Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 6 Sa 194/12

Ergänzende Vertragsauslegung eines Tarifvertrages - Betriebsrente - Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze

Ist die Regelung eines Tarivertrages lückenhaft geworden, sodass die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung greifen, dann gilt, dass diese Vertragslücke durch eine angemessene, dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechende Regelung zu schließen ist.
Hier: Das Gericht beschäftigte sich mit der Frage, ob durch die außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2003, ein Tarifvertrag, der bei der Berechnung einer Betriebsrente auf die BBG Bezug nimmt, eine Regelungslücke aufweist (verneint).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 18. Januar 2012 - 5 Ca 389/11 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der betrieblichen Altersversorgung des Klägers im Hinblick auf die Berücksichtigung der außerplanmäßigen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) im Jahre 2003 und in diesem Zusammenhang auch darüber, ob sich der Betriebsrentenanspruch des Klägers nach einem Versorgungstarifvertrag von 1993 oder einem Versorgungstarifvertrag von 2009 bestimmt.

Der Kläger, geboren am 31. März 1946, war bei der A der Rechtsvorgängerin der Beklagten, in deren Außenstelle „B“ vom 1. Juni 1974 an als unkündbarer Angestellter im öffentlichen Dienst beschäftigt. Ab dem 1. Dezember 1994 wurde der Kläger mit Arbeitsvertrag vom 29. August 1994, 20. November 1994 (Bl. 7, 8 d.A.) ebenfalls unkündbar weiterbeschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist unter anderem bestimmt:

§ 1 Vertragsgegenstand

1. ...

2. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Manteltarifvertrag für die bei der C GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom 07.07.1993 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung.

3. ...

§ 2 Beschäftigungszeit

...

§ 3 Vergütung

1. Herr D ist in Vergütungsgruppe 10 Stufe 3 des Eingruppierungstarifvertrages vom 20.08.1993 eingruppiert.

...

§ 4 Probezeit

...

§ 5 Versorgung

Es gilt der Versorgungstarifvertrag vom 07.07.1993.

Im Übernahmeangebot mit Schreiben von August 1994 (Bl. 9, 10 d.A.) heißt es entsprechend der Rahmenvereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Dezember 1992 (Bl. 173 - 181 d.A.):

...

Der Versorgungstarifvertrag garantiert Ihnen eine Altersversorgung mindestens in Höhe Ihrer letzten erreichten Versorgungsansprüche (VBL und BeamtVG). Sie stellen sich bei Übertritt zur C also nicht schlechter, als wenn Sie im öffentlichen Dienst verbleiben würden.

...

Mit Wirkung zum 30. Oktober 1995 wurde die Außenstelle „B“ geschlossen. Aus Anlass der Betriebsstellenschließung wurde ein Interessenausgleich und Sozialplan zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat der Außenstelle am 18. Oktober 1994 geschlossen (Bl. 12 - 23 d.A.). Für die von der Personalreduzierung betroffenen Beschäftigten war unter anderem eine Versetzung in den Vorruhestand nach Maßgabe der Tarifverträge vorgesehen. Der Sozialplan bestimmt hierzu:

§ 6 Vorruhestand

 (1) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen trotz intensiver Prüfung aller Dispositionsmöglichkeiten kein Arbeitsplatz angeboten werden kann, sind verpflichtet, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen, wenn sie die tatsächlichen tariflichen Voraussetzungen dazu erfüllen.

(2) ...

(3) ...

 (4) Der Vorruhestand kann einvernehmlich zwischen der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter und der C auch mit weniger als 54 Lebensjahren beginnen. Das Vorruhestandsgeld wird dann je Monat früheren Eintritts in den Vorruhestand um 0,3% gekürzt. Das Vorruhestandsgeld beträgt jedoch mindestens 65% vom Bruttoarbeitsentgelt i.S.d. § 3 Abs. 2 des Vorruhestandsgesetzes.

...

§ 12 Schlußbestimmungen

 (1) Soweit ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung den gleichen Gegenstand wie dieser Sozialplan unterschiedlich regeln, ist die für den Beschäftigten günstigere Bestimmung maßgebend. Dies gilt insbesondere im Verhältnis zum Struktur-TV vom 10. Mai 1994. ...

...

Die Parteien schlossen einvernehmlich auf der Grundlage von § 6 Ziffer 4 des Sozialplanes einen Vertrag über Vorruhestand (Bl. 24 - 26 d.A.). Dieser lautet auszugsweise:

§ 1 Beginn des Vorruhestandes

1. Herr D tritt mit Wirkung vom 01.04.1996 in den Vorruhestand ein. Dieser bestimmt sich nach dem Tarifvertrag über Strukturmaßnahmen und Vorruhestand für die bei der C GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Struktur-TV) vom 10.05.1994.

...

§ 5 Betriebliche Altersversorgung

1. Der Vorruhestand endet zu dem Zeitpunkt, in dem frühestens eine gesetzliche Altersrente oder vergleichbare Versorgungsleistungen beansprucht werden können (§ 7 Struktur-TV).

2. Mit dem Ende des Vorruhestandes werden die Leistungen nach dem Versorgungstarifvertrag (VersTV) fällig ... .

...

Der Struktur-TV (Bl. 24 - 38 d.A.) bestimmt zur betrieblichen Altersversorgung in § 8:

 (1) Zeiten, in denen Vorruhestandsgeld bezogen wird, gelten als anrechenbare Beschäftigungszeiten i.S.d. Versorgungstarifvertrages der C.

 (2) Als ruhegeldfähiges Jahreseinkommen wird das vor Eintritt in den Vorruhestand bezogene ruhegeldfähige Jahreseinkommen unterlegt, jeweils dynamisiert mit den Tariflohnerhöhungen bis zum Ende des Bezugszeitraums. Die Unterteilung des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens gem. § 4 Abs. 2 VersTV erfolgt auf der Basis des Durchschnitts der im letzten Bezugsjahr des Übergangsgeldes geltenden Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der gesetzlichen Rentenversicherung.

 (3) § 7 Abs. 2 des Versorgungstarifvertrages findet keine Anwendung.

...

Der Kläger war ab dem 1. April 1996 im Vorruhestand. Das Vorruhestandsverhältnis endete am 31. März 2009. Der Kläger bezieht ab dem 1. April 2009 mit Vollendung des 63. Lebensjahres gesetzliche Altersrente und hat ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf betriebliche Altersversorgung nach dem einschlägigen Versorgungstarifvertrag der Beklagten.

Bei Abschluss des Arbeitsvertrages galt der Tarifvertrag über Versorgung vom 7. Juli 1993 (VersTV 1993, Bl. 39 - 44 d.A. und Bl. 182 - 187 sowie 193 d.A.). Dieser regelt auszugsweise wie folgt:

§ 4 Ruhegeldfähiges Einkommen

(1) ...

 (2) Das ruhegeldfähige Jahreseinkommen wird unterteilt in den Teil

- bis zum Durchschnitt der im letzten Beschäftigungsjahr geltenden Beitragsbemessungsgrenzen (BBG) in der gesetzlichen Rentenversicherung und

- den diesen Durchschnitt übersteigenden Teil des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens.

...

§ 6 Altersruhegeld

(1) ...

 (2) Das jährliche Altersruhegeld beträgt

- 0,4% des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens bis zum Durchschnitt der im letzten Beschäftigungsjahr geltenden BBG

zuzüglich

- 1,2% des den Durchschnitt der im letzten Beschäftigungsjahr geltenden BBG übersteigenden Teils des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens,

jeweils multipliziert mit der anrechenbaren Beschäftigungszeit.

Nachfolgend sind bei der Beklagten weitere Versorgungstarifverträge in Kraft getreten, und zwar der Versorgungstarifvertrag vom 29. September 2006 (VersTV 2005) und der Versorgungstarifvertrag vom 21. August 2009 (VersTV 2009, Bl. 188 - 192 d.A.). § 6 Abs. 2 des VersTV 2005 lautet wie folgt:

...

 (2) Das jährliche Altersruhegeld beträgt

- 0,4% des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens bis zum Durchschnitt der im letzten Beschäftigungsjahr geltenden BBG in den alten Bundesländern

zuzüglich

- 1,2% des den Durchschnitt der im letzten Beschäftigungsjahr geltenden BBG in den alten Bundesländern übersteigenden Teils des ruhegeldfähigen Jahreseinkommens,

jeweils multipliziert mit der anrechenbaren Beschäftigungszeit.

Der VersTV 2009 lautet auszugsweise wie folgt:

Präambel

Für alle vor 2005 eingetretenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt das bisherige Versorgungssystem auf der Grundlage des VersTV 2005 nach der Maßgabe dieses VersTV 2009 (Teil A) weiter ....

...

Teil A

§ 1 Geltungsbereich

 (1) Die §§ 1 bis 17 (Teil A) dieses Tarifvertrages gelten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor dem 1. Januar 2005 ein Arbeitsverhältnis mit der C aufgenommen haben, unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages in der jeweils geltenden Fassung fallen und am 1. Januar 2009 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis standen. ...

...

§ 4 Versorgungsfähiges Einkommen

(1) ...

 (2) Das versorgungsfähige Einkommen wird unterteilt

• in den Teil bis zur Splittinggrenze

und

• in den diese Splittinggrenze übersteigenden Teil.

Die Splittinggrenze beträgt 64.800 Euro. Ab dem 1. November 2009 wird die Splittinggrenze jeweils im Umfang der tabellenwirksamen Tarifanpassungen zu den maßgeblichen Zeitpunkten angepasst. Es erfolgt eine kaufmännische Rundung auf volle Euro-Beträge.

...

§ 6 Altersruhegeld

(1) ...

 (2) Das jährliche Altersruhegeld setzt sich zusammen aus

- 0,4% des versorgungsfähigen Jahreseinkommens bis zur durchschnittlichen Splittinggrenze der letzten zwölf Beschäftigungsmonate

zuzüglich

- 1,2% des diese Splittinggrenze übersteigenden Teils des versorgungsfähigen Jahreseinkommens, jeweils multipliziert mit der nach § 5 versorgungsfähigen Beschäftigungszeit.

Die Beklagte hat unter Berücksichtigung einer BBG von 63.900 Euro p.a. einen Altersruhegeldanspruch des Klägers von 2.276,54 Euro abzüglich einer anrechenbaren VBL-Rente von 337,31 Euro zum 1. April 2009 mit 1.939,23 Euro errechnet und gezahlt. Zum 1. Januar 2011 hat die Beklagte diesen Versorgungsanspruch gemäß § 16 des VersTV 2009 Teil A um 1,25% auf 1.963,47 Euro monatlich erhöht und gezahlt. Der Kläger begehrt ein um 240,00 Euro (1,2% von 500,00 Euro x 40 Dienstjahre) erhöhtes Altersruhegeld unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. April 2009 (3 AZR 695/08). Der Kläger hat behauptet, von 2003 bis 2007 hätten seine Vorruhestandsbezüge jährlich mehr als 6.000,00 Euro unterhalb der BBG gelegen. 2008 habe die Differenz zwischen Vorruhestandsbezügen und BBG 4.771,36 Euro und 2009, bezogen auf das erste Quartal, 909,24 Euro betragen, so dass sich eine gesetzliche Mehrrente ergebe von 19,9% des Differenzbetrages von 1.228,64 Euro in 2008 und von 590,76 Euro in 2009.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.720,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 250,00 Euro seit dem 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011 und 01.08.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass sich die Tarifvertragsparteien im Anhang 2 zum VersTV 1993 die Befugnis zur Anpassung der Versorgungssysteme bei wesentlichen Änderungen Vorbehalten haben. Sie hat darüber hinaus grundsätzlich in Frage gestellt, ob aufgrund der Tarifautonomie Tarifverträge überhaupt der ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich sind. Die Beklagte hat im Übrigen gemeint, dass wie im Anhang 1 zum VersTV 1993 ersichtlich, die Tarifvertragsparteien nur ein Versorgungsniveau absichern wollten, wie es bei Fortbestehen der öffentlich-rechtlichen Organisation der C durch die Beschäftigten hätte erreicht werden können. Deshalb sei es auch unter Zugrundelegung des VersTV 1993 als Anspruchsgrundlage für den Altersruhegeldanspruch des Klägers nicht geboten, das Altersruhegeld unter Außerachtlassung der außerplanmäßigen Anhebung der BBG im Jahre 2003 zu berechnen. Die Zielsetzung der Tarifvertragsparteien sei es nicht gewesen, eine Zusatzversorgung oberhalb der BBG zu gewähren. Die Verwendung der gespaltenen Rentenformel sei nur Mittel zum Zweck gewesen. Indem die Tarifvertragsparteien dann im VersTV 2009 eine Splittinggrenze, losgelöst von der BBG eingeführt haben, hätten sie ihren Regelungswillen dahingehend dokumentiert, dass keine Anpassung der BBG vorzunehmen sei. Die Beklagte hat im Übrigen gemeint, der VersTV 2009 gelte auch für die Altersruhegeldansprüche des Klägers. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass aufgrund der Verweisung in § 5 des Arbeitsvertrages der VersTV 1993 gelte. Die Auslegung des Arbeitsvertrages führe dazu, dass § 5 nur einen deklaratorischen Hinweis enthalte. Auch für die betriebliche Altersversorgung gelte damit die dynamische Verweisung aus § 1 des Arbeitsvertrages. Die Beklagte hat im Übrigen die Berechnung der Klageforderung unter Berücksichtigung einer gesetzlichen Mehrrente von 1,09 Euro ab dem 1. April 2009, von 1,11 Euro ab dem 1. Juli 2009 und von 1,12 Euro ab dem 1. Januar 2011 mit 158,91 Euro ab dem 1. April 2009, mit 158,89 Euro ab dem 1. Juli 2009 und mit 160,88 Euro ab dem 1. Januar 2011 berechnet. Sie hat gemeint, die Berechnung der Klageforderung seitens des Klägers sei fehlerhaft.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat zunächst bei Unterstellung der Nichtanwendbarkeit der Versorgungstarifverträge 2005 und 2009 eine Regelungslücke des Versorgungstarifvertrages 1993 verneint. Es hat weiter angenommen, dass es sich gegebenenfalls jedenfalls um eine bewusste Regelungslücke handele, weil die Tarifvertragsparteien mit dem Versorgungstarifvertrag 2009 die Regelung der §§ 4 und 6 des Versorgungstarifvertrages 1993 nicht verändert haben. Es hat weiter angenommen, dass nicht unberücksichtigt bleiben könne, wie die Tarifvertragsparteien tatsächlich mit Abschluss der nachfolgenden Versorgungstarifverträge reagiert haben. Es hat schließlich angenommen, dass, sollte sich der Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld nach dem Versorgungstarifvertrag 2005 oder dem Versorgungstarifvertrag 2009 richten, sich kein Anspruch auf ergänzende Vertragsauslegung ergebe, weil der Versorgungstarifvertrag 2005 keine Lücke enthalte und der Versorgungstarifvertrag 2009 ohnehin nicht mehr die BBG als Splittinggrenze zugrunde legt. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der Erwägungen des Arbeitsgerichtes wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger innerhalb der zur Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung vom 5. September 2012 festgestellten und dort ersichtlichen Fristen Berufung eingelegt. Der Kläger meint, dass aufgrund seines Eintritts in den Vorruhestand der Versorgungstarif VersTV 1993 Anwendung findet. Der Kläger meint weiter, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichtes sei der VersTV 1993 durch die außerplanmäßige Anhebung der BBG lückenhaft geworden und diese Lücke sei gemäß der Lösung des BAG durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Der Grundgedanke der gespaltenen Rentenformel bestehe darin, den oberhalb der BBG liegenden Teil der Vergütung stärker zu gewichten, da für diesen Teil keine gesetzlichen Rentenansprüche erworben werden können. Der Kläger macht sich die Erwägungen aus der Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf vom 21. Oktober 2010 (15 Sa 816/10) zu Eigen. Der Kläger meint so auch, die Tarifverträge von 2005 und 2009 seien für die Frage der Lückenschließung des VersTV 1993 unbeachtlich. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung gehe es um ein ganz bestimmtes Regelungswerk, dessen Regelungsplan es zu erkennen und zu respektieren gelte und das in demjenigen Sinn zu Ende gebracht werden muss, wie es angelegt war, mag auch im Laufe der Zeit eine andere Willensrichtung bei der einen oder anderen Tarifvertragspartei sich ergeben haben, die im Falle eines Folgetarifvertrages ihren Niederschlag gefunden hat.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 18. Januar 2012 - 5 Ca 389/11 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.720,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 240,00 Euro seit dem 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011 und 01.08.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Die Beklagte meint zunächst, der Kläger unterfalle nicht dem VersTV 1993, sondern unterliege vielmehr dem VersTV 2009. Soweit der Kläger die Geltung des VersTV 1993 auf § 5 des Arbeitsvertrages stütze, so verkenne er, dass es sich bei dieser Vertragsklausel um keine statische Verweisung handele. Dies sei zwischenzeitlich in einer Vielzahl von Parallelverfahren, auch zweitinstanzlich, so entschieden. Die Beklagte meint weiter, weder aus dem Sozialplan vom 18. Oktober 1994, noch aus dem Vorruhestandsvertrag der Parteien folge, dass sich der Altersruhegeldanspruch des Klägers nach dem VersTV 1993 richte. Die Beklagte meint auch, soweit der Kläger auf das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Düsseldorf verweise, so sei hierzu anzumerken, dass das Landesarbeitsgericht Düsseldorf rechtsfehlerhaft nicht die Geltung des VersTV 2009 erkannt hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlage und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Offenbach am Main vom 18. Januar 2012 - 5 Ca 389/11 - ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b) ArbGG statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig. In der Sache ist die Berufung jedoch unbegründet. Das Berufungsgericht schließt sich den zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichtes an.

Der Kläger berechnet zunächst seine Klageforderung falsch. Bis zur BBG - einschließlich der außerplanmäßigen Anhebung der BBG aus 2003 um 500,00 Euro monatlich - erhält der Kläger Altersruhegeld in Höhe von 0,4% seines ruhegeldfähigen Einkommens, multipliziert mit 40 Dienstjahren. Soll nun die außerplanmäßige Anhebung der BBG für die Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers unberücksichtigt bleiben, so stünden dem Kläger 1,2% von diesen 500,00 Euro, multipliziert mit 40 Dienstjahren zu, wovon der Kläger mit dem gezahlten Altersruhegeld von 1.939,23 Euro bzw. 1.943,47 Euro bereits 0,4% erhalten hat. Der Kläger kann also nur die Differenz zwischen 1,2% und 0,4% = 0,8% von 500,00 Euro, multipliziert mit 40 Dienstjahren = 160,00 Euro monatlich höchstens verlangen.

Nach Ansicht des Berufungsgerichtes steht ihm ein Anspruch auf Altersruhegeld unter Außerachtlassung der außerplanmäßigen Anhebung der BBG in 2003 jedoch auch unter Zugrundelegung des VersTV 1993 nicht zu. Geht man vom VersTV 1993 als Anspruchsgrundlage aus, und geht man weiter davon aus, dass diese Regelung durch die außerplanmäßige Anhebung der BBG im Jahre 2003 lückenhaft geworden ist und daher die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung greifen, dann gilt, dass diese Vertragslücke durch eine angemessene, dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechende Regelung zu schließen ist (vgl. BAG Urteil vom 21.04.2009 - 3 AZR 471/07 - und - 3 AZR 695/08 -). Es gibt aber vorliegend keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür dass die Tarifvertragsparteien die Vertragslücke durch eine Regelung geschlossen hätten, wonach für die Berechnung des Altersruhegeldes gemäß dem VersTV 1993 eine um 500,00 Euro monatlich bzw. 6.000,00 Euro jährlich reduzierte BBG zugrunde zu legen ist. Im Gegenteil haben die Tarifvertragsparteien mit Abschluss des VersTV 2009 dokumentiert, dass sie es bei Abwägung der beiderseitigen Interessen, das heißt der Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers, nicht für geboten halten, die Vertragslücke zu schließen. Die Tarifvertragsparteien haben im VersTV 2009 für die vor dem 1. Januar 2005 eingetretenen Beschäftigten im Teil A dieses Tarifvertrages eine Splittinggrenze eingeführt, die auf der im Jahre 2009 geltenden BBG aufbaut. Sie haben weder im VersTV 2005, noch im VersTV 2009 eine um 6.000,00 Euro ermäßigte BBG als Grundlage der Berechnung des Altersruhegeldes für die vor dem 1. Januar 2005 beschäftigten Arbeitnehmer eingeführt. Die Tarifvertragsparteien haben damit zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Änderung von §§ 4, 6 des VersTV 1993 im Sinne des Klägers nicht gewünscht haben bzw. die eine Tarifvertragspartei dies gegen den Willen der anderen Tarifvertragspartei nicht durchsetzen konnte und letztlich auch nicht im Wege des Arbeitskampfes oder Verzicht an anderer Stelle durchsetzen wollte. Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der VersTV 1993 nur kraft individualvertraglicher Inbezugnahme Anwendung findet. Eine individualvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag macht die in Bezug genommene tarifliche Regelung nicht zu einer individualvertraglichen Regelung dergestalt, dass nunmehr eine ergänzende Vertragsauslegung des Tarifvertrages ohne Berücksichtigung des Willens der Tarifvertragsparteien möglich wäre.

Der ergänzende Vertragsauslegung steht dabei auch entgegen, dass die Tarifvertragsparteien die Regelungslücke, deren Vorliegen unterstellt, geschlossen haben. Sie haben im VersTV 2009 Teil A die Versorgungsansprüche der vor dem 1. Januar 2005 bei der Beklagten eingetretenen Arbeitnehmer geregelt, die sich zuvor aus dem VersTV 1993 und VersTV 2005 ergaben. In der Präambel des VersTV 2009 heißt es ausdrücklich, dass für alle vor 2005 eingetretenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das bisherige Versorgungssystem auf der Grundlage des VersTV 2005 nach der Maßgabe dieses VersTV 2009 (Teil A) weiter gilt. Dabei geht es an dieser Stelle nicht darum, ob sich der Betriebsrentenanspruch des Klägers nach dem VersTV 2005 oder dem VersTV 2009 richtet. Es geht hier nur um die Frage, ob nach der Neuordnung der Versorgungsansprüche durch die Tarifvertragsparteien auch für Arbeitnehmer, deren Versorgungsansprüche sich ursprünglich aus dem VersTV 1993 und dem VersTV 2005 ergaben, eine ergänzende Vertragsauslegung des unter Umständen für den Versorgungsanspruch des Klägers weiterhin maßgebenden VersTV 1993 entgegen dem in VersTV 2009 dokumentierten Willen der Tarifvertragsparteien noch möglich ist, was das Berufungsgericht, anders als der Kläger und wohl auch anders als das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 21. Oktober 2010 (15 Sa 817/10), verneint.

Soweit der Kläger auf den Sozialplan vom 18. Oktober 1994 und den dort in § 12 Schlussbestimmungen in Bezug genommenen Regelungen des Struktur- TV vom 10. Mai 1994, der Betriebsvereinbarung Mobilitätshilfen vom 8. September 1994 sowie einem Schreiben vom 22. Juli 1994 verweist, ist weder ersichtlich, noch vorgetragen, dass sich dort Regelungen finden, nach denen der Kläger Anspruch auf die Berechnung seines Altersruhegeldes unter Außerachtlassung der außerplanmäßigen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in 2003 hat.

Was die Geltung des VersTV 2009 für den Versorgungsanspruch des Klägers anbelangt, so gilt zunächst, dass dessen Geltung nicht § 5 des Arbeitsvertrages der Parteien entgegensteht. Es ist insoweit dem schon bereits vom Arbeitsgericht zitierten Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. März 2011 (8 Sa 1015/10) zu folgen. Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien verweist in § 1 auf den Manteltarifvertrag vom 7. Juli 1993 und den diesen ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung. Damit wird auf die Versorgungstarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung verwiesen. Diese sind den Manteltarifvertrag ergänzende Tarifverträge. Im Manteltarifvertrag selbst wird auf den Versorgungstarifvertrag hinsichtlich der Versorgung hingewiesen. Eine statische Verweisung ergibt sich nicht aus § 5 des Arbeitsvertrages. Diese Bestimmung enthält die Feststellung, dass der Versorgungstarifvertrag vom 7. Juli 1993 gilt. Diese Feststellung ist nicht als normative Bestimmung dahingehend zu verstehen, dass nur und für die Dauer des Arbeitsverhältnisses festgeschrieben der mit Datum benannte Tarifvertrag gelten soll. Dem steht die allgemeine Bestimmung in § 1 des Arbeitsvertrages entgegen. Bei der Übernahme von Regelwerken außerhalb des Anstellungsvertrages handelt es sich im Zweifel um dynamische Verweisungen. Dies gilt auch bei einer Datumsangabe (vgl. BAG Urteil vom 30.08.2005 - 3 AZR 391/04 - AP Nr. 71 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte unter B II 1 der Gründe). Der Kläger unterfällt auch dem Geltungsbereich des VersTV 2009 Teil A. Der Kläger stand nämlich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des VersTV zum 1. Januar 2009 noch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Der Kläger ist nicht mit Abschluss des Vorruhestandsvertrages aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Der Vorruhestandsvertrag modifiziert lediglich die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten der Parteien dahingehend, dass der Kläger keine Arbeitsleistung schuldet bzw. keine Beschäftigung fordern kann und die Beklagte anstelle Arbeitsentgeltes Vorruhestandsbezüge zahlt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand auch unbefristet fort. Dem steht nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis und der Vorruhestand mit dem Zeitpunkt enden sollten, zu dem der Kläger frühestens eine gesetzliche Altersrente beanspruchen kann. Die Befristung des Arbeitsvertrages auf das Erreichen einer Altersgrenze, die dem Renteneintrittsalter entspricht, ist keine Befristung im Sinne des VersTV, der ja gerade den betrieblichen Altersruhegeldanspruch für die Zeit des Eintritts in den Ruhestand begründet. Der Kläger ist auch nicht nach § 1 (Teil A) Ziffer (2) a) vom Geltungsbereich ausgenommen. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VersTV 2009 Beschäftigter der Beklagten und bezog zu diesem Zeitpunkt keine gesetzliche Altersrente. Wollte man dies anders sehen, so würde das absurde Ergebnis eintreten, dass alle ehemaligen Beschäftigten der Beklagten, die mit Eintritt in den Ruhestand betriebliches Altersruhegeld geltend machen, dieses wegen des Eintritts in den Ruhestand nicht fordern könnten, weil sie nicht unter den Geltungsbereich des VersTV fallen. Die Regelung in § 1 (Teil A) Ziffer (2) a) des VersTV ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte Rentner beschäftigt, die mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses neben dem Bezug von Altersrente keine zusätzliche Betriebsrente erwerben sollen. Der Anspruch des Klägers auf betriebliches Altersruhegeld folgt daher aus dem VersTV 2009. Dieser enthält keine Vertragslücke.

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Die Zulassung der Revision erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung.



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