbeitsvertraglicher schuldhafter Pflichtverletzung der Klägerin kam es entscheidungserheblich nicht mehr darauf an, ob eine Abmahnung entbehrlich war und zugunsten welcher Partei ggf. die Interessenabwägung zu erfolgen hätte. Dasselbe gilt für die Frage der Wahrung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB, von der die Kammer ausgeht. 

1.3. Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 11.02.2022 scheitert darüber hinaus am Fehlen einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats gemäß § 86 i. V. m. § 85 Abs. 3 BPersVG. Die Beklagte hat den Personalrat ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten E-Mail vom 07.02.2022 an diesem Tag zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin angehört und die dreitägige Stellungnahmefrist für den Personalrat vor Zugang der Kündigungserklärung abgewartet. Soweit die Beklagte im Anhörungsschreiben unzutreffend angegeben hat, die freie Mitarbeit der Klägerin habe im August 2017 bereits vier Monate und im Dezember 2017 bereits neun Monate angedauert, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Personalratsanhörung, da die Beklagte zugleich dem Personalrat gegenüber zutreffend ausgeführt hat, dass die freie Mitarbeit erst am 14.08.2017 begonnen hat. Damit konnte der Personalrat feststellen, ob und wie lang die Klägerin zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der beiden letzten streitgegenständlichen Artikel bereits für die Beklagte tätig war. Die Beklagte hat den Personalrat jedoch zu der auch im hiesigen Verfahren bis zum 31.05.2023 behaupteten Verlinkung der Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin bewusst falsch informiert. 

1.3.1. Nach § 86 Sätze 1 und 2 BPersVG ist der Personalrat vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen unter Angabe der Gründe für die beabsichtigte Maßnahme anzuhören. Nach § 85 Abs. 3 BPersVG, der für außerordentliche Kündigungen entsprechend gilt (§ 86 Satz 4 BPersVG), ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Die Nichtbeteiligung des Personalrats vor einer Kündigungserklärung steht der nicht ordnungsgemäßen Anhörung gleich. Insoweit gelten dieselben Grundsätze, die die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für die Betriebsratsanhörung entwickelt hat (vgl. BAG 9. Juni 2011 ‒ 2 AZR 284/10 ‒ Rn. 46; 8. November 2022 ‒ 6 AZR 16/22 ‒ Rn. 79).
Der notwendige Inhalt der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d. h. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen. Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 ‒ Rn. 14; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 ‒ Rn. 24). Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG 5. Dezember 2019 ‒ 2 AZR 240/19 ‒ Rn. 43; 16. Juli 2015 ‒ 2 AZR 15/15 - Rn. 13 ff. mwN.).
Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß“ objektive Fehlinformation führt dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 26; 12. September 2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 21). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bei größerer Sorgfalt die richtige Sachlage hätte kennen können. Maßgeblich ist, ob er subjektiv gutgläubig und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Dies ist bei einer unbewussten Falschinformation dann der Fall, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit dem tatsächlichen Kenntnisstand des Arbeitgebers deckt und der Betriebsrat damit auf derselben Tatsachenbasis wie dieser auf dessen Kündigungsabsicht einwirken kann (BAG 16. Juli 2015 ‒ 2 AZR 15/15 ‒, BAGE 152, 118-126, Rn. 17). An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über die Kündigungsgründe i. S. d. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlt es wiederum dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteilt, von denen er selbst es durchaus für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine unbewusste Fehlinformation. Der Arbeitgeber ist nicht gutgläubig. Er stellt vielmehr seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit ist. Er nimmt damit in Kauf, den Betriebsrat in unzutreffender Weise zu unterrichten (BAG 16. Juli 2015 ‒ 2 AZR 15/15 ‒, BAGE 152, 118-126, Rn. 18).

1.3.2. Vorliegend sind die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats nicht erfüllt. Die Beklagte hat den Personalrat vielmehr unter Zugrundelegung ihres eigenen Vortrags bewusst falsch über die angebliche Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin informiert.

1.3.2.1. Die Beklagte hat den Personalrat über die angebliche Verlinkung der Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin informiert. Sie hat sich im Verfahren ausdrücklich darauf gestützt, sie habe auf Seite 3 des Anhörungsschreibens gegenüber dem Personalrat angegeben, dass die Klägerin die von ihr in der Vergangenheit für das Online-Magazin R. veröffentlichten Beiträge auf ihrem Twitter-Account verlinkt habe. Damit sei der Personalrat darüber informiert worden, dass die in der Personalratsanhörung aufgezählten antisemitischen Äußerungen der Klägerin auch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses über den Twitter-Account der Klägerin abrufbar waren. 

Zwar hat die Beklagte, anders als im hiesigen Verfahren, gegenüber dem Personalrat nicht ausdrücklich formuliert, die Verlinkung habe bis Februar 2022 angedauert. Durch die verkürzte Zitierung aus dem nicht anonymisierten Bericht in der Personalratsanhörung unter Auslassung der maßgeblichen Information zum ersten abrufbaren Tweet erst im Februar 2018 und durch die Formulierung der Personalratsanhörung (dort auf S. 3) hat die Beklagte jedoch deutlich gemacht, dass eine Verlinkung sämtlicher streitgegenständlicher Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin während des Arbeitsverhältnisses erfolgt sei. Dies war vom Personalrat aus dessen Empfängerhorizont auch so zu verstehen. Aufgrund der Angabe, die Klägerin habe sich über ihren eigenen Twitter-Account geäußert, auf dem sie vorrangig ihre Beiträge für das Online-Magazin R. verfasste, während sie für die Beklagte arbeitete, wird bereits eine Verlinkung sämtlicher für R. verfasster Artikel indiziert. Mit der Einleitung des zweiten Absatzes dieser Passage mit dem Wort „So“ und der Angabe, so habe die Klägerin auch im Online-Magazin R. die Beiträge verfasst, von denen einige in der E zitiert wurden, hat die Beklagte verdeutlicht, dass die dem Personalrat nachfolgend präsentierten streitgegenständlichen Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin verlinkt worden seien. 

1.3.2.2. Mit ihrer Angabe, die Klägerin habe die streitgegenständlichen Artikel auf ihrem Twitter-Account verlinkt, hat die Beklagte den Personalrat falsch informiert. Aus dem der Personalratsanhörung zugrunde gelegten nicht anonymisierten Bericht der Experten ergibt sich eindeutig, dass eine Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel gerade nicht feststellbar war, sondern erstmalig am … 2018 ein Tweet der Klägerin zu verzeichnen war. Da die Beklagte ihre unzutreffende Behauptung zur Verlinkung der Beiträge nebst Beweisangebot zuletzt im Verfahren nicht mehr aufrechterhalten hat, steht die unzutreffende Information des Personalrats fest. 

1.3.2.3. Die unzutreffende Information des Personalrats über die angebliche Verlinkung ist nach dem eigenen Vortrag der Beklagten bewusst erfolgt. Die Personalratsanhörung ist nach Angabe der Beklagten auf der Grundlage des nicht anonymisierten Berichts verfasst worden, aus dem sich eindeutig ergibt, dass keine Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel auf Twitter feststellbar war. In Kenntnis dieses Umstands und unter Verkürzung der Angaben aus dem nicht anonymisierten Bericht hat die Beklagte dem Personalrat dennoch mitgeteilt, „so“ habe die Klägerin die streitgegenständlichen Beiträge verlinkt. Der Inhalt der Unterrichtung deckte sich damit nicht mit dem tatsächlichen Kenntnisstand der Beklagten. 

Eine versehentliche Falschinformation des Personalrats lag nicht vor, denn die Beklagte hat sich gerade darauf gestützt, sie habe den Personalrat bewusst auch über die Verlinkung der Artikel informiert. Es liegt auch keine subjektiv determiniert zutreffende Information des Personalrats vor, denn der Unterzeichner und der Verfasser der Personalratsanhörung kannten beide den nicht anonymisierten Bericht, aus dem sich gerade keine Verlinkung der Beiträge bis Ende 2017 ergab. Auf der Grundlage dieses Berichts ist der Personalrat jedoch unzutreffend angehört worden. Im hiesigen Verfahren hat die Beklagte ihre über zwei Instanzen aufgestellte unzutreffende Behauptung zur Verlinkung nach Vorlage des nicht anonymisierten Expertenberichts betreffend die Klägerin am 30.05.2023 zuletzt im Kammertermin am 31.05.2023 nicht mehr aufrechterhalten und ihr Beweisangebot zurückgezogen. Dem Personalrat gegenüber hatte sie diese Behauptung jedoch im Anhörungsschreiben vom 07.02.2022 aufgestellt. Im Hinblick auf die eindeutige Formulierung im nicht anonymisierten Bericht und auf die davon abweichende Formulierung in der Personalratsanhörung in Kenntnis des Expertenberichts erachtet es die Kammer für ausgeschlossen, dass der Verfasser und der Unterzeichner der Personalratsanhörung den Expertenbericht falsch verstanden haben könnten. Dies hat auch die Beklagte nicht behauptet. Ein Fall der unbewussten Fehlinformation liegt daher nicht vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Kammertermin am 31.05.2023 abgegebenen Erklärung der Beklagten, Herr G habe sich auf Nachfrage der Beklagten nicht erinnern können, ob die Klägerin die streitgegenständlichen Artikel auf Twitter verlinkt habe. Angesichts der klaren Angabe im nicht anonymisierten Bericht, dies sei nicht der Fall gewesen, ist bereits die Nachfrage nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hatte auch zuvor weder behauptet, Herr G habe ergänzend zum Bericht Angaben über eine Verlinkung gemacht, noch hatte sie etwa das Zeugnis des Herrn G für ihre zuletzt nicht aufrecht erhaltene Behauptung angeboten.

1.3.3. Der Personalrat war im Hinblick auf die mitgeteilte Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel über einen wesentlichen Punkt falsch informiert, auf den die Beklagte im Berufungsverfahren ihre Kündigung maßgeblich gestützt hat. Auch die Kammer erachtet die Frage der Verlinkung auf Twitter für maßgeblich und hätte im Falle einer solchen erfolgten Verlinkung während des Arbeitsverhältnisses einen außerordentlichen Kündigungsgrund für die Beklagte für gegeben erachtet. Im Hinblick auf die Bedeutung dieser Information zuungunsten der Klägerin liegt eine erhebliche und bewusste Falschinformation des Personalrats vor.

2. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.02.2022 ist auch nicht wegen Nichteignung der Klägerin personenbedingt wirksam. Eine mangelnde Eignung der Klägerin für eine Tätigkeit als Gehobene Redakteurin in der Redaktion C kommt im Hinblick auf ihre antisemitischen und antiisraelischen Äußerungen in den streitgegenständlichen Artikeln der Vergangenheit grundsätzlich in Betracht, zumal sich die Klägerin ‒ mit Ausnahme ihrer Stellungnahme gegenüber der E auf Vorschlag des Pressesprechers ‒ davon nicht ausdrücklich distanziert hat. 

Die Beklagte hat sich jedoch im Berufungsverfahren weder auf eine personenbedingte außerordentliche Kündigung wegen Nichteignung gestützt noch hat sie die diesbezügliche Beurteilung des Arbeitsgerichts mit ihrer Berufung angegriffen. Im Übrigen führt die nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 11.02.2022 unter jedem Aspekt, ohne dass es auf die herangezogenen Kündigungsgründe im Einzelnen ankäme.


3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.04.2022 nicht wirksam zum 30.06.2022 aufgelöst worden.

3.1. Hinsichtlich der verhaltens- und personenbedingten Kündigungsgründe gelten die Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung entsprechend. Dies führt dazu, dass es an der sozialen Rechtfertigung i. S. d. § 1Abs. 2 KSchG fehlt und die Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam ist. Auf das seit dem 01.07.2021 bestehende Arbeitsverhältnis der Parteien fand zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung das Kündigungsschutzgesetz gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 3 KSchG Anwendung, da die Klägerin seit dem 01.01.2022 mehr als sechs Monate beschäftigt war und die Beklagte eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigte.

3.2. Auch die ordentliche Kündigung ist darüber hinaus wegen nicht ordnungsgemäßer Personalratsanhörung unwirksam (§ 86 i. V. m. § 85 Abs. 3 BPersVG). Dabei scheitert die Personalratsanhörung nicht bereits am langen Zeitablauf zwischen der Anhörung am 07.02.2022 und dem Zugang der Kündigungserklärung vom 26.04.2022 bei der Klägerin am 28.04.2022. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Kündigungsabsicht der Beklagten auch betreffend die vorsorglich ordentliche Kündigung am 07.02.2022 nicht ernsthaft vorgelegen hätte, und die herangezogenen Kündigungsgründe haben sich nicht verändert. Der nächstmögliche Beendigungstermin, zu dem entsprechend der Mitteilung gegenüber dem Personalrat gekündigt werden sollte, wäre im Hinblick auf die maßgebliche Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartal in jedem Fall der 30.06.2022 gewesen, auch wenn Ende Februar 2022 unmittelbar nach Ablauf der zweiwöchigen Stellungnahmefrist des Personalrats gekündigt worden wäre. Im Hinblick darauf war das Zuwarten der Beklagten unschädlich.

Auch die ordentliche Kündigung scheitert jedoch an der inhaltlich nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats aufgrund der bewusst falschen Information über die angebliche Verlinkung der streitgegenständlichen Artikel auf dem Twitter-Account der Klägerin. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1.3. des Urteils wird Bezug genommen. 

4. Das Arbeitsverhältnis war nicht auf den Antrag der Beklagten hin gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.06.2022 gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. 

4.1. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Arbeitgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Fall einer sozialwidrigen ordentlichen Kündigung nur verlangen kann, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung allein auf der Sozialwidrigkeit, nicht jedoch auch auf anderen Gründen iSd. § 13 Abs. 3 KSchG beruht (vgl. BAG 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 ‒ Rn. 27 mwN). Die Lösungsmöglichkeit nach § 9 KSchG bedeutet für den Arbeitgeber eine Vergünstigung, die nur in Betracht kommt, wenn eine Kündigung „nur“ sozialwidrig und nicht (auch) aus anderen Gründen nichtig ist. Lediglich in den Fällen, in denen die Norm, aus welcher der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung neben der Sozialwidrigkeit herleitet, nicht den Zweck verfolgt, dem Arbeitnehmer einen zusätzlichen Schutz zu verschaffen, sondern allein der Wahrung der Interessen Dritter dient, steht die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Kündigung einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht entgegen (BAG 28. Mai 2009 ‒ 2 AZR 949/07 ‒ Rn. 15).

4.2. Vorliegend ist die ordentliche Kündigung der Beklagten nicht nur sozialwidrig, sondern auch wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Personalrats unwirksam. Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats handelt es sich auch um einen dem Schutz des Arbeitnehmers dienenden Grund, bei dessen Eingreifen dem Arbeitgeber der Auflösungsantrag verwehrt ist. Insoweit gilt nichts anderes als in Fällen, in denen die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist (BAG 28. August 2008 ‒ 2 AZR 63/07 - Rn. 41 mwN).

Auf die von der Beklagten herangezogenen Gründe für den Auflösungsantrag und den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin kam es daher entscheidungserheblich nicht an.

5. Der grundsätzlich im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Kündigungen gegebene Anspruch der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur Rechtskraft der Kündigungsentscheidung war zeitlich auf den 30.06.2023 zu beschränken und im Übrigen abzuweisen. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien war bis zu diesem Zeitpunkt befristet und endete wegen Fristablaufs am 30.06.2023. Ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung über den vereinbarten Fristablauf hinaus besteht nicht. Eine offensichtliche Unwirksamkeit der vereinbarten Befristung ist weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht worden. 

Der zuletzt von der Klägerin mitgeteilte Umstand, dass sie ab dem 27.06.2023 wegen einer bestehenden Schwangerschaft Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG)bis zur voraussichtlichen Entbindung Anfang August 2023 in Anspruch nehmen könne, stand ihrem Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum 30.06.2023 nicht entgegen. Die Inanspruchnahme des Mutterschutzes vor der Geburt ist nach der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht zwingend und nicht mit einem Beschäftigungsverbot gleichzusetzen.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte gemäß § 92 Abs. 2 ZPO insgesamt zu tragen, denn sie ist im Rechtsstreit ganz überwiegend unterlegen, während die Zuvielforderung der Klägerin im Hinblick auf die unbefristete vorläufige Weiterbeschäftigung verhältnismäßig geringfügig war. 

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. 


Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Parteien werden auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a ArbGG hingewiesen. 



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