Landesarbeitsgericht Hamm

Urteil vom - Az: 8 Sa 432/14

Einhaltung der Klagefrist bei verloren gegangenem Kündigungsschreiben und mündlicher Unterrichtung

Gelangt ein Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten des Arbeitsnehmers und geht dieses aus ungeklärten Gründen vor tatsächlicher Kenntnisnahme verloren, so kann die Klagezulassungsfrist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG unter Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles bereits dann beginnen, wenn der Arbeitnehmer von einer nach ihrer Stellung im Unternehmen als zuständig und informiert einzuschätzenden Person mündlich im Detail über Kündigungsart, Kündigungsdaten und Zustellungsmodalitäten informiert wird.
(Leitsatz)

Im vorliegenden Fall wurde das Kündigungsschreiben (nachweislich) in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen, sodass die reguläre 3-wöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage zu laufen begann. Das Schreiben kam jedoch abhanden, bevor der Arbeitnehmer davon Kenntnis erhielt. Nach Ablauf der regulären Klagefrist hat eine zuständige Mitarbeiterin den betroffenen Arbeitnehmer detailliert bzgl. des Kündigungsschreibens informiert. In der vorliegenden Kündigungsschutzklage verlangt der Arbeitnehmer die nachträgliche Zulassung.
Eine nachträgliche Klageerhebung ist zulässig, wenn der Arbeitnehmer trotz Einhaltung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt an der Erhebung der Klage gehindert ist (§ 5 I KSchG ). Sobald das Hindernis beseitigt ist, beginnt eine 2-wöchige Frist zur nachträglichen Zulassung der Klage.
Das LAG Hamm hat die Klage abgewiesen und entschieden, dass die 2-wöchige Frist zur nachträglichen Zulassung der Klage (§ 5 I KSchG) bereits dann zu laufen beginnt, wenn der Arbeitnehmer in qualifizierter Weise mündlich über das zugestellte Kündigungsschreiben informiert wird.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.10.2013 – 1 Ca 241/13 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Kontext verhaltensbedingter Kündigungen zunächst über den Antrag des Klägers auf nachträgliche Klagezulassung.

Der 1962 geborene Kläger war seit dem 01.05.2002 bei der Beklagten, die als Konzernobergesellschaft unter Einbeziehung ihrer Tochterunternehmen mit insgesamt annähernd zehntausend Beschäftigten Landmaschinen und Erntegeräte für den nationalen und internationalen Markt herstellt, als Leiter der Revision des Unternehmens beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag der schriftliche Arbeitsvertrag vom 15.03.2002 zugrunde (Bl. 4 ff d. A.), auf den der Einzelheiten wegen Bezug genommen wird. Mit Schreiben vom 10.03.2003 bestellte die Beklagte den Kläger zum Konzerndatenschutzbeauftragten, wobei die Wirksamkeit dieser Bestellung und deren Fortbestand zum Kündigungszeitpunkt streitig sind. Der Kläger erzielte zuletzt ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 15.660,36 €. Für den Betrieb I, dem Beschäftigungsort des Klägers, ist ein Betriebsrat gewählt.

Im Kontext der Absicht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, führten die Parteien im Jahr 2012 wiederholt Gespräche, die ohne Ergebnis blieben. Ab dem 01.08.2012 stellte die Beklagte den Kläger bis auf Weiteres widerruflich unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei, worüber beim Arbeitsgericht Bielefeld ein später für erledigt erklärtes Verfahren bezüglich des Beschäftigungsanspruchs im bestehenden Arbeitsverhältnis anhängig war. Am 27.11.2012 telefonierte der Personalleiter der Beklagten, N, mit dem Kläger und konfrontierte diesen damit, dass die Beklagte im Zusammenhang mit dessen wiederholter Entnahme von Waren aus dem D-Shop, unter anderem Kleidungsstücke und Fahrzeugmodelle, und bezüglich seiner Angaben zur Unterhaltung eines Zweitwohnsitzes in I klärungsbedürftige Unregelmäßigkeiten sehe, weshalb am 30.11.2012 ein Anhörungstermin im Betrieb I stattfinden solle. Weiterer Gesprächsinhalt waren Anmerkungen und Änderungswünsche des Klägers zu einem ihm vorliegenden konkreten Auflösungsangebot der Beklagten.

Noch am selben Tag telefonierte der Prozessbevollmächtigte des Klägers in gleicher Angelegenheit mit der Syndikusanwältin der Beklagten, der Zeugin G, die dort zugleich die Bereiche Arbeitsrecht und Grundsatzfragen Personal leitet. Er teilte dieser mit, dass der Kläger eine Gesprächsbegleitung durch ihn wünsche und ein Termin dazu – wegen eigener 2-wöchiger Urlaubsabwesenheit – erst ab der 51. Kalenderwoche vereinbart werden könne. Die Zeugin G verwies daraufhin auf die von der Beklagten einzuhalten Fristen, da die Absicht der außerordentlich-fristlosen Kündigung im Raume stünde, worauf der Prozessbevollmächtigte die Möglichkeit der schriftlichen Befragung und einer ggf. ergänzenden Erörterung ab dem 17.12.2012 in den Raum stellte. Selbiges teilte der klägerische Prozessbevollmächtigte der Beklagten unter Bezugnahme auf das Telefonat mit der Zeugin G per E-Mail vom 27.11.2012 (Bl. 144 d. A.) nochmals schriftlich mit.

Mit Schreiben vom 28.11.2012, das die Beklagte durch einen Boten, den Zeugen L, nach ihren Angaben noch am selben Tag in den zur damaligen Wohnung des Klägers in einem Mehrfamilienhaus gehörigen Briefkasten einlegen ließ und welches dem Kläger nach seiner Darstellung erstmals im Laufe dieses Prozesses zur Kenntnis gelangt ist (Anlage 6 zum Schriftsatz vom 26.02.2013, Bl. 49 d. A.), forderte diese den Kläger zur Wahrnehmung vorgesehenen Anhörungstermins, hilfsweise zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 30.11.2012, 18.00 Uhr auf.

Nachdem das Schreiben unbeantwortet blieb, hörte die Beklagte den Betriebsrat unter dem 03.12.2012 (Anlage 3 zum Schriftsatz vom 26.02.2012, Bl. 22 ff d. A.), worauf Bezug genommen wird, zu einer außerordentlich-fristlosen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung an. Hier verwies sie unter anderem auf eine Verwendung zahlreicher Merchandising-Artikel, die der Kläger auf seine dienstliche Kostenstelle habe buchen lassen, für private Zwecke und ferner darauf, dass der Kläger unzutreffende Angaben zu einer Zweitwohnung in I gemacht habe, um sich im Zusammenhang mit der Versteuerung der geldwerten Vorteile aus der Privatnutzung des Dienstwagens steuerliche Vorteile zu erschleichen.

Mit schriftlicher Stellungnahme vom 06.12.2012 (Anlage 4 zum Schriftsatz vom 26.02.2013, Bl. 47 d. A.) teilte der Betriebsrat der Beklagten mit, dass wiederholte eigene Versuche, den Kläger über Mobilfunk zu erreichen, angesichts dessen deaktivierter Mailbox fehlgeschlagen seien und man die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe deshalb als nicht entkräftet betrachten müsse, weshalb man keine Möglichkeit sehe, der Kündigungsabsicht zu widersprechen. Eine entsprechende Stellungnahme zur ordentlichen Kündigung gab der Betriebsrat unter dem 10.12.2012 ab.

Mit Schreiben vom 06.12.2012 und 10.12.2012, insoweit wird auf die von der Beklagten in Kopie vorgelegten Zweitausfertigungen (Anlage 1 und 2 zum Schriftsatz vom 26.02.2013, Bl. 18 u. 20 d. A.) Bezug genommen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich fristlos und sodann hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30.06.2013. In der Berufungsinstanz ist – nach erstinstanzlicher Beweisaufnahme insoweit – unstreitig geworden, dass entsprechende Schreiben am 06.12.2012 (17.45 Uhr) und 12.12.2012 durch den Zeugen L, der jeweils erneut als Bote fungierte und darüber gefertigte Aktenvermerke unterzeichnete (Bl. 19 u. 21 d. A.), auf die verwiesen wird, in den Briefkasten der damaligen klägerischen Wohnung eingelegt worden sind.

Im Nachgang zur Kündigung ließ die Beklagte die dem Kläger zwecks Betankung des Dienstwagens ausgehändigte Tankkarte sperren. Dies nahm der Kläger zum Anlass, am 09.01.2013 telefonisch bei dem für Leasingangelegenheiten zuständigen Referenten der Beklagten anzufragen, der insoweit auf die Zeugin G verwies. Diese rief den Kläger am selben Tag gegen 17.15 Uhr über dessen Mobiltelefon zurück und führte ein rund 15-minütiges Gespräch mit ihm, dessen Inhalt in den entscheidungserheblichen Teilen streitig ist. Insoweit hat der Kläger erstinstanzlich eingeräumt, die Zeugin G habe hier ausgeführt, dass ihm – dem Kläger – vor einiger Zeit gekündigt worden sei (Klageschrift, dort Seite 2, Bl. 2 d. A.; Schriftsatz vom 26.09.2013, dort Seite 4, Bl. 154 d. A.).

Gemäß – vom Kläger in zweiter Instanz – zugestandenen Vorbringens der Beklagten führte er mit der Zeugin G am 10.12. und am 15.12.2012 zwei weitere Telefonate. Am 10.12.2012 bat der Kläger die Zeugin, bestimmte Vorschläge seinerseits zu den Rahmenbedingungen einer einvernehmlichen Vertragsbeendigung aufzunehmen und mit der Geschäftsleitung zu erörtern, was sodann erfolgte, und ihm insoweit bis zum 14.01.2013 eine Rückmeldung zu geben. Im Rahmen des weiteren Gesprächs vom 15.01.2013 teilte die Zeugin G dem Kläger mit, dass eine Trennung zu den von ihm benannten (verbesserten) Konditionen nicht in Betracht komme, wobei weitere Inhalte beider Gespräche streitig sind.

Mit seiner am 22.01.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift vom 21.01.2013 hat der Kläger zunächst einen allgemeinen Feststellungsantrag und einen punktuellen Kündigungsschutzantrag gegen eine „fernmündliche“ Kündigung der Zeugin G ankündigen lassen. Die Beklagte habe sich – über die Zeugin G – in einem Telefonat zu Unrecht eines gekündigten Arbeitsverhältnisses berühmt, wobei er kein Kündigungsschreiben erhalten habe. Für den Fall, dass die telefonischen Erklärungen der Zeugin G eine – nach § 623 BGB unwirksame – mündliche Kündigung darstellen sollten, werde auch diese angegriffen.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.02.2013 nebst Anlagen, den der Kläger nach eigenen Angaben am 04.03.2013 erhielt, klarstellte, dass die Angaben der Zeugin G im Telefonat vom 09.01.2013 selbstverständlich nicht als Kündigung aufzufassen seien, dem Kläger aus Gründen in seinem Verhalten nach Anhörung des Betriebsrats jedoch unter dem 06.12.2012 fristlos (Botenzustellung am 06.12.2012) und unter dem 10.12.2012 (Botenzustellung am 12.12.2012) hilfsweise ordentlich gekündigt worden sei, kündigte dieser in Abänderung der bisherigen Anträge mit Schriftsatz vom 13.03.2013, der an eben diesem Tag beim Arbeitsgericht einging, gegen beide Kündigungen gerichtete punktuelle Kündigungsschutzanträge, einen allgemeinen Feststellungsantrag und einen auf § 5 KSchG gestützten, vorsorglichen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung an. Auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung vom 08.03.2013 (Bl. 95 d. A.) wird ergänzend Bezug genommen.

Zur Begründung hat der Kläger behauptet, die beiden Kündigungen tatsächlich nicht erhalten zu haben. Er habe zum damaligen Zeitpunkt im Zusammenhang mit seinen Bemühungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, sehr viel reisen müssen und sei im gesamten Bundesgebiet, insbesondere in Süddeutschland und auch in Österreich und der Schweiz unterwegs gewesen. Seine Lebensgefährtin, die Rechtsanwältin   G-I, habe deshalb seinem Wunsch gemäß regelmäßig mindestens einmal in der Woche, häufig auch öfter, teils allein teils von ihm gefahren, seinen Wohnsitz aufgesucht, den Briefkasten entleert, die Werbung aussortiert und ihm dann die eingeworfenen Briefe und Poststücke vorgelegt. Unter diesen Poststücken des Zustellzeitraums November 2012 bis Januar 2013 habe sich kein Brief der Beklagten, insbesondere kein Kündigungsschreiben befunden.

Erst nach diesem Zeitraum sei ihm aufgefallen, dass in dieser Zeit Poststücke abhanden gekommen seien. So habe seine damalige Ehefrau, mit der er in der fraglichen Zeit in einem schwierigen von seiner Lebensgefährtin anwaltlich begleiteten Trennungs- und Scheidungsprozess gestanden habe, im Kontext mit Unterhaltsforderungen über Informationen verfügt, die ggf. aus an ihn gerichteter Post gewonnen gewesen seien. Obwohl sich die Briefkastenanlage hinter der Haustür des Mehrfamilienhauses befände – was als solches unstreitig ist – sei ein unbefugter Zugriff auf seinen Briefkasten nicht auszuschließen, weil die Haustür oftmals unverschlossen gewesen oder von Mitbewohnern auf Anschellen ohne Weiteres geöffnet worden sei. Da er im Zusammenhang mit der eingehenden Post durch die Einschaltung der Lebensgefährtin maximal sorgfältige Vorsorge betrieben und den Klagezulassungsantrag rechtzeitig, unmittelbar nach Kenntnis vom behaupteten Zugangszeitpunkt gestellt habe, sei diesem zu entsprechen. Angesichts der in der Sache unwirksamen, insbesondere der Begründung nach nicht ausreichend gerechtfertigten Kündigungen sei nach den Kündigungsschutzanträgen zu erkennen. Eine ordentliche Kündigung scheide zudem schon wegen seiner Bestellung zum Datenschutzbeauftragten aus.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 06.12.2012 nicht aufgelöst wurde,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 10.12.2012 nicht aufgelöst wird, sondern über den 30.06.2013 hinaus fortbesteht;

3. die Kündigungsschutzklage gem. § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass das Kündigungsschreiben vom 06.12.2012 von der Zeugin G vorbereitet, vom dem Geschäftsführer M und dem Prokuristen C unterschrieben, dem Zeugen L übergeben und sodann von diesem am 06.12.2012 gegen 17.15 Uhr in den klägerischen Briefkasten eingelegt worden sei. Die weitere Kündigung vom 10.12.2012 habe der Zeuge L, der am 12.12.2012 erneut als Bote eingesetzt gewesen sei, zusammen mit einem weiteren Brief, mit welchem man den Kläger zur Herausgabe dienstlich überlassener Gegenstände einschließlich des Dienstwagens aufgefordert habe, ebenfalls in den Briefkasten des Klägers eingelegt. Damit habe man den ordnungsgemäßen Zugang beider Kündigungen bewirkt.

Von diesen Kündigungen habe der Kläger – entgegen dessen Darstellung – nicht erst innerhalb des laufenden Verfahrens erfahren. Vielmehr habe die Zeugin G den Kläger – der nicht überrascht gewirkt habe – im Telefonat vom 09.01.2013 ganz konkret über den genauen Zeitpunkt und die Art und Weise der Übermittlung zunächst der schriftlichen außerordentlichen und dann der ordentlichen Kündigung unterrichtet. Im Telefonat vom 10.01.2013 habe der Kläger an diese Information angeknüpft und insoweit ausgeführt, er werde unter Beweis stellen können, dass ihn die Schreiben gleichwohl nicht erreicht hätten. Der Kläger habe folglich bereits am 09.01.2013 positive Kenntnis vom Zugang beider Kündigungen gehabt, weshalb der Klagezulassungsantrag vom 13.03.2013 als verspätet zurück- und die Kündigungsschutzanträge folglich abzuweisen seien.

Im Übrigen sei die außerordentliche Kündigung wegen der privaten Verwendung zahlreicher auf Veranlassung des Klägers auf eine dienstliche Kostenstelle gebuchter Merchandise-Artikel im Wert von rund 716,00 € sowie aus anderen Gründen sachlich gerechtfertigt und innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist erklärt worden. Der Betriebsrat sei vorsorglich nach Ablauf und Inhalt ordnungsgemäß beteiligt worden, worauf es unter Berücksichtigung der Stellung des Klägers als leitender Angestellter im Sinne des BetrVG allerdings nicht ankomme.

Die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bielefeld hat die Klage nach Beweisaufnahme mit Urteil vom 10.10.2013 – 1 Ca 241/13 – unter Zurückweisung des Klagezulassungsantrags vollständig abgewiesen. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin G und des Zeugen L stehe fest, dass das von der Zeugin G am 06.12.2012 vorbereitete und auf den Weg gebrachte Kündigungsschreiben am gleichen Tag gegen 17.15 Uhr in den klägerischen Briefkasten eingelegt worden sei. Damit sei es dem Kläger spätestens am 07.12.2012 zugegangen, da mit dem Einwurf in den Briefkasten die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestanden habe. Wenngleich vieles darauf hindeute, dass der Kläger beide Kündigungsschreiben zeitnah in den Händen gehalten habe, solle dies nicht unterstellt werden. Selbst wenn man annehme, dass der Kläger nicht unmittelbar nach der streitigen mündlichen Mitteilung der Zeugin G am 09.01.2013 vom Zugang der Kündigungen im Dezember 2012 ausgehen, sondern dies erst nach Kenntnisnahme des Schriftsatzes vom 26.02.2013 konkret habe annehmen müssen, bestehe trotz dann gegebener Wahrung der Antragsfrist für die nachträgliche Klagezulassung kein Zulassungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 KSchG. Der Kläger habe vielmehr angesichts der Vorgeschichte die Zustellung von Kündigungsschreiben erwarten und – zumal angesichts gehäufter Postverluste im Jahr 2012 – entsprechend sorgfältig Vorsorge treffen müssen, woran es fehle, was dem Kläger nach dem strengen Sorgfaltsmaßstab der Norm anzulasten sei.

Gegen dieses ihm am 04.03.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.03.2014 Berufung eingelegt, die er – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.06.2014 – mit Schriftsatz vom 04.06.2014, der an eben diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, unter Bezugnahme auf und weiterer Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens begründet.

Wenngleich nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen sei, dass die Kündigungsschreiben vom 06.12. und vom 10.12.2012 durch den Zeugen L in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden seien, habe er wegen eines unverschuldeten Abhandenkommens dieser Briefe erst im Rahmen des laufenden Verfahrens von deren konkreten Inhalten Kenntnis nehmen können. Das Arbeitsgericht habe den Vorwurf der nicht ausreichend sorgfältigen Vorsorge für einen geordneten Postzugang zu Unrecht erhoben und zugleich die an die gebotene Sorgfalt zu richtenden Anforderungen überspannt. Wie erstinstanzlich eingehend dargelegt, habe die wegen ihrer juristischen Ausbildung als besonders zuverlässig anzusehende Lebensgefährtin den Briefkasten der Wohnung regelmäßig kontrolliert und entleert und ihm sämtliche Eingänge mit Ausnahme der Werbung vorgelegt. Zu weiteren Maßnahmen, etwa dem Stellen eines Nachsendeantrags oder der Anschaffung eines besonders geschützten Briefkastens, habe im Dezember 2012 keinerlei Anlass bestanden, weil ihm das wiederholte Abhandenkommen von Poststücken erst danach, im Januar 2013, bewusst geworden sei.

Zutreffend sei hingegen die Annahme des Arbeitsgerichts, dass eine mündliche Information über die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Zeugin G am 09.01.2013 die für den Zulassungsantrag relevante Frist nicht in Gang setze. Zudem habe die Zeugin zwar von Kündigung gesprochen, was Klageanlass gewesen sei, jedoch keine konkreten Angaben zu Kündigungsdaten und Zugangszeitpunkten gemacht. Ebenso falsch sei die Behauptung der Beklagten, dass er – der Kläger – am Folgetag gegenüber der Zeugin erklärt haben solle, die unterbliebene Zustellung von Kündigungen beweisen zu können. Davon abweichend erklärte der Kläger im Rahmen der Parteianhörung im Berufungstermin, die Zeugin G habe weder im Telefonat vom 09.01.2013 noch in den beiden weiteren Telefongesprächen – soweit für ihn wahrnehmbar – von außerordentlicher noch von ordentlicher Kündigung, sondern vielmehr überhaupt nicht von Kündigungen oder deren Daten gesprochen, was ggf. aber auch auf Übertragungsstörungen im Rahmen einer nicht stabilen Mobilfunkverbindung während einer Autofahrt zurückgeführt werden müsse. Nach kurzer Beratungspause relativierte er diese Angaben dahin, dass ggf. doch einmal das Wort Kündigung oder eine Silbe dieses Wortes (etwa die Silbe „Kün“) von ihm vernommen worden sei.

Gerade zu lebensfremd sei die Darstellung der Beklagten, die Zeugin G habe konkrete Angaben zu Zeitpunkt, Gegenstand und Umständen von Botenzustellungen gemacht. Soweit man beklagtenseits dazu auf Zustellvermerke des Zeugen L abstelle, aus den die Zeugin während des Telefonats zitiert haben solle, seien diese offensichtlich nicht sofort, sondern en bloc zu einem späteren Zeitpunkt nachgefertigt worden. Dafür sprächen indizell sich teils wiederholende Fehler in den Vermerken. Im Übrigen gehe es der Zeugin erkennbar darum, ihm – dem Kläger –zu schaden.

Die Kündigungen seien in der Sache nicht gerechtfertigt. Der Betriebsrat sei über die Kündigungsumstände, insbesondere die Inhalte der gegen Ende November 2012 geführten Gespräche, nicht vollständig informiert und auch nicht auf seine Funktion als Datenschutzbeauftragter hingewiesen worden. Zudem bestreite er, dass die ihm am 06.12.2012 ggf. übermittelte Kündigung tatsächlich vom Geschäftsführer M unterschrieben worden sei. Bei der von der Beklagten vorgelegten Zweitschrift weiche dessen Unterschrift erkennbar deutlich von weiteren ihm – dem Kläger – auf anderen Dokumenten vorliegenden Unterschriften ab. Der Mangel der Schriftform führe unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung und müsse nicht innerhalb der 3-wöchigen Klagefrist geltend gemacht werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.10.2013 – 1 Ca 241/13 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 06.12.2012 nicht aufgelöst wurde,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 10.12.2012 nicht aufgelöst wird, sondern über den 30.06.2013 hinaus fortbesteht;

3. die Kündigungsschutzklage gem. § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens zur Sach- und Rechtslage.

Zunächst gehe man ganz deutlich davon aus, dass der vom Kläger behauptete wiederholte Postverlust im fraglichen Zeitraum vorgeschoben sei, um die Hürde der Klagefrist nehmen zu können. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe die Frist für den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung mit dem 09.01.2013 begonnen. Der Zeugin G hätten zum Zeitpunkt des hier geführten, ersten Telefonats die jeweils unmittelbar erstellten Zustellvermerke des Zeugen L über die Zustellungen vom 06.12. und 12.12.2012 (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 26.02.2013, Bl. 19/21 d. A.) vorgelegen, auf die ergänzend verwiesen wird. Aus diesen habe die Zeugin in dem Telefonat konkret zitiert. Ferner habe die Zeugin unmittelbar nach dem Telefonat vom 09.01.2013 einen umfänglichen Telefonvermerk gefertigt (Anlage 3 zur Berufungserwiderung, Bl. 312/313 d. A.), auf den Bezug genommen wird. Daraus ergebe sich die mit dem Kläger erörterte Kündigungs- und Zugangsproblematik in allen Details.

Wie bereits erstinstanzlich vorgetragen sei der Kläger im Telefonat vom 10.01.2013 auf die Zustellung von Kündigungen eingegangen, wobei die Zeugin G auch über dieses Telefonat unmittelbar einen Aktenvermerk gefertigt habe (Anlage 6 zum Schriftsatz vom 12.12.2014, Bl. 372 d. A.), auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Da der Kläger im Rahmen dieses Gesprächs ausgeführt habe, den Nichtzugang von Kündigungen beweisen zu wollen und zu können, müsse er die im Telefonat des Vortages breit erörterte Zugangsproblematik verinnerlicht und bereits verarbeitet gehabt haben. Das dem Kläger im Original übermittelte Kündigungsschreiben vom 06.12.2012 sei entgegen dessen Mutmaßungen vom Geschäftsführer M eigenhändig unterzeichnet gewesen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 18.12.2014 war, auf die über diesen Termin errichtete Sitzungsniederschrift nebst dort protokollierter, ergänzender Angaben der Parteien sowie auf die tatbestandlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Die Kammer hat ergänzend Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der Zeugin G und des Zeugen L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 18.12.2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die klägerische Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I.

Die gem. § 64 Abs. 1 u. 2c ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Der Kläger hat das Rechtsmittel insbesondere nach § 66 Abs. 1 S. 1 u. 2 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.12.2012, dem Kläger spätestens zugegangen am 07.12.2012, gilt gem. §§ 13 Abs. 1 S. 2, 7 KSchG als rechtswirksam, da der Kläger insoweit die Klagefrist nach § 4 S. 1 KSchG versäumt und den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung außerhalb der dazu nach § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG bestimmten Frist gestellt hat, was nach dem Wortlaut der Norm zur Unzulässigkeit des Antrags führt. Die Möglichkeit der nachträglichen Zulassung der Klage besteht danach nicht. Da die folglich als rechtswirksame geltende Kündigung vom 06.12.2012 das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt ihres Zugangs aufgelöst hat, muss der weitere, gegen die ordentliche Kündigung vom 10.12.2012 gerichtete Klageantrag denknotwendig der Abweisung unterliegen.

Bereits zum Zeitpunkt des Zugangs dieser Kündigung hat zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden. Beides hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Die mit der Berufung geltend gemachten Gesichtspunkte rechtfertigen eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

1. Der Kläger hat bezüglich der außerordentlichen Kündigung vom 06.12.2012 die Klagefrist gem. §§ 13 Abs. 1 S. 2, 4 S. 1 KSchG versäumt.

a) Die Kündigungsschutzklage ist gem. § 4 S. 1 KSchG binnen drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung zu erheben. Ein Kündigungsschreiben ist nach § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobald es in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder des für ihn empfangsberechtigten Dritten gelangt und für den Empfänger unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (BAG, Urteil vom 16.03.1988 – 7 AZR 587/87 – AP Nr. 16 zu § 130 BGB m. w. N.). Besteht unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme, so ist es unerheblich, wann der Empfänger die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch besondere Umstände zunächst gehindert war (BAG, Urteil vom 16.01.1976 – 2 AZR 619/74 – AP Nr. 7 zu § 130 BGB). Ein Brief geht regelmäßig mit dem Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zu (BAG, Urteil vom 15.11.1962 – 2 AZR 301/62 – AP Nr. 4 zu § 130 BGB).

Die Berufungskammer geht insoweit mit der überzeugenden Begründung und Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts davon aus, dass – den glaubhaften Angaben des Zeugen L folgend – dieser am Abend des 06.12.2012 gegen 17.15 Uhr ein Schreiben in den zur damaligen Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten vollständig eingelegt hat, was der Zeuge im Kontext der ergänzenden zweitinstanzlichen Beweisaufnahme zur Frage der Fertigung entsprechender schriftlicher Zustellvermerke nochmals bestätigte. Wenngleich die Berufungskammer den klägerischen Vortrag aus der Berufungsbegründung vom 04.06.2014 (dort Seite 4, 3. Absatz) so verstanden hat, als wolle der Kläger die entsprechende Zustellung des Briefes als solche nunmehr unstreitig stellen, hat sie in diesem Zusammenhang vorsorglich nochmals die Frage nach dem Format des eingeworfenen Briefes und der Beschriftung des Umschlags hinterfragt.

Der Zeuge hat hierzu bestätigt, dass es sich bei dem am 06.12.2012 überbrachten Brief um ein kleineres als das am 28.11.2012 zugestellte DIN A 4 Format gehandelt hat und sich insoweit auf das von der Beklagten im Termin überreichte Musterstück (Bl. 389 d. A.) bezogen, was sowohl mit den erstinstanzlichen Angaben der Zeugen als auch mit der insoweit konsistenten Sachverhaltsdarstellung der Beklagten korrespondiert.

Der Zeuge hat dabei bestätigt, diesen Brief aus den Händen der Zeugin G erhalten zu haben, was mit deren erstinstanzlicher Bekundung, das Kündigungsschreiben vom 06.12.2012 persönlich kuvertiert zu haben und bei der Übergabe an den Boten dabei gewesen zu sein, korrespondiert. Soweit der Zeuge die genaue Art und Weise der Beschriftung des Briefes – wie im Rahmen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme – nicht mehr erinnern konnte, ändert dies am Beweiswert seiner Aussage nichts. Es erscheint der Berufungskammer aus Gründen des Zeitablaufs durchaus plausibel, dass ein Bote – dessen Konzentration dem Auftrag folgend regelmäßig auf das Ziel der Zustellung, deren ordnungsgemäße Abwicklung und ggf. die Dokumentation gerichtet ist – zu solchen für ihn zweitrangigen Details keine konkrete Angaben machen kann bzw. sich insoweit nicht mehr festlegen will. Vielmehr spricht das Offenbaren entsprechender Erinnerungslücken oder Unsicherheiten hier gerade für den Wahrheitswillen und damit die Glaubwürdigkeit des Zeugen, der bei spürbarer Loyalität zur Beklagten – trotz ggf. nachteiliger Auswirkungen für seine Arbeitgeberin – erkennbar lieber keine konkreten als falsche Angaben machen wollte.

Bei danach feststehender Kuvertierung des Kündigungsschreibens vom 06.12.2012 durch die Zeugin G, dessen Übergabe an den Zeugen L und seiner Fahrt nach E1 am selben Tage und dem dortigen vollständigen Einlegen des Schreibens in den klägerischen Briefkasten gegen 17.15 Uhr hatte der Kläger, der um diese Tageszeit nicht mehr mit einer Zustellung rechnen musste, spätestens ab dem 07.12.2012 die – nach der zitierten Rechtsprechung für die Annahme des Zugangs ausreichende – Möglichkeit der Kenntnisnahme und regelmäßigen Umständen. Der von ihm behauptete Postverlust aus dem geschlossenen Briefkasten fällt in seine Risikosphäre.

b) Die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG beginnt dem Wortlaut der Norm nach mit dem Zugang der schriftlichen, d. h. der im Sinne des § 623 BGB formgerechten Kündigung. Insoweit ist dem Kläger darin zu folgen, dass die bei Kündigungserklärungen nach §§ 623, 126 BGB geforderte Schriftform die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers, einer originär oder abgeleitet kündigungsberechtigten Person, erfordert. Soweit der Kläger zweitinstanzlich explizit bestreitet, dass das Kündigungsschreiben vom 06.12.2012 vom Geschäftsführer M selbst bzw. eigenhändig unterzeichnet worden sei und sich insoweit auf die von der Beklagten in Kopie vorgelegte Zweitausfertigung bezieht (Anlage 1, Bl. 18 d. A.), ist dies jedoch rechtlich irrelevant.

Die gesetzliche Schriftform ist nämlich insoweit allein durch die Unterschrift des Prokuristen C, der das Schreiben mit vollständigem, gut lesbarem Namenszug und unter Hinweis auf die bestehende Prokura ebenfalls unterzeichnet hat, gewahrt. Der Prokurist ist gem. §§ 49 Abs. 1, 50 HGB im Außenverhältnis regelmäßig uneingeschränkt vertretungsbefugt und somit zur Abgabe eigener Kündigungserklärungen ermächtigt. Auch die eventuelle Begründung einer Gesamtprokura ändert an einer im Sinne des § 623 BGB formgerechten Unterschrift des Prokuristen nichts, während sich die Frage des Zurückweisungsrechts nach § 174 BGB bei Unterzeichnung allein durch einen lediglich zur Gesamtvertretung berufenen Prokuristen im konkreten Kontext nicht und im Übrigen aus Gründen des Zeitablaufs auch allgemein nicht mehr stellt.

c) Die Berufungskammer kann und muss danach – wie das Arbeitsgericht – vom Zugang einer formgerechten außerordentlichen Kündigung mit Datum 06.12.2012 am 07.12.2012 ausgehen, was nach §§ 187, 188 BGB zum Ablauf der 3-wöchigen Klagefrist der §§ 13 Abs. 1 S. 2,  4 S. 1 KSchG mit dem 28.12.2012 und damit zur Verfristung der vom Kläger erst am 22.01.2013 anhängig gemachten Klage führt.

2. Der vorsorgliche Klagezulassungsantrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG vom 13.03.2013 ist unzulässig, was zur Unbegründetheit der Klage führt.

a) Gem. §§ 13 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 1 S. 1 KSchG kann die Kündigungsschutzklage auf Antrag nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von 3 Wochen nach dem Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben.

b) Nach § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG ist der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nur binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses zulässig. Die Klageschrift vom 21.01.2013 selbst enthält keinen Hinweis darauf, einen (vorsorglichen) Antrag auf nachträgliche Klagezulassung stellen zu wollen. Sie entspricht auch im Übrigen nicht den Anforderungen des § 5 Abs. 2 S. 2 KSchG. Der Zugang einer schriftlichen Kündigung wird hier vom Kläger vielmehr ausdrücklich negiert.

c) Der ausdrückliche Klagezulassungsantrag vom 13.03.2013 wäre nur dann zulässig, wenn der Kläger diesen binnen 2 Wochen nach dem Wegfall der Gründe gestellt hätte, die ihn ohne Verschulden im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG an der Einhaltung der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG gehindert haben mögen, was hier jedoch nicht der Fall ist.

Denn unterstellt man – trotz der nachvollziehbaren Zweifel der Beklagten – dass dem Kläger das am 06.12.2012 in seinen Briefkasten eingelegte Kündigungsschreiben, wie 3 weitere Schreiben der Beklagten, ohne sein Verschulden durch unbefugten Drittzugriff abhanden gekommen sind, so steht für die Berufungskammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme 2. Instanz gleichwohl fest, dass er insoweit ab dem 09.01.2013 von einer ihm nach Person und Stellung als informiert und zuständig bekannten Mitarbeitern, der Zeugin G, in einer Weise konkret und detailliert informiert war, die zum Wegfall des behaupteten Hindernisses geführt und damit notwendig zur Stellung des Zulassungsantrags binnen 2-wöchiger Frist zwingenden Anlass gegeben hat. Diese Frist war vorliegend bei Antragstellung erst am 13.03.2013 evident versäumt.

aa. Die 2-wöchige Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG beginnt mit der Behebung des nach § 5 Abs. 1 KSchG zu definierenden Hindernisses für die Einhaltung der Klagefrist. Auch insoweit ist ein subjektiver Beurteilungsmaßstab entscheidend, wobei es auf die Besonderheiten und die konkreten Umstände des Einzelfalles ankommt (APS/Hesse, 4. Auflage 2012, § 5 KSchG, Rn 79 m. w. N.). Die Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG wird nicht erst durch positive Kenntnis von der Versäumung der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG in Gang gesetzt. Vielmehr wird der Fristlauf bereits dann ausgelöst, wenn der Arbeitnehmer bei Anwendung gehöriger Sorgfalt aufgrund konkreter Anhaltspunkte erkennen muss, dass er die Klagefrist möglicherweise versäumt hat (APS/Hesse, 4. Auflage 2012, § 5 KSchG, Rn 80 m. w. N; ErfK/Kiel, 14. Auflage 2014, § 5 KSchG Rn 26 m. w. N.; BAG, Urteil vom 16.03.1988 aaO). Muss der Arbeitnehmer mit der Übermittlung einer Kündigung rechnen, kann von ihm im Zusammenhang mit der eingehenden Post und deren Abhandenkommen aus unerklärlichen Gründen ein gesteigertes Maß an Aufmerksamkeit und Sorgfalt erwartet werden (BAG, Urteil 28.05.2009 – 2 AZR 732/08 – AP Nr. 16 zu § 5 KSchG 1969).

bb. Gemessen an diesen Maßstäben geht die Berufungskammer davon aus, dass der Kläger nach dem mit der Zeugin G am 09.01.2013 geführten Telefonat unter Berücksichtigung der konkreten Vorgeschichte und der individuellen Begleitumstände im fraglichen Zeitraum davon ausgehen musste, am 06.12.2012 eine schriftliche außerordentliche Kündigung per Botenzustellung durch Einwurf in seinen Wohnungsbriefkasten erhalten zu haben, die er ggf. durch ungeklärte Umstände nicht hat zur Kenntnis nehmen können.

 (1) Aufgrund seiner Freistellung ab dem 01.08.2012 und der danach laufenden Verhandlungen über ein Auflösungsmodell wusste der Kläger, dass seitens der Beklagten ein Beendigungsinteresse vorliegt, welches der Umsetzung im Wege einer Verhandlungslösung harrte. Durch die am 27.11.2012 geführten Telefonate mit dem Personalleiter der Beklagten und der Zeugin G war dem Kläger zudem positiv bekannt, dass die Beklagte eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung in Vorbereitung hatte, wobei er – wegen des unstreitigen Hinweises der Zeugin G auf die einzuhaltende Kündigungserklärungsfrist und des vom Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten abgelehnten Gesprächstermins im November 2012 – mit einer zeitnahen Umsetzung durch Zustellung einer außerordentlichen Kündigungserklärung in der ersten Hälfte des Monats Dezember 2012 rechnen musste.

 (2) Die Berufungskammer ist im Ergebnis ihrer Beweisaufnahme zudem davon überzeugt, dass der Kläger im Rahmen des als solchen unstreitigen Telefonats mit der Zeugin G vom 09.01.2013 von dieser ganz konkret über die Botenzustellung einer außerordentlichen Kündigung in den Briefkasten seiner damaligen, zum fraglichen Zeitpunkt nicht genutzten Wohnung am 06.12.2012 informiert worden ist und das der Kläger diese Information – entgegen seiner nach Überzeugung der Kammer insoweit bewusst falschen Darstellung – verstanden und verarbeitet hat, was seine streitige, aber ebenfalls als bewiesen zu betrachtende Reaktion im weiteren Telefonat vom 10.01.2013 zeigt.

Die Zeugin G hat zunächst bekundet, dass sie sich auf das Telefonat mit dem Kläger am 09.01.2013 durch das Hinzuziehen ihrer Handakte vorbereitet hat und vorbereiten konnte, weil es sich – der Rückrufsituation wegen – um ein geplantes Gespräch gehandelt hat. Selbiges erscheint der Kammer zudem als plausibel, weil die Zeugin aufgrund ihrer Profession und Funktion genau wusste, dass eine zu erwartende Reaktion des Klägers auf die ausgebrachten Kündigungen ausstand und sie angesichts der konkreten Vorgeschichte ferner erwarten durfte, dass es dem Kläger in dem zu führenden Gespräch nicht allein um die Sperrung seiner Tankkarte gehen werde.

Die Zeugin hat insoweit angegeben, dass sich die Aktenvermerke des Zeugen L über die Botenzustellungen vom 28.11.2012, 06.12.2012 und 12.12.2012 (Bl. 19, 21, 66 d. A.) zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrer Handakte befanden. Soweit der Kläger die spätere, zeitlich nach den Telefonaten liegende Erstellung dieser Vermerke behauptet, ist dies durch die gegenteiligen und glaubhaften Angaben des Zeugen L widerlegt. Dieser hat bekundet, die Vermerke jeweils noch am Tag der Zustellung, bezüglich der Zustellung vom 06.12.2012 ggf. am Folgetag – bei jeweiliger Vorbereitung anhand seiner Angaben durch eine Mitarbeiterin des Personalbereichs – unmittelbar unterzeichnet zu haben. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf sich wiederholende Fehler und eine falsche Angabe zu einem Wochentag in den Vermerken hinweist, lassen sich daraus keine gegenteiligen Schlüsse gewinnen. Diese Fehler sind, wie von der Beklagten dargestellt, ohne Weiteres dadurch plausibel, dass die Mitarbeiterin bei Erstellung der Vermerke jeweils auf Vorstücke zurückgegriffen hat, was gängige Praxis bei Tätigkeiten verwaltenden Charakters darstellt und häufig – schon bei geringer Unaufmerksamkeit – zur Übernahme von Fehlern oder der unreflektierten Übernahme dann fehlerhafter Daten oder Anredefloskeln führt.

Die Zeugin G hat im Rahmen ihrer zweitinstanzlichen Vernehmung ferner – wie schon vor dem Arbeitsgericht – angegeben, dem Kläger in dem Telefonat vom 09.01.2013, ergänzend aus diesen Zustellvermerken zitierend, genau mitgeteilt zu haben, wann, wohin und wie genau ihm welches Kündigungsschreiben, außerordentlich wie ordentlich, übermittelt worden ist. Dabei decken sich Angaben der Zeugin, von kleineren später selbst berichtigten Datumsunsicherheiten in der Vernehmung erster Instanz abgesehen, mit den Angaben in ihrem Aktenvermerk vom 09.01.2013 (Bl. 312/313 d. A.). Im Hinblick auf diesen Vermerk hat sie bestätigt, selbigen noch am 09.01.2013 unmittelbar nach dem Telefonat gefertigt zu haben, was eine ganz frische und vollständige Erinnerung des Gesprächs erwarten und sich harmonisch in die weitere Darstellung der Zeugin einordnen lässt, diesen Vermerk zum Zwecke der zeitnahen Information des Prozessbevollmächtigten erstellt zu haben, womit wiederum die von der Zeugin bestätigte E-Mail an diesen vom Abend des 09.01.2013 (Bl. 388 d. A.) korrespondiert.

Nach der auf die Berufungskammer authentisch wirkenden Darstellung der Zeugin sind diese Informationen im Rahmen eines längeren, in Dialogform mit stets wechselnden, auf einander bezogenen Gesprächsanteilen geflossen, was sowohl ihre Aussage als auch der Vermerk vom 09.01.2013 plastisch wiedergeben und sich mit den Angaben des Klägers im Rahmen der Parteianhörung im Berufungstermin deckt, soweit er sich dort ausführlich und fast wortgleich zu dem ersten Gesprächsteil verhalten hat. Die Kammer nimmt der Zeugin entsprechend ihrer lebendigen Gesprächsschilderung ferner uneingeschränkt ab, dass sich auch der zweite Teil des Gesprächs im Kontext mit den Kündigungen und den Details dazu in Dialogform vollzogen und der Kläger die ihm gegebenen Informationen genau verstanden hat, worauf sein von der Zeugin dargestellter Einwand, man werde alles ja wohl auch seinem Prozessbevollmächtigten übermittelt haben, klar hinweist.

Mit diesen Angaben der Zeugin stimmt überein, dass sie zum folgenden, am 10.01.2013 geführten Telefonat angegeben hat, der Kläger habe dort erklärt, den Nachweis des Nichtzugangs von Kündigungen und weiterer Post der Beklagten beweisen zu können. Selbiges hat die Zeugin in den nach ihren Angaben ganz zeitnah errichteten weiteren Telefonvermerk vom 10.01.2013 aufgenommen, was der bestätigten Zeitnähe wegen auf die Kammer besonders überzeugend wirkt.

Zu einer solchen Reaktion hatte der Kläger jedoch ohne eine dezidierte Darstellung der Zustellung von Kündigungen im Telefonat des Vortrages und ohne selbige genau verstanden zu haben gar keinen Anlass.

Die Zeugin G wirkte auf die Kammer, entgegen den Anwürfen des Klägers, im Rahmen ihrer Vernehmung sachlich, neutral und stets um Wahrheit bemüht. Ihr war anzumerken, dass sie den gesamten Kündigungsvorgang – trotz spürbarer kollegialer Restsympathien für den bei der Beklagten hierarchisch etwa gleich verorteten Kläger – mit hoher Konzentration und einem hohen Maß an Professionalität begleitet hat und noch begleitet, um unabhängig von ihren persönlichen Vorstellungen oder Wünschen den an sie gerichteten eigenen und arbeitgeberbestimmten beruflichen Erwartungen gerecht zu werden. Die Kammer hatte dabei ihm Rahmen der Vernehmung zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass es der Zeugin – auch nur begleitend – um eine Schädigung des Klägers oder die Erlangung von Vorteilen auf dessen Kosten geht. Die Zeugin hat nach der aus dem Termin gewonnen Überzeugung der Kammer vielmehr äußerst durchdacht und professionell ihre Arbeit getan, nicht um den Kläger zu schaden, wohl aber um ein gutes Arbeitsergebnis für ihre Arbeitgeberin, die Beklagte zu erzielen, was der nach Auffassung der Kammer uneingeschränkten Glaubwürdigkeit der Zeugin gerade keinen Abbruch tut.

 (3) Soweit der Kläger sich im Rahmen der Parteianhörung im Berufungstermin nochmals – in Abweichung zu seinem bisherigen schriftsätzlichen Vorbringen – zu den Gesprächsinhalten vom 09.01.2013 und den beiden folgenden Telefonaten eingelassen hat, hat die Kammer auch dies im Rahmen der ihr nach § 286 Abs. 1 ZPO obliegenden Würdigung in ihre Überzeugungsbildung einbezogen und die Plausibilität und den möglichen Wahrheitsgehalt der klägerischen Angaben, gerade unter Berücksichtigung der 4-Augen-Gesprächssituation und der ggf. auftretenden Störungen bei Gesprächen über Mobilfunkverbindungen aus fahrenden Kraftfahrzeugen, ergebnisoffen hinterfragt. Dabei hat die Kammer äußerst irritiert, dass der Kläger hier zunächst darstellen wollte, die Zeugin G habe in allen 3 Telefonaten nicht nur nicht konkret über Kündigungen und schon gar nicht über deren Details, sondern vielmehr überhaupt nicht über Kündigung gesprochen, was er erst später – nach unterbrechungsbedingter Interventionsmöglichkeit – teilweise wieder abschwächte. Insoweit hat der Kläger gerade den von ihm wiederholt anders dargestellten Klageanlass in Frage gestellt und dabei sein bisheriges Vorbringen nach Wahrnehmung der Kammer bis an die äußersten Grenzen der Widersprüchlichkeit in eine für ihn vermeintlich günstige Richtung umsteuern wollen. Die Kammer sieht danach ihre Einschätzung von der Glaubwürdigkeit der Zeugen L und G und die Richtigkeit ihrer Angaben mit der Folge einer entsprechenden Überzeugungsbildung als weiter bestätigt an. Damit liegt nahe, dass der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten über die konkreten Gesprächsinhalte vom 09.01.2013 ergebnisorientiert ebenso so im Dunkeln gelassen haben mag, wie er es mit Gegenseite und Gericht erfolglos versucht hat, womit eine entsprechende rechtzeitige Antragstellung ggf. vom Kläger zum eigenen Nachteil vereitelt worden ist.

 (4) Dem von der Zeugin zum Zugang einer fristlosen Kündigung am 06.12.2012 danach – entgegen seinem Vorbringen – umfassend informierten Kläger musste sich unter Berücksichtigung der Vorgeschichte (siehe oben (1)) und in voller Kenntnis von Position und Aufgaben der Zeugin G danach aufdrängen, dass man ihm tatsächlich am 06.12.2012 die zu erwartende außerordentliche Kündigung zugestellt hatte, wofür ergänzend indiziell auch der Umstand der gesperrten Tankkarte sprach. Deshalb hatte er unter Berücksichtigung des quasi-Leerstands seiner Wohnung – trotz der behaupteten mindestens wöchentlichen Leerung des Briefkasten – hinreichend Anlass, unmittelbar ein Abhandenkommen des zugestellten und zugegangenen Kündigungsschreibens vom 06.12.2012 in seiner Sphäre zu befürchten und anzunehmen. Der Kläger war danach gehalten, seinen Prozessbevollmächtigten entsprechend zu informieren um unmittelbar nach dem 09.01.2013 – innerhalb der 2-wöchigen Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG – Kündigungsschutzklage erheben und einen damit verbundenen Klagezulassungsantrag stellen zu lassen, was unterblieben ist und zur Erfolglosigkeit des Rechtsmittels führt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht ersichtlich. Der Rechtsstreit wirft weder entscheidungserhebliche Fragen grundsätzlicher Bedeutung auf noch weicht die Kammer in entscheidungserheblicher Weise von obergerichtlicher Rechtsprechung ab.



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