Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Beschluss vom - Az: 3 TaBVGa 2/14

Betriebsratswahl: Arbeitgeber muss Auskunft über Wähler geben - außer bei Nichtigkeit der Wahl

1. Der Arbeitgeber kann gegenüber dem Wahlvorstand die Erteilung der Auskünfte für die Wählerliste nur verweigern, wenn die beabsichtigte Betriebsratswahl voraussichtlich nichtig ist.

2. Die Verkennung des Betriebsbegriffs führt regelmäßig nicht zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl.

3. Allenfalls gravierende, besonders grobe und offensichtliche Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes können diese nichtig machen und den Arbeitgeber berechtigen, die Erteilung der Auskünfte für die Wählerliste zu verweigern.
(Leitsätze)

Im vorliegenden Fall verlangte der Wahlvorstand des beteiligten Arbeitgebers von diesem Auskünfte über die wahlberechtigten Beschäftigten in mehreren Unternehmensstandorten, weil der Wahlvorstand davon ausging, dass ein einheitlicher Betrieb bestünde und daher ein einzelner Betriebsrat zu wählen sei. Dem Begehren des Wahlvorstandes folgend hat das LAG Schleswig-Holstein wie auch die Vorinstanz den Arbeitgeber zur Auskunfterteilung verpflichtet, da dieser nur dann ein Verweigerungsrecht habe, wenn die Betriebsratswahl voraussichtlich nichtig ist. Die Nichtigkeit müsse der Wahl jedoch "auf die Stirn geschrieben" sein, was vorliegend nicht der Fall sei.

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 20.03.2014 - 1 BVGa 20/14 - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1.) begehrt von der Beteiligten zu 2.) gem. § 2 Abs. 2 WO die Mitteilung der erforderlichen Daten zur Erstellung einer Wählerliste zur Durchführung einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 2.) (im Folgenden Arbeitgeberin) agiert in verschiedenen Bundesländern. Sie betreibt an verschiedenen Standorten in Schleswig-Holstein Bildungszentren. Die Standorte der Arbeitgeberin in L...-B..., E..., P... und K... verfügen über eine eigene regionale Leitung. Die Leiterin des Standorts in P..., Frau S... K..., ist Prokuristin.

Dem Standort L...-B... ist der Standort B... S... zugeordnet. Dort werden zusammen mit den Arbeitnehmern des zugeordneten Standorts insgesamt 28 Arbeitnehmer beschäftigt. Es ist ein Betriebsrat gebildet.

Dem Standort P... sind die weiteren Standorte B..., H... und E... zugeordnet. Dort werden inklusive der zugeordneten weiteren Standorte 24 Arbeitnehmer beschäftigt. Auch hier ist ein Betriebsrat gebildet.

Dem Standort K... ist der Standort R... zugeordnet. Es werden an diesem gemeinschaftlichen Standort 13 Arbeitnehmer beschäftigt. Am Standort in I... sind zurzeit keine Mitarbeiter tätig. Am Standort B... O... findet zurzeit nur eine vorübergehende Tätigkeit statt. Am Standort E... werden 15 Arbeitnehmer beschäftigt. An diesen Standorten existieren keine Betriebsräte.

Die beiden bisher bestehenden Betriebsräte haben einen Gesamtbetriebsrat gebildet. Im Laufe der letzten Amtsperiode kamen die beiden Betriebsräte und der Gesamtbetriebsrat zu dem Ergebnis, es handele sich bei den einzelnen Standorten um einen einheitlichen, sich über ganz S...-H... erstreckenden Betrieb im Sinne der §§ 1, 4 BetrVG. Durch Beschluss vom 07.02.2014 (Anlage ASt1, Bl. 10 d. A.) bestellte der Gesamtbetriebsrat für den einheitlichen Betrieb der Arbeitgeberin, umfassend die Standorte L..., B... O..., P..., K..., E..., B..., I..., H..., E... und B... S..., einen Wahlvorstand, den Beteiligten zu 1.).

Mit Schreiben vom 18.02.2014 (Anlage ASt3, Bl. 12 d. A.) forderte der Wahlvorstand die Arbeitgeberin auf, die zur Erstellung einer Wählerliste für einen aus Sicht des Wahlvorstandes bestehenden einheitlichen Betrieb erforderlichen Informationen mitzuteilen, um die in diesem einheitlichen Betrieb durchzuführende Betriebsratswahl vorbereiten zu können.

Hierauf wendete sich die Arbeitgeberin durch ihren Justiziar an den Gesamtbetriebsrat und forderte diesen auf, seinen Beschluss zurückzunehmen, da die Bestellung des Wahlvorstandes wegen Verkennung des Betriebsbegriffes unwirksam sei. Die geforderte Auskunft wurde nicht erteilt.

Daraufhin forderte der nunmehr anwaltlich vertretene Wahlvorstand die Arbeitgeberin erneut mit Schreiben vom 06.03.2014 (Anlage ASt4, Bl. 16 f. d. A.) zur Abgabe der geforderten Informationen auf. Da das erfolglos blieb, leitete er mit Antragsschrift vom 11.03.2014 das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren ein.

Der Wahlvorstand hat stets die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der angeforderten Auskünfte stehe ihm selbst im Falle einer etwaigen Verkennung des Betriebsbegriffes gemäß § 2 Abs. 2 WO zu. Etwas anderes könne sich nur im Falle der Nichtigkeit der angestrebten Betriebsratswahl ergeben. Die Verkennung des Betriebsbegriffs führe nach Rechtsprechung und Literatur jedoch regelmäßig gerade nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Diese Frage müsse ggf. in einem späteren Anfechtungsverfahren geklärt werden. Die Bestellung des Wahlvorstandes durch den Gesamtbetriebsrat sei rechtlich nicht zu beanstanden. Etwaige Fehler führten jedenfalls auch nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl.

Der Wahlvorstand hat beantragt,

die Beteiligte zu 2.) wird im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, dem Wahlvorstand die Liste der wahlberechtigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Betriebes, bestehend aus den Bildungszentren/Standorte L..., B... O..., P..., K... einschließlich R..., E..., B..., I..., H..., E... und B... S..., jeweils mit Angabe des Geschlechts, des Geburtsdatums und des Eintrittsdatums zur Verfügung zu stellen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat dem Begehren des Wahlvorstands mit Beschluss vom 20.03.2014 stattgegeben. Es ist im Wesentlichen unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 - der Ansicht des Wahlvorstands gefolgt. Etwaige Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes oder bei der Festlegung des Betriebsbegriffes führten vorliegend allenfalls zur Anfechtbarkeit, aber nicht zur Nichtigkeit der beabsichtigten Betriebsratswahl. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den erstinstanzlichen Beschluss vom 20.03.2014 verwiesen.

Gegen diesen der Arbeitgeberin am 25.03.2014 zugestellten Beschluss hat sie am 26.03.2014 Beschwerde eingelegt, die sofort begründet wurde.

Sie ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ihres Erachtens ist der Betriebsbegriff so offensichtlich verkannt, dass dieses zur Nichtigkeit der beabsichtigten Wahl führe. Die individuellen personellen Entscheidungen treffe stets die Niederlassungsleitung, nicht die Geschäftsführerebene. Auch könne der Gesamtbetriebsrat vorliegend unter keinem rechtlich erdenklichen Gesichtspunkt für die Bestellung des Wahlvorstandes zuständig sein. Jedenfalls das führe zur Nichtigkeit.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Anträge unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Lübeck vom 20.03.2014 zurückzuweisen.

Der Wahlvorstand beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss sowohl unter tatsächlichen als auch unter rechtlichen Gesichtspunkten für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften nebst Anlagen verwiesen.

II.

A. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist an sich statthaft und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Wahlvorstand ist antragsbefugt und beteiligtenfähig im Sinne von § 10 Satz 1 2. Halbsatz ArbGG. Das gilt selbst dann, wenn seine Bestellung nichtig ist (BAG vom 27.07.2011 - 7 ABR 61/10 - zitiert nach Juris, Rz. 21).

2. Das Verfahren wurde durch den Wahlvorstand der Arbeitgeberin ordnungsgemäß eingeleitet. Auf seiner Sitzung am 07.03.2014 hat der Wahlvorstand beschlossen, das vorliegende Verfahren einzuleiten und den Prozessvertreter zu beauftragen (Anlage ASt 6 - Bl. 20 d. A.).

3. Der geltend gemachte Antrag ist begründet. Davon ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgegangen. Der Verfügungsanspruch folgt aus § 2 Abs. 1 Satz 1 WO.

a) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 WO hat der Arbeitgeber alle zur Anfertigung der Wählerliste erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, soweit diese für die Durchführung der beabsichtigten Betriebsratswahl erforderlich sind. Der Arbeitgeber, der sich weigert, den Wahlvorstand in dem erforderlichen Umfang bei der Aufstellung der Wählerliste zu unterstützen, behindert die Wahl. Die Wählerliste wiederum ist für die Durchführung der Betriebsratswahl von erheblicher Bedeutung. Nur in die Wählerliste eingetragene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ihr aktives und passives Wahlrecht ausüben. Die Wählerliste muss bei Erlass des Wahlausschreibens vorliegen. Der Wahlvorstand hat sie deshalb unverzüglich aufzustellen. Weigert sich der Arbeitgeber, die Informationen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO dem Wahlvorstand zu erteilen, so ist der Wahlvorstand nicht in der Lage, die Wahl unverzüglich durchzuführen. Denn er kann die Wählerliste nicht ordnungsgemäß aufstellen (LAG Schleswig-Holstein vom 07.04.2011 - 4 TaBVGa 1/11 - zitiert nach Juris, Rz. 27 f).

b) Dieser Anspruch des Wahlvorstandes besteht auch dann, wenn möglicherweise Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes oder dem eingeleiteten Wahlverfahren bestehen, die die Anfechtbarkeit der späteren Wahl begründen könnten (LAG Düsseldorf vom 09.01.2012 - 14 TaBV 69/11 - zitiert nach Juris, Rz. 56 m.w.N.).

c) Der Arbeitgeber ist nur dann nicht zur Erteilung der erforderlichen Informationen gemäß § 2 Abs. 2 WO verpflichtet, wenn er mit der gleichen Argumentation, mit der er die Herausgabe der geforderten Information verweigert, auch eine einstweilige Verfügung auf Untersagung bzw. Abbruch der beabsichtigten Betriebsratswahl erreichen könnte (LAG Schleswig-Holstein vom 07.04.2011 - 4 TaBVGa 1/11 - Juris).

aa) Das ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann der Fall, wenn eine nichtige Betriebsratswahl betrieben wird. Die mit der Durchführung einer Betriebsratswahl verbundenen Maßnahmen berühren den Arbeitgeber als Betriebsinhaber unmittelbar in seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zugleich werden ihm im Zusammenhang mit der Wahl Pflichten auferlegt. Ferner hat er nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Kosten der Wahl zu tragen. Hieraus ergibt sich sein Recht, im Falle der voraussichtlichen Nichtigkeit auch bereits gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 WO das Informations- und Herausgabebegehren des Wahlvorstandes abzulehnen (BAG vom 27.07.2011 - a.a.O., Rz. 29 ff).

bb) Die voraussichtliche Anfechtbarkeit der Wahl genügt hingegen nicht (BAG a.a.O., Rz. 31). Würde schon im Fall der voraussichtlichen sicheren Anfechtbarkeit der bevorstehenden Wahl ein Anspruch zugelassen, würde verhindert, dass zumindest vorläufig ein Betriebsrat zustande kommt, wie es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht. Damit würde ein betriebsratsloser Zustand aufrechterhalten, der nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes lediglich bei einer nichtigen Wahl eintreten darf (BAG a.a.O., Rz. 33 m.w.N.).

cc) Der Arbeitgeber kann zudem verlangen, dass die weitere Durchführung der Wahl unterlassen wird, wenn das Gremium, das sich als Wahlvorstand geriert, in dieser Funktion nicht bestellt wurde oder seine Bestellung nichtig ist. Handlungen eines inexistenten Wahlvorstands muss der Arbeitgeber in seinem Betrieb nicht hinnehmen (BAG a.a.O., Rz. 36).

d) Nichtig ist eine Betriebsratswahl nur in besonderen Ausnahmefällen. Voraussetzung dafür ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maß verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln (BAG vom 27.07.2011 - Rz. 39; BAG vom 19.11.2003 - 7 ABR 25/03 - Leitsatz 1 zitiert nach Juris).

Nichtigkeit kann nur bei besonders krassen Wahlverstößen angenommen werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Mangel offenkundig ist. Die Betriebsratswahl muss „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen“ (BAG vom 19.11.2003, a.a.O., Rz. 18 m.w.N.).

e) Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.

aa) Die Betriebsratswahl ist nicht bereits deshalb mit Sicherheit nichtig, weil der Betriebsbegriff möglicherweise verkannt wurde.

 (1) Die mögliche Verkennung des Betriebsbegriffs führt nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl. Der Ausnahmefall einer von Anfang an unwirksamen Betriebsratswahl ist bei einer Wahl, die unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt wird, grundsätzlich nicht anzunehmen. Die Verkennung des Betriebsbegriffs hat in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit der darauf beruhenden Betriebsratswahl zur Folge. Bei der Bestimmung des Betriebsbegriffs und seiner Anwendung auf die konkrete betriebliche Organisation ist eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu beachten. Das erfordert eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Entscheidung. Kommt es bei diesem Prozess zu Fehlern, sind sie regelmäßig nicht derart grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht (BAG vom 27.07.2011 - Rz. 42 m.w.N.; BAG vom 19.11.2003 - Rz. 18, jeweils m.w.N.).

 (2) Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann vorliegend auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls weder grundsätzlich noch ausnahmsweise eine derart grobe und offensichtliche Verkennung des Betriebsbegriffs festgestellt werden, die der Betriebsratswahl den Stempel der Nichtigkeit auf die Stirn schreibt. Hiervon geht auch das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend aus.

Die Arbeitgeberin geht aufgrund der dargelegten hierarchischen Strukturen davon aus, dass jeder Standort mit seiner jeweiligen Niederlassungsleitung in personellen Angelegenheiten selbstständig und unabhängig agieren kann und auch agiert. Demgegenüber lag nach der Wahrnehmung des Gesamtbetriebsrats und des Wahlvorstandes in der zurückliegenden Legislaturperiode die Leitungshoheit faktisch wiederholt nicht bei den Niederlassungsleitungen, vielmehr bei der Geschäftsführung.

Der Wahlvorstand hat Korrespondenz zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat in personellen Angelegenheiten aus dem Jahre 2011 zur Akte gereicht (ASt 7 - ASt 10), die allerdings aus einer besonderen betrieblichen Situation herrühren (beabsichtigte Standortschließung K...). Auch für November 2012 führt der Wahlvorstand mindestens ein unmittelbar von der Geschäftsführerin in L... geführtes Personalgespräch an. Unstreitig hat die damalige Geschäftsführerin nahezu im gesamten Jahr 2013 alle personellen Angelegenheiten für den Standort P.../N.../K... während krankheits- und Abwesenheit der Niederlassungsleitung und eines Kündigungsschutzprozesses abgewickelt. Vor all diesen Hintergründen ist der Gedanke an das Vorliegen eines einheitlichen Betriebes, von dem auch unbeanstandet in einem anderen Flächenbundesland bei der Beklagten ausgegangen wird, nach der Überzeugung der Kammer nicht derart offenkundig falsch, dass sie der Betriebsratswahl den Stempel der Nichtigkeit auf die Stirn schreibt.

Auch die Frage, ob eine Niederlassung räumlich weit entfernt vom Hauptbetrieb liegt, richtet sich nach den „Verhältnissen vor Ort“. Maßgeblich ist eine Gesamtwürdigung (Fitting, 26. Aufl., Rz. 19 zu § 4 m.w.N.). Angesichts dessen erfordert die Bestimmung des Betriebsbegriffs auch vorliegend eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Entscheidung. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist ein etwaiger Fehler bei der Bildung des Betriebsbegriffs nicht mehr derart grob und offensichtlich, dass der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Die Beantwortung dieser tatsächlichen und rechtlichen Fragen obliegt dem Anfechtungsverfahren.

bb) Die angestrebte Betriebsratswahl ist auch nicht deshalb nichtig, weil die Bestellung des Wahlvorstands durch den Gesamtbetriebsrat erfolgte. Auch diese Fragestellung drückt der beabsichtigten Betriebsratswahl nicht den Stempel der Nichtigkeit auf.

 (1) Es ist bereits fraglich, ob eine nichtige Wahl eines Wahlvorstands auch zur Nichtigkeit der ansonsten ordnungsgemäß durchgeführten Betriebsratswahl führt (Rechtsprechung und Literatur sind insoweit uneinheitlich). Das Bundesarbeitsgericht hat die Beantwortung dieser Frage bisher offen gelassen (BAG vom 19.11.2003 - 7 ABR 25/03; Rz. 20 m.w.N.). Auf die vielfältigen Nachweise bei Fitting, 26. Aufl., Rz. 5 zu § 19 wird verwiesen.

 (2) Die Bestellung des Wahlvorstands war vorliegend auch nicht nichtig. Die konkrete Beantwortung hängt zum einen wiederum vom Betriebsbegriff ab. Hier gilt der gleiche Maßstab wie unter 3. e), aa).

 (3) Jedenfalls müsste auch insoweit ein so gravierender Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes vorliegen, dass dieser als rechtlich nicht existent zu betrachten wäre (BAG vom 27.07.2011 - Rz. 44).

 (1.1) Die Nichtigkeit der Bestellung des Wahlvorstandes ist auf ausgesprochen schwerwiegende Errichtungsfehler beschränkt, die dazu führen, dass das Gremium rechtlich inexistent ist. Eine nur fehlerhafte Bestellung genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Errichtung in so hohem Maß verstoßen wurde, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Bestellung des Wahlvorstands nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16 - 17 a BetrVG handeln. Die nichtige Bestellung ist beschränkt auf ungewöhnliche Ausnahmefälle. Maßnahmen, die eine Betriebsratswahl vorbereiten sollen, dürfen nicht unnötig erschwert werden. Das gilt für die Bestellung des Wahlvorstands umso mehr, als dessen Kompetenzen nach §§ 18 und 18 a BetrVG eng begrenzt sind. Seine Pflichten werden durch das BetrVG und die Wahlordnung genau umrissen (BAG vom 27.07.2011, Rz. 47 m.w.N.).

 (2.2) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Vorbringen der Arbeitgeberin nicht die Beurteilung, dass die Bestellung des Wahlvorstands nichtig ist.

Der Gesamtbetriebsrat hat den Wahlvorstand bestellt. Der Wahlvorstand wurde korrekt gemäß § 47 Abs. 1 BetrVG errichtet und hat als solcher keine Amtszeit. Sollte bei der letzten für zwei einzelne Standorte durchgeführten Betriebsratswahl von einem fehlerhaften Betriebsbegriff ausgegangen worden sein, ist dieses unschädlich. Die Betriebsratswahl ist damals nicht angefochten worden. Die beiden Betriebsräte sind daher seit Ablauf der Anfechtungsfrist mit allen betriebsverfassungsrechtlichen Befugnissen im Amt (herrschende Meinung, vgl. nur Fitting, Rz. 36 zu § 16 m.w.N.). Der Betriebsrat konnte daher auch für den Fall der damaligen Verkennung des Betriebsbegriffs wirksam einen Gesamtbetriebsrat bestellen.

 (3.3) Das (Weiter-)Bestehen des Gesamtbetriebsrats wird nur dadurch beendet, dass die Voraussetzungen für seine Errichtung entfallen (Fitting, Rz. 26 zu § 47 m.w.N.).

Ob hier ein einheitlicher Betrieb besteht, ist gegenwärtig ungeklärt und auch nicht offensichtlich zu bejahen oder zu verneinen. Besteht er, kann kein Gesamtbetriebsrat existieren. Besteht er nicht, sind die Voraussetzungen für seine Errichtung nicht entfallen. Der gebildete Gesamtbetriebsrat bleibt weiterhin im Amt. Die Legislaturperiode der beiden unter einer anderen Sichtweise des Betriebsbegriffs gewählten Betriebsräte war bei Bestellung des Wahlvorstands noch nicht abgelaufen. Die Voraussetzungen des § 47 BetrVG für die Errichtung des Gesamtbetriebsrats dürften daher bei Bestellung des Wahlvorstands voraussichtlich noch vorgelegen haben. Die Klärung dieser Frage und damit die Frage der (Noch)-Existenz des Gesamtbetriebsrats bei Bestellung des Wahlvorstands ist angesichts dessen nicht so einfach, dass hier ein auf ungewöhnliche Ausnahmefälle beschränkter, offensichtlicher und besonders grober Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16 - 17 a BetrVG angenommen werden kann.

 (4.4) Der Gesamtbetriebsrat beruft sich anlässlich der Wahlvorstandsbestellung durch ihn auf § 17 Abs. 1 BetrVG. Die beiden Betriebsräte könnten den Wahlvorstand gemäß § 16 BetrVG nur bezogen auf ihren Standort unter Beibehaltung des alten Betriebsbegriffs bestellen. Damit erfolgt keine Bestellung für die anderen Standorte, schon gar nicht die Bestellung eines einheitlichen Wahlvorstands.

Der Gesamtbetriebsrat sieht zusammen mit den Betriebsräten anders als in der Vergangenheit für die neue Legislaturperiode das Vorliegen der Voraussetzungen eines einheitlichen Betriebs. Da für diesen einheitlichen Betrieb ein Betriebsrat nicht gebildet wurde, sieht der Gesamtbetriebsrat das Vorliegen der Bestellungsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 BetrVG für die neue Legislaturperiode als gegeben an. Auch das ist nicht offensichtlich und besonders grob falsch. Die Frage, wer bei teilweise existierenden Einzelbetriebsräten die Befugnis zur Bestellung des Wahlvorstands im Falle der Änderung der Sichtweise des Betriebsbegriffs hat, ist ungeklärt Damit können bei einer solchen Fallkonstellation etwaige Bestellungsfehler nicht als offensichtlich und besonders grober Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16 - 17 a BetrVG angesehen werden. Es liegt gerade kein auf einen ungewöhnlichen Ausnahmefall begrenzter offensichtlicher grober Verstoß vor.

 (5.5) Angesichts dessen kann hier auch nicht eingewendet werden, der Wahlvorstand habe gem. § 17 Abs. 2 BetrVG von der Betriebsversammlung bestellt werden müssen. Diese ist gerade nur zuständig, wenn kein Gesamtbetriebsrat besteht. Das ist hier aber gerade unklar.

Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht zutreffend das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs bejaht.

4. Gleiches gilt für das Vorliegen des notwendigen Verfügungsgrundes. Dieser ergibt sich schlicht daraus, dass der Wahlvorstand verpflichtet ist, gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unverzüglich die Wahl einzuleiten.

5. Die Beschwerde der Arbeitgeberin war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei.

Gegen diesen im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.



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