Arbeitsgericht Kiel

Urteil vom - Az: 5 Ca 229 f/22

Anspruch auf Entgeltfortzahlung trotz Urlaub im Hochrisikogebiet

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin im Januar und Februar 2022 ihren Urlaub in einem als Corona-Hochrisikogebiet ausgewiesenen Land verbracht und wurde nach ihrer Rückkehr auf Corona positiv getestet. Als die Klägerin ihrem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte, verweigerte dieser für den ausgewiesenen Zeitraum die Entgeltfortzahlung. Die Klägerin sei mangels Krankheitssymptomen nicht arbeitsunfähig gewesen und im Übrigen habe sie die Erkrankung durch ihre Reise in ein Hochrisikogebiet schuldhaft herbeigeführt, so der Arbeitgeber. Mit ihrer Klage macht die Klägerin vor Gericht erfolgreich Entgeltfortzahlung geltend.
Nach Auffassung des Gerichts sei ein Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig, wenn er symptomlos Corona-positiv sei und nicht im Homoffice tätig sein könne. Die telefonische Information der Klägerin an den Arbeitgeber, dass es „ihr ganz gut gehe“, lasse den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entfallen. Ebenso schließe die gegen die Klägerin angeordnete Quarantäne den Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aus. Darüber hinaus habe die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit auch nicht verschuldet. Dies setze einen groben Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen voraus. Dies entspreche nicht der Wertung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG (Infektionsschutzgesetz). Jedenfalls dann, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet nicht deutlich über den Inzidenzwerten des Wohn- und Arbeitsortes liegen, verstoße der Arbeitnehmer nicht in grober Weise gegen sein Eigeninteresse. Die Reise in das Hochrisikogebiet gehe in diesen Fällen nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 561,04 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2022 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 561,04 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entgeltfortzahlungsanspruch.

Die am …1970 geborene, verheiratete und noch einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit dem 1.8.2018 bei der Beklagten als Arzthelferin beschäftigt. Das Bruttomonatsgehalt beträgt 1402,60 EUR zzgl. vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers iHv 30,00 EUR bei 20 Wochenarbeitsstunden.

Die Klägerin war vom 22.1.2022 bis zum 4.2.2022 in der Dominikanischen Republik im Urlaub. Die Dominikanische Republik war durch das Robert-Koch-Institut seit dem 16.1.2022 als Hochrisikogebiet eingestuft. Die Inzidenzwerte lagen am Abflugtag in der Dominikanischen Republik bei 377,7 und in der Bundesrepublik Deutschland bei 878,9. Am 10.2.2022 lag der Wert der Dominikanischen Republik bei 72,5 und in Deutschland bei 1465,4. Die Klägerin hat die Corona-Schutzimpfungen am 26.2.2021, 7.5.2021 und 24.11.2021 durchführen lassen.

Am 7.2.2022 teilte die Klägerin mit einer WhatsApp-Nachricht an die Praxismanagerin der Beklagten mit, am 5.2.2022 in einem Testzentrum positiv auf das SARS-CoV- 2-Virus getestet worden zu sein und sich für sieben Tage in Quarantäne zu befinden. Zusätzlich fragte sie unter anderem, ob sie sich wegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit ihrem Hausarzt in Verbindung setzen müsse. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der WhatsApp-Nachricht wird auf die Anlage B 2 (Bl.38 d. A.) Bezug genommen. Am 7.2.2022 telefonierte sie zudem mit dem Gesellschafter der Beklagten Dr. G.. Diesem sagte die Klägerin, dass es ihr ganz gut gehe. Die Klägerin war mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Sie reichte bei der Beklagten eine am 7.2.2022 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 17.2.2022 ein (Anlage K 6, Bl.14 d. A.). Nachträglich wurde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 16.2.2022 auf die Zeit bis zum 16.2.2022 korrigiert (Anlage K 9, Bl. 48 d. A.). Für den Monat Februar 2022 rechnete die Beklagte nur 794,81 EUR brutto ab und behandelte den Zeitraum vom 7.2.2022 bis 17.2.2022 als „unbezahlten Urlaub“ (Anlage K 5, Bl.13 d. A.). Nachträglich zahlte die Beklagte im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits für den 17.2.2022, an dem die Klägerin wieder gearbeitet hatte, 46,75 EUR brutto.

Die Klägerin behauptet, sie sei im Zeitraum vom 7.2.20022 bis zum 16.2.2022 ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7.2.2022 arbeitsunfähig krank gewesen. Die ersten Symptome hätten sich am 5.2.2022 eingestellt. Sie habe an Schnupfen, Halsschmerzen und Kurzatmigkeit gelitten. Die Klägerin meint, es stehe ihr für den Zeitraum ihrer Arbeitsunfähigkeit ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 561,04 EUR brutto zu zahlen nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin aufgrund ihrer Corona-Infektion an Symptomen gelitten hat und arbeitsunfähig war. Für Fälle der symptomlosen Infizierung sei grundsätzlich die Quarantäne und der Ersatzanspruch nach § 56 IfSG vorgesehen. Im Übrigen hätte die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt. Dies folge aus der Wertung des § 56 IfSG. Danach stehe ein Entschädigungsanspruch nicht zu, wenn durch nicht Antritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet eine Absonderung hätte vermieden werden können. Die Klägerin sei bewusst das Risiko einer Infizierung eingegangen.

In Höhe der im Laufe des Rechtsstreits gezahlten weiteren 46,75 EUR brutto hat die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 8.4.2022 für erledigt erklärt. Die Beklagte hat dieser Teilerledigungserklärung nicht widersprochen.

Die Klage ist der Beklagten am 11.3.2022 zugestellt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Der Klägerin steht gemäß §§ 3 Abs. 1 S.1, 4 EFZG für den Zeitraum vom 7.2.2022 bis zum 16.2.2022 ein Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe von 561,04 EUR brutto zu. Gemäß § 3 Abs. 1 S.1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend für den vorstehend genannten Zeitraum erfüllt.

1. Die Klägerin war arbeitsunfähig.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin an zur Arbeitsunfähigkeit führenden Symptomen der Corona-Infektion litt. Auch eine symptomlose Infektion mit einem Krankheitserreger führt zu einer einen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösenden Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsleistung nicht im Homeoffice erbracht werden kann. Dem Arbeitnehmer ist es objektiv nicht zumutbar, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, wenn er andere in Gefahr bringt, ebenfalls zu erkranken (Erfurter Kommentar, 22. Aufl. 2022, EFZG § 3 Rn. 10; Vogelsang in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, § 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Rn. 43; Schaub ArbR-HdB, § 98. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Rn. 14; a. A. Schmitt EFZG/Schmitt, 8. Aufl. 2018, EFZG § 3 Rn. 69; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137 (1138). Eine Krankheit kann im Übrigen auch allein deshalb zur Arbeitsunfähigkeit führen, weil der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort (Wohnung, Krankenhaus, Reha-Einrichtung) nicht mehr verlassen kann (MüKoBGB/Müller-Glöge, 8. Aufl. 2020, EFZG § 3 Rn. 11). Danach ist die Klägerin, die ihre Tätigkeit einer Arzthelferin nicht im Homeoffice erbringen kann, allein aufgrund ihrer Infektion als arbeitsunfähig anzusehen.

Selbst aber unter Zugrundelegung der Auffassung, nur beim Vorliegen von Krankheitssymptomen sei eine Arbeitsunfähigkeit möglich, wäre vorliegend eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin anzunehmen. Aufgrund der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist davon auszugehen, dass die Klägerin arbeitsunfähig war. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet zwar keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer 5 Ca 229 f/22 seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers mit der Folge begründen, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Dabei dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BAG Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21 -, Rn.11-15, juris; Erfurter Kommentar, 22. Aufl. 2022, EFZG § 5 Rn. 14).

Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist es der Beklagten nicht gelungen, die Indizwirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Die Klägerin war unstreitig positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Damit besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt war, Symptome entwickelt hat. Dass die Klägerin gegenüber dem Gesellschafter der Beklagten gesagt hat, es gehe ihr gut, begründet keinen ernsthaften Zweifel an der ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Diese Äußerung ist vor dem Hintergrund der Pandemie und der vielen schweren Verläufe der Infektion nicht zwingend dahingehend zu verstehen, es lägen gar keine Symptome vor. Die Klägerin hat in ihrer WhatsApp-Nachricht zudem Symptome erwähnt („auch mit evtl. noch Symptomen?).

2. Die Klägerin war auch aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert. Die gegen die Klägerin angeordnete Quarantäne schließt den Anspruch aus § 3 Abs. 1 S.1 EFZG nicht aus.

a) Zwar muss die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache (Monokausalität) für die Arbeitsverhinderung sein. Der Arbeitgeber wird mit dem Entgelt ohne Gegenleistung nur belastet, wenn der AN ohne Erkrankung gearbeitet hätte. Das ist nicht der Fall, wenn die Arbeit zumindest auch aus einem anderen Grund nicht geleistet worden ist (BAG Urt. v. 28.1.2004 – 5AZR 58/03 -, Rn. 90, juris). Die Quarantäne-Anordnung ist jedoch kein die Monokausalität ausschließender Hinderungsgrund, da sie im Fall einer mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Person eine Folge der Infektion und kein weiterer selbständiger Umstand ist, der einen Grund für die Arbeitsverhinderung bildet (vgl. BAG Urt. v. 26.4.1978 – 5 AZR 7/77 -, Rn. 11, juris; Erfurter Kommentar, 22. Aufl., EFZG § 3 Rn. 19; vgl. Schmitt EFZG/Schmitt, 8. Aufl. 2018, EFZG § 3 Rn. 94).

b) Im Übrigen wäre, selbst wenn entgegen der vorstehenden Entscheidungsgründe die Voraussetzung der Monokausalität im Grundsatz zu verneinen wäre, ein Anspruch aus § 3 EFZG gegeben. Aus den Wertungen des § 56 IfSG folgt, dass die Absonderung nach dem IfSG im Falle der Arbeitsunfähigkeit, nicht die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs verhindert. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG erhält die Person, die auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 S. 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt das Gleiche ebenso für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden. Dieser Anspruch setzt bereits seinem Wortlaut nach voraus, dass die betroffene Person einen Verdienstausfall erleidet, mithin aufgrund des angeordneten Verbotes in der Ausübung der bisherigen Erwerbstätigkeit (Satz 1) oder aufgrund der Absonderung (Satz 2) keine Vergütung erhält. Der Anspruch soll bereits seinem Wortlaut nach nur subsidiär eingreifen, wenn der Verdienst kausal aufgrund der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen entfällt (ArbG Aachen Urt. v. 11.3.2021 – 1 Ca 3196/20 -, Rn. 47, juris). Dem Vorrang des Entgeltfortzahlungsanspruchs entspricht es zudem, dass der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG im Fall der Absonderung nur für „Ausscheider“, „Ansteckungsverdächtige“ und „Krankheitsverdächtige“ geregelt wurde, nicht hingegen für „Kranke“, denen gegenüber die Maßnahmen nach § 28 ff. IfSGebenso angeordnet werden können (ArbG Aachen Urt. vom 11.3.2021 – 1 Ca 3196/20 -, Rn. 49, juris). „Krank“ im Sinne von § 2Nr. 4 IfSG ist eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist. Das bedeutet, dass die Person, die in der jetzigen Zeit an COVID-19 erkrankt ist und der gegenüber aus diesem Grunde zugleich eine häusliche Quarantäne angeordnet wird, nicht unter die Regelung des § 56 Abs. 1 IfSG fällt und keine Entschädigung erhält (ArbG Aachen Urt. v. 11.3.2021 – 1 Ca 3196/20 -, Rn. 50, juris; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137 (1139)). Außerdem wäre die Regelung in § 56 Abs. 7 IfSG überflüssig, würde man von einem generellen Vorrang des Entschädigungsanspruchs und einem Ausschluss des Anspruchs nach § 3 Abs. 1EFZG ausgehen. Denn in diesem Fall bliebe der Entschädigungsanspruch auch ohne eine solche ausdrückliche Regelung im Fall einer nachträglich eintretenden Arbeitsunfähigkeit bestehen. Der Vorrang des Entgeltfortzahlungsanspruchs entspricht auch dem Zweck des § 56 IfSG. Derjenige, der zu Gunsten der Allgemeinheit und zu dem in § 1 IfSG ausdrücklich genannten Zweck, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern, von infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen betroffen ist und der hierdurch einen Verdienstausfall erleidet, der soll auf Kosten der Allgemeinheit eine Entschädigung erhalten. Der Blick ist damit auf den Einzelnen gerichtet. Ihn soll hierdurch keine materielle Not treffen. Zweck der Regelung ist es hingegen nicht, den ansonsten nach § 3 EFZG zahlungspflichtigen Arbeitgeber zu entlasten (ArbG Aachen Urt. v. 11.3.2021 – 1 Ca 3196/20 -, Rn. 71, juris; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137 (1139)). Danach wäre vorliegend zwingend von der erforderlichen Kausalität zwischen Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit auszugehen

3. Die Klägerin hat ihre Arbeitsunfähigkeit nicht iSd § 3 EFZG verschuldet. Bei dem Verschulden iSv § 3 Abs. 1 S.1 EFZG handelt es sich nicht um ein Verschulden iSv § 276 BGB, der das Maß an Verhaltensanforderungen des Schuldners gegenüber Dritten bestimmt. Dagegen betrifft das Entstehen einer Krankheit und/oder die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit die Person des Arbeitnehmers selbst. Es gilt deshalb festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts handelt nach der zu den inhaltsgleichen Vorgängerregelungen ergangenen Rechtsprechung deshalb nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Dabei ist – anders als bei der Haftung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach § 277 BGB – von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten (BAG

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit nicht verschuldet. Entgegen der Auffassung der Beklagten und entgegen der Auffassung einiger Stimmen in der Literatur (Erfurter Kommentar/Reinhard, 22. Aufl. 2022, EFZG § 3Rn.26; Sagan/Brockfeld NJW 2020, 1112 (1113)) kann die Wertung des § 56 Abs. 1 S.4 IfSG nicht gleichgesetzt werden mit einem groben Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen. Diesbezüglich ist zunächst darauf zu verweisen, dass § 56 Abs. 1 S.4 IfSG den Grundsatz von Treu und Glauben konkretisiert (BT-Drs. 19/23944, 34), während das Verschulden nach § 3 Abs. 1 S.1 EFZG den Verstoß gegen das Eigeninteresse betrifft. Das Verschulden iSd § 3 Abs. 1 S.1 EFZG beinhaltet gerade nicht den Gedanken, dass es unbillig wäre, dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer selbst verschuldete Entgeltfortzahlungskosten aufzubürden (BAG Urt. v. 18.3.2015 – 10 AZR 99/14 -, BAGE 151, 159-169, Rn. 15).

Vorliegend stellt der Reiseantritt der Klägerin keinen groben Verstoß gegen ihr Eigeninteresse da, weil die Inzidenz in der Dominikanischen Republik zum Reisezeitpunkt deutlich niedriger war als die Inzidenz der Bundesrepublik Deutschland. Jedenfalls dann, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet nicht deutlich über den Inzidenzwerten des Wohn- und Arbeitsortes bzw. der Bundesrepublik Deutschland liegen, verstößt der Arbeitnehmer nicht in grober Weise gegen das Eigeninteresse. Andernfalls käme es zu einer nicht begründbaren Schlechterstellung des Reiserückkehrers aus einem Risikogebiet mit arbeitsunfähig Erkrankten, die sich am Wohn- oder Arbeitsort, beispielsweise bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, infiziert haben bzw. die sich während einer Urlaubsreise im eigenen Land angesteckt haben. Die Reise in das Risikogebiet ginge in diesen Fällen nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus (Fuhlrott/Fischer, NZA 2020, 345 (347); Beden, NZA 2021, 917 (919 f.).

4. In der Rechtsfolge kann die Klägerin Entgeltfortzahlung in der Höhe beanspruchen, in der sie im Arbeitsunfähigkeitszeitraum mit ihrer Arbeitsleistung einen Vergütungsanspruch erworben hätte. Vorliegend beliefe sich dieser Vergütungsanspruch ausgehend von 20 Arbeitstagen im Februar 2022 und acht Tagen Arbeitsunfähigkeit auf unstreitig 561,04 EUR brutto.

5. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB iVm § 288 Abs. 1 S.2 BGB. Die Klage ist aufgrund der Zustellung am 11.3.2022 seit diesem Tag rechtshängig. Die Zinspflicht setzt damit entsprechend § 187 Abs. 1 BGB ab dem 12.3.2022 ein.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm §§ 91 Abs. 1, 91 a Abs. 1 ZPO

III. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG.

IV. Die Berufung wird gemäß § 64 Abs. 3 Nr.1 ArbGG gesondert zugelassen. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die Beantwortung einer Rechtsfrage zweifelhaft ist (GMP/Schleusener, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 64 Rn. 20). Dies ist vorliegend der Fall. Zu der hier streitigen Frage des Verhältnisses von Ansprüchen nach § 3 Abs. 1 EFZG und § 56 IfSG liegt eine höchstrichterliche Entscheidung nicht vor.



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