Landesarbeitsgericht Niedersachsen

- Az: 13 TaBV 40/23

Betriebsratsvorsitzender zieht Cafébesuch statt einer Fortbildung vor – fristlose Kündigung

1. Anstelle der Arbeitspflicht tritt bei einem freigestellten Betriebsratsmitglied die Verpflichtung, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, erforderliche Betriebsratsarbeit zu verrichten, bzw. anwesend zu sein um sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (vgl. BAG 10.07.2013 7 ABR 22/12 , Rn. 20, juris). Mithin darf es grundsätzlich auch nur solche Zeiten im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung als Arbeitszeit dokumentieren. Entsprechendes gilt für die Zeiten, in denen das Betriebsratsmitglied aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses außerhalb des Betriebs an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG tatsächlich teilnimmt oder sich hierfür bereitgehalten hat.

2. Die Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, obliegt auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Ihm steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Es darf die Frage der Erforderlichkeit allerdings nicht allein nach seinem subjektiven Ermessen beantworten, sondern muss die Interessen des Betriebs einerseits und des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits gegeneinander abwägen.

3. Mit dem Beschluss zur Entsendung zu einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG, für welche der Arbeitgeber die Kosten einschließlich der Reise, der Unterbringung und der Verpflegung übernimmt, konkretisiert der Betriebsrat die dem entsandten Mitglied obliegende Betriebsratstätigkeit für den fraglichen Zeitraum. Die Teilnahme an der Veranstaltung hat für das entsandte Betriebsratsmitglied damit grundsätzlich Vorrang vor anderen Betriebsratsaufgaben. Für ein Verlassen der Veranstaltung und eine Verrichtung anderer Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebes und außerhalb des Veranstaltungsortes bedarf es gewichtiger Gründe.

4. Gibt das auf eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG entsandte Betriebsratsmitglied nachträglich im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung bewusst Zeiten als Arbeitszeit an, von denen es weiß, dass es weder an der Schulungsveranstaltung teilgenommen hat, noch andere erforderliche Betriebsratstätigkeiten verrichtet hat, um auf diese Weise eine Amtspflichtverletzung vor dem Arbeitgeber zu verheimlichen und eine ihm nicht zustehende Vergütung bzw. Zeitgutschrift zu erhalten, kann die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin nach § 103 BetrVG zu ersetzen sein.
(Leitsätze des Gerichts)

(5.) Soweit ein Betriebsratsmitglied eine vom Arbeitgeber finanzierte Fortbildung fernbleibt und stattdessen einer privaten Angelegenheit nachgeht, kann dies als ausreichender Grund für eine fristlose Kündigung angesehen werden.
(Redaktioneller Orientierungssatz)

Tenor: 

1. Die Beschwerden des Beteiligten zu 2 und des Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 05.04.2023 (2 BV 6/22) werden zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung.

Die zu 1 beteiligte Arbeitgeberin betreibt am Standort W-Stadt ein Logistikzentrum. Der Beteiligte zu 2 ist der dortige 17-köpfige Betriebsrat, dessen Vorsitzender der am 03.11.1960 geborene, verheiratete und seit Mitte 2017 bei der Arbeitgeberin als Versandmitarbeiter vollzeitbeschäftigte Beteiligte zu 3 ist. Seit dem 30.05.2022 ist der Beteiligte zu 3. freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Bei der Arbeitgeberin wird im Dreischichtbetrieb gearbeitet. Die tägliche Arbeitszeit beträgt 8 Stunden. Für alle Arbeitnehmer gilt eine elektronische Zeiterfassung. Jeder Mitarbeiter kann

Einsicht in das für ihn elektronisch geführt Arbeitszeitkonto nehmen. Alle vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter erhalten auf der Basis einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden an 5 Tagen in der Woche ein verstetigtes Monatseinkommen. Dies gilt auch für die Betriebsratsmitglieder. Der Beteiligte zu 3 kann als freigestelltes Betriebsratsmitglied seine tägliche Betriebsratsarbeit schichtungebunden innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeiten leisten.

Bei einer Tätigkeit außerhalb des Betriebs, insbesondere einer bewilligten Schulung, werden üblicherweise auf Antrag des betreffenden Mitarbeiters für den entsprechenden Zeitraum täglich 8 Stunden als Dienstgang in das System eingebucht, weil ein elektronisches Einstempeln von außerhalb nicht möglich ist und auf diese Weise verhindert wird, dass zunächst eine Fehlzeit entsteht. Werden im Nachgang keine anderen Zeiten gemeldet, bleibt es bei dieser Einbuchung.

Im September 2022 teilte der Beteiligte zu 3 der Arbeitgeberin unter Übersendung eines Betriebsratsbeschlusses (Anlage AS12, Bl. 150f d. A.) u.a. mit, dass der Betriebsrat ihn zu dem vom 08. bis 10.11.2022 in B-Stadt stattfindenden Deutschen Betriebsrätetag entsandt habe. Danach sollten sowohl die digitalen Schulungsveranstaltungen als auch die Präsenzveranstaltungen gebucht werden, in denen Kenntnisse vermittelt würden, die für die Betriebsratsarbeit erforderlich seien.

Die Arbeitgeberin bestätigte auf einem entsprechenden Formular (Anlage AS12, Bl. 147 d. A.) die Kostenübernahme sowie die Freistellung des Beteiligten zu 3 unter Fortzahlung des Entgeltes sowohl für die Teilnahme an der Veranstaltung in B-Stadt als auch für die Zeiten der digitalen Schulungsveranstaltungen.

Am 07.11.2022 reisten der Beteiligte zu 3 sowie die vom Betriebsrat entsandten weiteren Mitglieder Herr F., Frau K. und Frau B. in zwei Mietwagen nach B-Stadt, wo für sie etwa 2,5 km vom Veranstaltungsort entfernt ein Hotel gemietet war.

Am 08.11.2022 besuchten die Betriebsratsmitglieder gemeinsam den Betriebsrätetag und nahmen an diversen Vorträgen teil.

Am 09.11.2022 sahen sich der Beteiligte zu 3 einerseits und die drei weiteren Betriebsratsmitglieder andererseits nicht. An den Programmpunkten des Betriebsrätetages nahm der Beteiligte zu 3 an diesem Tag weder digital noch in Präsenz teil. Als er gegen 11:30 Uhr mit Herrn F. telefonierte, befand sich der Beteiligte zu 3 nicht am Veranstaltungsort. Im Verlaufe des Vormittags entfernte er sich aus B-Stadt und fuhr mit dem Zug in eine andere Stadt, wo er sich mit seiner geschiedenen Ehefrau traf und auch übernachtete.

Am Morgen des 10.11.2022 begab sich der Beteiligte zu 3 mit dem Zug wieder nach B-Stadt, ohne den Betriebsrätetag noch einmal zu besuchen. Gegen 11:30 Uhr traf er am Hotel auf die von der Veranstaltung kommenden Betriebsratskollegen und trat mit ihnen die gemeinsame Rückfahrt an. Zuvor hatten er und Herr F. an diesem Morgen insgesamt dreimal miteinander telefoniert.

Am 15.11.2022 fand am Rande einer Betriebsratssitzung eine Unterredung der Betriebsratsmitglieder K. und B. mit dem Beteiligten zu 3 über die Gründe seines Fernbleibens während des Betriebsrätetages in B-Stadt statt.

Am Folgetag wandten sich die drei mitgereisten Betriebsratsmitglieder an den HR Manager K. und schilderten das Geschehen aus ihrer Sicht. Auf dessen Aufforderung erstellten sie schriftliche Stellungnahmen (Anlagen AS2, Bl. 29 ff d. A.), welche sie Herrn K. am 17.11.2022 vorlegten.

In einem daraufhin von der Arbeitgeberin angeforderten Arbeitszeitnachweis für den Zeitraum der Dienstreise (Anlage AS3, Bl. 37 d. A.) gab der Beteiligte zu 3 am 17.11.2022 unter anderem an, er habe am 09.11.2022 von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr und am Folgetag nach der Rückkehr von 19 bis 23:00 Uhr Betriebsratsarbeit geleistet.

Am 21.11.2022 führte Herr K. wegen des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges mit dem Beteiligten zu 3 ein Gespräch, an dem neben dem damaligen General Manager auf Bitte des Beteiligten zu 3 auch das weitere Betriebsratsmitglied J. teilnahm. Herr K. fertigte hierüber ein Gedächtnisprotokoll (Anlage AS4, Bl. 38f d. A.). Mit Schreiben vom selben Tag (Anlage AS5, Bl. 40 ff d. A.) hörte die Arbeitgeberin den Beteiligten zu 3 auch schriftlich zu dem Verdacht an. Der Beteiligte zu 3 nahm am 23.11.2022 per E-Mail (Anlage AS6, Bl. 44 d. A.) wie folgt Stellung:

"Ich habe zu den von mir angegebenen Zeiten Betriebsratsarbeit geleistet.

Einen Arbeitszeitbetrug meinerseits ist aufgrund der Vollfreistellung für Betriebsratsarbeit rechtlich unmöglich."

Mit Schreiben vom 24.11.2022 (AS7, 45-52 d. A.) beantragte die Arbeitgeberin daraufhin bei dem Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 mit der Begründung, dieser habe weder am 09.11. noch am 10.11.2022 am Betriebsrätetag teilgenommen, sondern stattdessen Sightseeing betrieben und seine ehemalige Lebensgefährtin in K-Stadt besucht. Ferner habe er in den von ihm für den 09.11.2022 angegebenen Zeiten keine Betriebsratsarbeit geleistet, dies aber gleichwohl im Arbeitszeitnachweis angegeben und damit Arbeitszeitbetrug begangen. Jedenfalls bestehe der dringende Verdacht des vollständigen Fernbleibens ab dem 09.11.2022 sowie eines Arbeitszeitbetruges durch falsche Angaben in dem Arbeitszeitnachweis.

Der Betriebsrat beschloss am 25.11.2022, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 nicht zu erteilen.

Mit dem am 29.11.2022 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin die Ersetzung der verweigerten Zustimmung beantragt.

Die Arbeitgeberin hat ihre Angaben aus dem Zustimmungsantrag an den Betriebsrat wiederholt und vertieft. Sie hat geltend gemacht, dass der Beteiligte zu 3 keine Betriebsratsarbeit geleistet habe, ergebe sich insbesondere aus folgenden Umständen:

Bei dem Anruf des Herr F. am Morgen des 09.11.2022 habe der Beteiligte zu 3 angegeben, es gehe ihm nicht gut, er betreibe in der Stadt Sightseeing und komme später zur Veranstaltung nach. Dies sei jedoch nicht erfolgt.

Auf der Rückfahrt vom Betriebsrätetag habe der Beteiligte zu 3 erklärt, er habe sich mit seiner

Ex-Freundin "ein Hotel in K-Stadt" genommen. Später habe er noch erklärt, er hätte "Relationships in K-Stadt" und "würde sich am Wochenende hinsetzen und die Ordner ein bisschen anschauen". Er hätte ursprünglich geplant, am Mittwochabend wieder zu kommen, es hätte aber "Verkehrsprobleme" gegeben und er wäre deshalb morgens gefahren.

Am 15.11.2022 habe der Beteiligten zu 3 nach der Betriebssitzung auf Nachfrage gegenüber Frau K. und Frau B. angegeben, er sei sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag nicht auf der Messe gewesen, sondern in der Stadt und habe sich mit seiner Ex-Lebensgefährtin getroffen. Er habe ferner erklärt, dass es sich nicht um eine richtige Pflichtveranstaltung mit richtigen Arbeitszeiten gehandelt habe. Er könne im Zweifelsfall sagen, dass er morgens da gewesen sei und man die Vorträge sowieso Online in der Mediathek abrufen könne.

In der Befragung am 21.11.2022 habe der Beteiligte zu 3 angegeben, er habe am 09.11.2022

"ganz kurz" am Kongress teilgenommen und sich dann in den Zug nach K-Stadt gesetzt. Er habe am 09.11.2022 zwischen 13:00 Uhr und 16:00 Uhr und zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr den Zugriff auf die Online-Mediathek genutzt. Am 10.11.2022 habe er sich nach seiner

Rückkehr in der Zeit von 19:00 Uhr bis 23:00 Uhr ebenfalls an der "Online-Mediathek" bedient.

Eine Online-Teilnahme sei aber nicht - zumindest nicht durchgehend - möglich gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. wird ersetzt,

der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3 haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 3 hat vorgetragen, am Vormittag des 09.11.2022 sei er zu Fuß zum Tagungszentrum gelaufen. Dort angekommen habe er aufgrund der angebotenen Themen und der Erfahrungen des Vortages für sich keinen Mehrwert in dem Programm erkennen können. Er habe sich daher entschlossen, Recherchen für seine Betriebsratstätigkeit durchzuführen und eine Retrospektive zur Betriebsratsarbeit 2022 vorzubereiten sowie sich mit seiner geschiedenen Frau zu vernetzen, welche ehemals als stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Verbraucherzentrale N. aktiv gewesen sei. Er sei daher mit dem Taxi zum Bahnhof und von dort mit dem Zug nach D-Stadt gefahren, wo er gegen 13:00 Uhr angekommen sei. Er habe sich in eine Passage begeben, wo er sich in einem Café niedergelassen habe, um mit seinem Mobiltelefon diverse Recherchen, unter anderem zur Rufbereitschaft, durchzuführen. Ihm sei gestattet gewesen, sowohl mobil als auch im Home-Office zu arbeiten. Um 16:00 Uhr habe er sich zum Haus seiner geschiedenen Frau begeben. Bis 19:00 Uhr sei es um private Themen gegangen. Von 19:00 h bis 22:00 Uhr habe er an der Vorbereitung der erwähnten Retrospektive gearbeitet.

Der Betriebsrat hat darüberhinaus zuletzt vorgetragen, am 09.11.2022 habe von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr ein Austausch über fachliche Themen zwischen dem Beteiligten zu 3 und seiner geschiedenen Ehefrau stattgefunden, mit denen sich der Beteiligte zu 3 zuvor am Nachmittag beschäftigt habe. Der Beteiligte zu 3 habe sich hierzu Notizen gemacht. Aufgrund der vorgerückten Zeit habe der Beteiligte zu 3 sich entschieden, nicht mehr nach B-Stadt zurückzukehren, sondern bei seiner geschiedenen Ehefrau zu übernachten.

Das Arbeitsgericht hat mit einem dem Betriebsrat und dem Beteiligten zu 3 am 28.04.2023 zugestellten Beschluss vom 05.04.2023 (Bl. 157 - 170 d. A.), auf den wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, dem Antrag stattgegeben. Zu Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beteiligte zu 3 habe am 09. und 10.11.2022 aus allein privaten Motiven seine Pflicht verletzt, sich im Umfang seiner Arbeitszeit der Betriebsratsarbeit zu widmen, die aufgrund des Entsendungsbeschlusses des Betriebsrats darin bestanden habe, an dem Betriebsrätetag in Präsenz teilzunehmen. Diese Pflicht sei aufgrund der Freistellung des Beteiligten zu 3 an die Stelle der Arbeitspflicht getreten. Darüberhinaus bestehe bereits aufgrund der eigenen Einlassung des Beteiligten zu 3 sowie weiterer Indizien der dringende Verdacht, dass er am 09.11.2022 keinerlei anderweitige Tätigkeiten verrichtet habe, die er für erforderliche Betriebsratstätigkeit habe halten dürfen. Schließlich bestehe der dringende Verdacht, dass der Beteiligte zu 3 im Rahmen seines Arbeitszeitnachweises vom 17.11.2022 für den 09.11.2022 auch bewusst vorgespiegelt habe, vergütungspflichtige Betriebsratstätigkeit geleistet zu haben. Die erforderliche vorherige Aufklärung des Sachverhaltes habe die Arbeitgeberin durchgeführt. Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung sei insbesondere die im Verhalten des Beteiligten zu 3 zum Ausdruck kommende Rücksichtslosigkeit gegenüber der Arbeitgeberin zu berücksichtigen. Hiergegen richten sich die am 25.05.2023 eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 3 sowie die am 30.05.2023, dem ersten Werktag nach Pfingsten, eingelegte Beschwerde des Betriebsrats. Der Beteiligte zu 3 hat seine Beschwerde am 24.07. und der Betriebsrat am 28.07.2023, jeweils innerhalb verlängerter Frist begründet.

Der Beteiligte zu 3 macht geltend, das Verlassen des Betriebsrätetags am Morgen des 09.11.2022 sowie die unterlassene Teilnahme am 10.11.2023 betreffe ausschließlich die Art und Weise der Ausübung des Betriebsratsamtes. Da ihm lediglich die Verletzung einer Amtspflicht zum Vorwurf gemacht werde, sei die Kündigung wegen dieses Vorwurfs unzulässig.

Er habe auch keinen Arbeitszeitbetrug begangen. In seiner schriftlichen Stellungnahme habe er keine konkreteren Ausführungen getätigt, da er der Auffassung gewesen sei, für ihn als freigestelltes Betriebsratsmitglied gelte eine gesetzliche Vermutung dafür, dass er ausschließlich Betriebsratstätigkeit ausübe. Solche habe er am 09.11.2022 zunächst in der Zeit von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr in einer Einkaufspassage auch tatsächlich verrichtet. Hierfür habe er Online-Zugänge und Quellen im Internet genutzt.

Gegen 19:00 Uhr habe er seiner geschiedenen Ehefrau mitgeteilt, dass er noch Betriebsratsarbeit habe. Das habe sich auf die am Nachmittag bearbeiteten Themen bezogen. In diesem Zusammenhang habe ihm seine geschiedene Ehefrau ihre Hilfe angeboten. Die sodann bis 22.00 Uhr geleistete Betriebsratstätigkeit stelle sich als Zusammenspiel zwischen einem fachlichen Austausch und der Anfertigung von Notizen dar, die er nunmehr als Anlage B1 (Bl. 259267 d. A.) vorlege. Aus diesen ergebe sich, dass er geplant habe, sich zusammen mit dem

Betriebsrat dem Thema "Newsletter und Kontakt-Info-Seite" zu verschiedenen Themen zu widmen, etwa: "Wie, wann und wo erreiche ich: Betriebsrat, Betriebsarzt, BEM-Abteilung, HR-Abteilung". Darüber hinaus habe er sich mit dem Thema Abmahnungen sowie der von ihm maßgeblich verantworteten Planung der nächsten Betriebsversammlung beschäftigt. Zu alledem hätte seien frühere Ehefrau als Zeugin befragt werden müssen. Er habe in der festen Überzeugung gehandelt, erforderliche Betriebsratstätigkeit zu verrichten.

Es sei ferner zu berücksichtigen, dass es zu den ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen gerade bei der Ausübung seiner Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied gekommen sei.

Der Betriebsrat hat vorgetragen, der Vorwurf einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung durch die Arbeitgeberin gründe auf dem Vorwurf, der Beteiligte zu 3 habe seine Betriebsratspflichten nicht erfüllt, indem er am Betriebsrätetag nicht teilgenommen habe. Bei einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit sei eine Kündigung aber nur unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabes gerechtfertigt.

Der Beteiligte zu 3 habe frei darüber entscheiden dürfen, welche Betriebsratsarbeit er erledige.

Selbst wenn der Beteiligte zu 3. am 09.11.2022 keinerlei Arbeits- und / oder Amtspflichten nachgegangen wäre, habe er seine Wochenarbeitszeit auch noch an den verbliebenen 4 Werktagen der Woche erfüllen können. Der Beteiligte zu 3. habe mit dem Arbeitgeber die Vereinbarung getroffen, dass er seine Arbeitszeit flexibel gestalten könne. Der Beteiligte zu 3 und der Betriebsrat beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 05.04.2023 (2 BV 6/22) abzuändern und den Antrag der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Sie macht geltend, ein Abbau von Plus- oder Überstunden sei nach Maßgabe der betrieblichen Regelungen nur nach vorheriger Genehmigung des Arbeitgebers möglich. Die Antragstellung hierzu erfolge bei ihr über ein eigens eingerichtetes Ticketsystem. Ein Abbau im Umfang von weniger als einem ganzen Arbeitstag sei ggf. auch in Abstimmung mit dem Personalleiter möglich.

Der Beteiligte zu 3 verfüge nicht über die notwendige technische Ausstattung, um erforderliche Betriebsratstätigkeiten von außerhalb des Betriebs zu erfüllen.

Das vom Betriebsrat gebuchte Schulungspaket habe es den Teilnehmern ermöglicht, alle Inhalte des Deutschen Betriebsrätetags einen Monat nach dessen Abschluss aus einer Mediathek abzurufen. Ein Livezugang zu den Veranstaltungen (Live-Streaming) des Betriebsrätetags sei damit nicht verbunden gewesen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Beschwerdekammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. und J. mit dem aus der Sitzungsniederschrift vom 28.02.2024 (Bl. 414 - 420 d. A.) ersichtlichen Ergebnis.

II.

Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaften Beschwerden sind form- und fristgerecht im Sinne der §§ 87 Abs. 2, 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden und auch im Übrigen zulässig. Sie sind jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die verweigerte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 ersetzt.

1.

Der Zustimmungsersetzungsantrag ist gem. § 103 Abs. 2 KSchG statthaft, gem. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zutreffend im Beschlussverfahren gem. § 80 Abs. 1 ArbGG anhängig gemacht worden und auch im Übrigen zulässig. Der zu kündigende Arbeitnehmer ist nach § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligen, weil er durch die beabsichtigte Kündigung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen ist.

2.

Der Antrag ist auch begründet.

a)

Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar war oder nicht. Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen (BAG 13.05.2015 - 2 ABR 38/14 -, BAGE 151, 317-330, Rn. 18).

Ist dem Betriebsratsmitglied ausschließlich eine Amtspflichtverletzung vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG möglich. Ein Verhalten verletzt ausschließlich

Amtspflichten, wenn das Betriebsratsmitglied lediglich "kollektivrechtliche" Pflichten verletzt hat (BAG 19.07.2012 - 2 AZR 989/11 -, BAGE 142, 351-365, Rn. 39). Eine außerordentliche Kündigung kommt dagegen in Betracht, wenn in dem fraglichen Verhalten zugleich eine Vertragspflichtverletzung zu sehen ist. In solchen Fällen ist an die Berechtigung der fristlosen Entlassung allerdings ein "strengerer" Maßstab anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört (BAG 12.05.2010 - 2 AZR 587/08 -, Rn. 15, juris). Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied befindet, ist die außerordentliche Kündigung nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. Darüber hinaus bedarf es stets einer genauen Prüfung, ob auch nach dem Ausschluss des Betriebsratsmitglieds aus dem Betriebsratsamt weitere vergleichbare Pflichtverletzungen drohen und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber aufgrund einer eingetretenen Pflichtverletzung, die mit der Ausübung des Mandats im Zusammenhang steht, nachhaltig gestört ist (BAG 23.10.2008 - 2 ABR 59/07 -, Rn. 19, juris). b)

Hiervon ausgehend war die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, weil der Beteiligte zu 3 am 17.11.2022 bewusst einen unzutreffenden Arbeitszeitnachweis jedenfalls für den 09.11.2022 erstellt hat und es sich insoweit ausschließlich um eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten gehandelt hat.

aa)

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass ein schuldhafter Verstoß gegen die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Verpflichtung, die täglich geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet ist, auch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können (vgl. BAG 13.12.2018 - 2 AZR 370/18 -, Rn. 17, juris). Ob und inwieweit mit der Pflichtverletzung zugleich Straftatbestände verwirklicht sind, ist kündigungsrechtlich ohne Belang. Entscheidend ist die Schwere des arbeitsvertraglichen Pflichtenverstoßes (BAG 21.04.2005 - 2 AZR 255/04 -, BAGE 114, 264-271, Rn. 33).

bb)

Die arbeitsvertragliche Pflicht zur korrekten Dokumentation der Arbeitszeit hat der Beteiligte zu 3 objektiv verletzt.

(1)

Unstreitig hat der Beteiligte zu 3 auf Aufforderung der Arbeitgeberin am 17.11.2022 unter anderem angegeben, am 09.11.2022 von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr Arbeit geleistet zu haben.

(2)

Diese Angaben des Beteiligten zu 3 sind objektiv unzutreffend. An dieser Stelle kann dahinstehen, ob der Beteiligte zu 3 am 09.11.2022 überhaupt keine Tätigkeiten erbracht hat, die irgend-

wie als Tätigkeiten für den Betriebsrat qualifiziert werden können, wie die Arbeitgeberin behauptet. Selbst wenn der Beteiligte zu 3 am 09.11.2022 zu den von ihm angegebenen Zeiten die von ihm behaupteten Tätigkeiten verrichtet hätte, hätte er sie nicht als Arbeitszeit angeben dürfen.

(a)

Anstelle der Arbeitspflicht tritt die Verpflichtung des freigestellten Betriebsratsmitglieds während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, erforderliche Betriebsratsarbeit zu verrichten, bzw. anwesend zu sein um sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Das ist gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung nach § 38 BetrVG(vgl. BAG 10.07.2013 - 7 ABR 22/12 -, Rn. 20, juris). Mithin darf er grundsätzlich auch nur solche Zeiten als Arbeitszeit erfassen. Entsprechendes mag für Zeiten gelten, in denen das Betriebsratsmitglied aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses außerhalb des Betriebs an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG tatsächlich teilnimmt oder sich hierfür bereitgehalten hat.

(b)

Die von ihm angeblich am 09.11.2022 verrichteten Tätigkeiten waren bei verständiger Betrachtung keine erforderliche Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG. Es ist schon fraglich, ob die nach Darstellung der Beschwerdeführer angeblich verrichteten Tätigkeiten überhaupt zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats gehören (vgl. hierzu BAG 21.06.2006 - 7 AZR 418/05 -, Rn. 15f, juris). Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer angeblichen "Vernetzung" bzw. eines "fachlichen Austauschs" des Beteiligten zu 3 mit seiner geschiedenen Frau im Privatbereich, denn nicht einmal der Austausch mit - aktiven - Betriebsräten anderer Betriebe, etwa im Rahmen von Informationsveranstaltungen, gehört zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats, wenn kein Fall des § 53 BetrVG gegeben ist oder für die Zusammenkunft kein konkreter betrieblicher Anlass besteht (vgl. BAG 21.06.2006, a.a.O., Rn. 17). Jedenfalls war die Erledigung der vom Beteiligten zu 3 angegebenen Aufgaben am 09.11.2022 nicht erforderlich.

(aa)

Die Prüfung der Frage, ob die Versäumung der Arbeitszeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, obliegt sowohl dem Betriebsrat als Gremium als auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Ihnen steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Sie dürfen die Frage der Erforderlichkeit allerdings nicht allein nach ihrem subjektiven Ermessen beantworten, sondern müssen die Interessen des Betriebs einerseits und des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits gegeneinander abwägen. Fasst der Betriebsrat als Gremium den Beschluss, dass das Betriebsratsmitglied eine bestimmte Aufgabe wahrnehmen soll, entbindet dies das Betriebsratsmitglied nicht von einer selbständigen Überprüfung der Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer Betriebsratsaufgabe und deren Erforderlichkeit (BAG 21.06.2006 - 7 AZR 418/05 -, Rn. 13, juris). Um die freie Betätigung eines Betriebsratsmitglieds in seinem Amt zu gewährleisten, kann allerdings nicht jede Verkennung der objektiven Rechtslage, namentlich bei schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen, nachteilige Auswirkungen für das betreffende Betriebsratsmitglied haben. Die Grenze ist - sowohl bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Betriebsratsaufgabe als auch bei der Beantwortung der Frage, ob die Arbeitsbefreiung überhaupt der Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats dient - dort zu ziehen, wo aus Sicht eines sorgfältig prüfenden objektiven Dritten erkennbar ist, dass es sich nicht (mehr) um die Wahrnehmung von Amtsobliegenheiten handelt (vgl. BAG 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 -, Rn. 34, juris).

(bb)

Diese Grenze war im Streitfall überschritten. Aus Sicht eines sorgfältig prüfenden objektiven Dritten war die Verrichtung der angegebenen Tätigkeiten am 09.11.2022 offensichtlich nicht erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG. Der Betriebsrat hatte den Beteiligten zu 3 für diesen Tag zu dem Betriebsrätetag entsandt. Hierbei handelte es sich - dies ist zwischen allen Beteiligten unstreitig - um eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG und damit unzweifelhaft um erforderliche Betriebsratstätigkeit. Der Beteiligte zu 3 hat dies durch seine Anreise und Teilnahme am 08.11.2022 von 8:00 Uhr bis 18:30 Uhr selbst verdeutlicht.

Selbst wenn man die Rechtsprechung zur selbständigen Überprüfung der Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer Betriebsratsaufgabe und deren Erforderlichkeit so verstehen wollte, dass sich das durch den Betriebsrat entsandte Mitglied auch noch einer anderen als der durch Entsendungsbeschluss übertragenen Tätigkeit zuwenden kann, bedurfte es hierfür jedenfalls gewichtiger Gründe. Denn mit dem Beschluss zur Entsendung zu der Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG, für welche die Arbeitgeberin die Kosten einschließlich der Reise, der Unterbringung und der Verpflegung übernommen hat, hat der Betriebsrat die dem Beteiligten zu 3 obliegende Betriebsratstätigkeit für den fraglichen Zeitraum konkretisiert. Die Teilnahme an der Veranstaltung in Präsenz hatte für ihn damit angesichts der Umstände ersichtlich Vorrang vor anderen Betriebsratsaufgaben. Für ein Verlassen der Veranstaltung und eine Verrichtung anderer Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebes und außerhalb des Veranstaltungsortes war allenfalls in einem Ausnahmefall noch Raum.

Gewichtige Gründe, die ein Verlassen des Betriebsrätetages durch den Beteiligten zu 3 zugunsten anderer Betriebsratsarbeit gerechtfertigt haben könnten, sind auch dem Beschwerdevortrag des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3 nicht zu entnehmen. Weder sind ein Café in einer Einkaufspassage noch die Privatwohnung der geschiedenen Ehefrau Orte, in denen der Beteiligte zu 3 seine Betriebsratsarbeit zu verrichten hatte, noch standen ihm hierzu mit seinem Mobiltelefon sowie Notizzetteln adäquate Mittel zur Verfügung. Es ist ferner auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Anlage B1 nicht erkennbar, dass Recherchen etwa zu den Themen Abmahnung und Rufbereitschaft - stünden sie aufgrund der konkreten betrieblichen Verhältnisse bei der Arbeitgeberin überhaupt mit gesetzlichen Aufgaben des Beteiligten zu 2 im Zusammenhang - so dringlich waren, dass sie am 09.11.2022 ein Verlassen des Betriebsrätetages erfordert hätten. Dies gilt erst recht, soweit der Beteiligte zu 3 einen Newsletter bzw. eine Kontakt-Info-Seite zu dem Thema: "Wie, wann und wo erreiche ich: Betriebsrat, Betriebsarzt,

BEM-Abteilung, HR-Abteilung" "geplant" haben will. Die Vorbereitung der nächsten Betriebsversammlung mag zwar zu den gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats gehören. Weder behaupten der Beteiligte zu 3 und der Betriebsrat, dass am 09.11.2022 eine solche Versammlung zeitnah angestanden hat, noch enthält der diesbezügliche Aufschrieb des Beteiligten zu 3 in der Art einer Gliederung mehr als nur eine grobe, für eine unbestimmte Vielzahl von Betriebsversammlungen gleichermaßen verwendbare Ablaufplanung.

cc)

Die Falschdokumentation der Arbeitszeit am 17.11.2022 ist auch vorsätzlich erfolgt, weil der Beteiligte zu 3 am 17.11.2022 seine Angaben im Arbeitszeitnachweis zum 09.11.2022 in dem Bewusstsein vorgenommen hat, dass er zu den angegebenen Zeiten keine erforderliche Betriebsratsarbeit verrichtet hat.

(1)

Hätte der Beteiligte zu 3 ausschließlich private Dinge erledigt, hätte er zweifelsfrei in dem Bewusstsein gehandelt, zu den angegebenen Zeiten keine erforderliche Betriebsratsarbeit verrichtet zu haben.

(2)

Hätte der Beteiligte zu 3 die von ihm behaupteten Tätigkeiten hingegen tatsächlich verrichtet, gilt nichts Anderes. Denn er hatte zum Zeitpunkt der Erstellung des Arbeitszeitnachweises für sich erkannt, dass es sich dabei um keine erforderliche Betriebsratsarbeit gehandelt hat. Das steht aufgrund der Gesamtheit der unstreitigen Umstände, der eigenen Einlassung des Beteiligten zu 3 und der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest.

(a)

Der Beteiligte zu 3 kannte zunächst alle Umstände, aus denen sich für einen sorgfältig prüfenden objektiven Dritten ergibt, dass es sich bei den angeblich verrichteten Tätigkeiten nicht (mehr) um die Wahrnehmung von Amtsobliegenheiten handeln konnte, namentlich seine Entsendung zur Verrichtung anderer Betriebsratstätigkeit, die Kostenübernahme durch die Arbeitgeberin und darüberhinaus auch das Fehlen einer Dringlichkeit, die es geboten hätte nach seiner Einlassung gleich mehrere andere Aufgaben vorrangig zu erledigen. Auf den letztgenannten Aspekt hatte das Arbeitsgericht im angefochtenen Beschluss unter II. 2. b) auf S. 7 bereits hingewiesen, ohne dass die Beschwerdeführer noch irgendetwas zu der Frage der Notwendigkeit vorgetragen hätten, weshalb die angeblich verrichteten Tätigkeiten gerade am 09.11.2022 anstelle der Veranstaltung zu erledigen waren. Darüberhinaus wusste der Beteiligte zu 3, dass er lediglich mit seinem Mobiltelefon keinen Zugriff auf Betriebsunterlagen hatte und allenfalls eine private Recherche aus allgemeinzugänglichen Quellen durchführen konnte.

(b)

Das Verlassen des Betriebsrätetages durch den Beteiligten zu 3 war nach seinem eigenen Vortrag zudem maßgeblich motiviert von seiner spontanen, subjektiven Einschätzung, die am 09.11.2022 angebotenen Veranstaltungen brächten ihm - auch angesichts überfüllter Räumlichkeiten - keinen "Mehrwert" sowie durch seinen Entschluss, sich früher als geplant mit seiner geschiedenen Ehefrau treffen zu wollen, die er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe.

(c)

Schließlich steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beteiligte zu 3 am 21.11.2022 gegenüber der Arbeitgeberin - unzutreffend - angegeben hat, er hätte am 09.11.2022 zu den von ihm angegebenen Zeiten in digitaler Form an dem Betriebsrätetag teilgenommen. Dieser Falschangabe zu den verrichteten Tätigkeiten hätte es nicht bedurft, wenn er geglaubt hätte, mit der Angabe, auf seinem Handy Online-Recherchen zu den Themen Abmahnung und Rufbereitschaft erstellt, Newsletter und Betriebsversammlung geplant bzw. sich mit seiner Ehefrau vernetzt zu haben, etc., den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges entkräften zu können, weil es sich insoweit um erforderliche Betriebsratsarbeit gehandelt hat. Vielmehr hätte er dann die Erledigung dieser Tätigkeiten in der Befragung angegeben. Das war jedoch nicht der Fall.

(aa)

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Das Gericht hat dabei auch die prozessualen und vorprozessualen Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter zu würdigen (BAG 08.05.2014 - 2 AZR 75/13 juris Rn. 31). Das Gesetz setzt eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss es sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr., etwa BGH 14.01.1993 - IX ZR 238/91 - Rn. 16, Juris).

(bb)

Diese Überzeugung hat sich die Kammer aufgrund der Vernehmung der Zeugen K. und J. (D.) verschafft. Die Zeugen haben in der Sache übereinstimmend und unmissverständlich bekundet, der Beteiligte zu 3 habe im Gespräch am 21.11.2022, auf den Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs wegen seiner Zeitangaben zum Betriebsrätetag angesprochen, erklärt, er habe an der Veranstaltung online teilgenommen. Eine andere Erklärung, um den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges zu entkräften, hat der Beteiligte zu 3 in dem fraglichen Gespräch danach nicht angegeben.

Die Kammer folgt insoweit den Aussagen der Zeugen K. und J.. Zwar wich die Angabe des Zeugen K. zu der Frage, ob sich der Beteiligte zu 3 speziell hinsichtlich der von ihm für den 09.11.2022 angegebenen Zeiten auf eine Nutzung der "Online Mediathek" berufen hat, von seinem noch am selben Tag gefertigten Gedächtnisprotokoll ab, wonach dies der Fall war. Auf entsprechenden Vorhalt hat der Zeuge aber nachvollziehbar erläutert, weshalb aus seiner Sicht die Angaben in dem kurz nach dem Gespräch erstellten Gedächtnisprotokoll zutreffend sein sollen. Soweit seine Aussage in diesem Punkt erkennen lässt, dass seine Korrektur weniger auf wiederaufgekommener Erinnerung an das Gespräch als vielmehr auf einer Schlussfolgerung des Zeugen aus seiner später angestellten und wiedererinnerten Recherche beruht, wonach am 09.11.2022 ab 19:00 Uhr als alleiniger Programmpunkt des Kongresses eine ver.diVeranstaltung stattgefunden habe und deshalb eine Online-Mediathek durch den Beteiligte zu 3 nicht habe genutzt werden können, ist dies unschädlich. Wesentlich hierfür ist, dass sich der Beteiligte zu 3 - auch nach Erinnerung des Zeugen J. - auf den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges allein dahin erklärt hat, dass er, statt einer Teilnahme vor Ort, online an der Veranstaltung teilgenommen habe. Immerhin hat auch der Beteiligten zu 3 selbst eingeräumt, am 21.11.2022 die Online-Mediathek angesprochen zu haben. Es ist der Kammer kein anderer Grund hierfür ersichtlich, als dass er damit den Eindruck erwecken wollte, die Mediathek während der von ihm angegebenen Arbeitszeiten auch genutzt zu haben. Denn der Beteiligte zu 3 sah sich in dem Gespräch mit dem Vorwurf des Arbeitszeitbetruges konfrontiert.

Soweit der Beteiligte zu 3 im Rahmen seiner Befragung durch die Beschwerdekammer erstmals behauptet hat, er habe bereits am 21.11.2022 "vermutlich" gesagt, dass er in dem Café "Betriebsratsarbeit" und sich "dabei auch Notizen gemacht" habe, er habe "online Inhalte genutzt", ohne Herrn K. gegenüber näher zu konkretisieren, um was es sich für Inhalte gehandelt habe, ist diese bloße Vermutung durch die Zeugenaussagen hinreichend widerlegt. Der Zeuge K. war sich auf Nachfrage des Gerichts ganz sicher, dass der Begriff "Online-Recherche" oder Ähnliches nicht verwendet worden ist. Auch das vom Beteiligten zu 3 zu dem Gespräch hinzugezogene Betriebsratsmitglied, der Zeuge J., hat solches nicht bekundet. Er hat auf nochmalige Nachfrage des Gerichts unmissverständlich wiederholt, der Beteiligte zu 3 habe auf den Vorhalt des Arbeitszeitbetruges gesagt, dass es die Möglichkeit gegeben habe, an dem Betriebsrätetag vor Ort teilzunehmen oder online, und er habe gesagt, dass er online teilgenommen hätte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Beteiligte zu 3 im Rahmen der Befragung den Zugang zu einer Online-Mediathek der Veranstaltung thematisiert haben sollte, wenn er sich gegen den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges letztlich nur damit verteidigen wollte, dass er in dem Café Betriebsratsarbeit durch Online-Recherche verrichtet und sich dabei auch Notizen gemacht habe.

(cc)

Der zur Überzeugung der Kammer am 21.11.2022 vom Beteiligten zu 3 zur Entkräftung des Vorwurfs des Arbeitszeitbetruges angegebene Grund trifft nicht zu. Der Beteiligte zu 3 trägt im Verfahren selber vor, er habe während des Betriebsrätetages die Online-Mediathek nicht genutzt. dd)

Die Interessenabwägung fällt zulasten des Beteiligten zu 3 aus.

(1)

Zunächst bedarf es keiner Anlegung eines besonders strengen Maßstabes mit Rücksicht auf eine besondere Konfliktsituation, in der sich der Beteiligte zu 3 als Betriebsratsmitglied befunden hat. In dem fraglichen Verhalten des Beteiligten zu 3 vom 17.11.2022 lag nicht zugleich eine Amts- und eine Vertragspflichtverletzung. Eine Amtspflichtverletzung hat der Beteiligte zu 3 ausschließlich am 09. und 10.11.2022 begangen, indem er ohne (hinreichenden) Grund nicht am Betriebsrätetag teilgenommen hat. Die hier in Rede stehende spätere Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB bzw. der betrieblichen Regelung zur Zeiterfassung ergebende Verpflichtung, die täglich geleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist hingegen eine solche, die alle Arbeitnehmer des Betriebes gleichermaßen trifft.

Bei der Angabe der Zeiten für den 09.11.2022 im Arbeitszeitnachweis am 17.11.2022 hat sich auch nicht etwa lediglich ein bloßer Beurteilungsfehler des Beteiligten zu 3 hinsichtlich der Frage der Wahrnehmung gesetzlicher Aufgaben des Betriebsrats bzw. hinsichtlich der Frage der Erforderlichkeit fortgesetzt. Entweder wusste der Beteiligte zu 3 - wofür nach durchgeführter Beweisaufnahme und den Umständen nahezu alles spricht -, dass er am 09.11.2022 ausschließlich private Angelegenheiten verrichtet hat oder er hatte am 17.11.2022 als sicher erkannt, dass die nunmehr im Verfahren behaupteten Tätigkeiten, sollte er sie tatsächlich verrichtet haben, keine erforderliche Betriebsratsarbeit und somit auch keine vergütungspflichtige Arbeitszeit waren. Andernfalls hätte er nicht nur 4 Tage später gegenüber der Arbeitgeberin behauptet, er habe an der Veranstaltung am 09. und 10.11.2022 online teilgenommen, obwohl dies unstreitig nicht der Fall war.

(2)

Der Arbeitgeberin ist im Streitfall nicht eine Abmahnung als milderes Mittel zumutbar.

(a)

Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes u. a. dann nicht, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann dabei nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, die die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen müssen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation in der sie sich ereignete.

(b)

Eine solche schwere Pflichtverletzung liegt im Streitfall vor.

Insoweit fällt zu Lasten des Beteiligten zu 3 ins Gewicht, dass er nicht nur die vorab als Dienstgang vom Arbeitgeber pauschal angesetzten Stunden für den 09. und 10.11.2022 zunächst hat "stehen" lassen. Er hat nach der Veranstaltung in Kenntnis der tatsächlichen Umstände die ihm durch die Aufforderung der Arbeitgeberin eingeräumte Möglichkeit zur Korrektur bewusst nicht genutzt und stattdessen durch aktives Tun jedenfalls im Umfang der von ihm angegebenen 6 Stunden für den 09.11.2022 die unrichtige Angabe im Arbeitszeitnachweis bekräftigt.

Mit seinen Angaben hat der Beteiligte zu 3 - nach Lage der Dinge zur Verdeckung einer vorangegangenen (Amts-)Pflichtverletzung vor der Arbeitgeberin - bewusst eine weitere (Vertrags)Pflichtverletzung begangen. Der so geartete Zusammenhang zwischen Amts- und späterer Vertragspflichtverletzung kann den Beteiligten zu 3 nicht entlasten. Anderenfalls läge darin eine durch die Amtsausübung sachlich nicht gerechtfertigte Besserstellung des Beteiligten zu 3.

Darüberhinaus hat der Beteiligte zu 3 aber auch in der Absicht gehandelt, sich einen ungerechtfertigten Vorteil auf Kosten der Arbeitgeberin zu verschaffen. Frau K. hat den Beteiligten zu 3 am 15.11.2022 und damit noch vor der unzutreffenden Arbeitszeitangabe darauf hingewiesen, dass es nicht in Ordnung sei, die Tage für ein privates Vergnügen zu nutzen und sich seine Freizeit in Arbeitszeit bezahlen zu lassen, indem der Mitarbeiter "Dienstgang" in seinem Arbeitszeitkonto stehen lassen würde. Diesen Vortrag haben weder der Betriebsrat noch der Beteiligte zu 3 bestritten. Damit war dem Beteiligten zu 3 auch klar, dass seine Angaben vergütungsrelevant waren. Hiergegen spricht im Streitfall nicht seine schriftliche Stellungnahme vom 23.11.2022. Abgesehen davon, dass die strafrechtliche Beurteilung seines Verhaltens kündigungsrechtlich ohne Belang ist, liegen die Voraussetzungen eines (unverschuldeten) Rechtsirrtums nicht vor. Für einen solchen reicht nicht einmal aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat (vgl. BAG 29.08.2013 - 2 AZR 273/12 -, Rn. 34, juris), was im Streitfall schon nicht erkennbar ist. Die Berücksichtigung eines vermeidbaren Irrtums des Beteiligten zu 3 im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten scheidet angesichts der Äußerung der Frau K. aus.

Der Hinweis des Beteiligten zu 2 darauf, der Beteiligte zu 3 sei angesichts einer mit der Arbeitgeberin getroffenen Regelung zur flexiblen Gestaltung seiner Arbeitszeit berechtigt gewesen, bei vorhandenem Überstundenguthaben vorzeitig zu gehen, ohne sich abzumelden, spricht nicht gegen Bereicherungsabsicht. Zielt der Hinweis darauf ab, dass der Beteiligte zu 3 für den 09.11.2022 lediglich 6 statt der regulären 8 Stunden als Arbeitszeit angegeben hat, und dies zudem mit einer zwischenzeitlichen Unterbrechung von 3 Stunden, trifft dies nicht den Grund, auf den die Arbeitgeberin die Kündigung stützen will. Dieser liegt u. a. darin, dass der Beteiligte zu 3 für diesen Tag 6 Stunden eingetragen hat, obwohl er keine Betriebsratsarbeit geleistet haben soll.

Auch ausgehend von dem hilfsweise vom Betriebsrat zugrundegelegten Fall, dass der Beteiligte zu 3. am 09.11.2022 keinerlei Arbeits- und / oder Amtspflichten nachgegangen ist, verfängt der Hinweis auf eine angeblich abgesprochene flexible Arbeitszeit nicht. Die Angabe des Beteiligten zu 3 im Arbeitszeitnachweis schließt es aus, dass er am 09.11.2022 im Umfang der 6 Stunden ein entsprechendes Überstundenguthaben abbauen wollte. Ebensowenig verfängt der Hinweis des Beteiligten zu 2, der Beteiligte zu 3 habe seine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden in der fraglichen Woche noch erfüllen können. Wusste der Beteiligte zu 3 - wovon die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ausgeht -, dass er am 09.11.2022 keine vergütungspflichtige Betriebsratstätigkeit geleistet hat, könnte es ihn allenfalls entlasten und gegen Bereicherungsabsicht sprechen, wenn er bis zum 17.11.2022 die für diesen Tag angegebenen 6 Stunden Betriebsratsarbeit tatsächlich außerhalb der Zeiterfassung und der regulär täglich zu leistenden 8 Stunden nachgeleistet hätte. Das behaupten aber weder der Beteiligte zu 2 noch der Beteiligte zu 3.

Insgesamt zeugt das Vorgehen des Beteiligten zu 3 von einer erheblichen Rücksichtslosigkeit und Eigennützigkeit. Allein der Wert der für den 09.11.2022 im Arbeitszeitnachweis angegebenen und für das Zeitkonto gebuchten 6 Stunden beläuft sich unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens des Beteiligten zu 3 von 2.705,- € auf ca. 94,- € brutto und stellt damit keinen nur geringfügigen Betrag mehr dar.

Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung ist die Basis für eine weitere Zusammenarbeit unabhängig von einer Wiederholungsgefahr entfallen. Ungeachtet dessen ist der Streitfall auch nicht so gelagert, dass eine Wiederholungsgefahr ausgeschlossen wäre. Insbesondere trifft die Pflicht zur Zeiterfassung in der hier in Rede stehenden Art nicht etwa nur Betriebsratsmitglieder, sondern auch andere Arbeitnehmer bei Tätigkeiten außerhalb des Betriebs, etwa bei beruflicher Fortbildung. Ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis vermag die Schwere der Pflichtverletzung nicht zu beeinflussen (vgl. BAG 20.05.2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 27, juris).

Die Kündigung erscheint auch im Übrigen angesichts der mit gut 5 Jahren nicht sonderlich langen Betriebszugehörigkeit des Beteiligten zu 3 nicht unverhältnismäßig. Der verheiratete Beteiligte zu 3 ist mit nunmehr 63 Jahren zwar relativ rentennah, aber nach den Steuermerkmalen keinen Kindern mehr zum Unterhalt verpflichtet.

ee)

Die entsprechend anzuwendende Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB) ist ersichtlich gewahrt. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

ff)

Die Betriebsratsanhörung ist ordnungsgemäß erfolgt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer insoweit Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 5. der Gründe im angefochtenen Beschluss und macht sich diese zu eigen. Rügen gegen diese Ausführungen haben die Beteiligten im Beschwerdeverfahren nicht erhoben.

III.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde i.S.d. § 92 ArbGG liegen nicht vor. Gegen diesen Beschluss ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß §§ 92 a, 72 a ArbGG wird hingewiesen.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen