Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 11 Sa 605/14

Bloße Unsicherheiten über künftige Entwicklungen des Arbeitskräftebedarfs reichen für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht aus

1. Der Arbeitgeber hat eine Prognose über den vorübergehenden Mehrbedarf zu erstellen, die auf konkreten Anhaltspunkten basieren muss. Die bloße Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs reicht für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht aus. Die Prognose ist Teil des Sachgrundes für die Befristung.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Ein zusätzlicher, nur vorübergehender Arbeitskräftebedarf kann die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG rechtfertigen. Dafür muss im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aufgrund greifbarer Tatsachen mit einiger Sicherheit zu erwarten sein, dass für eine Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht.

(3.) Der befristet eingestellte Arbeitnehmer muss gerade zur Deckung des vorübergehenden Mehrbedarfs eingestellt worden sein.

(4.) Die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer muss sich im Rahmen des vorübergehenden Mehrbedarfs bewegen und darf diesen nicht überschreiten. Der Arbeitgeber darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen.

Der Kläger unterzeichnete einen neuen Arbeitsvertrag, wonach er ab dem 02.05.2013 befristet bis zum 31.07.2017 beschäftigt wird. Als Befristungsgrund ist die Bewältigung der zeitlich befristeten Mehrarbeit auf Grund steigender Studienanfängerzahlen genannt. Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 29.04.2014 - 1 Ca 4300/13 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 02./15.05.2013 zum 31.07.2017 beendet wird.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger, Diplom-Ingenieur, ist seit dem März 2008 für die beklagte F aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge tätig.

Mit Arbeitsvertrag vom 20.09.2011 (Bl. 26 ff. d.A.) vereinbarten die Parteien die befristete Anstellung für den Zeitraum vom 01.10.2011 bis 31.03.2014. Als Befristungsrund ist die Mitarbeit am Projekt des Aufbaus eines Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzkonzept genannt.

Mit Schreiben vom 26.11.2012 begründete der Dekan des Fachbereichs Luft- und Raumfahrttechnik gegenüber der Beklagten den zeitlich befristeten erhöhten Bedarf an der Beschäftigung des Klägers. Er verwies u.a. auf die zwischen dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung Nordrhein-Westfalen (MIWF) und der Beklagten vereinbarten erhöhten Studienanfängerzahlen für die Studienjahre 2011 bis 2015 und die Umsetzung der Mitarbeiter H und R , die für die Praktikumsbetreuung verantwortlich waren, in andere Lehrgebiete wegen der dortigen Mehreinschreibungen bis August 2017. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 20 f. d.A. verwiesen.

Die Beklagte ließ dem Kläger mit Anschreiben vom 02.05.2013 (Bl. 107 f. d.A.) einen weiteren Arbeitsvertrag zukommen, wonach der Kläger ab dem 02.05.2013 befristet bis zum 31.07.2017 beschäftigt wird. Als Befristungsgrund ist die Bewältigung der zeitlich befristeten Mehrarbeit auf Grund steigender Studienanfängerzahlen im Bereich der Messtechnik und Strömungsmaschinen im Fachbereich Luft- und Raumfahrttechnik genannt. Der Vertrag vom 20.09.2011 sei mit Ablauf des 01.05.2013 gegenstandslos. Der Kläger unterzeichnete den neuen Arbeitsvertrag unter dem 15.05.2013. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrages wird auf Bl. 6 ff. d.A. verwiesen.

Mit der am 28.10.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Befristung seines Arbeitsverhältnisses.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.04.2014 (Bl. 38 ff. d. A.) die Entfristungsklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es liege der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung vor, da der Anstieg der Studierendenzahlen wegen der Abschaffung der Wehrpflicht und der Aufnahme eines doppelten Abiturjahrgangs ein zeitlich vorübergehendes Belastungsphänomen darstelle. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihm am 13.06.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10.07.2014 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 12.09.2014 begründet.

Der Kläger meint, die Befristungsabrede des von ihm am 15.05.2013 unterzeichneten Arbeitsvertrages sei bereits deshalb unwirksam, weil sie erst nach Vertragsbeginn des letzten Arbeitsvertrages unterschrieben worden sei. Sein Aufgabenbereich sei in der Tätigkeitsdarstellung vom 24.06.2013(Bl. 175 ff. d.A.) definiert. Das Arbeitsgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass der Kläger nur zu 60 % mit Tätigkeiten betraut sei, die Studierende beträfen. Der Kläger habe zu 50 % seiner Arbeitszeit die bestehenden Daueraufgaben der Mitarbeiter H und R übernommen. Der Arbeitnehmer H scheide altersbedingt im März 2016 aus. Auch die Durchführung von Übungen und Praktika mit Studierenden im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik stelle eine Daueraufgabe dar. Schwankungen in der Zahl der Studierenden seien dem unternehmerischen Risiko der Beklagten zuzurechnen. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, denn sie habe dem Kläger nunmehr Aufgaben im "SMART-Projekt" zugewiesen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichtes Köln vom 29.04.2014 zum Aktenzeichen 1 Ca 4300/13 abzuändern,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht auf Grund der Befristungsabrede vom 02./15.05.2013 zum 31.07.2017 beendet sein wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei in allen Gesprächen vor Vertragsunterzeichnung klar und deutlich darauf hingewiesen worden, dass sich lediglich das Ende seiner befristeten Tätigkeit auf das Jahr 2017 verschiebe. Dem Kläger sei durch das Anschreiben der Personaldezernentin unmissverständlich verdeutlicht worden, dass der Vertrag unterschrieben zurückgesandt werden müsse. Das Schriftformerfordernis sei gewahrt. Die mit dem MIWF vereinbarten Aufnahmezahlen seien intern auf die einzelnen Fachbereiche im Rahmen von Zielvereinbarungen herunter gebrochen worden, um eine Planungssicherheit für die Fachbereiche zu schaffen und das Studium besser organisieren zu können. Der Sachgrund des vorübergehenden Mehrbedarfs hindere die Beklagte nicht, Tätigkeiten umzuschichten und den Kläger damit zu beauftragen. Die Tätigkeiten des Klägers seien der Tätigkeitsdarstellung vom 26.11.2012 (Bl. 181 ff. d.A.) zu entnehmen. Die Tätigkeitsbeschreibung vom 24.06.2013 sei weder maßgebend für die Befristungskontrolle noch von der Beklagten autorisiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 12.09.2014, 13.11.2014 und 24.12.2014 sowie die Sitzungsniederschrift vom 07.01.2015 und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist auch begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet nicht aufgrund der Befristungsabrede vom 02./15.05.2013 mit dem 31.07.2017.

1. Ein zusätzlicher, nur vorübergehender Arbeitskräftebedarf kann die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG rechtfertigen. Dafür muss im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aufgrund greifbarer Tatsachen mit einiger Sicherheit zu erwarten sein, dass für eine Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das vorgesehene Vertragsende hinaus kein Bedarf besteht. Der Arbeitgeber hat eine Prognose zu erstellen, die auf konkreten Anhaltspunkten basieren muss. Die bloße Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs reicht für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nicht aus. Die Prognose ist Teil des Sachgrundes für die Befristung. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen (BAG, Urt. v. 15.10.2014 - 7 AZR 893/12 - m.w.N.). Die Wirksamkeit einer Befristung wegen eines vorübergehenden Mehrbedarfs setzt zudem voraus, dass der Arbeitnehmer gerade zur Deckung dieses Mehrbedarfs eingestellt wird. Der Arbeitgeber darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des vorübergehenden Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten (BAG, Urt. vom 12.09.1996 - 7 AZR 790/95 - m.w.N.).

2. Selbst wenn man die Prognose des Dekans im Schreiben vom 26.11.2012, auf die sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Befristung bezieht, und die Tätigkeitsdarstellung vom 26.11.2012 hinsichtlich des Aufgabenkreises des Klägers zugrunde legt, hat die Beklagte nicht hinreichend dargetan, dass für die Arbeitsleistung des Klägers nur ein vorübergehender Bedarf besteht.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, der vorübergehende Mehrbedarf folge aus der Verpflichtung zur Aufnahme erhöhter Studienanfängerzahlen nebst getroffenen Zielvereinbarungen, kann dem mangels Mitteilung konkreter Berechnungsgrößen nicht gefolgt werden.

Es fehlt bereits die Darstellung, welchen konkreten Inhalt die mit dem MIWF ausgehandelte Vereinbarung über die Aufnahme erhöhter Studienanfängerzahlen hatte. Es bleibt offen, zur Aufnahme wie vieler Studenten sich die Beklagte über das Normalmaß hinaus für welche Studienjahre verpflichtet hatte. Soweit die Beklagte behauptet, sie habe sodann die Zahlen intern auf die einzelnen Fachbereiche im Rahmen von Zielvereinbarungen herunter gebrochen, bleibt im Ungewissen nach welcher Methode und ob dies nach dem jeweiligen prognostizierten Bedarf im Fachbereich geschehen ist. Welche konkrete Zielvereinbarung mit welchem Inhalt sie für den Fachbereich Luft- und Raumfahrttechnik abgeschlossen hat, ist ihrem Vorbingen nicht ansatzweise zu entnehmen. Selbst wenn man von einer normalen Aufnahmekapazität von 160 Studierenden pro Studienjahr im Fachbereich Luft- und Raumfahrttechnik ausgeht, ist nicht nachvollziehbar, wie auf dieser Basis der Dekan unter Berücksichtigung der Zielvereinbarung auf prognostizierte Anfängerzahlen von 219 (2011), 220 (2012), 275 (2013), 260 (2014) und 232 (2015) gekommen ist. Zudem entbehrt der Beklagtenvortrag auch der Darlegung, welche Arbeitskapazitäten für die Abdeckung des Normalbedarfs zur Verfügung stehen. Es kann daher auch nicht nachvollzogen werden, ob sich die befristete Beschäftigung des Klägers im Rahmen des vorübergehenden Mehrbedarfs hält.

3. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch der Sachgrund der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG), auf den sich die Beklagte nicht berufen hat, die Befristungsabrede nicht rechtfertigen würde. Selbst wenn der Kläger zu 50 % seiner Arbeitszeit Aufgaben der in andere Lehrbereiche umgesetzten Mitarbeiter H und R übernommen hat, ist dies schon aufgrund des Zeitanteils nicht geeignet, die Befristung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Besteht nur ein Vertretungsbedarf für eine halbe Stelle folgt aus der Beschäftigung als vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung. In diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist (vgl. : BAG, Urt. v. 04.06.2003- 7 AZR 523/02 -). Ist eine Befristung nur teilweise gerechtfertigt, ist sie insgesamt unwirksam, der gesamte befristet geschlossene Vertrag gilt dann gemäß § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen (Sievers,4. Auflage, § 14 TzBfG Rdn. 129 ff. m.w.N.).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Die Entscheidung beruht auf den besonderen Umständen des Einzelfalls.



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