Landesarbeitsgericht Hessen

Beschluss vom - Az: 16 TaBV 261/12

Abmahnung wegen Teilnahme an Betriebsratssitzung - Unterlassungsanspruch

Der Ausspruch einer Abmahnung gegenüber einem Betriebsratsmitglied wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung kann in Betracht kommen, wenn die Versäumung der Arbeitszeit aus vernünftigter Sichtweise nicht erforderlich war. Insofern muss der Arbeitnehmer die Dringlichkeit der beruflichen Tätigkeit und die Verpflichtung von Betriebsratstätigkeit gegeneinander abwägen. Der Entsendungsbeschluss des Betriebsrats bzw. die Ansetzung der Betriebsratssitzung nach § 30 Satz 2 BetrVG bewirkt jedoch weder die Arbeitsbefreiung selbst, noch kann er den Arbeitnehmer von einer selbständigen Überprüfung der Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer Betriebsratsaufgabe und deren Erforderlichkeit entlasten.
Eine Abmahnung ist jedoch nur gerechtfertigt, sofern eine hinreichende Gefahr der Wiederholung eines willensgesteuerten objektiven Überschreitens des Beurteilungsspielraums besteht.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. September 2012 - 7 BV 403/12 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch.

Die Beteiligte zu 2 (Arbeitgeber) betreibt bundesweit an mehreren Flughäfen, u.a. am Flughafen F, verschiedene gastronomische Einrichtungen und beschäftigt insgesamt etwa 130 Arbeitnehmer.

Beteiligter zu 1 ist der für den Betrieb „F Airport“ gebildete Betriebsrat.

Die reguläre wöchentliche Betriebsratssitzung findet jeweils dienstags statt. In der Zeit von Januar bis Mai 2012 hielt der Betriebsrat insgesamt 41 Sondersitzungen neben den regelmäßigen Betriebsratssitzungen ab. Nachdem im Februar 2012 bereits am 1., 2., 3., 6., 8., 9., 10., 13., und 15. (Sonder-) Sitzungen des Betriebsrats abgehalten wurden, erteilte der Arbeitgeber zwei Betriebsratsmitgliedern wegen der Teilnahme an einer weiteren Betriebsratssitzung am 16. Februar 2012 eine Abmahnung. Auf der Betriebsratssitzung vom 16. Februar 2012 sollten insgesamt 6 personelle Maßnahmen des Arbeitgebers nach §§ 99, 100 BetrVG beraten werden.

Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, ihm stehe ein allgemeiner Unterlassungsanspruch gemäß § 78 BetrVG wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit zu.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, Betriebsratsmitglieder wegen der Teilnahme an Betriebsratssitzungen arbeitsvertraglich abzumahnen, wenn die Antragsgegnerin der Auffassung ist, es handele sich um die Teilnahme an einer nicht notwendigen Betriebsratssitzung,

2. der Antragsgegnerin für den Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Unterlassungsverpflichtung gemäß Ziffer 1 der Anträge ein Ordnungsgeld bis zur gesetzlichen Höhe von 10.000 € anzudrohen.

Die Beteiligte zu 2 hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I der Gründe (Bl. 55-57 der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Er sei bereits unzulässig, da nicht hinreichend bestimmt. Jedenfalls sei der Globalantrag unbegründet. Es sei nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Arbeitgeber im Einzelfall zu Recht auf die Nichtbeachtung der betrieblichen Notwendigkeiten nach § 30 S. 2 BetrVG berufen könne. Danach habe der Betriebsrat bei der Ansetzung von Betriebsratssitzungen auf die betrieblichen Notwendigkeiten Rücksicht zu nehmen. Es müsse dem Arbeitgeber dann auch im Einzelfall möglich sein, Betriebsratsmitglieder abzumahnen.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 19. September 2012 zugestellt. Er hat dagegen mit einem am 27. September 2012 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 27. Dezember 2012 am 20. Dezember 2012 begründet.

Der Betriebsrat ist der Ansicht, der Antrag sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts zulässig. Der Arbeitgeberin solle untersagt werden, die Erteilung von Abmahnungen von Betriebsratsmitgliedern wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung zu wiederholen. Der Antrag sei auch nicht deshalb unbestimmt, weil nicht zu erkennen sei, ob auch Ersatz- Betriebsratsmitglieder vom Antrag erfasst sind. Dies sei nach dem Antragstext eindeutig nicht der Fall. Der zweite Halbsatz des Antrags ("wenn die Antragsgegnerin der Auffassung ist, es handele sich um die Teilnahme an einer nicht notwendigen Betriebsratssitzung") beinhalte, dass dem Arbeitgeber untersagt werden soll, zukünftig mit dieser Begründung Betriebsratsmitglieder wegen der Teilnahme am Betriebsratssitzungen abzumahnen. Dieser Antrag sei hinreichend bestimmt. Er sei auch nicht als Globalantrag unbegründet. Die Begründung des Arbeitsgerichts sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen es dem Arbeitgeber im Einzelfall möglich sein müsse, Betriebsratsmitglieder nachträglich für die Teilnahme am Betriebsratssitzungen abzumahnen. Das Gegenteil ergebe sich vielmehr daraus, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit offen stehe, im Eilverfahren die Durchführung der von ihm als nicht notwendig erachteten Betriebsratssitzung zu verhindern. Das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass Betriebsratssitzungen gemäß § 29 Abs. 2 S. 1 BetrVG vom Vorsitzenden des Betriebsrats einberufen werden und für die Mitglieder Teilnahmepflicht besteht. Es sei abwegig anzunehmen, das einzelne Betriebsratsmitglied habe die Verpflichtung, die Notwendigkeit seiner Teilnahme an der der Betriebsratssitzung zu überprüfen.

Der Betriebsrat beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 19. September 2012-7 BV 403/12-nach den erstinstanzlichen Anträgen des Betriebsrats zu erkennen.

Der Arbeitgeber beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Er weist darauf hin, dass eines der abgemahnten Betriebsratsmitglieder nur Ersatzmitglied war. Deshalb ergebe es keinen Sinn, wenn der Betriebsrat in der Beschwerdebegründung ausführe, der Antrag betreffe keine Ersatzmitglieder. Der Antrag sei nicht hinreichend bestimmt, weil sein Bestandteil ("wenn die Antragsgegnerin der Auffassung ist...“) von einer nicht näher nachvollziehbaren, subjektiven Einschätzung des Arbeitgebers abhängen soll. Ebenso bleibe offen, was der Fall sein soll, wenn der Arbeitgeber zu Recht der Auffassung ist, dass eine Betriebsratssitzung unter Nichtbeachtung der betrieblichen Notwendigkeiten einberufen wurde. Ungeklärt sei schließlich, was gelte, wenn die Arbeitgeberin einen anderen als den im zweiten Halbsatz des Antrags genannten Wortlaut wählen sollte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG.

2. Die Beschwerde ist nicht begründet.

a) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hält die Beschwerdekammer den Antrag für zulässig. Es handelt sich um einen Globalantrag, der hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist (vgl. dazu: BAG 16. November 2004-1 ABR 53/03-Rn. 10).

Eine Auslegung des Antrags ergibt, dass der Betriebsrat damit die Unterlassung (jedweder) Abmahnungen von Betriebsratsmitgliedern wegen der Teilnahme an nicht notwendigen Betriebsratssitzungen begehrt. Der zweite Halbsatz ("wenn der Arbeitgeber der Auffassung ist, es handele sich um die Teilnahme an einer nicht notwendigen Betriebsratssitzung") bezieht sich nicht auf eine innere Haltung des Arbeitgebers (das „Haben“ einer Auffassung in einer konkreten Situation), sondern schränkt den ersten Halbsatz des Antrags dahingehend ein, dass dieser (nur) unterlassen soll Betriebsratsmitglieder wegen der Teilnahme an einer nicht notwendigen Betriebsratssitzung abzumahnen. Mit „nicht notwendigen“ Betriebsratssitzungen sind solche gemeint, die nicht erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG sind oder bei deren Ansetzung auf die betrieblichen Notwendigkeiten gemäß § 30 Satz 2 BetrVG keine Rücksicht genommen wurde. Vom Antrag umfasst ist auch der Fall, dass nicht nur die Betriebsratssitzung als solche „nicht notwendig“ ist sondern auch, dass die Teilnahme an einer an sich erforderlichen Sitzung für das betreffende Betriebsratsmitglied wegen einer dringlich anstehenden beruflichen Tätigkeit nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich daraus, dass es sich für dieses Betriebsratsmitglied um eine nicht notwendige Betriebsratssitzung handelt.

Eine Auslegung des Antrags ergibt ferner, dass unter "Betriebsratsmitgliedern" auch Ersatzmitglieder zu verstehen sind, nämlich dann wenn sie zur Vertretung eines verhinderten Betriebsratsmitglieds vorübergehend Betriebsratsaufgaben wahrnehmen. Für diese Zeit haben sie die volle rechtliche Stellung eines Betriebsratsmitglieds; sie sind damit Betriebsratsmitglied im Sinne des Antrags des Betriebsrats.

b) Der Antrag ist nicht begründet. Dies hat das Arbeitsgericht im Ergebnis und im Wesentlichen auch in der Begründung zutreffend erkannt. Ein Globalantrag ist unbegründet, wenn die mit ihm geltend gemachte Verpflichtung des Arbeitgebers nicht in allen erfassten Fallgestaltungen besteht (Bundesarbeitsgericht 16. November 2004-1 ABR 53/03-Rn. 18).

Eine Abmahnung, die wegen einer Teilnahme an einer nicht notwendigen Betriebsratssitzung erfolgt, ist nicht in allen Fallgestaltungen rechtswidrig.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit nur insoweit befreit, als dies zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Gegenstand der vom Betriebsratsmitglied unter Wahrnehmung seines Beurteilungsspielraums vorzunehmenden Erforderlichkeitsprüfung ist demnach nicht nur die Notwendigkeit der zu verrichtenden Betriebsratsarbeit, sondern gerade auch, ob diese Betriebsratsarbeit die Nichtleistung der beruflichen Tätigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich macht. Grundsätzlich sind also die Dringlichkeit der beruflichen Tätigkeit und die Verpflichtung von Betriebsratstätigkeit gegeneinander abzuwägen. Selbst wenn ein Betriebsratsmitglied zu einer Betriebsratssitzung geladen ist, entbindet ihn dies nicht von der Abwägung, ob seine Teilnahme an der Betriebsratssitzung so wichtig ist, dass sie auch die Nichtleistung der dringenden beruflichen Tätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG erforderlich macht. Im Zweifel wird zwar die Teilnahme an der Betriebsratssitzung den Vorrang haben. Wenn aber in der Sitzung keine wichtigen oder sonstigen Fragen zu behandeln sind, die die Teilnahme gerade dieses Betriebsratsmitglied erfordern, kann es in Fällen einer betrieblichen Unabhängigkeit des Betriebsratsmitglieds durchaus sachgerecht sein, das Betriebsratsmitglied als an der Teilnahme verhindert anzusehen, so dass an seiner Stelle ein Ersatzmitglied an der Betriebsratssitzung teilnimmt (Bundesarbeitsgericht 11. Juni 1997-7 AZR 229/96- ZTR 1997,524, Rn. 12,13; 21. Juni 2006-7 AZR 418/05-Rn. 15, 23).

Das Betriebsratsmitglied ist also gerade nicht in jedem Fall berechtigt, an einer angesetzten Betriebsratssitzung teilzunehmen. Die Versäumung der Arbeitszeit beruht sowohl auf einer wertenden Entscheidung des Betriebsrats als Gremium (Festlegung des Sitzungstermins) als auch auf einer wertenden Entscheidung des betreffenden Arbeitnehmers selbst. Der Entsendungsbeschluss des Betriebsrats bzw. die Ansetzung der Betriebsratssitzung nach § 30 Satz 2 BetrVG bewirkt weder die Arbeitsbefreiung selbst, noch kann er den Arbeitnehmer von einer selbständigen Überprüfung der Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer Betriebsratsaufgabe und deren Erforderlichkeit entlasten (Bundesarbeitsgericht 31. August 1994-7 AZR 893/93-AP Nr. 98 zu § 37 BetrVG 1972, Rn. 32; 6. August 1981-6 AZR 505/78-AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972, Rn. 22).

Soweit die Versäumung der Arbeitszeit auf einer Verkennung des Begriffs der Erforderlichkeit i.S. des § 37 Abs. 2 BetrVG beruht, wird dem Betriebsratsmitglied ebenso wie dem Betriebsrat selbst ein nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zugestanden. Dieser ist erst überschritten, wenn das Betriebsratsmitglied bei eigener gewissenhafter Überprüfung und bei ruhiger und vernünftiger Würdigung aller Umstände die Versäumung von Arbeitszeit für die Verrichtung einer Betriebsratstätigkeit nicht mehr für erforderlich halten durfte. Kommt es zu einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums und ist dies für die Versäumnis kausal, ist eine Abmahnung unter dem Gesichtspunkt ihrer Warnfunktion nur dann gerechtfertigt, sofern eine hinreichende Gefahr der Wiederholung eines willensgesteuerten objektiven Überschreitens des Beurteilungsspielraums besteht (Bundesarbeitsgericht 31. August 1994, a.a.O; Rn. 33).

Hieraus ergibt sich, dass durchaus der Ausspruch einer Abmahnung gegenüber einem Betriebsratsmitglied wegen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung in Betracht kommen kann. Zunächst ist an den Fall zu denken, dass eine Sondersitzung des Betriebsrats angeordnet wird, ohne dass Tagesordnungspunkte vorliegen, die nicht bis zur nächsten, wöchentlich anstehenden Betriebsratssitzung warten können. Im Hinblick auf die im Rahmen des § 100 BetrVG bestehende Eilbedürftigkeit einer Entscheidung des Betriebsrats kann es zwar ausnahmsweise erforderlich sein, neben der wöchentlichen Betriebsratssitzung eine Sondersitzung abzuhalten. Schwer vorstellbar ist jedoch, dass -wie in der ersten Hälfte des Februar 2012 geschehen- nahezu täglich die Abhaltung einer Betriebsratssitzung erforderlich ist. Darüber hinaus kann die Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds dann in Betracht kommen, wenn zwar die Betriebsratssitzung als solche, aber nicht die Teilnahme des betreffenden Betriebsratsmitglieds erforderlich war und das Betriebsratsmitglied dies bei eigener gewissenhafter Überprüfung erkennen konnte, es also seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat und eine Wiederholungsgefahr besteht. Da auch diese Fälle von dem Globalantrag umfasst sind, erweist er sich insgesamt als unbegründet.

Ist damit der Antrag zu 1 unbegründet, scheidet die Androhung eines Ordnungsgelds aus.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, § 92 Abs. 1, § 72 ArbGG.



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