Verwaltungsgericht Koblenz

Urteil vom - Az: 3 K 107/21.KO

Bei Corona-Quarantäne muss Arbeitgeber Lohnfortzahlung tragen

Ein Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz, sofern sein Arbeitnehmer während einer vierzehntägigen Quarantäneanordnung gegen ihn einen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB hat.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Entschädigungszahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG –).

Die Klägerin betreibt unter dem Namen „A***“ eine Bäckereikette mit ca. *** Bäckereifilialen in [***] sowie etwa *** Mitarbeitern. Ausweislich der Lohn- und Gehaltsabrechnung vom 03. April 2020 ist bei der Klägerin seit dem 15. August 2017 Frau B*** als Arbeitnehmerin beschäftigt.

Aufgrund einer infektionsschutzrechtlichen Anordnung nach § 30 IfSG im Bescheid der Kreisverwaltung des Rhein-Hunsrück-Kreises vom 18. März 2020 befand sich die als ansteckungsverdächtig eingestufte Frau B*** vom 15. bis zum 29. März 2020 in häuslicher Absonderung.

Unter dem 09. April 2020 beantragte die Klägerin beim Beklagten gemäß § 56 IfSG die Erstattung von Entschädigungszahlungen in Höhe von 542,43 € brutto, die sie an Frau B*** während der Absonderungszeit für deren Verdienstausfall geleistet habe.

Mit Bescheid vom 05. Januar 2021 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 20. bis zum 29. März 2020 eine Erstattung der an Frau B*** geleisteten Entschädigungszahlungen gemäß § 56 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 IfSG in Höhe von 254,65 € und von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 57 IfSG in Höhe von 152,18 €, mithin eine Erstattung von insgesamt 406,83 €. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG bestehe erst ab dem sechsten Tag der Absonderung des Arbeitnehmers. Für die ersten fünf Tage, d. h. vorliegend vom 15. bis zum 19. März 2020, bestehe der Anspruch demgegenüber nicht. Denn gemäß § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) habe der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Lohnfortzahlung, da es sich bei einer fünf Tage andauernden Absonderung um eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit handele. Dieser Anspruch gehe dem Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG vor, weil § 616 BGB arbeitsvertraglich nicht abbedungen worden sei.

Dagegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2021 Widerspruch und machte geltend, dass die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch vorlägen. Der Anspruch nach § 616 BGB sei im Verhältnis zu § 56 Abs. 1 IfSG nicht vorrangig, sondern stelle vielmehr einen Auffangtatbestand dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2021 wies der Beklagte den Widerspruch mit folgender Begründung zurück: Ein Entschädigungsanspruch setze gemäß § 56 Abs. 1 IfSG einen Verdienstausfall des Arbeitnehmers voraus, der aber dann nicht gegeben sei, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Lohnfortzahlung nach § 616 BGB habe. Die angeordnete Absonderung eines Arbeitnehmers stelle ein subjektives Leistungshindernis dar, welches nach § 616 BGB den Lohnfortzahlungsanspruch begründe. Aber selbst wenn aufgrund der Vielzahl der während der Corona-Pandemie ergangenen Absonderungsanordnungen ein Vergleich mit einer Naturkatastrophe zu ziehen sei und daher bloß ein objektives Leistungshindernis angenommen werden könne, müsse hier ausnahmsweise zugunsten der Arbeitnehmer ein Anspruch nach § 616 BGB bestehen. Daher sei der vorgenommene Abzug des aufgrund des Lohnfortzahlungsanspruchs vom Arbeitgeber vorrangig zu gewährenden Verdienstes gerechtfertigt. Die Entschädigungsregelung des § 56 IfSG stelle eine reine Billigkeitsentschädigung dar, die nicht geschaffen worden sei, um die Arbeitgeber zu entlasten.

Mit ihrer am 06. Februar 2021 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie ergänzend zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren vor, es habe während der gesamten Dauer der angeordneten vierzehntägigen Absonderung von Frau B*** ein Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG vorgelegen. Denn diese habe keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 616 Satz 1 BGB, weil eine Verhinderung von verhältnismäßig nicht erheblicher Zeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowie der überwiegend im Schrifttum vertreten Auffassung nur für wenige Tage, nicht mehr aber bei einer Quarantänedauer von zehn bis vierzehn Tagen angenommen werden könne. Da die Verhinderung ihrer Arbeitnehmerin während der Quarantänedauer somit eine nicht mehr verhältnismäßig unerhebliche Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB darstelle, entfalle der Anspruch aus dieser Rechtsgrundlage vollständig, sodass der Anwendungsbereich des § 56 Abs. 1 IfSG eröffnet sei. Im Übrigen habe der Beklagte in Bezug auf eine andere Arbeitnehmerin auf die Anwendung von § 616 BGB verzichtet und dem Erstattungsantrag ohne Abzüge entsprochen, sodass er seine Rechtsauffassung geändert habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 05. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2021 zu verpflichten, ihr eine weitere Erstattung von 135,60 € zu bewilligen sowie Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist er darauf hin, dass mit der Entschädigungsregelung kein Schadensersatz zugunsten der Arbeitgeber bezweckt sei, sondern der Schutz Betroffener vor materieller Not. Der Arbeitgeber trage das allgemeine Betriebsrisiko. Davon umfasst seien neben Fehlzeiten aufgrund von Krankheit der Arbeitnehmer auch solche aufgrund von Absonderungsanordnungen während einer Pandemie. Dass in Bezug auf eine andere Arbeitnehmerin der Klägerin die Erstattung in voller Höhe gewährt worden sei, sei allein dem Umstand geschuldet, dass die Klägerin bei der Antragstellung im dortigen Fall angegeben habe, bezüglich dieser Mitarbeitern die Lohnfortzahlung nach § 616 BGB arbeitsvertraglich abbedungen zu haben. Dies sei hier jedoch nicht geschehen.

Mit Schreiben vom 17. und 22. März 2021 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, hat keinen Erfolg.

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 68 Abs. 1 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG –) eröffnet und das angerufene Gericht ist gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 1. Variante und Satz 5 VwGO örtlich zuständig.

Die auch im Übrigen zulässige Klage ist als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Denn bei einer verständigen Würdigung des Begehrens der Klägerin gemäß § 88 VwGO zielt ihr Antrag in Bezug auf die begehrten Erstattungszahlungen auf den Erlass eines konkret bezifferten Leistungsbescheids ab (vgl. auch Kümper, in: Kießling, Infektionsschutzgesetz, 1. Auflage 2020, § 68 Rn. 4 m. w. N.). Darüber hinaus ist hinsichtlich der von der Klägerin in entsprechender Anwendung von § 291 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) außerdem begehrten Prozesszinsen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Rechtshängigkeit einer Geldschuld im Sinne von § 291 Satz 1 BGB im öffentlichen Recht nicht nur bei Klagen auf Verurteilung zur Zahlung einer bezifferten Geldforderung eintritt, sondern auch bei Klagen, die auf Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines die Zahlung einer bestimmten Geldforderung unmittelbar auslösenden Verwaltungsakts gerichtet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1995 – 11 C 22.94 –, juris, Rn. 10 m. w. N.). Von daher ist der hier angekündigte, auf Zahlung gerichtete Leistungsantrag entsprechend als Verpflichtungsantrag auszulegen.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 05. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2021 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf weitere Erstattung von Entschädigungszahlungen und von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 135,60 € (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrten Erstattungszahlungen infolge einer behördlich angeordneten Absonderung ihrer als ansteckungsverdächtig eingestuften Arbeitnehmerin, Frau B***, kommen im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren allein die § 56 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Satz 3, § 57 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz IfSG in Betracht. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld unter anderem, wer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ansteckungsverdächtiger nach § 30 IfSG abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Abs. 8 Satz 1 Nummer 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung absondert. Diese Entschädigung hat der Arbeitgeber dem abgesonderten Arbeitnehmer für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, für die zuständige Behörde auszuzahlen, § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber gemäß § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG auf Antrag von dem Land erstattet, in dem das Absonderungsgebot angeordnet oder erlassen wurde oder in dem die Absonderung auf Grund einer nach § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung vorgenommen wurde, § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG. Da für abgesonderte Personen gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 IfSG die Sozialversicherungspflicht fortbesteht, hat das Land dem Arbeitgeber auf Antrag auch die Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, sofern dieser für das Land gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG die Entschädigung ausgezahlt hat, § 57 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz und Abs. 2 Satz 2 IfSG.

Die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlagen liegen indes nicht vor. Diese verlangen für einen Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung von geleisteten Entschädigungszahlungen und von Sozialversicherungsbeiträgen ausweislich des gesetzlichen Wortlauts einen Verdienstausfall des abgesonderten Arbeitnehmers. Die in der Zeit vom 15. bis 29. März 2020 abgesonderte Arbeitnehmerin der Klägerin, Frau B***, hat während ihrer Absonderung jedoch keinen Verdienstausfall erlitten.

Unter welchen Voraussetzungen ein Verdienstausfall dem Grunde nach anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber im Infektionsschutzgesetz nicht näher definiert. Ein Verdienstausfall liegt aber jedenfalls nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer trotz seiner Verhinderung an der Ausübung seiner Tätigkeit gegen seinen Arbeitgeber ein Lohnfortzahlungsanspruch zusteht. Ein solcher Lohnfortzahlungsanspruch kann sich grundsätzlich unter anderem aus § 616 Satz 1 BGB ergeben (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 – und vom 01. Februar 1979 – III ZR 88/77 –, jeweils zitiert nach juris zur Vorgängervorschrift des § 56 Abs. 1 IfSG im Bundesseuchengesetz, das zum 01. Januar 2001 durch das IfSG ersetzt wurde; LG Münster, Urteil vom 15. April 2021 – 8 O 345/20 –, juris). Dies ist vorliegend der Fall. Der Arbeitnehmerin der Klägerin, Frau B***, stand während der Zeit ihrer Absonderung vom 15. bis zum 29. März 2020 gegen die Klägerin ein Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 Satz 1 BGB zu.

Zunächst ergibt sich weder aus den vorgelegten Unterlagen noch aus dem Vorbringen der Klägerin, dass in dem mit Frau B*** geschlossenen Arbeitsvertrag der Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 Satz 1 BGB abbedungen wurde. Von daher ist die Anwendbarkeit von § 616 Satz 1 BGB mangels sonstiger entgegenstehender Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht von vornherein ausgeschlossen. Auch liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung vor.

Danach wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Erfasst werden angesichts des Wortlauts „einen in seiner Person liegenden Grund“ nur subjektive Leistungshindernisse. Sie brauchen nicht auf den persönlichen Eigenschaften des Arbeitnehmers beruhen. Ausreichend ist, wenn sie sich aus seinen persönlichen Verhältnissen bzw. Lebensumständen ergeben (Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616, Rn. 19). Nicht erfasst sind demgegenüber objektive Leistungshindernisse, die betriebsbezogen sind und sich auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern beziehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1978, a. a. O.).

Gemessen daran handelt es sich bei der behördlichen Absonderungsanordnung, die aufgrund eines Ansteckungsverdachts der Arbeitnehmerin der Klägerin ergangen ist, um ein subjektives Leistungshindernis. Zwar besteht während einer Pandemie die nicht fernliegende Wahrscheinlichkeit, „Coronaansteckungsverdächtig“ und in der Folge abgesondert zu werden, für eine Vielzahl von Personen. Zudem zielt die Absonderung auf den Schutz der Allgemeinheit ab. Dies allein genügt für die Annahme eines objektiven Leistungshindernisses jedoch nicht. Andernfalls bestünde während einer Pandemie, die schwankende Infektionszahlen und unterschiedlich stark durchseuchte Gebiete mit sich bringen kann, erhebliche Rechtsunsicherheit, in welchem Gebiet und bei welchen Infektionszahlen wegen hoher Wahrscheinlichkeit, als ansteckungsverdächtig eingestuft zu werden, die Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung von einem subjektiven zu einem objektiven Leistungshindernis wird. Für die Abgrenzung zwischen subjektivem und objektivem Leistungshindernis kommt es daher nicht auf den Grund für die Absonderung, sondern den Grund für das Arbeitshindernis an. Letzteres ist im Falle einer Absonderungsanordnung in der Person des abgesonderten Arbeitnehmers begründet. Allein aufgrund der in seiner Person bestehenden Gefahr, wegen des vorherigen Kontakts zu einer nachgewiesenermaßen infizierten Person ansteckungsverdächtig zu sein, besteht das Arbeitshindernis (so auch BGH, Urteil vom 30. November 1978, a. a. O.; LG Hannover, Urteil vom 05. Mai 1976 – 11 S 370/75 –, NJW 1976, 2306 ff.; Hohenstatt/Krois, NZA 2020, 413 (414 f.), m. w. N.; Henssler, a. a. O., Rn. 25; Eufinger, DB 2020, 1121 (1123); Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 (1467f.); Eckart/Kruse, in: Beck’scher Online-Kommentar, Infektionsschutzrecht, Stand: 01. Mai 2021, § 56, Rn. 36 ff.; a. A. Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017 (1019) und Kraayvanger/Schrader, NZA-RR 2020, 623 (626)).

Darüber hinaus stellt die aufgrund der Absonderung eingetretene Dauer der Arbeitsverhinderung der Arbeitnehmerin der Klägerin von vierzehn Tagen noch eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB dar.

Wie der unbestimmte Rechtsbegriff der „verhältnismäßig nicht erhebliche[n] Zeit“ zu konkretisieren ist, ist umstritten. Aus dem Wortlaut des § 616 Satz 1 BGB „verhältnismäßig“ folgt zunächst, dass eine Festlegung auf eine feste Tageszahl wegen der Verschiedenartigkeit der in Betracht kommenden Sachverhalte nicht möglich ist (vgl. Motive, Band II, § 562 BGB, Seite 464). Im Schrifttum wird zur Bestimmung der nicht erheblichen Zeit überwiegend vertreten, dass die Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses zur Dauer der Arbeitsverhinderung ins Verhältnis zu setzen ist (vgl. Henssler, a. a. O., Rn. 66, m. w. N.). Daher werden bei langjährigen Arbeits- bzw. Dienstverhältnissen selbst größere Zeiträume noch als unerheblich angesehen. Andererseits wird eine ereignisbezogene Festlegung der Erheblichkeit der Verhinderungszeit anhand der Art des Leistungshindernisses für vorzugswürdig erachtet (so Henssler, a. a. O., Rn. 68 m. w. N.; Rieble, in: Staudinger/Oetker, BGB, Neubearbeitung 2019, § 616 Rn. 101, m. w. N.). Bei dieser ereignisbezogenen Betrachtung wird die Erheblichkeit der Verhinderungszeit allein nach dem zur Arbeitsverhinderung führenden Grund sowie danach beurteilt, ob der Arbeitgeber erfahrungsgemäß mit einer derartigen Nichtleistung über einen bestimmten Zeitraum rechnen konnte. Danach sei § 616 Satz 1 BGB auf Anlässe zu begrenzen, die lediglich wenige Tage andauerten, wobei die nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz für erkrankte Arbeitnehmer geltende Sechs-Wochen-Frist grundsätzlich nicht als Maßstab herangezogen werden könne (Rieble, a. a. O., Rn. 102).

Eine absolute Höchstgrenze sah demgegenüber § 616 BGB in der Fassung vom 28. August 1975 für bestimmte Fälle vor. Nach der Regelung im damaligen Absatz 2 Satz 2, die nunmehr ihren Niederschlag im Entgeltfortzahlungsgesetz gefunden hat, galt bei Angestellten für den Krankheitsfall sowie für die Fälle der Sterilisation und des Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt eine Zeit von sechs Wochen als verhältnismäßig nicht erheblich, wenn nicht durch Tarifvertrag eine andere Dauer bestimmt war. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1978 im Falle eines sechs Wochen andauernden Tätigkeitsverbots nach dem seinerzeit geltenden Bundesseuchengesetz entschieden, dass als nicht erhebliche Zeitspanne zwar nur wenige Tage in Betracht kämen, das der Entscheidung zugrunde liegende sechswöchige Tätigkeitsverbot in Anlehnung an die für Erkrankungen geltende Sechs-Wochen-Frist aber jedenfalls bei einem länger andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich als Grenze einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit anzusehen sei (Urteil vom 30. November 1978, a. a. O.). Dies hat der Bundesgerichtshof damit begründet, dass die Arbeitsverhinderung eines von einem seuchenrechtlichen Tätigkeitsverbot betroffenen Ausscheiders ihrem Wesen nach einer Verhinderung durch Krankheit nahekomme. Neben einer maximalen Verhinderungsdauer von sechs Wochen berücksichtigt der Bundesgerichtshof für die Beurteilung, ob die Verhinderung nicht erheblich ist, zudem die Eigenart der Verhinderung sowie die Eigenart und Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses. Auch das Bundesarbeitsgericht hält eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers für nur wenige Tage für gegeben und zieht die absolute Höchstgrenze einer als nicht erheblich geltenden Verhinderung bei sechs Wochen (BAG, Urteil vom 20. Juli 1977 – 5 AZR 325/76 –, juris, Rn. 12).

Unter Berücksichtigung aller vorgenannten Erwägungen gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass bei der Beurteilung, ob es sich bei einer vierzehntägigen Arbeitsverhinderung infolge der Absonderung um eine nicht verhältnismäßige Zeit handelt, angesichts des gesetzlichen Wortlauts „verhältnismäßig“ in erster Linie das Verhältnis zwischen Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses und Dauer der Arbeitsverhinderung maßgeblich ist. Dabei erachtet die Kammer jedenfalls bei einer Beschäftigungsdauer von mindestens einem Jahr grundsätzlich eine höchstens vierzehn Tage andauernde Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung noch als nicht erhebliche Zeit im Sinne des § 616 Satz 1 BGB (so auch Klappstein, in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Auflage 2021, § 616, Rn. 17 m. w. N.; Riesenhuber, in: Ermann, BGB Kommentar, 16. Auflage 2020, § 616, Rn. 51 m. w. N.; Oetker,a. a. O.,Rn.106m. w. N.;BGH,Urteil vom 30. November 1978,a. a. O.; LG Hannover, Urteil vom 05. Mai 1976, a. a. O.; wohl auch Eufinger, DB 2020, 1121 ff.; a. A. LG Münster, Urteil vom 15. April 2021 – 8 O 345/20 –, juris, Rn. 26 zu § 56 IfSG; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 21. Auflage 2021, § 616 BGB, Rn. 10 ff.; Hohenstatt/Krois, a. a. O.; Stöß/Putzer, NJW 2020, 1465 ff.; Preis/Mazurek/Schmid, NZA 2020, 1137 ff.). In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob die aus dem Verhältnis zwischen der Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses und der Dauer der Arbeitsverhinderung ermittelte verhältnismäßig unerhebliche Verhinderungszeit aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls wie der Eigenart der Verhinderung oder des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses rechtlich anders zu beurteilen ist, etwa weil die arbeitnehmerseitige Verhinderung aufgrund ihrer Eigenart für den Arbeitgeber unvorhersehbar war.

Ausweislich der von der Klägerin beim Beklagten im Rahmen der Antragstellung vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnung vom 03. April 2020 ist die Arbeitnehmerin, Frau B***, bei der Klägerin bereits seit dem 15. August 2017 und damit deutlich länger als ein Jahr beschäftigt. Von daher überschreitet ihre zweiwöchige Verhinderung die Erheblichkeitsschwelle des § 616 Satz 1 BGB nicht.

Dieses Ergebnis bedarf vorliegend auch nicht aufgrund der Eigenart der Verhinderung und des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses einer Korrektur. Aus dem Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Mitarbeiterin sind keine Besonderheiten ersichtlich. Aber auch die Eigenart der Arbeitsverhinderung, die hier in der Absonderung aufgrund festgestellten Ansteckungsverdachts besteht, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Bereits der Bundesgerichtshof stellte, wie dargelegt, in Bezug auf Ausscheider – dies sind Personen, die Krankheitserreger ausscheiden und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein können, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein – fest, dass eine Arbeitsverhinderung solcher Personen einer Verhinderung von erkrankten Arbeitnehmern nahekommt. Nichts anderes gilt für Ansteckungsverdächtige, die infektionsschutzrechtlich mit Ausscheidern weitestgehend gleichgestellt werden. Der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes, welcher die Entschädigungsregelungen des davor geltenden Bundesseuchengesetzes im Wesentlichen übernommen hat (vgl. BT-Drucksache 14/2530, Seite 88), bezweckt mit der Entschädigung der von Tätigkeitsverboten oder Absonderungen betroffenen Ausscheidern, Ansteckungsverdächtigen, Krankheitsverdächtigen oder sonstigen Trägern von Krankheitserregern, diese Personen in finanzieller Hinsicht mit Kranken gleichzustellen (vgl. BT-Drucksache III/1888, Seite 27 zum Bundesseuchengesetz). Muss der Arbeitgeber bzw. Dienstberechtigte somit damit rechnen, im Falle der Krankheit seiner Arbeitnehmer bzw. Dienstverpflichteten mehrere Wochen Lohnfortzahlung gewähren zu müssen, ist für ihn das Risiko, auch im Falle eines Ansteckungsverdachts seiner Arbeitnehmer bzw. Dienstverpflichteten die Vergütung bei einem mindestens ein Jahr andauernden Beschäftigungsverhältnis für zwei Wochen weiterzahlen zu müssen, grundsätzlich kalkulierbar. Denn es kann vom bloßen Zufall abhängen, ob eine mit Krankheitserregern infizierte Person Symptome entwickelt und dadurch arbeitsunfähig erkrankt oder ob die Infektion symptomfrei verläuft und die Ausübung der Tätigkeit tatsächlich möglich bleibt. Eine Absonderungszeit von zwei Wochen erscheint auch nicht atypisch lang. Diese richtet sich regelmäßig nach der jeweiligen Inkubationszeit, die bei einigen Krankheitserregern nicht selten zwei Wochen bzw. beispielsweise bei einem grippalen Infekt zwei bis vierzehn Tage betragen kann. Zudem hat der Arbeitgeber bzw. Dienstberechtigte die Möglichkeit, § 616 Satz 1 BGB arbeitsvertraglich abzubedingen, um das Risiko einer Lohnfortzahlung im Falle von Absonderungen ausschließen zu können.

Gegen dieses Ergebnis sprechen auch nicht etwa teleologische Erwägungen. So wird der Anwendung von § 616 Satz 1 BGB auf zweiwöchige Absonderungen teilweise entgegengehalten, dass § 56 IfSG keinen eigenen Anwendungsbereich hätte, würde im Falle von regelmäßig zwei Wochen andauernden Absonderungen stets ein Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 BGB bestehen (so etwa Preis, a. a. O.). Dies überzeugt jedoch nicht. Denn es verbleibt ein eigenständiger Anwendungsbereich für von vornherein auf unter ein Jahr befristete Arbeits- bzw. Dienstverhältnisse bzw. für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse, die erst kürzer als ein Jahr andauern, sowie für Fälle, in denen der Lohnfortzahlungsanspruch gemäß § 616 Satz 1 arbeits- bzw. tarifvertraglich abbedungen worden ist. Darüber hinaus kommt § 56 Absätze 1 und 5 IfSG dann zum Tragen, wenn ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB nicht besteht, etwa weil die Absonderungszeit erheblich länger als zwei Wochen beträgt und das Beschäftigungsverhältnis im Verhältnis dazu nicht so lange andauert, dass die Verhinderungszeit noch als verhältnismäßig unerheblich angesehen werden kann. Teilweise wird die Anwendung von § 616 Satz 1 BGB während einer Pandemie zulasten des Arbeitgebers bzw. Dienstberechtigten zudem als unbillig empfunden (so etwa Eufinger, a. a. O.). Dieser Auffassung vermag sich die Kammer ebenfalls nicht anzuschließen. Hintergrund für die Gewährung der infektionsschutzrechtlichen Billigkeitsentschädigung zugunsten von Arbeitnehmern und Dienstberechtigten ist die Tatsache, dass Ausscheider bzw. Abgesonderte ohne Verschulden eine Gefährdung der Allgemeinheit darstellen und dass zur Abwendung dieser Gefahr ein schwerwiegender Eingriff in ihre persönliche Freiheitssphäre erforderlich ist (Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundesrats 1960, 215. Sitzung zur Vorgängerregelung des § 56 IfSG im Bundesseuchengesetz). In dieser Lage will der Staat den Betroffenen eine gewisse Sicherung vor materieller Not bieten (BT‐Drucksache III/2662 zum Bundesseuchengesetz). Es war mit dieser Regelung aber nicht bezweckt, den Arbeitgebern bzw. Dienstberechtigten einen Schadensausgleich zu gewähren. Vielmehr werden diese hinreichend über die Tatbestandsvoraussetzung der „verhältnismäßig nicht erhebliche[n] Zeit“ in § 616 Satz 1 BGB sowie der Möglichkeit zum arbeits- bzw. tarifvertraglichen Ausschluss von § 616 Satz 1 BGB geschützt.

Hat die Klägerin gegen den Beklagten somit keinen Anspruch auf Erstattung von Entschädigungszahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen, steht ihr auch der außerdem geltend gemachte Zinsanspruch entsprechend § 291 Satz 1 BGB nicht zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Frage, ob § 616 Satz 1 BGB im Falle von zwei Wochen andauernden Absonderungen von Arbeitnehmern Anwendung findet und demnach einer Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG entgegensteht, in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt ist.

 

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu.



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