Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg

- Az: 3 Sa 4/23

Mindestlohn: Einmalzahlungen kann nicht in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt werden

Die Zweifelsregelung in § 271 Abs. 2 BGB gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie pro rata temporis auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können.
(Leitsatz des Gerichts)

Im vorliegenden Fall hatten die Parteien über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen gestritten. Die Klägerin ist bei der Beklagten, die exklusive Haar- und Hautkosmetik produziert und betreibt, beschäftigt gewesen. Im Juni und Dezember 2021 erhielt die Klägerin Urlaubs- und Weihnachtsgeld als Einmalzahlung. Sodann kündigte die Beklagte an, diese Zahlungen monatlich vorbehaltlos und unwiderruflich auf das Grundgehalt anzurechnen. Die monatlichen Abrechnungen zeigten daraufhin Abschläge für das „13. Gehalt“, welche die Klägerin missbilligte und dagegen Klage erhob. Durch diese Vorgehensweise versuche die Beklagte das Mindestlohngesetz auszuhebeln, so die Klägerin. Für die Umstellung des Auszahlungsmodus hätte die Beklagte die schriftliche Zustimmung der Klägerin einholen müssen.
Eine einseitige Umwandlung der bisherigen Einmalzahlungen von Weihnachts- und Urlaubsgeld in anteilige Sonderzahlungen, um den Mindestlohn zu erfüllen, sei nicht zulässig – so das LAG. Die Klägerin habe Anspruch auf den Mindestlohn sowie zusätzlich anteiliges Weihnachts- und Urlaubsgeld. Aufgrund der in der Vergangenheit fest erfolgten Auszahlungszeitpunkte der Sonderzahlungen im Sommer und vor Weihnachten sei zwischen den Parteien eine Leistungszeit nach § 271 Abs. 1 BGB bestimmt worden, die nicht einseitig geändert werden könne. Die Beklagte könne sich insoweit nicht auf die Zweifelsregelung nach § 271 Abs. 2 BGB berufen, wonach der Schuldner „im Zweifel“ auch früher zahlen könne.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 16. Januar 2023 - 2 Ca 93/22- teilweise abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 37,22 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2022 zu zahlen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

IV. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen. Für die Klägerin wird die Revision nicht zugelassen. 

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen.

Die Klägerin ist seit dem 24. August 2000 bei der Beklagten, die exklusive Haar- und Hautkosmetik produziert und vertreibt, auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 28. August 2000 (Bl. 44 d. ArbG-Akte) bei einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit von 171 Stunden beschäftigt. Dieses Arbeitszeitvolumen bildet auch die Basis für ihr verstetigtes Monatsgehalt.

Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

"Pro Kalenderjahr stehen Ihnen 30 Arbeitstage Urlaub zu; das Urlaubsgeld beträgt 50 % eines Monatsgehalts, bezogen auf 30 Arbeitstage Urlaub. Als Weihnachtsgeld erhalten Sie im Jahr 2000 30 %, im Jahr 2001 40 % und ab dem Jahr 2002 50 % eines Monatsgehalts. Es steht unter dem üblichen Vorbehalt der Rückzahlung bei einem Ausscheiden bis zum 31.03. des Folgejahres. Für das Kalenderjahr 2000 wird Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld anteilig gewährt. Für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, entfallen die Ansprüche auf Sonderzahlung." 

Mit der Abrechnung für den Monat Juni 2021 (Bl. 14 d. ArbG-Akte) erhielt die Klägerin Urlaubsgeld in Höhe von 809,00 € brutto und mit der Abrechnung November 2021 (Bl. 13 d. ArbG-Akte) Weihnachtsgeld in Höhe von 821,00 € brutto ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2021 kündigte die Beklagte an, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld künftig vorbehaltlos und unwiderruflich in jährlich 12 gleich hohen monatlichen Raten zu zahlen und auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen.

Für die Monate Januar bis März 2022 und Mai 2022 rechnete die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit einem Gesamtbetrag von jeweils 1.886,83 € brutto ab, den sie wie folgt aufschlüsselte:

Festlohn, gewerblich 1.642,00 € 13. Gehalt lfd. 136,83 € Fahrtkostenzuschuss, p.St 81,00 € AG-Anteil VWL, lfd. 27,00 € 

Im Januar 2022 erbrachte die Klägerin Arbeitsleistung im Umfang von 171 Stunden.

Im Monat April 2022 rechnete die Beklagte gegenüber den Vormonaten zusätzlich noch unter der Bezeichnung "Sachbezug, st/sv-frei" 50,00 € brutto ab und brachte den sich insgesamt ergebenden Nettobetrag an die Klägerin zur Auszahlung.

Unter dem Datum 16. Februar 2022 richtete die Beklagte ein Schreiben an die Klägerin (Bl. 36 d. ArbG-Akte), in dem sie u.a. ausführte:

"Wir weisen höflich darauf hin, dass das vereinbarte Urlaubs- und Weihnachtsgeld aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen keine zusätzliche Gratifikation, sondern im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis stehende Gegenleistung unseres Unternehmens für die von Ihnen erbrachte Arbeit darstellt. Diese wird von Ihnen jeden Monat erarbeitet, wurde nur bislang zu zwei aufgeschobenen Terminen, nämlich im Juni bzw. im November eines Jahres fällig. Diesen Fälligkeitszeitpunkt ziehen wir nunmehr vor. Das ist nach § 271 Abs. 2 BGB grundsätzlich möglich. Auch die Rechtsprechung hat entschieden, dass der Arbeitgeber ein 13. Gehalt, wie etwa ein Weihnachtsgeld, vorfristig zahlen kann und damit den Anspruch auf den Mindestlohn erfüllt .... Im Grunde genommen handelt es sich um monatliche Abschlagszahlungen. Damit bleibt es dabei, dass wir vorbehaltlos und unwiderruflich das Urlaubs- und Weihnachtsgeld - wie in unserem Schreiben vom 22. Dezember 2021 beschrieben - vorfristig auszahlen." 

Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagte rechne seit Januar 2022 das vereinbarte Urlaubs- und Weihnachtsgeld in monatlichen Abschlägen auf das Grundgehalt an, wodurch das Mindestlohngesetz ausgehebelt werden solle. Für die Umstellung des Auszahlungsmodus hätte die Beklagte die schriftliche Zustimmung der Klägerin einholen müssen. Diese sei mit Schreiben vom 5. Januar 2022 ausdrücklich verweigert worden.

Sie begehre die Feststellung, dass ihr das anteilige hälftige Weihnachts- und Urlaubsgeld auch künftig zustehe.

Unter Berücksichtigung des geltenden Mindestlohnes bei 171 Arbeitsstunden stehe ihr ein Bruttobetrag von 1.679,22 € zuzüglich Fahrgeldzuschuss von 81,00 € und vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 27,00 €, mithin 1.787,22 € brutto monatlich zu. Ausweislich der Gehaltsabrechnungen für Januar bis April 2022 zahle die Beklagte der Klägerin jedoch nur 1.642,00 € brutto, so dass monatlich 37,22 € brutto, bis Mai 2022 mithin 186,10 € zur Zahlung offen stünden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. Die Beklagte zu verurteilen, an sie rückständigen Lohn von 186,10 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen, 2. festzustellen, dass ihr für das Jahr 2022 das anteilige Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes bei einem Mindestlohn von 9,82 € im Juni 2022 und ab Juli 2022 in Höhe von 10,45 €/brutto/Stunde zusteht. 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Sie hat vorgetragen: Bezüglich der Monate Februar bis April 2022 sei die Klage unschlüssig, da es schon an der Darlegung der tatsächlich von der Klägerin geleisteten Effektivstunden fehle.

Bei der Erfüllung des Mindestlohnanspruchs komme es nur auf die Zahlung, nicht aber auf die vertraglichen Abreden der Parteien an. Eine Rückforderung des vorfristig gezahlten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes sei ihr aufgrund ihrer prozessualen Erklärung, wonach sie vorbehaltlos und unwiderruflich das Urlaubs- und Weihnachtsgeld monatlich in Höhe von jeweils 1/12 auszahle, verwehrt. Der Mindestlohnanspruch führe nicht dazu, dass etwaige Sonderzahlungen zu dem gesetzlichen Mindestlohn hinzuträten.

Bezüglich Antrag Ziff. 2 fehle es schon an der Darlegung des erforderlichen Feststellungsinteresses. Es sei nicht erkennbar, warum der gesetzliche Mindestlohn zu einer Änderung der vertraglichen Abreden über die Höhe des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes führen sollte.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Oktober 2022 abgewiesen und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Der zulässige Zahlungsantrag sei unbegründet. Er sei bereits unschlüssig, weil die Klägerin ihre Klageforderung nicht nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern anhand eines monatlichen Stundendurchschnitts begründet habe. Denn der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entstehe nach § 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1Abs. 1 MiLoG mit jeder geleisteten Arbeitsstunde, was die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden erfordere.

Jedenfalls sei der Zahlungsantrag aber unbegründet, weil die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns gem. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt habe, indem sie an die Klägerin 1.642,00 € brutto Monatslohn zuzüglich 136,83 € brutto anteilige Sonderzahlung und damit bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 9,82 € je Stunde im streitgegenständlichen Zeitraum Entgelt für 181,14 Arbeitsstunden monatlich gezahlt habe, die die Klägerin nach ihrem Vortrag nicht gearbeitet habe, denn sie gehe nur von 171 Stunden monatlich aus.

Neben dem monatlichen Bruttolohn komme auch der vorbehaltlos und unwiderruflich in jedem Kalendermonat zu 1/12 geleisteten Sonderzahlung in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld Erfüllungswirkung zu. Denn im vorliegenden Fall sei die monatlich anteilig gezahlte Sonderzahlung in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld eine im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis stehende Gegenleistung der Beklagten für die von der Klägerin erbrachte Arbeit, was aus der Regelung hierüber im Arbeitsvertrag vom 28. August 2000 folge, wonach die Sonderzahlungen im Eintrittsjahr nur anteilig zustehen und für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, entfallen. Folglich stehe der Klägerin nur dann ein Anspruch auf die monatliche anteilige Sonderzahlung zu, wenn sie einen Entgelt- oder Entgeltersatzanspruch, z. B. aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz oder Bundesurlaubsgesetz, habe.

Soweit im Arbeitsvertrag für das Weihnachtsgeld eine Rückzahlungsregelung im Falle eines Ausscheidens bis zum 31. März des Folgejahres enthalten sei, habe die Beklagte hierauf für die Zukunft mit Schreiben vom 22. Dezember 2021, 16. Februar 2022 und 10. März 2022 unwiderruflich verzichtet, so dass der Beklagten eine Rückforderung verwehrt sei mit der Folge, dass der Sonderzahlung kein Treuecharakter mehr, sondern ausschließlich Entgeltcharakter zukomme. Deswegen sei die monatliche anteilige Sonderzahlung auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen, der damit erfüllt sei.

Der Feststellungsantrag sei nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 256 Abs. 2 ArbGG (gemeint: ZPO) als Zwischenfeststellungsklage zulässig. Denn die Entscheidung über den Zahlungsantrag betreffe nur Entgeltdifferenzen für die Zeit von Januar bis einschließlich April 2022. Daher bleibe trotz einer Entscheidung über den Zahlungsantrag ungeklärt, ob der Klägerin für die Monate Mai bis einschließlich Dezember 2022 Differenzentgeltansprüche zustehen. Dies hänge u.a. davon ab, ob die Beklagte die monatlich anteilig gezahlte Sonderzahlung auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen dürfe oder nicht. Genau dies sei aber Gegenstand des Feststellungsantrags, der somit ein vorgreifliches Rechtsverhältnis beinhalte.

Der Feststellungsantrag sei jedoch unbegründet, da die Beklagte den arbeitsvertraglichen Anspruch der Klägerin auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2022 erfüllt habe, indem sie an die Klägerin monatlich eine anteilige Sonderzahlung bezahlt habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zahlung erst im Juni und November 2022 fällig geworden sei, denn die Beklagte dürfe nach § 271 Abs. 2 letzter Halbsatz BGB vor Fälligkeit erfüllen. Wie bereits ausgeführt stehe dem auch nicht entgegen, dass die Beklagte die monatlich anteilige Sonderzahlung mit dem Mindestlohn verrechne.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Januar 2023 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil am 27. Januar 2023 Berufung eingelegt, die sie nach Fristverlängerung bis 17. April 2023 am 11. März 2023 begründet hat.

Die Klägerin trägt vor: Sie begehre für das Jahr 2022 Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von 1.642,00 € brutto. Das Mindestlohngesetz trete neben die arbeitsvertraglichen Regelungen. Folglich sei das Bruttogrundgehalt aus dem Mindestlohn zu errechnen und daneben trete der Anspruch auf das vereinbarte 13. Monatsgehalt in der entsprechenden Höhe.

Eine einseitige Umwandlung der über Jahre erfolgten Einmalzahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld in eine anteilige Sonderzahlung sei nicht zulässig. Der Lohnanspruch der Klägerin habe nämlich in Höhe des Mindestlohnes bestanden und daneben habe sie anteilig Weihnachts- und Urlaubsgeld erhalten. Würde man der Beklagten das Recht einräumen, die Sonderzahlungen auf das Jahr hinweg gesplittet zu leisten, würde eine Erhöhung des Mindestlohns der Klägerin materiell-rechtlich und finanziell überhaupt nicht zufließen, sondern die Beklagte könnte durch diese buchhalterische Änderung der Auszahlungsbeträge schlichtweg Regelungen des Mindestlohnes, die darauf ausgelegt seien, dem Arbeitnehmer für seine Leistung ein höheres Stundenentgelt zukommen zu lassen, aushöhlen. Die Regelung käme dann allein der Beklagten zugute, was nicht der Wille des Gesetzgebers sei.

Das Gehalt der Klägerin sei in den letzten 21 Jahren unabhängig von den tatsächlich geleisteten Stunden mit den durchschnittlich zu leistenden Arbeitsstunden im Monat (konstant 171 Stunden) ermittelt worden, sei also immer gleich geblieben.

Die Klägerin beantragt:

1. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 17. März 2023, Az. 2 Ca 93/22, wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin rückständigen Lohn von 186,10 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen. 2. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 17. März 2023, Az. 2 Ca 93/22, wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.642,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen. Hilfsweise für den Fall, dass das Berufungsgericht den nunmehrigen Antrag Ziff. 2 vom 11. März 2023 für unzulässig erachte, werde beantragt festzustellen, dass ihr für das Jahr 2022 das anteilige Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes bei einem Mindestlohn von 9,82 € im Juni 2022 und ab Juli 2022 in Höhe von 10,45 €/brutto/Stunde zustehe. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. 

Sie trägt vor: Trotz eines entsprechenden Hinweises des Arbeitsgerichts enthalte die Berufungsbegründung keine schlüssige Darlegung der Arbeitsstunden, die die Klägerin in den Monaten Januar bis Mai 2022 gearbeitet haben wolle. Auch ihrem erstinstanzlichen Vortrag lasse sich an keiner Stelle die Anzahl der in diesen Monaten geleisteten Arbeitsstunden entnehmen.

Auch die vorfristige Auszahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld komme zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs in Betracht, wenn diese (wie hier) im Synallagma stünden. Hieran ändere auch eine Rückzahlungsverpflichtung nichts. Die Beklagte habe den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts aus dessen Urteil vom 25. Mai 2016 (Az. 5 AZR 135/16) entsprochen, indem sie mit den Schreiben vom 22. Dezember 2021 und 16. Februar 2022 vorbehaltlos und unwiderruflich die Auszahlung zugesagt und auf die Rückzahlung verzichtet habe.

Die Berechtigung, die Vergütung auch vorzeitig zu bezahlen, ergebe sich aus der auch im Arbeitsrecht anwendbaren Regelung des § 271 Abs. 2 BGB. Sie sei nicht nur schuldrechtlich, sondern auch nach dem Mindestlohngesetz zulässig, da § 2 Abs. 1 Satz 2 MiLoG lediglich die Fälligkeit des Mindestlohns, nicht aber der vertraglich vereinbarten Vergütung regele und auch nicht vorfällige Auszahlung vereinbarter Vergütung verbiete.

Antrag Ziff. 2 sei schon deswegen unzulässig, weil unklar bleibe, auf welche tatsächlich erbrachten Stunden der Anspruch gestützt werden solle.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat in der Sache in geringem Umfang Erfolg.

A. 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

I. 

Die Berufung ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600,00 € übersteigt (§ 64 Abs. 2 lit. b ArbGG).

Die zwei erstinstanzlich gestellten Anträge stellen jeweils unterschiedliche Streitgegenstände dar. Die Frage, ob der Klägerin noch Restvergütungsansprüche für die Monate Januar bis Mai 2022 zustehen, auf der einen Seite und die Frage, ob der Klägerin für das Jahr 2022 noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusteht, auf der anderen Seite betreffen verschiedene Lebenssachverhalte.

Die Statthaftigkeit der Berufung ist für jeden Streitgegenstand gesondert zu prüfen. Nach § 2 i.V.m. § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zur Wertfeststellung zusammengerechnet. Gemeint sind selbständige prozessuale Ansprüche i.S.v. § 260 ZPO, die verschiedene Streitgegenstände betreffen. Dies gilt nach § 64 Abs. 6 ArbGG auch für das Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen (BAG 27. Januar 2004 - 1 AZR 105/03 - AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 35 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 39).

Das Arbeitsgericht hat die Streitwerte für die Anträge Ziff. 1 und 2 auf 186,10 € bzw. 1.313,60 € festgesetzt. In Rechtsstreitigkeiten, in denen eine Partei in vollem Umfang unterliegt und uneingeschränkt Berufung einlegt, ergibt sich ihre Beschwer unmittelbar aus der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Urteil (BAG 13. Januar 1988 - 5 AZR 410/87 - BAGE 57, 186). Die Bindung an den vom Arbeitsgericht festgesetzten Streitwert entfällt nur, wenn die Streitwertfestsetzung offensichtlich unrichtig ist (BAG 2. März 1983 - 5 AZR 594/82 - BAGE 44, 13). Dies ist hier nicht der Fall. Bezüglich Antrag Ziff. 1 ist unzweifelhaft der Nennbetrag der geltend gemachten Forderung ohne Zinsen, also 186,10 €, anzusetzen. Bei dem Antrag Ziff. 2 hat das Arbeitsgericht 80 % des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes für das Jahr 2022 angesetzt, wobei es dieses mit 1.642,00 € veranschlagt hat. Dieser Wert dürfte so errechnet worden sein, dass das Arbeitsgericht die im ersten Halbjahr 2022 monatlich gezahlte anteilige Sonderzahlung von 136,83 € mit 12 multipliziert und den sich ergebenden Betrag auf einen vollen Eurobetrag gerundet hat. Somit ist es davon ausgegangen, dass sich der Feststellungsantrag auf das gesamte Jahr 2022 bezieht. Dies ist jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig, sondern angesichts des unklaren und in sich widersprüchlichen Vortrags der Klägerin in erster Instanz zum Feststellungsantrag vertretbar. Die Klägerin hat weder ausgeführt, was unter einem "anteiligen" Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts zu verstehen sein soll noch klargestellt, ob der Feststellungsantrag nur einen Teil des Jahres 2022 betreffen soll, also beispielsweise den Zeitraum von Juni bis Dezember 2022, wofür die Nennung des Monats Juni 2022 im Antrag sprechen könnte, oder den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2022 im Hinblick darauf, dass die mündliche Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, auf die hin das Urteil erging, im Oktober 2022 stattfand und die Klägerin schriftsätzlich ausgeführt hatte, dass sie die Feststellung begehre, dass ihr das Urlaubs- und Weihnachtsgeld auch künftig zustehe.

II. 

Die Klägerin hat ihre Anträge auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vollumfänglich weiterverfolgt.

Nach § 4 Abs. 1 ZPO kommt es für die Statthaftigkeit der Berufung grundsätzlich auf den Rechtsmittelwert bei ihrer Einlegung an, der nach dem oben Ausgeführten wie vom Arbeitsgericht festgesetzt 1.499,70 € und somit mehr als 600,00 € beträgt.

Spätere Minderungen des Beschwerdewerts sind in der Regel unschädlich. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn der Rechtsmittelkläger seine zunächst vorhandene Beschwer im Laufe des Berufungsverfahrens durch eine aus freien Stücken erfolgte Handlung "willkürlich" beseitigt, dadurch die Verminderung des Beschwerdegegenstandes auf einen Wert unterhalb der Berufungssumme selbst herbeiführt und seine Berufungsanträge entsprechend ermäßigt (BAG 27. Januar 2004 - 1 AZR 105/03 - AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 35 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 39).

Dies hat die Klägerin nicht getan. Sie hat in ihrer Berufungsbegründungsschrift ihren erstinstanzlichen Antrag Ziff. 1 weiterverfolgt und mit Antrag Ziff. 2 die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von 1.642,00 € brutto für das Jahr 2022 verlangt. Mit diesem Übergang vom Feststellungs- zum Leistungsantrag hat sie ohne Änderungen des Klagegrundes ihren Klageantrag in der Hauptsache erweitert (vgl. BAG 18. November 2008 - 3 AZR 192/07 - NZA 2009, 435).

III. 

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie setzt sich in noch ausreichendem Maße mit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinander. Auf die Frage, ob die Ausführungen der Klägerin in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind, kommt es für die Zulässigkeit der Berufung nicht an (BGH 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11 - NJW 2013, 174).

B. 

Die Berufung ist teilweise begründet.

I. Antrag Ziff. 1 

Mit diesem macht die Klägerin für die Monate Januar bis Mai (und nicht wie vom Arbeitsgericht ausgeführt bis April) 2022 je Monat ausstehende Vergütung von 37,22 € geltend.

Der Antrag ist in Höhe von 37,22 € brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen begründet, weshalb das arbeitsgerichtliche Urteil insoweit abzuändern ist.

1. Soweit der Antrag verlangte Vergütung für die Monate Februar bis Mai 2022 betrifft, ist die Berufung der Klägerin unbegründet. Die Klage ist insoweit, worauf bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, unschlüssig, weil die Klägerin ihre Forderung nicht nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern anhand eines monatlichen Stundendurchschnitts begründet hat.

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). Dies erfordert die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Die Behauptung einer aus dem Durchschnitt eines Zeitraums ermittelten Stundenzahl ersetzt diesen Vortrag nicht (BAG 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - BAGE 155, 202; 29. Juni 2016 - 5 AZR 716/15 - NZA 2016, 1332).

Die Klägerin hat aber nur vorgetragen, dass sie ein verstetigtes Monatsgehalt von 1.642,00 € brutto erhält. Bei einem verstetigen Arbeitsentgelt wird typischerweise die im Laufe eines Monats vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung unabhängig von der im betreffenden Monat gegebenen Zahl von Arbeits- oder Kalendertagen in gleichbleibender Höhe vergütet (Riechert/Nimmerjahn Mindestlohngesetz 2. Aufl. § 2 Rn. 17).

2. Für den Monat Januar 2022 kann die Klägerin noch Vergütung in Höhe von 37,22 € brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangen, weshalb das arbeitsgerichtliche Urteil insoweit abzuändern und der Klage stattzugeben war.

a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin in diesem Kalendermonat tatsächlich 171 Stunden gearbeitet hat, was, wie von der Beklagten auf Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 20. Juli 2022 (Bl. 61 d. ArbG-Akte) zutreffend ausgeführt, bei dem im Januar 2022 9,82 € betragenden Mindestlohn einen Mindestlohnanspruch in Höhe von 1.679,22 € brutto ergibt. Hierauf sind von der Beklagten als Festlohn gezahlte 1.642,00 € anzurechnen, weshalb noch 37,22 € brutto ausstehen.

aa) Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch tritt. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). In die Entgeltvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien greift das Mindestlohngesetz nur insoweit ein, als sie den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten. § 3 MiLoG führt bei Unterschreitungen des gesetzlichen Mindestlohnes zu einem Differenzanspruch. Erreicht die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte Vergütung den gesetzlichen Mindestlohn nicht, begründet dies von Gesetzes wegen einen Anspruch auf Differenzvergütung, wenn der Arbeitnehmer in der Abrechnungsperiode für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält. Dabei sind alle im Synallagma stehenden Entgeltleistungen des Arbeitgebers geeignet, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen (§ 362 Abs. 1 BGB). Die Erfüllungswirkung fehlt solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen (BAG 20. September 2017 - 10 AZR 171/16 - NZA 2018, 53). Für die schlüssige Begründung einer auf Zahlung der Differenzvergütung zum gesetzlichen Mindestlohn gerichteten Klage ist es deshalb erforderlich, für jeden Kalendermonat ein konkret beziffertes Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns darzulegen (BAG 24. Juni 2021 - 5 AZR 505/20 - NZA 2021, 1398).

bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die neben dem Festlohn für den Januar 2022 an die Klägerin gezahlten Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohnanspruch nicht anzurechnen sind.

(1) Der Arbeitgeberanteil an den vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 27,00 € ist nicht mindestlohnwirksam. Arbeitgeberbeiträgen zu vermögenswirksamen Leistungen fehlt es wegen der erheblichen Bindungsdauer der angelegten Gelder an aktuellen Vorteilen für die Beschäftigten. Sie dienen der langfristigen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und sind keine unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Leistung (BAG 18. November 2015 - 5 AZR 761/13 - NZA 2016, 828). Die vermögenswirksamen Leistungen sind somit weder unter national- noch unter europarechtlichen Gesichtspunkten "funktional gleichwertig" mit dem vom Arbeitgeber zu entrichtenden Mindestlohn (BAG 16. April 2014 - 4 AZR 802/11 - BAGE 148, 68).

(2) Auch der Fahrtkostenzuschuss erfüllt nicht den Anspruch auf Mindestlohn. In der Lohnabrechnung für Januar 2022 ist dieser als steuerfrei geleistete Zahlung ausgewiesen, was zumindest indiziell darauf hinweist, dass es sich um echten Aufwendungsersatz und nicht um "verschleiertes" Arbeitseinkommen handelt (vgl. BAG 19. Februar 2014 - 5 AZR 700/12 - NZA 2014, 1097). Die Beklagte hat nicht behauptet, dass es sich in Wirklichkeit um steuerpflichtiges Einkommen handele, weshalb sie die Indizwirkung nicht widerlegt hat. Echter Aufwendungsersatz ist keine Gegenleistung für die Arbeitsleistung und erfüllt nicht den Anspruch auf Mindestlohn (BAG 18. November 2015 - 5 AZR 761/13 - NZA 2016, 828; HWK/Sittard 10. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 25).

(3) Auch die als 13. Gehalt ausgewiesene Zahlung in Höhe von 136,83 € ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf den Mindestlohnanspruch der Klägerin anzurechnen. Dabei kann zunächst zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass das arbeitsvertraglich vereinbarte Urlaubs- und Weihnachtsgeld zumindest auch (synallagmatische) Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung und somit beim Mindestlohn grundsätzlich berücksichtigungsfähig ist.

(a) Die Beklagte hat bis zum Jahr 2021 das Urlaubsgeld der Klägerin mit der Vergütung für den Monat Juni und das Weihnachtsgeld mit der Vergütung für den Monat November ausbezahlt. Die Klägerin hat die Auszahlungen zu diesen Zeitpunkten als vertragsgemäß angenommen. Dieses Verhalten ist unter Berücksichtigung von § 614BGB dahin auszulegen, dass sich die Parteien auf die Auszahlungszeitpunkte Anfang Juli bzw. Anfang Dezember für die Sonderzahlungen geeinigt hatten, da diese Verfahrensweise die Zustimmung der Klägerin gefunden hatte (vgl. BAG 16. August 2022 - 9 AZR 490/21 - NZA 2022, 1683).

(b) Ferner lässt sich diesen Auszahlungszeitpunkten zusammen mit der arbeitsvertraglichen Bezeichnung der Sonderzahlungen als Urlaubs- und Weihnachtsgeld, der Indizwirkung zukommt (BAG 21. Januar 2014 - 9 AZR 134/12 - juris), entnehmen, dass sie dem Ausgleich erhöhter Aufwendungen für den Urlaub, der typischerweise hauptsächlich in den Sommermonaten genommen wird, und für das Weihnachtsfest dienen sollten. Bezüglich der Sonderzahlungen liegt somit eine Zeitbestimmung i.S.d. § 271 Abs. 1 BGB vor.

(c) Entgegen der Auffassung der Beklagten, der sich das Arbeitsgericht angeschlossen hat, kann sich die Beklagte zur Begründung der Mindestlohnwirksamkeit der ab Januar 2022 vorgenommenen monatlichen anteiligen Auszahlungen der Sonderzahlungen nicht auf § 271 Abs. 2 BGB berufen.

Nach der Auslegungsregel (BGH 24. April 1975 - III ZR 147/72 - BGHZ 64, 278) des § 271 Abs. 2 BGB wirkt eine (gesetzliche oder vertragliche) Bestimmung der Leistungszeit im Zweifel nur zugunsten des Schuldners. Die Forderung ist vor der bestimmten Zeit als nicht fällig (wobei im vorliegenden Zusammenhang unter Fälligkeit der Zeitpunkt zu verstehen ist, zu dem die Klägerin die Zahlung der jeweiligen Sonderzahlung verlangen konnte [BAG 23. Juni 2016 - 8 AZR 757/14 - NZA 2016, 1459]), wohl aber erfüllbar (wobei Erfüllbarkeit einer Forderung vorliegt, wenn der Schuldner leisten darf, mithin der Gläubiger in Annahmeverzug käme, sollte er die Annahme der Leistung verweigern: BGH 24. Juni 2002 - II ZR 256/01 - NZG 2002, 1072) anzusehen.

Allerdings gilt § 271 Abs. 2 BGB als Auslegungsregel nur subsidiär. Diese greift daher nicht ein, wenn sich aus dem Gesetz, einer Parteivereinbarung oder den Umständen etwas Anderes ergibt (BAG 23. Juni 2016 - 8 AZR 757/14 - a.a.O.; BGH 25. Oktober 2006 - VIII ZR 23/06 - BGHZ 170, 1). Die gesetzliche Vermutung muss vom Gläubiger widerlegt werden (BAG 19. Dezember 2006 - 9 AZR 230/06 - DB 2007, 1707).

Dabei ist eine abweichende Regelung grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die Zeitbestimmung auch im Interesse des Gläubigers besteht (Kerwer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK - BGB 10. Aufl. § 271 Rn. 19).

Im vorliegenden Fall kann offenbleiben, ob ein solches Interesse der Klägerin aus der Bezeichnung der Sonderzahlungen als Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeld und der konkludenten Vereinbarung von Auszahlungszeitpunkten im Sommer und vor Weihnachten im Hinblick darauf hergeleitet werden kann, dass das Urlaubs- und Weihnachtsgeld wegen der mit diesen Ereignissen typischerweise erhöhten Ausgaben zu diesen Anlässen zur Verfügung stehen soll und diese Verwendung wegen dann möglicher unüberlegter nicht zweckbestimmter Verwendung von Teilbeträgen gefährdet sein könnte, wenn die Klägerin vorfällige monatliche Teilzahlungen gegen sich gelten lassen müsste (vgl. zu diesem Gesichtspunkt im Zusammenhang mit Rentenzahlungen BGH 16. Juni 1993 - XII ZR 6/92 - BGHZ 123, 49).

Denn selbst wenn dies zu verneinen wäre, würde sich jedenfalls aus den Umständen ergeben, dass die Beklagte nicht zu vorfälligen Zahlungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld berechtigt sein soll. Aus den Umständen ergibt sich ein Ausschluss von vorfälligen Leistungen, wenn die Leistungszeit nicht nur im Interesse des Schuldners hinausgeschoben ist, sondern wenn auch der Gläubiger ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, die Leistung nicht vor Fälligkeit entgegennehmen zu müssen (BAG 23. Juni 2016 - 8 AZR 757/14 - a.a.O.).

Der Klägerin ist nach Auffassung der Berufungskammer ein Interesse daran zuzugestehen, nicht durch Zulassung von vor dem vertraglich vereinbarten Zahlungszeitpunkt geleisteten Sonderzahlungen deren Anrechenbarkeit auf ihren gesetzlichen Mindestlohnanspruch zu ermöglichen. Ein anderweitiges Interesse der Beklagten an einer vorfälligen Zahlung hat diese nicht behauptet. Ob eine solche Verfahrensweise überdies wegen Umgehung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs als unzulässig (§ 3 Satz 1 MiLoG) einzustufen wäre (in diese Richtung tendierend LAG Hamm 14. Januar 2016 - 18 Sa 1279/15 - juris), kann hier offenbleiben.

b) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 Satz 1 BGB.

II. Antrag Ziff. 2 

Dieser hat keinen Erfolg.

1. Die Stellung dieses Klagantrags war nicht gem. § 533 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG unzulässig.

Mit der Stellung des Antrags Ziff. 2 in der Fassung vom 11. März 2023 hat die Klägerin einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Sie ist gegenüber dem erstinstanzlichen Feststellungsantrag zu einem Leistungsantrag übergegangen und verlangt nunmehr die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2022 in Höhe von 1.642,00 € brutto. Auf diese nachträgliche objektive Klagehäufung ist § 263 ZPO entsprechend anwendbar. Über die Zulässigkeit der Klageänderung in der Berufungsinstanz ist nach dem Maßstab des § 533 ZPO zu entscheiden (BAG 9. Februar 2022 - 5 AZR 347/21 - NZA 2022, 653).

Dessen Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte hat in die Klageänderung stillschweigend eingewilligt, sie wäre überdies auch sachdienlich, weil sie auf dem gleichen Lebenssachverhalt wie der erstinstanzlich gestellte Feststellungsantrag beruht. Auch § 533 Nr. 2 ZPO steht der Klageänderung ersichtlich nicht entgegen.

2. Der mit Antrag Ziff. 2 verfolgte Anspruch ist jedoch durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) erloschen. Aus den von der Beklagten mit ihrem Schriftsatz vom 30. August 2023 zur Akte gereichten Gehaltsabrechnungen ergibt sich, dass die Beklagte an die Klägerin im Laufe des Jahres 2022 unter der Bezeichnung "13. Gehalt" 6 x 136,83 €, 3 x 138,00 € und 3 x 158,00 € zur Auszahlung gebracht hat, mithin insgesamt 1.708,98 €, was den verlangten Betrag übersteigt.

Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Die Erfüllungswirkung tritt regelmäßig als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Leistung einem bestimmten Schuldverhältnis zugeordnet werden kann. Dazu reicht es aus, dass die bewirkte Leistung die allein geschuldete ist und daneben keine andere gleichartige Schuld besteht, auf welche die Leistung daneben oder stattdessen hätte erbracht werden können (BAG 18. Januar 2012 - 10 AZR 670/10 - NZA 2012, 499).

Es kann keinem Zweifel unterliegen und solche werden von der Klägerin auch nicht vorgebracht, dass die Beklagte mit den genannten Zahlungen den Anspruch der Klägerin auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld für das Jahr 2022 tilgen wollte und getilgt hat. Die Parteien streiten ja gerade über die Zulässigkeit der erfolgten anteiligen monatlichen Zahlungen.

III. 

Der Hilfsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen, da dieser für den Fall gestellt war, dass das Berufungsgericht den Antrag Ziff. 2 vom 11. März 2023 für unzulässig erachten würde. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

C. 

I. 

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Klägerin hat in Höhe von 37,22 € und somit gegenüber ihrem Unterliegen in Höhe von 1.790,88 € nur in geringfügigem Umfang obsiegt.

II. 

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

1. Die für die teilweise Klagestattgabe entscheidungserhebliche Frage, ob vor Eintritt ihrer Fälligkeit unwiderruflich und vorbehaltslos erbrachte Abschlagszahlungen auf Sondervergütungen für den Mindestlohn erfüllungswirksam sind, wird in der Literatur teilweise bejaht (so MüKo-BGB/Müller-Glöge 9. Aufl. MiLoG § 1 Rn. 21; HWK/Sittard 10. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 18), teilweise verneint (so Deck/Geiermann/Imping/Voss, ABC des Lohnbüros, 2023, Mindestlohn; wohl auch LAG Mecklenburg-Vorpommern 20. Juni 2017 - 5 TaBV 17/16 - juris). Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit dieser Frage soweit ersichtlich noch nicht befasst, insbesondere betrifft dessen Urteil vom 25. Mai 2016 zum Az. 5 AZR 135/16 einen anderen Sachverhalt, da der dortige Betriebsrat einer ratierlichen Zahlung der dortigen Sonderzahlungen im Wege einer Betriebsvereinbarung zugestimmt hatte, die das Bundesarbeitsgericht für wirksam erachtet hat.

Der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage kommt auch grundsätzliche Bedeutung zu.

2. Die teilweise Klageabweisung beruht nicht auf der Beantwortung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung. Für die Klägerin war die Revision deshalb nicht zuzulassen.



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