Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil vom - Az: 5 K 1594/14
Entschädigungen wegen Diskriminierung sind steuerfrei
(2.) Allein aus dem Umstand, dass in einem Vergleich der Begriff „Entschädigung“ verwendet wurde, nicht zwingend gefolgert werden, dass hierfür nur ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG als Rechtsgrundlage in Betracht kommt. Vielmehr sind auch die weiteren Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
(3.) Hat eine Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage erhoben und hierbei eine Diskriminierung ihrer Person zum wesentlichen Bestandteil gemacht, so spricht dies dafür, dass die Klägerin ihre Rehabilitation durchsetzen möchte. Dies wiederum spricht für den Charakter einer Entschädigung.
(4.) Dass die Zahlung der Entschädigung nur auf Grund einer möglicherweise(!) stattgefundenen Benachteiligung nach AGG erfolgt, ändert nichts an dem Rechtscharakter der Zahlung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der ausschließliche Beweggrund die Vermeidung einer diesbezüglichen weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung ist.
(Redaktionelle Orientierungssätze)
Tenor
I. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2008 vom 31.05.2011 wird die Einkommensteuer auf den Betrag festgesetzt, der sich ergibt, wenn die auf Grund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs erfolgte Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers in Höhe von 10.000,- € nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt wird.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der von dem Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Zahlung nach § 15 AGG steuerpflichtig oder steuerfrei ist.
Die im Jahre 1968 geborene Klägerin ist als Einzelhandelskauffrau nichtselbständig beschäftigt. Daneben ist sie mit dem Verkauf von Mary Kay Cosmetics Produkten selbständig gewerblich tätig. Mit Bescheid des Amts für soziale Angelegenheiten Landau vom 06.11.2007 wurde bei ihr wegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt (Vorgeheftet den Einkommensteuerakten – EStA -).
Mit nach § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufigem Einkommensteuerbescheid vom 01.12.2009 (Bl. 14, Fach 2008 EStA) veranlagte der Beklagte die Klägerin für das Streitjahr 2008 der Einkommensteuererklärung gemäß. Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber der Klägerin durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung wurde dem Beklagten bekannt, dass die Klägerin im Streitjahr eine Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erhalten hat.
Dem lag Folgendes zu Grunde: Der Arbeitgeber der Klägerin, die Firma A, hatte das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen ordentlich zum 30.04.2008 gekündigt. Hiergegen hat die Klägerin bei dem Arbeitsgericht Kaiserslautern Kündigungsschutzklage erhoben; diese Klage wurde am 08.01.2008 erweitert und die Klägerin begehrte die Zahlung einer Entschädigung auf Grund einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung. Am 21.02.2008 schlossen die Parteien einen Vergleich (Bl. 60 ff. der Akten des Arbeitsgerichts Kaiserslautern –...) mit folgendem Inhalt (auszugsweise):
„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 26.11.2007 mit dem 30.04.2008 enden wird.2. Die Beklagte zahlt an die Klägerin eine Entschädigung gem. § 15 AGG in Höhe von 10.000,00 EUR.3. Bis zum 30.04.2008 wird die Klägerin unter Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.4. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Klägerin den ihr zustehenden Urlaub in Natur erhalten hat und keine Überstundenansprüche mehr bestehen.5. Die Klägerin erhält das Recht vorzeitig durch einseitige schriftliche Erklärung unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von einer Woche aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. In diesem Falle zahlt die Beklagtenseite eine Abfindung nach §§ 9 und 10 KSchG in Höhe der ersparten Bruttobezüge bis 30.04.2008.
6. – 8. …
9. Damit sind sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und finanzielle Ansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt.“
Der Betrag von 10.000,- € wurde vom Arbeitgeber nicht versteuert und von der Klägerin in ihrer Steuererklärung nicht angegeben. Der Beklagte sah die Zahlung als eine solche nach § 15 Abs. 1 AGG und damit als steuerpflichtigen Arbeitslohn an und erließ am 31.05.2011 einen entsprechend geänderten Einkommensteuerbescheid (Bl. 19 EStA).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein (Bl. 22 EStA) und trug zur Begründung vor, bei der Entschädigung habe es sich um Schadensersatz im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG und damit um steuerfreien Arbeitslohn gehandelt.
Mit Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 (Bl. 87 EStA) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Dazu heißt es im Wesentlichen:
Werde ein Arbeitnehmer unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG entlassen und sei der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen (Fall des § 15 Abs. 1 AGG), handele es sich bei der Zahlung um steuerpflichtigen Arbeitslohn, da diese Entschädigung einen Ersatz für entgehende Einnahmen darstelle (§ 19 Abs. 1 i. V. m. § 24 Nr. 1a EStG). Handele es sich hingegen um Entschädigungen, die ein Beschäftigter wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots durch den Arbeitgeber für immaterielle Schäden (Diskriminierung wegen Geschlecht/Alter, Mobbing, sexuelle Belästigung) verlangen könne (Fall des § 15 Abs. 2 AGG), liege kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Derartige Entschädigungen würden nicht "für eine Beschäftigung" gewährt.
Die Klägerin habe vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern gegen ihren Arbeitgeber wegen Bestandsschutzes geklagt. Der Arbeitgeber habe das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2008 gekündigt gehabt. Zur Begründung habe sie angegeben, die Anhörung des Betriebsrates sei unterblieben, es lägen keine personen-, betriebs- oder verhaltensbedingten Kündigungsgründe vor, die den Ausspruch der Kündigung rechtfertigen könnten und es sei keine Sozialauswahl vorgenommen worden. Außerdem sei noch ein Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderung anhängig und das Präventionsverfahren gem. § 84 SGB IX sei nicht durchgeführt worden. Die Klägerin sei durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht wegen einer Behinderung unzulässig i.S.d. AGG benachteiligt. Eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. AGG liege vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten verpönten Merkmals eine weniger günstige Behandlung erleide als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahre, erfahren habe oder erfahren würde. Mit der Kündigungserklärung habe sich der Arbeitgeber eines zulässigen Gestaltungsmittels zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bedient. Er habe die Kündigung darauf gestützt, dass die Klägerin dauerhaft nicht in der Lage sei, ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erbringen und es bestehe keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Die Äußerung des Willens zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses möge für die Klägerin ungünstig und nachteilig sein. Es seien aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Arbeitgeber gegenüber einem anderen Arbeitnehmer keine Kündigung ausspreche, ausgesprochen habe oder aussprechen würde. Die Klägerin habe auch keine Diskriminierung wegen Geschlechts/Alters, Mobbing oder sexueller Belästigung geltend gemacht. Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 15 Abs. 2 AGG sei nicht zu erkennen. Es liege vielmehr eine nach § 15 Abs. 1 AGG steuerpflichtige Entschädigungszahlung vor.
Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin geltend:
Eine Kündigung vom 25.09.2007 habe bereits zu einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern (Az. …) wegen einer personenbedingten Kündigung zum 29.02.2008 geführt. Sie habe seinerzeit mit ärztlichem Attest gegenüber ihrem Arbeitgeber nachgewiesen, dass sie aufgrund eines angeborenen Herzfehlers im Rahmen ihrer Berufsausübung keine körperlich schweren, allenfalls gelegentlich mittelschwere Arbeiten ausführen solle. Dementsprechend seien auch Akkordarbeiten, Arbeiten unter ungewöhnlichen Bedingungen z.B. im Kühlhaus, zu vermeiden. Sie sei zum damaligen Zeitpunkt in der Molkereiabteilung beschäftigt gewesen und habe gegenüber ihrem Arbeitgeber aus gesundheitlichen Gründen eine Versetzung in den Bereich "Checkout" erbeten. Da nach dem Dafürhalten der Klägerin ein entsprechender Arbeitsplatz für sie zur Verfügung gestanden habe, sei sie seither schikaniert bzw. unter Druck gesetzt worden, da beabsichtigt sei das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Der Arbeitgeber sei zwar darauf hingewiesen worden, dass seit Anfang 2007 beim Amt für soziale Angelegenheiten in Landau ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung vorliege, über den noch nicht entschieden worden sei. Gleichwohl habe der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis gekündigt, ohne zuvor die Zustimmung beim Amt für soziale Angelegenheiten in Landau einzuholen. Der Arbeitgeber sei über diesen Umstand ebenfalls vom Betriebsrat unterrichtet worden. Es habe nach § 90 Abs. 2 a SGB IX ein Zustimmungserfordernis hinsichtlich der beabsichtigten Kündigung bestanden. Am 05.11.2007 sei vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern ein Vergleich geschlossen worden. Danach sei die Kündigung vom 25.09.2007 gegenstandslos gewesen und das Arbeitsverhältnis habe ungekündigt fortbestanden. Wegen des Vorgehens des Arbeitgebers sei für die Klägerin mit Schreiben vom 13.11.2007 bei der Bundesagentur für Arbeit ein Antrag auf Gleichstellung im Sinne des SGB III gestellt worden. Ausschließlich um einer etwaigen zusätzlichen Schutzbedürftigkeit der Klägerin als Gleichgestellte zuvorzukommen, sei sodann die Kündigung vom 26.11.2007 zum 30.04.2008 erfolgt, aus der das Klageverfahren vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern (Az.: …) resultiert habe.
ln diesem Verfahren habe sie die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche personenbedingte Kündigung zum 30.04.2008 aufgelöst worden sei, und sie habe die Weiterbeschäftigung als Einzelhandelskauffrau, nicht aber eine Abfindungszahlung verlangt. Im Rahmen einer Klageerweiterung habe sie darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens zur Prüfung einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, einer Beschäftigung und ggf. Weiterbeschäftigung und der Änderung des Arbeitsverhältnisses nicht durchgeführt habe und die Kündigung sowie das Unterlassen dieses Präventionsverfahrens eine Benachteiligung der Klägerin als Behinderte darstelle und der Arbeitgeber daher gemäß § 15 AGG zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung verpflichtet sei. Sie habe vorgetragen, dass das schikanöse Vorgehen des Arbeitgebers vornehmlich darauf beruht habe, dass der Arbeitgeber befürchtet habe, dass aufgrund ihrer Behinderung eine Schwerbehindertenvertretung hätte eingerichtet werden können. Man habe sich im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen betriebsbedingter Gründe und auf eine Zahlung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 10.000,- € geeinigt. Aufgrund der (zwar generellen) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei keine Abfindungszahlung nach § 9, 10 KSchG gezahlt, sondern lediglich für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin eine sogenannte Abfindungsklausel für weiter anfallende Gehaltsansprüche bis zum 30.04.2008 getroffen worden. Eine solche übliche Abgeltungsklausel werde insbesondere wegen der vereinbarten Freistellung dazu verwandt, weitere ggf. im Raum stehende finanzielle Ansprüche als generell ausgeschlossen anzusehen, damit für die Parteien klar sei, dass mit der Beendigung dieses Rechtsstreits keine weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren mehr angestrengt werden könnten. Bei der Abrechnung von Abfindungszahlungen sei es so, dass die anfallende Lohnsteuer üblicherweise vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt werde. Dass ihr Arbeitsgeber die Zahlung in Höhe von 10.000,- € steuerfrei abgerechnet habe, bestätige, dass es sich bei der Zahlung um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gehandelt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2008 vom 31.05.2011 die Einkommensteuer auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn die auf Grund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs erfolgte Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers in Höhe von 10.000,- € nicht als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus:
Dass man sich im Rahmen des Vergleichs auf eine Zahlung von 10.000,- € nach § 15 Abs. 2 AGG geeinigt habe, lasse sich aus dem Vergleich nicht entnehmen. Aus Ziffer 2 ergebe sich lediglich, dass eine Entschädigung gemäß § 15 AGG in Höhe von 10.000,- € gezahlt worden sei. Aus dem Umstand, dass in dem Vergleich das Wort "Entschädigung" verwendet worden sei, könne nicht zwingend gefolgert werden kann, dass hierfür ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Betracht kommen könne. Aus dem Vergleich ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG, vielmehr ergebe sich aus Ziffer 9 das Gegenteil. Dort sei geregelt, dass damit sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und finanziellen Ansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt seien. Daraus folge, dass die Zahlung im Arbeitsverhältnis begründet sei und eine die Erwerbsgrundlage der Klägerin zuzuordnende Zahlung darstelle, die Arbeitslohn gleich zu stellen sei. Die Formulierungen des Vergleichs legten den Schluss nahe, dass mit der vereinbarten Zahlung nicht der Ersatz von immateriellem Schaden geregelt sei.
Soweit sich die Klägerin auf die Klageerweiterung vom 07.01.2008 im arbeitsgerichtlichen Verfahren beziehe und daraus folgere, dass es sich um eine Entschädigung i.S. des § 15 Abs. 2 AGG handele, könne dem nicht gefolgt werden. Die diesbezüglichen Ausführungen, wonach die Kündigung eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstelle, die durch die gesamte Vorgeschichte bestätigt werde, seien unzutreffend.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin sei aus personenbedingten Gründen ordentlich zum 30.04.2008 gekündigt worden, weil nach dem Schreiben des Arbeitgebers vom 22.01.2008 keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin, insbesondere kein leidensgerechter Arbeitsplatz, vorhanden und die Klägerin daher dauerhaft nicht in der Lage gewesen sei, ihre arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erbringen. Weder aus der Kündigung noch aus anderen äußeren Umständen könne geschlossen werden, dass eine Ursächlichkeit zwischen Kündigung und der Behinderung zu vermuten sei. Es seien keine Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen Behinderung vermuten ließen. Dies gelte insbesondere für die Behauptung des fehlenden Eingliederungsmanagements. Nach der Rechtsprechung des BAG sei der Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung, ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, allenfalls ein Indiz für die Vermutung, dass er sich nicht an seine gesetzliche Verpflichtungen gegenüber Arbeitnehmern mit längeren Krankheitszeiten halte, begründe jedoch keine Vermutung für die Benachteiligung des Arbeitnehmers wegen einer Behinderung (Hinweis auf BAG-Urteil vom 28.04.2011 - 8 AZR 515/10).
Der Umstand, dass der Arbeitgeber die streitige Zahlung steuerfrei abgerechnet habe, bestätige nicht, dass es sich um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gehandelt habe. Denn eine unzutreffende steuerrechtliche Qualifikation lasse nicht den Schluss zu, dass diese Zahlung auch steuerfrei sei.
Der Senat hat die Verfahrensakte … des Arbeitsgerichts Kaiserslautern beigezogen.
Entscheidungsgründe
1.
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Einkommensteueränderungsbescheid vom 31.05.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.04.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -). Zu Unrecht hat der Beklagte die Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin in Höhe von 10.000,- € als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt.
a)
Bei der in dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarten Zahlung von 10.000,- € handelt es sich um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die wegen einer Diskriminierung der Klägerin als Behinderte zu zahlen war. Der zwischen der Klägerin und der Firma A geschlossene Vergleich enthält hinreichende Anhaltspunkte für eine Entschädigung nach dieser Vorschrift.
b)
Zwar kann allein aus dem Umstand, dass in dem Vergleich der Begriff „Entschädigung“ verwendet wurde, nicht zwingend gefolgert werden, dass hierfür nur ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG als Rechtsgrundlage in Betracht kommt (vgl. BFH-Beschluss vom 27.07.2013 III B 15/13, BFH/NV 2014, 352). In dem dieser Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Fall war die Klägerin jenes Verfahrens bei einer Anwaltssozietät als Rechtsanwältin angestellt. Gegen eine Kündigung wandte sie sich mit einer Kündigungsschutzklage und machte darüber hinaus Zahlungsansprüche geltend. Der Prozess vor dem Arbeitsgericht endete mit einem Vergleich. Dabei wurde die Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgestellt und die Sozietät verpflichtete sich außerdem, an die Klägerin "als Entschädigung für die Nichtbegründung einer selbständigen Tätigkeit" einen Betrag von 9.000,- € zu zahlen.In dem Finanzrechtsstreit, in welchem die Klägerin der Ansicht war, bei der im Vergleich vereinbarten Zahlung habe es sich um eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gehandelt, die wegen der Diskriminierung der Klägerin als Frau zu zahlen gewesen sei, gelangte das Finanzgericht in Auslegung des Vergleichs zu der Auffassung, der zwischen der Klägerin und der Sozietät geschlossene Vergleich enthalte keinen Anhaltspunkt für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Hierzu führte der BFH in der zitierten Entscheidung aus, die Formulierung "als Entschädigung für die Nichtbegründung einer selbständigen Tätigkeit" lege den vom FG gezogenen Schluss nahe, dass mit der im Vergleich vereinbarten Zahlung gerade nicht der Ersatz von immateriellem Schaden gemeint sein sollte.
c)
Im Gegensatz hierzu wird nach Auffassung des erkennenden Senats im Streitfall aus den einzelnen Bestandteilen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs sowie aus den gesamten Umständen des Falles, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Schriftverkehrs in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren, deutlich, dass wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses nach der Klageerweiterung die Diskriminierung der Klägerin als Behinderte gewesen ist, sie damit ein Rehabilitationsinteresse hat durchsetzen wollen und dass mit der im Vergleich vereinbarten Zahlung von 10.000,- € der Ersatz von immateriellem Schaden gemeint sein sollte.
aa)
Der arbeitsgerichtliche Vergleich enthält mehrere unterschiedliche Regelungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen. So wird zunächst unter Ziffer 1 eine Einigung der Parteien dahingehend festgehalten, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund ordentlicher betriebsbedingter (nicht mehr: personenbedingter) Arbeitgeberkündigung mit dem 30.04.2008 endet. In Ziffer 2 des Vergleichs wird die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Zahlung einer Entschädigung durch den Arbeitgeber nach § 15 AGG in Höhe von 10.000,- € vereinbart. Unabhängig von dieser Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers enthält Ziffer 3 des Vergleichs eine Regelung, nach der die Klägerin bis 30.04.2008 unter Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt wird. Nach Ziffer 5 des Vergleichs erhält die Klägerin schließlich das Recht, vorzeitig durch einseitige schriftliche Erklärung unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von einer Woche aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. In diesem Falle soll der Arbeitgeber eine Abfindung nach §§ 9 und 10 KSchG in Höhe der ersparten Bruttobezüge bis 30.04.2008 zahlen. Ziffer 9 beinhaltet schließlich die salvatorische Klausel, nach welcher mit dem Vergleich sämtliche finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und finanzielle Ansprüche aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erledigt sind. Diese Klausel bezieht sich dabei erkennbar auf sämtliche durch den Vergleich getroffenen Vereinbarungen.
Der Vergleich beinhaltet somit differenzierende Regelungen, die neben der Einigung auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2008 zwei unabhängig voneinander zu beurteilende Zahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers begründen, nämlich zum einen die streitige Entschädigungszahlung und zum anderen die Weiterzahlung der Vergütung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2008. Die Zahlung der vertragsgemäßen Vergütung – unter gleichzeitiger Freistellung von der Arbeitsleistung - stellt sich dabei als regulärer Arbeitslohn dar, der zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG gehört. Wenn in dem Vergleich daneben eine Entschädigungszahlung vereinbart wird, liegt die Annahme nahe, dass dem ein anderer Rechtsgrund als die Zahlung von Lohn oder als Ersatz für einen materiellen Schaden zu Grunde liegt.
bb)
Bestätigt wir diese Annahme durch die Gesamtumstände des Falles und dabei insbesondere durch die im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens erfolgte
Klageerweiterung.
Hatte die Klägerin zunächst lediglich eine Kündigungsschutzklage (mit der in der Klageschrift enthaltenen Bezeichnung „Bestandsschutz“) erhoben, mit der sie die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche personenbedingte Kündigung aufgelöst wird sowie die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses begehrte, erweiterte sie ihre Klage und begehrte nunmehr darüber hinaus die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Zur Begründung machte sie dabei im Wesentlichen eine Benachteiligung als Behinderte geltend. Dazu führte sie aus, der Arbeitgeber habe entgegen §§ 81 Abs. 4 Nr. 1, 84 SGB IX nicht das sogenannte Präventionsverfahren zur Prüfung einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, einer Beschäftigung und ggf. Weiterbeschäftigung unter Änderung des Arbeitsverhältnisses durchgeführt. Damit stelle die Kündigung sowie das Unterlassen des Präventionsverfahrens eine Benachteiligung der Klägerin als Behinderte dar. Auch habe der Arbeitgeber versucht, die an sich gebotene Bestellung eines Schwerbehindertenvertreters zu verhindern. Von daher sei der Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 AGG verpflichtet (Bl. 23 ff. <25> AGA). In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren trat der Arbeitgeber zwar dieser Darstellung der Klägerin mit dem Hinweis darauf entgegen, es bestehe in dem Betrieb keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin und die Voraussetzungen für ein Verfahren nach § 84 SGB IX seien nicht gegeben. Verfahrensgegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens war mit der Klageerweiterung aber insbesondere auch die Frage einer Benachteiligung der Klägerin als Behinderte. Kern dieses Teils des Rechtsstreits war damit die Frage, ob ein immaterieller Schaden zu ersetzen ist.
cc)
Es war und blieb bis zum Abschluss des gerichtlichen Vergleichs zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber kontrovers, ob tatsächlich eine Diskriminierung der Klägerin wegen einer Behinderung vorlag. Zur Vermeidung einer weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung schlossen die Parteien sodann den Vergleich, der die streitige Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers nach § 15 AGG beinhaltete (zur Nichtaufklärbarkeit einer Diskriminierung vgl. auch Cornelius/Lipinski, Diskriminierungsabrede im Aufhebungsvertrag, BB 2007, 496).
Als Vergleich bezeichnet man einen Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (§ 779BGB). Wird der Vergleich zum Zwecke der gütlichen Beilegung eines bei Gericht anhängigen Rechtsstreits geschlossen (Prozessvergleich), hat er eine Doppelnatur. Er ist sowohl Prozesshandlung als auch materielles Rechtsgeschäft. Bei der Auslegung eines Vertrages müssen auch außerhalb der Verträge liegende Umstände beachtet werden. Für die steuerrechtliche Beurteilung von Verträgen ist an das Ergebnis der Auslegung anzuknüpfen, bei welcher nicht nur das formell Vereinbarte, sondern auch und vor allem das von den Vertragsbeteiligten wirklich Gewollte und tatsächlich Durchgeführte berücksichtigt wird (§ 41 AO; vgl. BFH-Urteil vom 11.02.1981 I R 13/77, BStBl II 1981, 475). Wenn letztlich der Grund offen bleibt, ist das Ergebnis an den Vereinbarungen des Vergleichs selbst und an den Begleitumständen zu orientieren.
dd)
Da im Streitfall unklar blieb, ob eine Benachteiligung gem. § 3 AGG tatsächlich stattgefunden hat, haben die Arbeitsvertragsparteien über diese Ungewissheit einen Vergleich (vgl. § 779 Abs. 2 BGB) geschlossen. Dies stellt grundsätzlich eine wirksame, nicht der Disposition der Vertragsparteien entzogene Regelung dar. Damit handelt es sich um eine Entschädigungszahlung. Die Vereinbarung der Entschädigungszahlung in dem gerichtlichen Vergleich erfolgte auch nicht etwa zur Verschleierung einer Abfindung oder einer Ersatzleistung nach § 15 Abs. 1 AGG wegen eines materiellen Schadens, sondern diente der Beseitigung der Ungewissheit hinsichtlich einer Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers nach § 15 Abs. 2 AGG. Dass die Zahlung der Entschädigung nur auf Grund einer möglicherweise stattgefundenen Benachteiligung nach AGG erfolgt, ändert nichts an dem Rechtscharakter der Zahlung. Im Streitfall haben sich Arbeitnehmerin und Arbeitgeber im Wege eines Vergleichs zur Zahlung einer Entschädigung wegen einer möglichen Diskriminierung entschlossen. Ausschließlicher Beweggrund war die Vermeidung einer diesbezüglichen weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung. Die Entschädigungszahlung ist damit - anders als die zudem vereinbarte Lohnzahlung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses - steuerfrei.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.