Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 11 SaGa 11/15

Eilrechtsschutz gegen nicht-gewährten Urlaub

(1.) Ein Arbeitnehmer kann seinen Urlaubswunsch, den er dem Arbeitgeber gegenüber geltend gemacht und den dieser abgelehnt hat, per einstweiliger Verfügung durchsetzen. Dazu muss er einen Verfügungsanspruch sowie einen Verfügungsgrund darlegen und ggf. beweisen.

(2.) Der Verfügungsanspruch des klagenden Arbeitnehmers besteht, wenn er für den geltend gemachten Zeitraum einen Anspruch auf Erholungsurlaub hat und der Arbeitgeber keine hinreichenden Tatsachen dafür vorträgt, dass der zeitlichen Festlegung des Urlaubs dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegen stehen, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG).

(3.) Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer rechtfertigen eine Leistungsverweigerung nur, wenn aus betrieblichen Gründen nicht jeder Urlaubswunsch erfüllt werden kann.

(4.) Dem Kläger steht ein Verfügungsgrund zur Seite, wenn eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der materiellen Rechtslage und Auswirkungen auf die Interessen der Parteien zu Gunsten des Klägers ausfällt.
(Hier: Verfügungsgrund bejaht, da materielle Rechtslage für Kläger spricht, die Familienplanung des Klägers betroffen ist und kein wirtschaftlicher Schaden droht)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.05.2015 – 17 Ga 28/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Gewährung von Erholungsurlaub.

Der Verfügungskläger, verheiratet mit einer berufstätigen Ehefrau und Vater eines schulpflichtigen sechsjährigen Kindes, ist seit dem Juni 2010 bei der Verfügungsbeklagten, die ein Mineralöl-Logistik-Unternehmen betreibt, als Tanklastfahrer tätig.

Der Kläger beantragte am 23.10.2014 die Gewährung von Erholungsurlaub für den Zeitraum 29.06.2015 bis 18.07.2015, den ersten drei Wochen der Schulferien in Nordrhein-Westfalen. Die Verfügungsbeklagte lehnte unter dem 14.12.2014 den Urlaubsantrag ab und bat am 18.12.2014 die Mitarbeiter um erneute Übermittlung der Urlaubsanträge zum Zwecke der Korrektur bzw. Bearbeitung der Urlaubsanträge. Mit Schreiben vom 10.02.2015 und 13.04.2015 erläuterte die Verfügungsbeklagte dem Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers die Ablehnungsgründe.

Unter dem 22.04.2015 leitete der Verfügungskläger das einstweilige Verfügungsverfahren auf Urlaubsgewährung ein.

Mit Urteil vom 12.05.2015 verurteilte das Arbeitsgericht Köln (Bl. 140 ff. d. A.) unter Zurückweisung im Übrigen die Verfügungsbeklagte, dem Verfügungskläger in der Zeit vom 29.06.2015 bis 18.07.2015 Urlaub unter Anrechnung auf seine Urlaubsansprüche zu gewähren. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, selbst wenn man dringende betriebliche Gründe für die Ablehnung des Urlaubsgesuchs unterstelle, führe das nicht dazu, dass allen Arbeitnehmern, den die Verfügungsbeklagte Urlaub in dem genannten Zeitraum gewähren wolle, unter sozialen Gesichtspunkten vorrangig zu berücksichtigen seien, dies gelte insbesondere für die sogenannten Springer. Die Verweigerung der Verfügungsbeklagten trage nicht hinreichend dem Betreuungsbedarf des schulpflichtigen Kindes des Verfügungsklägers in der Ferienzeit Rechnung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie deren Antragstellung erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihr am 18.05.2015 zugestellte Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 02.06.2015 Berufung eingelegt und diese am 12.06.2015 begründet.

Die Verfügungsbeklagte stützt ihre Berufung im Wesentlichen darauf, dass aufgrund der Erfahrungswerte der Verhältnisse aus den Vorjahren ein bestimmter Fahrerbedarf bestehe, so dass nur fünf bis sechs Fahrern gleichzeitig Urlaub gewährt werden könne, wobei sie zugunsten der Belegschaft die Urlaubsquote auf sieben Mitarbeiter hochgesetzt habe. Würde mehr Fahrern Urlaub gewährt, so komme es zu Schichtausfällen und Subunternehmer müssten eingesetzt werden, wodurch finanzielle Mehrbelastungen entstünden. Zudem sei der Hauptauftraggeber, der 95 % der Anforderungen am K Standort ausmache, bereits dazu übergegangen, dauerhaft vorrangig Subunternehmer zu beauftragen. Die Auswahl unter den Mitarbeitern sei nicht zu beanstanden. Auch die Fahrer, deren Urlaubsanträge genehmigt worden seien, hätten schulpflichtige Kinder, fast alle Ehefrauen dieser Fahrer seien berufstätig und der Fahrer S verdiene wegen seiner Eigenschaft als Springer besondere Berücksichtigung.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12. Mai 2015- Az: 17 Ga 28/15 - aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Der Verfügungskläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Festlegung einer Urlaubsquote ohne Einvernehmen mit dem Betriebsrat sei betriebsverfassungswidrig, die vorrangige Berücksichtigung von Springern verstoße gegen höherrangiges Recht. Bei Springern bestehe kein besonderes Erholungsbedürfnis für die Schulferien. Vielmehr seien vorrangig Fahrer mit Kindern zu berücksichtigen, wobei dies nur für Kinder bis zum 14. Lebensjahr gelte.

Der Verfügungskläger hat sein Kind in der Zeit vom 29.06.2015 bis zum 08.07.2015 betreut. Seiner berufstätigen Ehefrau wurde Erholungsurlaub mit Wirkung vom 08.07.2015 gewährt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht haben die Parteien den Rechtsstreit für den Zeitraum 29.06.2015 bis 08.07.2015 wegen Zeitablaufs übereinstimmend für erledigt erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 12.06.2015 und 06.07.2015 nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist zulässig, denn sie ist gemäߧ 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen des§ 66 Abs. 1 ArbGG ordnungsgemäß eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet.

1. Das Arbeitsgericht ist mit überzeugender Begründung davon ausgegangen, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich seinen Urlaubsanspruch nach dem BUrlG aus Gründen der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes bei Vorliegen einer besonderen Eilbedürftigkeit gemäß den§§ 935, 940 ZPO, 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen kann (vgl. etwa: BAG, Beschluss vom 22.01.1998– 2 ABR 19/97 –; LAG Hessen, Urteil vom 07.05.2013 – 19 SaGa 461/13 -; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.06.2009 – 10 SaGa 1/09 -; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.04.2007 – 9 SaGa 8/07 –; LAG Hamm, Urteil vom 09.06.2004 – 18 Sa 981/04 -; Schwab/Weth/Walker, 4. Auflage,§ 62 ArbGG Rdn. 135 ff. jeweils m.w.N.).

2. Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Verfügungsanspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub für den Zeitraum 08.07.2015 bis 18.07.2015 aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Es besteht ein unstreitig ein Anspruch auf Erholungsurlaub des Verfügungsklägers, der den genannten Zeitraum abdeckt. Die Verfügungsbeklagte hat keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen, dass der zeitlichen Festlegung des Urlaubs im Streitfall dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegen stehen, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG). Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer rechtfertigen eine Leistungsverweigerung nur, wenn aus betrieblichen Gründen nicht jeder Urlaubswunsch erfüllt werden kann (ErfK/Gallner, 15. Auflage, § 7 BUrlG Rdn. 19). Die Bestimmung des Urlaubszeitpunkts obliegt nicht dem billigen Ermessen des Arbeitgebers i.S.v. § 315 BGB, sondern der Arbeitgeber ist als Schuldner des Urlaubsanspruchs verpflichtet, die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und daher auch den Urlaub für den vom Arbeitnehmer angegebenen Termin festzusetzen, wenn die Leistungsverweigerungsvoraussetzungen des § 7 Abs. Satz 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht vorliegen (BAG, Urteil vom 18.12.1986 – 8 AZR 502/84 – m.w.N.).

Die Verfügungsbeklagte hat nicht substantiiert vorgetragen, dass im zuletzt streitigen Zeitraum eine betriebliche Unterbesetzung vorliegt, die dem Urlaubswunsch des Verfügungsklägers entgegen steht. Es kann daher dahinstehen, ob Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer vorrangig sind. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten verhält sich nicht zur konkreten Auftragslage, der Auslastung der Fahrzeuge und zur Schichtbesetzung im Zeitraum 08.07.2015 bis 18.07.2015. Ihr Vortrag stützt sich lediglich auf eine Prognose zur Urlaubsjahresplanung aufgrund bestimmter Erfahrungswerte der Vergangenheit. Abgesehen davon, dass die zugrundegelegten Berechnungsgrößen zur Schichtbelegung in sich nicht stimmig erscheinen, weil einerseits in die Berechnung auch die Standorte A und B einzogen werden, andererseits aber nach dem Vortrag der Verfügungsbeklagten die Urlaubsplanung getrennt nach Standorten erfolgt, weil ein Arbeitnehmeraustausch zwischen den Standorten nicht stattfindet, ist die jährliche Urlaubsplanung nicht hinreichend aussagekräftig, weil sie mit deutlichem zeitlichen Abstand zum Urlaubszeitraum vorab stattfindet und regelmäßige - auch im Betrieb der Verfügungsbeklagten anfallende - notwendige Korrekturen, wie etwa der unvorhersehbare krankheitsbedingte Ausfall von Mitarbeitern oder den Urlaubstausch zwischen den Arbeitnehmern, nicht berücksichtigen kann.

3. Dem Verfügungskläger steht auch ein Verfügungsgrund zur Seite. Aufgrund der Befriedigungswirkung der Leistungsverfügung hat eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der materiellen Rechtslage und Auswirkungen auf die Interessen der Parteien stattzufinden (vgl. etwa: LAG Köln, Urteil vom 13.05.2005 – 4 Sa 400/05 – m.w.N.). Die materielle Rechtslage spricht für den Verfügungskläger, ein erkennbar drohender wirtschaftlicher Schaden für die Verfügungsbeklagte im Falle der Urlaubsgewährung ist mangels Darlegung der konkreten Auftragslage, der Fahrzeugauslastung und der Schichtpläne nicht feststellbar. Darüber hinaus kann der Verfügungskläger für sich den grundgesetzlich verbürgten Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen, der auch die gemeinsame familiäre Urlaubsgestaltung erfasst.

Entgegen der Ansicht hat der Verfügungsbeklagte die Eilbedürftigkeit nicht durch vorsätzlich verzögerte  Antragstellung selbst widerlegt. Zwar kann unter Umständen der den einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmende Arbeitnehmer durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit einer Befriedigungsverfügung selbst widerlegen (vgl. etwa: LAG Hessen, Urteil vom 10.05.2010 – 16 SaGa 341/10 -; Schwab/Weth/Walker,4. Auflage § 62 ArbGG Rdn. 111 jeweils m.w.N.). Dies war aber vorliegend nicht der Fall. Der Verfügungskläger hatte vorprozessual über seinen Prozessbevollmächtigten interveniert, um rechtzeitig eine Abänderung der Entscheidung der Verfügungsbeklagten zu erreichen. Er hat seine Interessen nicht zurückgestellt, sondern aktiv wahrgenommen. Nach dem Scheitern hat er unverzüglich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht. Er hat die Dringlichkeit nicht verursacht. Selbst wenn er statt der außerprozessualen Intervention ein Hauptsacheverfahren eingeleitet hätte, wäre aufgrund der Belastungssituation des Arbeitsgerichtes als auch des Landesarbeitsgerichts nicht mit einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung vor dem begehrten Urlaubsantritt nicht zu rechnen gewesen. Seinem Verhalten kommt daher in der Gesamtschau nicht die Bedeutung eines zögerlichen Verhaltens bei, welches die Dringlichkeit selbst widerlegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 a Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.



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