Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil vom - Az: 3 Sa 157/15

Deutschlandweite Versetzung eines Familienvaters

(1.) Die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes stellt eine einseitige Leistungsbestimmung im Wege des Direktionsrechts dar. Eine einseitige Leistungsbestimmung darf jedoch nur nach billigem Ermessen (§§ 106 GewO, 315 BGB) erfolgen.

(2.) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfahrensrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Auf familiäre Belange des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber Rücksicht zu nehmen, soweit dem nicht betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen.

(3.) Eine soziale Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 KSchG findet nicht statt. Erfordert die Weisung jedoch eine persönliche Auswahlentscheidung des Arbeitgebers zwischen mehreren Arbeitnehmern, ist die Leistungsbestimmung gegenüber demjenigen Arbeitnehmer zu treffen, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind.

(4.) Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung im Rahmen der gesetzlichen, einzel- und kollektivvertraglichen Grenzen erfolgt ist sowie billigem Ermessen entspricht.

Im vorliegenden Fall versetzt der beklagte Arbeitgeber den Kläger, welcher als Isolierer beschäftigt ist, an einen Arbeitsort, der 660 Km vom Wohnort des Klägers entfernt liegt. Der Kläger ist drei Kindern im schulpflichtigen Alter zum Unterhalt verpflichtet. Anlass der Versetzung war u.a. eine Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem anderen Mitarbeiter. Der Beklagte ging zudem davon aus, den Kläger ohne nähere Begründung versetzen zu dürfen.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die Versetzung unwirksam, da der Beklagte bei der Ausübung seines Direktionsrechts das ihm obliegende Ermessen (gar) nicht ausgeübt habe. Insbesondere müsse der Arbeitgeber auch die familiären Verhältnisse berücksichtigen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 16.04.2015 – 5 Ca 48 d/15 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten gegenüber dem Kläger erklärten Versetzung von B... nach L....

Der Kläger ist 56 Jahre alt. Er ist verheiratet, seiner nicht berufstätigen Ehefrau und drei schulpflichtigen Kindern (derzeit 8, 11 und 14 Jahre) gegenüber zum Unterhalt verpflichtet und wohnt in B....

Er ist auf der Grundlage eines - zunächst befristeten - schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 8 - 12 d. A.) seit dem 02.07.2007 (8 Jahre lang) als Spezialfacharbeiter/Isolierer bei der Beklagten, die ihren Sitz in L... (N...) hat, tätig. Zuletzt betrug seine Bruttomonatsvergütung 2.741,90 EUR.

In Pos. 14 des Arbeitsvertrages regelten die Parteien, dass auf das Arbeitsverhältnis die allgemeinverbindlichen Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung finden sollen, soweit der Arbeitsvertrag keine andere Regelung enthalte. Nach Pos. 16 Abs. 1 des Arbeitsvertrages ist geregelt, dass der Kläger auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen der Beklagten eingesetzt werden könne, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen könne.

Die Beklagte setzte den Kläger zunächst rund zwei Jahre lang auf einer Baustelle auf dem Gelände der Raffinerie in H... ein, das sind 38 km vom Wohnort entfernt. Seit 2009 ist der Kläger auf einer Baustelle bei ihrem Kunden S... GmbH in B... eingesetzt.

Wegen einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem bei der Beklagten als Vorarbeiter beschäftigten Herrn M. am 05.09.2014 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger unter dem Datum des 08.09.2014 eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung aus. Ein halbes Jahr davor waren die beiden schon einmal verbal aneinandergeraten und fühlten sich wechselseitig beleidigt. Nachdem der Kläger sodann in eine andere Abteilung versetzt worden war, war Ruhe. Beide ignorierten sich. Es kam dann nach einer vorübergehenden Zuweisung des Klägers in die Abteilung des Vorarbeiters M. im September 2014 wieder zu einer verbalen Auseinandersetzung. Der Kläger erhielt daraufhin die fristlose Kündigung, gegen die er Klage erhob. Was wer wann wem zuerst und zuletzt gesagt hat, ist streitig und nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme im Vorprozess auch widersprüchlich geblieben. Der Kläger hat das Kündigungsschutzverfahren (51 Ca 1391 c/14) gewonnen. Das Urteil vom 13.11.2014 ist rechtskräftig geworden.

Noch während des Laufs der Rechtsmittelfrist erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 27.11.2014 (Bl. 37 f. d. A), sie beabsichtige, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen. Sie bot dem Kläger den Abschluss einer befristeten Prozessbeschäftigungsvereinbarung über eine Beschäftigung auf ihrer Baustelle bei ihrem Kunden in L... O... mit Wirkung ab dem 01.12.2014 an, das ist rund 660 km vom Wohnort des Klägers entfernt. Der Kläger erklärte am 02.12.2014 (Bl. 41 f. d. A.) nur seine Bereitschaft zum Abschluss eines befristeten Prozessbeschäftigungsverhältnisses auf Baustellen der Beklagten bei der S... GmbH oder der M... B... B... GmbH & Co. KG. Am 08.12.2014 teilte die Beklagte mit, dass ihr Angebot einer Beschäftigung des Klägers in L... nicht unbillig und willkürlich sei. Der Arbeitsplatz des Klägers bei der S... GmbH sei zwischenzeitlich besetzt. Zudem sei zu befürchten, dass der Kläger sich bei einem Einsatz auf der Baustelle bei der S... GmbH wiederum aggressiv gegenüber Herrn M. oder anderen Kollegen gebärden würde.

Die Beklagte entschied sich dann, keine Berufung einzulegen und forderte den Kläger mit Schreiben vom 07.01.2015 (Bl. 45 f. d. A.) auf, seine Tätigkeit in L... O... am 12.01.2014 wieder aufzunehmen. Vom 12.01.2015 bis zum 20.05.2015 einschließlich war der Kläger arbeitsunfähig krank.

Der Kläger hat stets vorgetragen, Versetzungsanordnung der Beklagten vom 07.01.2015 sei unwirksam. Sie sei eine Schikanemaßnahme der Beklagten, nachdem sie im Kündigungsschutzverfahren unterlegen sei. Die Maßnahme verstoße gegen § 106 GewO und § 315 Abs. 3 BGB. Die Interessen des Klägers seien nicht berücksichtigt worden, vor allem nicht seine familiäre Situation. Die Beklagte könne ihn z.B. an Stelle eines der regelmäßig eingesetzten rund 15 externen Beschäftigten oder als festangestellter Isolierer in B... bei der S... GmbH und bei der M... B... B... GmbH & Co. KG beschäftigen. Statt des Klägers hätte die Beklagte andere festangestellte Isolierer, von denen sie am Standort B... wenigstens drei nicht verheiratete und nicht durch Unterhaltsverpflichtungen gegenüber minderjährigen Kindern Belastete beschäftige, versetzen können.

Die Beklagte hat stets vorgetragen, der Kunde B... habe verstärkt Personal in L... gefordert, und sie habe 15 Mitarbeiter dorthin entsandt. Die Versetzung sei zudem u.a. zur Sicherung des Betriebsfriedens erfolgt. Arbeitsvertraglich sei sie dazu berechtigt.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 16.04.2015 der Klage stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass, wie und mit welchen Gesichtspunkten sie ihr Ermessen ausgeübt und dabei auch die Interessen des Klägers, vor allem die verfassungsrechtlich geschützten Interessen als Familienvater berücksichtigt habe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.

Gegen diese der Beklagten am 15.05.2015 zugestellte Entscheidung hat sie am 26.05.2015 Berufung eingelegt, die am 14.07.2015 begründet wurde.

Die Beklagte ergänzt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie meint, es sei schon nicht von einer Versetzung auszugehen, da die Zuweisung anderer Baustellen dem Baugewerbe immanent sei. Sie habe ein deutschlandweites Weisungsrecht, ohne dass sie die Zuweisung einer bestimmten Baustelle überhaupt besonders rechtfertigen müsse (Bl. 88 d. A.). Darüber hinaus sei sie vor dem Hintergrund des Konflikts, der zur fristlosen Kündigung geführt habe, berechtigt gewesen, den Kläger an einem anderen Ort einzusetzen. Er habe Anlass für die Auseinandersetzung gegeben. Eine Interessenabwägung habe sie nicht vornehmen müssen. Eine soziale Auswahl finde nicht statt. Auch sei das Arbeitsgericht fälschlicherweise  davon ausgegangen, sie sei darlegungs- und beweisbelastet. Der Kläger habe aber nachzuweisen, dass ein anderer Arbeitsplatz frei sei, erst dann müsse der Arbeitgeber Billigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen treffen. Außerdem müsse erst der Kläger vortragen, dass und warum die Interessenabwägung falsch sei, bevor sie als Arbeitgeberin hierauf zu erwidern habe. An einem diesbezüglichen Vortrag des Klägers fehle es aber.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn, Kammer Meldorf, zu Aktenzeichen – 5 Ca 48 d/15 -, verkündet am 16.04.2015, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle verwiesen.

Das Gericht hat die Akte des Verfahrens 51 Ca 1391 c/14 beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Versetzung vom 07.01.2015 nach L... für unwirksam erklärt. Dabei hat es auch ausdrücklich auf die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten in Bezug auf die getroffene Entscheidung hingewiesen. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:

1. Kraft der arbeitsvertraglichen Regelungen ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Kläger auch auf anderen Baustellen als denen in B... im Wege ihres Direktionsrechtes einzusetzen. Insoweit kann zudem dahingestellt bleiben, ob es sich angesichts des Geltungsbereiches des BRTV-Bau um eine Umsetzung oder eine Versetzung handelt.

2. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes stellt eine einseitige Leistungsbestimmung im Wege des Direktionsrechts dar. Eine einseitige Leistungsbestimmung darf jedoch nur nach billigem Ermessen im Sinne von §§ 106 GewO, 315 BGB erfolgen.

Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfahrensrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG vom 17.08.2011 – 10 AZR 202/10 – zitiert nach Juris Rz. 22 m.w.N.). Auf familiäre Belange des Arbeitsnehmers hat der Arbeitgeber Rücksicht zu nehmen, soweit dem nicht betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen (BAG vom 23.09.2004 – 6 AZR 567/03 – zitiert nach Juris, Leitsatz 1 und Rz. 19 ff). Eine soziale Auswahl wie im Falle des § 1 Abs. 3 KSchG findet nicht statt (BAG vom 26.09.2012 – 10 AZR 311/11 – zitiert nach Juris Rz. 30 m.w.N.; BAG vom 17.08.2011 – 10 AZR 202/10 – zitiert nach Juris Rz. 22). Erfordert die Weisung jedoch eine persönliche Auswahlentscheidung des Arbeitgebers zwischen mehreren Arbeitnehmern, ist die Leistungsbestimmung gegenüber demjenigen Arbeitnehmer zu treffen, dessen Interessen weniger schutzwürdig sind (BAG vom 10.07.2013 – 10 AZR 915/12 – zitiert nach Juris, Leitsatz 2 Rz. 29; Henssler/Willemsen/Kalb (HWS) -Lembcke, 6. Aufl., Rz. 123 zu § 106 GewO).

Das Direktionsrecht ist nur dann nach billigem Ermessen ausgeübt worden, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind (BAG vom 17.01.2006 – 9 AZR 226/05 – Leitsatz 3 sowie Rz. 36 – zitiert nach Juris). Je einschneidender die Auswirkungen der auf dem Direktionsrecht beruhenden Maßnahme für den Arbeitnehmer sind, desto sorgfältiger muss die Abwägung der wechselseitigen Interessen erfolgen (HAWEKA-Lembke, Rz. 119 zu § 106 GewO).

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung im Rahmen der gesetzlichen, einzel- und kollektivvertraglichen Grenzen erfolgt ist sowie billigem Ermessen entspricht (BAG vom 13.03.2007 – 9 AZR 433/06 - Leitsatz 3 sowie Rz. 81 m.w.N., zitiert nach Juris).

3. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass die streitbefangene Versetzung des Klägers nach L... unwirksam ist. Die Beklagte hat nach wie vor, trotz des entsprechenden Hinweises im angefochtenen erstinstanzlichen Urteil, nicht substantiiert dargelegt, dass die Leistungsbestimmung billigem Ermessen entspricht, sie die berechtigten Belange des Klägers überhaupt berücksichtigt und abgewogen hat und dass der Kläger bei Abwägung aller Gesichtspunkte in Bezug auf die Versetzung nach L... derjenige Arbeitnehmer ist, dessen Interessen am wenigsten schutzwürdig sind.

a) Die Beklagte hat noch in der Berufungsverhandlung nach wie vor die Ansicht vertreten, aufgrund der arbeitsvertraglichen und der für den Baubereich geltenden tarifvertraglichen Regelungen bedürfe die jeweilige Zuweisung einer Arbeitsstätte generell keiner besonderen Rechtfertigung. Diese Rechtsansicht ist falsch und widerspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Schon diese geäußerte Rechtsposition zeigt jedoch, dass die Beklagte entgegen §§ 106 GewO, 315 BGB bei der Zuweisung des Arbeitsortes L... keine Abwägung der wechselseitigen Interessen auch unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit vorgenommen hat. So sind die familiären Verhältnisse des Klägers bei der Zuweisung eines ca. 660 km entfernten Arbeitsortes gänzlich unberücksichtigt geblieben. Noch in der Berufungsverhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gemeint, die Tatsache, dass der Kläger seine nicht berufstätige Ehefrau sowie drei minderjährige schulpflichtige Kinder im Alter von derzeit 8, 11 und 14 Jahren zu versorgen habe und insoweit auch eingebunden sei, sei ausschließlich die Privatangelegenheit des Klägers. Das ist rechtsfehlerhaft. Wie das Arbeitsgericht bereits in dem angefochtenen Urteil dargelegt hat, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Interesse eines Arbeitnehmers auf sein Ehe- und Familienleben verfassungsrechtlich geschützt. Ihm kommt herausragende Bedeutung zu (BAG vom 17.08.2011 – 10 AZR 202/10 – Rz. 22 m.w.N.). Aus dem Vorbringen der Beklagten wird ersichtlich, dass diese bei ihrer Leistungsbestimmung die familiären Pflichten und Unterhaltspflichten des Klägers gänzlich unberücksichtigt gelassen hat. Schon angesichts dessen ist die erfolgte Leistungsbestimmung fehlerhaft, denn es hat insoweit keine Abwägung von Interessen stattgefunden.

b) Auch die zwischen dem Kläger und dem Vorarbeiter M. zurückliegende Auseinandersetzung ist nicht geeignet, die Versetzung des Klägers nach L... per se zu rechtfertigen. Zum einen bedarf es immer einer umfassenden Interessenabwägung, die, wie bereits dargelegt, vorliegend nicht erfolgt ist. Zum anderen sind keinerlei Tatsachen substantiiert vorgetragen worden, warum bei der vorzunehmenden Auswahl ausgerechnet der Kläger versetzt werden musste und warum nur ein Einsatz in einem ca. 660 km entfernten Ort den Betriebsfrieden sichern konnte. Die dem Kläger gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung ist arbeitsgerichtlich rechtskräftig für unwirksam erklärt worden. Der beigezogenen Akte 51 Ca 1391 c/14 ist zu entnehmen, dass nach dem Ergebnis der dort durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht aufgeklärt werden konnte, was tatsächlich überhaupt stattgefunden hat und was wer wem wann zuerst und zuletzt verbal entgegengehalten hat. Auch steht fest, dass es mehrere Arbeitskolonnen und Abteilungen gibt und der Kläger in der Vergangenheit weder regulär noch dauerhaft mit dem Vorarbeiter M. zusammengearbeitet hat und zusammenarbeiten müsste. Der Kläger war nur ausnahmsweise der Kolonne des Vorarbeiters M. zugewiesen. Auch vor diesem Hintergrund ist keinerlei Abwägung seitens der Beklagten ersichtlich.

c) Der Kläger hat zudem schon außergerichtlich, aber auch in der Klageschrift vorgetragen, dass es auf der Betriebsstätte der Beklagten bei der S... B... GmbH aber auch auf der Betriebsstätte der Beklagten bei der M… B... B... GmbH & Co. KG verschiedene Abteilungen mit diversen festangestellten Isolierern und diversen regelmäßig eingesetzten Leiharbeitnehmern gibt, auf deren Arbeitsplatz er hätte weiterbeschäftigt werden können und dass andere festangestellte, weniger schutzwürdige Arbeitnehmer ggf. nach L... hätten versetzt werden müssen. Die Beklagte ist hierauf zu keinem Zeitpunkt konkret unter Offenlegung ihrer Abwägungsgesichtspunkte eingegangen. Unstreitig hat derjenige Isolierer, der seit der – rechtswidrigen – außerordentlichen Kündigung der Beklagten den Arbeitsplatz des Klägers in B... besetzt, keine bzw. weniger Unterhaltslasten als der Kläger. Auf ausführliches Befragen des Gerichts in der Berufungsverhandlung ergab sich, dass ein Baustellen übergreifender Ringtausch der Arbeitsplätze mehrerer Isolierer in B... erfolgt ist. Auch insoweit hätte es zum Nachweis, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger ihr Direktionsrecht nach billigem Ermessen ausgeübt hat, eines rechtzeitigen substantiierten und einlassungsfähigen Vortrags bedurft. Das ist jedoch nur teilweise, insoweit auch nur fragmentarisch und unter Außerachtlassung der nach § 67 ArbGG zu beachtenden Vortragsfristen erstmals in der Berufungsverhandlung geschehen, obgleich das Arbeitsgericht bereits in dem angefochtenen Urteil auf die Darlegungs- und Beweislast der Beklagten hingewiesen hatte. Vor diesem Hintergrund war das neue Vorbringen der Beklagten zu ihrer Auswahlentscheidung bzgl. des Einsatzes einzelner Arbeitnehmer in B... und der Nichtberücksichtigung des Klägers unvollständig, vor allem aber verspätet. Das insoweit neue Vorbringen, auch zu einer etwaigen Vergleichbarkeit war für den Kläger weder aktuell überprüfbar noch einlassungsfähig. Abgesehen davon war es auch nicht hinreichend substantiiert. Auch beschäftigt die Beklagte unstreitig in B... auf beiden Vorhaben in mehreren Kolonnen weitere Isolierer, zu denen sie in Bezug auf die Ausübung der getroffenen und hier streitigen Auswahlentscheidung gar nichts vorgetragen hat.

4. Aus den genannten Gründen ist die Versetzung des Klägers vom 07.01.2015 nach L... unwirksam. Der Klage ist zu Recht stattgegeben worden, so dass die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.



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