Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 7 Sa 186/12

Außerordentliche Kündigung - Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit

Im Rahmen der Kündigungsschutzklage obliegt dem Arbeitgeber die volle Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 626 BGB (hier: Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit).
Ohne konkrete Hinweise darauf, dass ein Attest falsch ist, kann ein Sachverständigengutachten nicht eingeholt werden, da es sich sonst um eine unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt.
Es erscheint nicht als ausgeschlossen, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer schriftlichen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses (von ihrer Seite) im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen (Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen, Weinkrämpfe) erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 09. Februar 2012 - 3 Ca 440/11 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Beklagte betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei und beschäftigte die Klägerin als Rechtsanwaltsfachangestellte seit dem 01. August 2011 auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 25. Juli 2011 (Bl. 4 d.A.) im wöchentlichen Umfang von 16 Stunden bei einer monatlichen Vergütung von 800,00 € brutto zzgl. 80,00 € Fahrtkostenpauschale.

Am Morgen des 14. November 2011 übergab die Klägerin dem Beklagten eine schriftliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2011. Der Beklagte fragte sie, ob sie bereit sei, unter Abgeltung des noch offenen Urlaubsanspruchs bis zum 30. November 2011 zu arbeiten. Die Antwort der Klägerin ist streitig. Nach diesem Gespräch verließ der Beklagte die Kanzlei wegen auswärtiger Termine. Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass die Klägerin die in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände (Monitor, Funkmaus und Kaffeemaschine) aus den Büroräumen entfernt hatte.

Am 15. November 2011 ging beim Beklagten eine am 14. November 2011 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin ein. Die Klägerin war im Anschluss daran bis zum 30. November 2011 krankgeschrieben.

Mit Schreiben vom 15. November 2011, wegen dessen Inhalt auf Bl. 5 d.A. verwiesen wird, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis seinerseits außerordentlich. Er begründete dies damit, dass die Klägerin an diesem Tag unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei und die Gerichtsakte für einen auswärtigen Termin des Beklagten nicht herausgelegt habe.

Mit der am 24. November 2011 eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung, die sie für unbegründet hält. Soweit die Klägerin darüber hinaus Zahlungsanträge angekündigt hat, hat das Arbeitsgericht die Klage abgetrennt und als eigenes Verfahren weitergeführt. Einen allgemeinen Feststellungsantrag hat die Klägerin zurückgenommen.

Der Beklagte hat behauptet, das vorgelegte Attest sei ein Gefälligkeitsattest. Die Klägerin sei nicht krank gewesen, sondern habe die Krankheit vorgetäuscht.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl 36R, 37 d.A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies damit begründet, dass der Beklagte den angegebenen Kündigungsgrund, nämlich das Vortäuschen einer Krankheit nicht bewiesen, insbesondere den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert oder gar entkräftet habe. Sein Sachvortrag beschränke sich auf Mutmaßungen und allgemeine Darlegungen im Hinblick auf ein möglicherweise auch kurzfristiges Auftreten einer Krankheit. Es sei aber durchaus nicht abwegig, dass im Laufe eines Tages Arbeitsunfähigkeit auftritt, insbesondere nach Konfliktsituationen.

Gegen dieses Urteil vom 09. Februar 2012, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Beklagten.

Der Beklagte äußert die Auffassung, das Arbeitsgericht habe gegen seine Hinweispflicht verstoßen, indem es erst in den Urteilsgründen mitgeteilt habe, dass es seinen Beweisvortrag nicht für ausreichend erachte. Außerdem habe es durch die Ablehnung einer Schriftsatzfrist vereitelt, dass der Beklagte zu den beleidigenden Äußerungen im Schriftsatz der Klägerin vom 26. Januar 2012 noch Stellung nehmen konnte.

Er habe durch das Angebot eines medizinischen Fachgutachtens über die Arbeitsfähigkeit der Klägerin in zulässiger Weise Beweis für seine der Kündigung zu Grunde liegenden Behauptungen angeboten. Die Klägerin habe gegenbeweislich ihre Ärztin benannt. Diesen Beweisangeboten habe das Arbeitsgericht nachkommen müssen.

Das Arbeitsgericht habe auch fehlerhaft angenommen, dass die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert sei. Das Folgeverhalten der Klägerin zeige, dass sie tatsächlich nicht krank war, sondern bereits beim Ausspruch ihrer Kündigung beabsichtigte, sich ein Gefälligkeitsattest ausstellen zu lassen. Da sie ihm zugesagt habe, bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterzuarbeiten, habe es überhaupt keinen Sinn ergeben, dass sie ihre persönlichen Gegenstände mitnahm. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch nicht ahnen können, dass sie erkranken würde. Die von der Klägerin im Prozessverlauf hierfür abgegebenen Erklärungen seien nicht plausibel, da er nicht zu Wutausbrüchen neige. Nach ständiger Rechtsprechung komme es nach einer angekündigten Arbeitsunfähigkeit nicht darauf an, ob später tatsächlich Arbeitsunfähigkeit eintritt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 09. Februar 2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 10. April 2012 (Bl. 49 - 56 d.A.) und den weiteren Schriftsatz des Beklagten vom 28. September 2012 (Bl. 81 - 83 d.A.) sowie die Berufungsbeantwortung vom 01. Juni 2012 (Bl. 65 - 70 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die nach der Art des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten ist zulässig.

II. Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgender Ergänzung:

Der Beklagte geht fehl mit seiner Auffassung, das Arbeitsgericht hätte die angebotenen Beweise erheben und insbesondere ein Sachverständigengutachten über den Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitraum vom 14. bis 30. November 2011 einholen müssen. Ohne konkrete Hinweise darauf, dass das von der die Klägerin behandelnden Ärztin ausgestellte Attest falsch war, hätte ein solches Gutachten zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis geführt, da erst durch die zu ermittelnden Tatsachen der Vortrag des Beklagten hätte schlüssig werden können. Im Übrigen ist dem Arbeitsgericht dahingehend Recht zu geben, dass der Sachvortrag des Beklagten eben nicht geeignet ist, den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern oder gar zu entkräften. So erscheint es nicht als ausgeschlossen, ja nicht einmal als ungewöhnlich, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer schriftlichen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen der von der Klägerin beschriebenen Art (Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen, Weinkrämpfe) erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen. Zwar muss es sich dabei nicht um eine „Konfliktsituation“ gehandelt haben, die das Arbeitsgericht in den Urteilsgründen erwähnt. Jedoch kann im Einzelfall auch die Kündigung selbst - auch wegen des im Anschluss daran geführten Gesprächs über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist - eine Situation darstellen, die zu einer Destabilisierung des kurz zuvor noch stabilen Gesundheitszustandes führen kann.

Dem widerspricht nicht die Tatsache, dass die Klägerin noch am Tage der Kündigungserklärung ihre persönlichen Gegenstände aus der Kanzlei entfernte. Dabei kann auch dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin geäußerten Befürchtungen hinsichtlich des weiteren Verhaltens des Beklagten gerechtfertigt oder übertrieben waren. Denn dieses Verhalten ist nicht gleichzusetzen mit dem Verhalten der Arbeitnehmer in den vom Beklagten herangezogenen Fällen (BAG Urteil vom 12. März 2009 - 2 AZR 251/07 - NZA 2009, 779-783; LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 Sa 63/11 - NZA-RR 2012, 185-186). In beiden Fällen hatten die Arbeitnehmer nämlich eine Arbeitsunfähigkeit für den Fall angekündigt, dass der Arbeitgeber nicht das gewünschte Verhalten (Genehmigung des Urlaubsgesuchs) zeigen würde. Ein damit vergleichbares Verhalten hat die Klägerin gerade nicht an den Tag gelegt. Sie hat weder vom Beklagten die Freistellung für den Rest des Arbeitsverhältnisses verlangt noch für den Fall der Ablehnung dieses Begehrens angekündigt, sie werde sich krankschreiben lassen.

Angesichts der Tatsache, dass - anders als bei der Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - im Rahmen der Kündigungsschutzklage dem Arbeitgeber die volle Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 626 BGB obliegt, war die Berufung zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.



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