Arbeitsgericht Nordhausen

Urteil vom - Az: 2 Ca 199/22

Druckkündigung: Wenn Mitarbeiter Kündigung fordern

Im Fall einer sog. echten Druckkündigung aufgrund Eigenkündigungsandrohungen einer Vielzahl von Mitarbeiter/innen hat sich der Arbeitgeber grundsätzlich auch dann schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen und zu versuchen die Drohung abzuwenden, wenn es zeitlich vor den Eigenkündigungsandrohungen Gespräche und Mediationen wegen eines Konflikts mit dem betroffenen Arbeitnehmer gegeben hat.
(Leitsatz des Gerichts)

Die Klägerin war bei der Beklagten als Leiterin einer Kindertageseinrichtung tätig.
Im Jahr 2018 gab es in der Kindertageseinrichtung sog. Supervisionen, welche die Teambildung fördern sollten. In der Folgezeit beschwerten sich die Mitarbeiter beim Bürgermeister der Beklagten hinsichtlich des Führungsstils der Klägerin und des Umganges mit den Mitarbeitern. Daraufhin wurde zwischen den Beteiligten und unter Einbeziehung des Personalrats ein Gespräch durchgeführt sowie ein Team-Workshop und ein Mediationsverfahren eingeleitet, um die künftige Zusammenarbeit zu strukturieren. Die Beklagte leitete im Folgenden eine schriftliche Befragung unter den Mitarbeitern ein, u.a. mit folgender Aufforderung: „In Anbetracht der vorangegangenen Konflikte möchten wir Sie bitten das Fehlverhalten von Frau … zu benennen. Wir bitten Sie aufzuführen, ob Sie sich eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Frau …. vorstellen können. Bitte begründen Sie Ihre Entscheidung. Können Sie sich vorstellen, Frau …. beim Abstellen von Fehlern in der Einrichtungsleitung zu unterstützen? Was würde es für Sie und Ihre berufliche Zukunft bedeuten, wenn Frau …. erneut die Möglichkeit bekommen würde, Mängel in der Einrichtungsleitung abzustellen?“ Im März 2022 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich. Die Beklagte begründete die Kündigung mit dem ausgeübten Druck der Mitarbeiter. Diese drohten nicht nur mit der Arbeitsverweigerung, sondern auch mit einer Eigenkündigung, müssten sie mit der Klägerin weiter zusammenarbeiten.
Die von der Klägerin eingelegte Kündigungsschutzklage war vor dem ArbG erfolgreich. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Ebenso liege kein Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG vor. Insbesondere konnte sich die Beklagte nicht auf eine vermeintliche Drucksituation infolge der Spannung im Team berufen, da er sich nicht schützend vor die Klägerin gestellt hat. Vielmehr habe die Beklagte durch die Befragung die negative Stimmung gegenüber der Klägerin gestärkt. Auch die durchgeführten Supervisionen, Gespräche und Mediationsverfahren führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Maßnahmen erfolgten alle, bevor es konkrete Eigenkündigungsandrohungen gab.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung, noch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.03.2022 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag vom 17.04.2002 vereinbarten Arbeitsbedingen in der Fassung des Änderungsvertrages vom 19.09.2016 als Leiterin der Kindertageseinrichtung "..." der Stadt B... mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit 40 Stunden und unter Eingruppierung in die Entgeltgruppe S17 Stufe 6 TVöD bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 27.080,10 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Die am 12.04.1964 geborene, verheiratete und einem volljährigen behindertem Kind unterhaltsverpflichtete Klägerin begründete mit der Beklagten, bei der regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer tätig sind und ein Personalrat gebildet ist, mit Wirkung ab dem 01.05.2002 ein Arbeitsverhältnis. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag des Öffentlichen Diensten und dem besonderen Teil Verwaltung und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die Klägerin war zunächst als Heilpädagogin und ab 2007 als Erzieherin für die Beklagte tätig. Seit dem 01.01.2017 ist die Klägerin Leiterin der Kindertageseinrichtung "..." in B.... In der Kindertageseinrichtung arbeiten 16 Erzieher/innen, ein Hausmeister und eine technische Kraft. Die Klägerin ist zuletzt in die Entgeltgruppe S 17 eingruppiert und erzielt ein Bruttogehalt von 5.416,02 EUR monatlich.

Im Jahr 2018 gab es in der Kindertageseinrichtung "..." sog. Supervisionen, die die Teambildung fördern sollten. Dabei gab es am 16.01.2018, 25.04.2018 und 20.06.2018 sog. Gruppenvisionen sowie zusätzlich eine Einzelvision mit der Klägerin.

Im September 2021 beschwerten sich Mitarbeiter/innen beim Bürgermeister der Beklagten hinsichtlich des Führungsstils der Klägerin und des Umganges mit den Mitarbeiter/innen. Die Beschwerde gelangte am 14.09.2021 zum Bürgermeister. Gegenstand der Beschwerden waren u.a., dass die Klägerin zu spät komme, sich nicht an Arbeitszeiten halte, keine Arbeitszeitnachweise führen und private Dinge während der Arbeit erledigen würde; beim Urlaub bestünde die Klägerin auf starre Urlaubsplanung, würde sich selbst aber nicht daran halte. Ebenso beschwerten sich die Mitarbeiter/innen, dass die Klägerin sie ohne Respekt und von oben herab behandeln würde, keine Selbstreflexion hinsichtlich eigener Fehler habe, Anrufe bei kranken Kolleg/innen zu Hause tätigen würde und Vorschläge der Mitarbeiter/innen generell abgelehnt würden und dass die Mitarbeiter/innen grundsätzlich ohne dienstliche Notwendigkeit Minusstunden leisten müssten und das Zurückführen der Minusstunden durch die Klägerin erschwert würde.

Am 22.09.2021 fand zwischen der Klägerin, zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten, dem Hauptamtsleiter, der zuständigen Mitarbeiterin aus dem Bereich Soziales, Frau R..., der Stellvertreterin der Klägerin und einem Mitglied des Personalrates ein Gespräch statt. Gegenstand des Gespräches waren insbesondere die Minusstunden der Mitarbeiter/innen und die Nichterbringung von Gruppenarbeit durch die Klägerin.

Am 11.11.2021 gab es einen Team- Workshop. Ziel des Workshops war die Erarbeitung einer Struktur und Regeln für die künftige Zusammenarbeit.

Einen weiteren Termin eines Mediationsverfahrens, das von einer Mitarbeiterin des Landratsamtes K..., Frau V..., durchgeführt wurde fand am 17.01.2022 statt. Der Termin wurde nach einer halben Stunde abgebrochen. Die Kläger erkrankte ab dem 18.01.2022 arbeitsunfähig. Während der andauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stellte die Beklagte die Klägerin unter Fortbezahlung der Vergütung frei.

Die Beklagte entwarf im Folgenden einen Fragebogen für sämtliche Mitarbeiter/innen der Kindertageseinrichtung "...". Der Fragebogen beinhaltete folgende Fragen:

"(...)

In Anbetracht der vorangegangenen Konflikte möchten wir Sie bitten das Fehlverhalten von Frau Sch...  zu benennen.

Wir bitten Sie aufzuführen, ob Sie sich eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Frau Sch.... vorstellen können. Bitte begründen Sie Ihre Entscheidung.

Können Sie sich vorstellen, Frau Sch.... beim Abstellen von Fehlern in der Einrichtungsleitung zu unterstützen?

Was würde es für Sie und Ihre berufliche Zukunft bedeuten, wenn Frau Sch.... erneut die Möglichkeit bekommen würde, Mängel in der Einrichtungsleitung abzustellen?

Hiermit versichern wird Ihnen, dass wir Ihre Angaben vertraulich behandeln.

(...).""

Die Beklagte hörte den Personalrat mit Schreiben vom 10.03.2022 zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin an (s. Bl. 95 d.A.). Der Personalrat stimmte mit Schreiben vom 11.03.2022 einer "fristlosen, fristrechten Kündigung" zu (Bl. 124 d.A.). Mit Schreiben vom 14.03.2022 kündigte die Beklagte sodann das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt (s. Anlage K17, Bl. 27 d.A.).

Die Klägerin erhob unter dem 17.03.2022, bei Gericht am 18.03.2022 eingegangen und der Beklagten am 28.03.2022 zugestellt, Kündigungsschutzklage mit welcher sie zugleich ihre vorläufige Weiterbeschäftigung und ein Zwischen,- hilfsweise ein Endzeugnis begehrt. Die weiteren Anträge (allg. Feststellungsantrag und ein Antrag nach § 61 Abs. 2 ArbGG) hat die Klägerin im Kammertermin am 13.07.2022 zurückgenommen.

Die Klägerin meint, es bestehe kein Grund für eine außerordentliche Kündigung. Die hohen Voraussetzungen einer sog. Druckkündigung lägen nicht vor. Hintergrund der Beschwerde im September 2021 sind aus Sicht der Klägerin die aufgrund der Corona-Pandemie angefallenen Minusstunden, durch die die Einrichtung im Dezember 2020/ Januar 2021 geschlossen werden musste. Bei einer befristet Beschäftigten Mitarbeiterin habe das dazu geführt, dass diese ihr Arbeitszeitkonto nicht mehr habe ausgleichen können und durch den Bürgermeister angeordnet worden sei, das Arbeitszeitkonto auf "null" zu setzen. Dies habe erheblichen Unmut bei den anderen Mitarbeiter/innen, deren Arbeitszeitkonto sich noch im Minus befand, geführt. Soweit moniert werde, dass die Klägerin keine Gruppenarbeit erbringe, weist sie daraufhin, dass sie dazu nicht verpflichtet sei, da Kitaleiter/innen nach dem Thüringer Kita- Gesetz ab einer Kindergartengröße von 100 Kindern davon befreit seien.

Der Fragebogen der Beklagten habe allein die Zielrichtung gehabt, Fehlverhalten der Klägerin zu suchen und sie schlussendlich zu entlassen.

Die Klägerin bestreitet ferner die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrates und moniert, dass die Kündigung unter Verstoß gegen § 29 Abs. 3 Nr. 2 ThürKO bzw. § 21 Abs. 2 Nr.3 der Geschäftsordnung des Stadtrates erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt:

1. a) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.03.2022- zugegangen am 15.03.2022- nicht beendet worden ist

b) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.03.2022- zugegangen am 15.03.2022- nicht aufgelöst worden ist

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

Hilfsweise für den Fall, dass der Feststellungsantrag 1) abgewiesen wird:

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den im Arbeitsvertrag vom 17.04.2002 vereinbarten Arbeitsbedingen in der Fassung des Änderungsvertrages vom 19.09.2016 als Leiterin der Kindertageseinrichtung "..." der Stadt B... mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit 40 Stunden und unter Eingruppierung in die Entgeltgruppe S17 Stufe 6 TVöD bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte führt aus, es handele sich um eine außerordentliche Kündigung, die aufgrund des Druckes der Kolleg/innen der Klägerin ausgesprochen worden sei. Hintergrund sei, dass sich ein erheblicher Teil der Mitarbeiter/innen weigere weiterhin mit der Klägerin zusammenzuarbeiten und mit einer Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses gedroht hätten. Seit der Übernahme der Kindergartenleitung durch die Klägerin 2017 sei es zu Beschwerden der der Klägerin unterstellten Mitarbeiter/innen wegen ihres Führungsstils gekommen.

Die Supervisionen im Jahr 2018 seien auf Veranlassung Beklagten erfolgt. Die Klägerin habe die zweite Gruppenvision 2018 vorzeitig verlassen und an der dritten Supervision 2018 nicht teilgenommen. Die Beklagte behauptet, es habe auch im Jahr 2020 Unstimmigkeiten und Aktenvermerke gegeben, insbesondere betreffend der Zusammenarbeit der Klägerin mit ihrer Stellvertreterin, Frau M.... und den Erziehern des Standortes "..." gegeben, die zu Gesprächen in den 39. und 41. Kalenderwoche 2020 geführt hätten.

Die Beklagte behauptet weiterhin, die Klägerin habe im Anschluss an das Gespräch vom 22.09.2022 die ihr unterstellten Mitarbeiter/innen einzeln in ihr Büro geordert und über mehrere Stunden zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen befragt. Zudem behauptet sie, dass sich am 01.10.2021 die Elternsprecherin der Einrichtung bei Frau R... beschwert und kommuniziert habe, dass die Elternarbeit mangelhaft sei und die Klägerin ihre Aufgaben als Leiterin offensichtlich nicht wahrnehmen würde.

Den Team- Workshop am 11.11.2021 habe die Klägerin nicht initiiert, sie habe lediglich die Organisation übernommen. Am 16.12.2021 hätten sich mehrere Erzieher/innen der Kindertagesstätte "..." beim Bürgermeister der Beklagten beschwert und berichtet, dass die Festlegungen des Team- Workshops durch die Klägerin nicht umgesetzt worden seien.

Im Rahmen des Meditationstermins am 17.01.2022 habe der überwiegende Teil der Mitarbeiter/innen mitgeteilt, mit der Klägerin nicht mehr zusammenarbeiten zu wollen. Nach dem Termin sei kaum ein Tag vergangen, an dem die Beschäftigen der Kindertageseinrichtung nicht mitteilt hätten große Angst vor der bevorstehenden Rückkehr der Klägerin zu haben und Eigenkündigungsandrohungen der Mitarbeiter/innen erfolgt seien. Die Beklagte habe, um die Situation in der Kindertageseinrichtung "Sonnenschein" und die Ablehnung der Klägerin konkret einschätzen zu können, die Fragebogenaktion durchgeführt. Die Auswertung der Fragebögen habe folgendes Bild ergeben: Eine Mitarbeiterin habe bekundet keine Schwierigkeiten mit der Klägerin zu haben und weiter mit ihr zusammenarbeiten zu können. Acht Mitarbeiter/innen hätten bekundet, dass das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihnen extrem gestört sei und sie mit dieser nicht mehr zusammenarbeiten wollten. Eine Mitarbeiterin habe ausgeführt, dass sie bei einem Verbleib der Klägerin ein Wiederaufleben ihrer Erkrankung befürchte, sie aber versuchen würde ihre Arbeit zu machen. Neun Mitarbeiter/innen hätten von einem extrem gestörten Verhältnis zur Klägerin berichtet, so dass die Zusammenarbeit nicht mehr tragbar sei. Von diesen neun Mitarbeiter/innen hätten acht angegeben, für den Fall, dass die Klägerin in der Einrichtung verbleibe, eine Eigenkündigung einzureichen. Es in einem Fall bereits eine Bewerbung erfolgt.

Der Beklagten drohten durch die angedrohten Kündigungen erhebliche Schäden, da sie im Falle der Kündigung von mehr als acht Arbeitnehmer/innen nicht mehr in der Lage sei, den gesetzlichen Anspruch der Bürger auf eine Kinderbetreuung ab dem vollendeten 1. Lebensjahr bis zum Schuleintritt, zu gewährleisten. So drohten Schadenersatzansprüche der Eltern, deren Kinder nicht mehr betreut werden könnten. Eine Versetzung der Klägerin in eine andere Einrichtung sei nicht möglich, da die Leiterinnenstellen in anderen Kitas nicht gleich bewertet seien. Zudem verschöben sich die Probleme lediglich in einen anderen Kindergarten. Eine Verhaltensänderung wäre nicht zu erwarten, wie die erfolglose Durchführung von Supervisionen, Gesprächen, Mediationsverfahren gezeigt hätten.

Dem Bürgermeister der Beklagten hätten am 02.03.2022 die Stellungnahmen aller Mitarbeiter/innen vorgelegen, daher sei Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen.

Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die Sozialdaten der Klägerin seien dem Personalrat bekannt, zudem sei der Personalrat bei Übergabe des Anhörungsschreibens darüber informiert worden, dass die Kündigung hilfsweise ordentlich ausgesprochen werden solle.

Ein Verstoß gegen § 29 Abs. 3 Nr. 2 ThürKO oder § 21 Abs. 2 Nr. 3 der Geschäftsordnung des Stadtrates läge nicht vor. Es sei eine Eilentscheidung nach § 30 ThürKO getroffen worden, um die Kündigungsausspruchsfrist wahren zu können.

Für den Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.

 

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

1. Der die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.03.2022 betreffende Feststellungsantrag ist begründet, weil diese Kündigung unwirksam ist.

a) Die Wirksamkeit der Kündigung wird nicht gem. §§ 7 Hs. 1, 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG vermutet, weil die Klägerin rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist Klage erhoben hat.

b) Es liegt kein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vom 14.03.2022 vor. Ebenso liegt kein Kündigungsgrund iSd § 1 Abs. 2 KSchG vor.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Konkrete Pflichtverletzungen, die auch ohne Ausspruch einer vorherigen Abmahnung, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, hat die Beklagte nicht dargelegt und sich auch nicht darauf berufen.

bb) Gleichermaßen hat die Beklagte keinen verhaltens- oder personenbedingten Grund iSd § 1 Abs. 2 KSchG aufgezeigt oder sich auf einen solchen berufen.

cc) Auch die Voraussetzungen einer sog. echten (außerordentlichen) Druckkündigung liegen nicht vor. Eine Druckkündigung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn Dritte unter Androhung von Nachteilen für den Arbeitgeber von diesem die Entlassung eines bestimmten Arbeitnehmers verlangen. Fehlt an einer solchen objektiven Rechtfertigung der Drohung (d.h. es liegt kein Grund iSd § 626 BGB vor bzw. im Rahmen ordentlicher Kündigung kein Kündigungsgrund iSd § 1 Abs. 2 KSchG), so kommt nach der Rechtsprechung des BAG eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht. An die Zulässigkeit einer so genannten "echten Druckkündigung" sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise die Drohung nicht abgewendet werden kann und bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, inwieweit der Arbeitgeber die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat (vgl. BAG, Urt. v. 18.7.2013 - 6 AZR 420/12).

Die Beklagte hat keinen Versuch unternommen sich nach den Eigenkündigungsdrohungen schützend vor die Klägerin zu stellen. Das Gegenteil ist der Fall: Nachdem das Mediationsgespräch am 17.01.2022 abgebrochen werden musste und anschließend eine nicht näher benannte Anzahl an Mitarbeiter/innen Eigenkündigungen angedroht haben sollen, hat die Beklagte eine suggestive Fragen beinhaltende Umfrage mit sämtlichen Mitarbeiter/innen durchgeführt. Die Mitarbeiter/innen sind mit dem Fragebogen aufgefordert worden das Fehlverhalten der Klägerin aufzuzeigen, ebenso ging es um die Frage der Zukunft der Klägerin in der Einrichtung, die Möglichkeiten ihrer Unterstützung und was es für ihre berufliche Zukunft bedeuten würde, wenn die Klägerin erneut die Möglichkeit bekommen würde, Mängel in der Einrichtungsleitung abzustellen. Die Fragerichtung war damit nicht offen und allgemein auf die Situation in der Einrichtung gerichtet. Aus Sicht der Kammer ist nicht auszuschließen, insbesondere da die Umfrage anonym erfolgte, dass Mitarbeiter/innen erst und nur durch den Fragebogen motiviert wurden, eine Eigenkündigung für den Fall des Verbleibs der Klägerin, anzukündigen, da die Beklagte explizit fragte, was es für die berufliche Zukunft des Mitarbeiters bedeuten würde, wenn die Klägerin die Möglichkeit bekäme, Mängel als Einrichtungsleiterin zu beseitigen, mithin in der Einrichtung verbleiben würde. Ob eine gleiche Anzahl von Mitarbeitern ohne den Fragebogen eine solche Drohung formuliert hätte, ist zweifelhaft. Jedenfalls aber hat sich die Beklagte weder nach den von ihr behaupteten mündlichen Eigenkündigungsdrohungen nach dem 17.01.2022 noch nach der Frageaktion schützend vor die Klägerin gestellt. Auch die durchgeführten Supervisionen, Gespräche, Mediationen führen zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Die Maßnahmen erfolgten alle bevor es konkrete Eigenkündigungsandrohungen für den Fall des Verbleibes der Klägerin gab. Die Maßnahmen können damit nicht gleichgesetzt werden mit dem von der Rechtsprechung geforderten "schützend vor den Arbeitnehmer" stellen nach erfolgten Drohungen. Denn erst ab Ausspruch der Eigenkündigungsdrohungen kann dem Grunde nach eine innerbetriebliche Ursache bestanden haben, die die Kündigung als betriebsbedingten Kündigungsgrund hätten rechtfertigen können.

Weiterhin vermag die Kammer nicht erkennen, dass es außer der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung kein milderes Mittel gegeben hat, um Schaden von der Beklagten durch Eigenkündigungen von Mitarbeiter/innen abzuwenden. Auch wenn eine Versetzung der Klägerin als Kitaleiterin in eine andere Einrichtung rechtlich nicht möglich sein sollte, wie die Beklagte ausführt, so hätte sie als milderes Mittel gegenüber der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Beendigungskündigung eine Änderungskündigung aussprechen können. Dies gilt auch, wenn man die Befürchtung der Beklagten, die Klägerin könne aufgrund ihres Führungsstils auch in anderen Einrichtungen nicht als Kita- Leiterin arbeiten, als richtig unterstellt. Denn in diesem Fall hätte die Möglichkeit einer Änderungskündigung mit dem Ziel die Klägerin wieder als Erzieherin einzusetzen, bestanden, insbesondere da die Klägerin zuvor über 15 Jahre als Heilpädagogin und sodann Erzieherin für die Beklagte tätig war und die Probleme erst entstanden sein sollen nachdem die Klägerin Kita-Leiterin wurde. Fehlende freie Arbeitsplätze hat die Beklagte nicht eingewandt.

c) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Personalrat nach § 78 ThürPersVG ordnungsgemäß beteiligt worden ist, nachdem bereits kein außerordentlicher Kündigungsgrund und keine soziale Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen; auch über den weiter geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund (Verstoß gegen § 29 ThürKO) muss nicht entschieden werden.

2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis aufgrund der ausgesprochenen Kündigung. In diesem Fall besteht ein anerkanntes Interesse an der Erteilung eines Zeugnisses auch während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

3. Zudem kann die Klägerin nach Eintritt der innerprozessualen Bedingung, Obsiegen mit dem Kündigungsschutzantrag, ihre Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsrechtsstreites verlangen. Der Anspruch ist abzuleiten aus den §§ 611, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB. Er besteht, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiterzubeschäftigen (BAG, Großer Senat, Beschl.v. 27.02.1985, Az.: GS 1/84). Die Beklagte hat keine besonderen Gründe geltend gemacht, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen würden.

II.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO. Der Klägerin waren im Hinblick auf die erfolgte Rücknahme des Schleppnetzantrages und eines Antrag nach § 61 Abs. 2 ArbGG keine Kosten aufzuerlegen, da diesen kein eigener Streitwert zukommt. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46Abs. 2 ArbGG, § 3 ff ZPO. Für die Kündigungsschutzklage sind drei Bruttomonatsgehälter zu je 5.416,02 EUR angesetzt worden (§ 42Abs. 2 S. 1 GKG); für den Weiterbeschäftigungsantrag und den Zeugnisantrag kommen jeweils ein weiteres Bruttomonatsgehalt hinzu. Gründe gem. § 64 Abs. 3 ArbGG, die Berufung gesondert des § 64 Abs. 1 Nr. 2 b), c) ArbGG zuzulassen, liegen nicht vor.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen