Arbeitsgericht Berlin

Urteil vom - Az: 28 Ca 18230/11

Kein "gutes" Arbeitszeugnis - Beweislast des Arbeitgebers

1. Will der Arbeitnehmer anstelle des unter Verwendung der sogenannten Notenskala als "befriedigend" erteilten Zeugnisses eine "gute" Gesamtbewertung erreichen, so obliegt es im Rechtsstreit dem Arbeitgeber diejenigen Tatsachen beizubringen, die dem entgegen stehen (sollen).

2. Angesichts aktueller empirischer Erkenntnisse, wonach mittlerweile in 86,6 v.H. der erteilten Arbeitszeugnisse "gute" oder bessere Leistungen bescheinigt werden (s. dazu Franz-Josef Düwell/Holger Dahl, NZA 2011, 958 ff.), kann dem Arbeitnehmer nicht länger der Nachweis dafür auferlegt werden, er sei in die Gruppe der schwächsten 13,4 v.H. aller Beschäftigten zu Unrecht eingereiht worden.
(Amtliche Leitsätze)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein qualifiziertes Zeugnis auf ihrem geschäftlichen Briefpapier in ungeknickter und ungelochter Form zu erteilen mit dem Inhalt:

"Zeugnis

Frau I. Sch., geboren am .... 1969 in Berlin, trat am 01. Juli 2010 in unsere Praxis ein und übte die Tätigkeit einer Empfangs-/Rezeptionsmitarbeiterin aus. Zu den von ihr erfüllten Aufgaben gehörten:

- Praxisorganisation

- Betreuung der Patienten

- Telefonverwaltung und Terminvergabe

- Anwesenheit bei Vorstellungsgesprächen

- Erstellung der Dienst- und Urlaubspläne

- Führung und Verwaltung der Patientenkarteien bzw. -daten

- Ausfertigung von Rechnungen (Prophylaxe, PA-Vorverhandlungen)

Darüber hinaus half Frau Sch. bei der Erstellung des Praxisqualitätsmanagements.

In der Zusammenarbeit erlebten wir Frau Sch. als engagierte Mitarbeiterin, die sich für die Belange unserer Praxis einsetzte und die ihr übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollen Zufriedenheit ausführte.

Durch ihr freundliches und verbindliches Wesen war sie sowohl bei Patienten und Vorgesetzten, als auch bei Kollegen gleichermaßen geschätzt und beliebt.

Frau Sch. verlässt unsere Praxis zum 30. Juni 2011 auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre Arbeit und wünschen ihr persönlich und beruflich für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg.

Berlin, den 30. Juni 2011.

(Unterschrift; wie gehabt)".

II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien nach einem Wert von 1.700,-- Euro je zur Hälfte zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird für dieses Schlussurteil auf 850,-- Euro festgesetzt.

Tatbestand

Es geht - nach wie vor - um die Korrektur eines Zeugnisses (s. § 109 GewO1).

I. Wegen der Verhältnisse der Parteien und des bisherigen Sach- und Streitstandes wird zunächst auf die tatbestandlichen Ausführungen im Teilurteil vom 22. Juni 20122 verwiesen. Nachdem dort über das Verlangen der Klägerin befunden worden ist, ihr als Teilbereich ihrer Arbeitsaufgaben die „Sauberkeit und Pflege der gesamten Praxis, unter Beachtung der Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen“ zu bescheinigen, geht es nunmehr ausschließlich noch um die Frage, ob die Beklagte ihre Leistungen als „stets“ zu ihrer vollen Zufriedenheit zu klassifizieren hat oder sich das Prädikat ersparen darf.

II. Hiernach beantragt die Klägerin zuletzt noch,

die Beklagte zu verurteilen, ihr ein qualifiziertes Zeugnis auf ihrem geschäftlichen Briefpapier in ungeknickter und ungelochter Form zu erteilen mit dem Inhalt:

Zeugnis

Frau I. Sch., geboren am .... 1969 in Berlin, trat am 01. Juli 2010 in unsere Praxis ein und übte die Tätigkeit einer Empfangs-/Rezeptionsmitarbeiterin aus. Zu den von ihr erfüllten Aufgaben gehörten:

- Praxisorganisation

- Betreuung der Patienten

- Telefonverwaltung und Terminvergabe

- Anwesenheit bei Vorstellungsgesprächen

- Erstellung der Dienst- und Urlaubspläne

- Führung und Verwaltung der Patientenkarteien bzw. -daten

- Ausfertigung von Rechnungen (Prophylaxe, PA-Vorverhandlungen)

Darüber hinaus half Frau Sch. bei der Erstellung des Praxisqualitätsmanagements.

In der Zusammenarbeit erlebten wir Frau Sch. als engagierte Mitarbeiterin, die sich für die Belange unserer Praxis einsetzte und die ihr übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollen Zufriedenheit ausführte.

Durch ihr freundliches und verbindliches Wesen war sie sowohl bei Patienten und Vorgesetzten, als auch bei Kollegen gleichermaßen geschätzt und beliebt.

Frau Sch. verlässt unsere Praxis zum 30. Juni 2011 auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre Arbeit und wünschen ihr persönlich und beruflich für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg.

Berlin, den 30. Juni 2011.

(Unterschrift; wie gehabt)“.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

III. Sie hält eine bessere als die bereits attestierte Bewertung der Klägerin nicht für geschuldet und macht dazu Ausführungen4, auf deren Einzelheiten verwiesen wird.

IV. Dem tritt die Klägerin entgegen und macht dazu ihrerseits Ausführungen5, auf deren Einzelheiten gleichfalls verwiesen wird.

V. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

Soweit über die Klage noch befunden werden muss, erweist sie sich als begründet. Die Beklagte hat der Klägerin der Sache nach „gute“ Leistungen und damit das umstrittene „stets“ zu bescheinigen. Für eine schlechtere Beurteilung hat die Beklagte, die hierfür die Darlegungs- und Beweislast trifft, die tatsächlichen Grundlagen nicht brauchbar aufgezeigt. - Das lässt sich (relativ) kurz machen:

I. Die Frage, welche des Vertragsparteien im Streit um den Inhalt der Beurteilung die maßgeblichen Tatsachen beibringen und notfalls nachweisen muss, hat eine bewegte Geschichte:

1. Zunächst prägte der Fünfte Senat des Bundesarbeitgerichts (BAG) die Praxis der Arbeitsjustiz mit dem Diktum, als Aussteller des Zeugnisses müsse der Arbeitgeber die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung vortragen und ggf. beweisen6. Bei dieser Sicht ist es seither allerdings nicht geblieben. Seit seinem Urteil vom 14. Oktober 20037 vertritt der inzwischen für Zeugnisstreitigkeiten zuständige Neunte Senat die Ansicht, es müsse der Arbeitnehmer, der „eine überdurchschnittliche Beurteilung“ erstrebe, die hierfür erforderlichen Tatsachen beibringen. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis (bereits) „eine gut durchschnittliche Leistung“ bescheinigt habe, habe Letzterer „die Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die eine bessere Schlussbeurteilung rechtfertigen sollen“8.

2. Damit ist freilich noch nicht geklärt, was denn als (gut) „durchschnittliche“ Leistung zu gelten habe. Auch hierzu begegnet dem Betrachter nun ein bemerkenswerter Wandel: Während befasste Gerichte insoweit typischerweise9 davon ausgingen, dass bei Verwendung der üblichen Notenskala mit „durchschnittlich“ dasselbe wie mit „befriedigend“ gemeint sei10, haben empirische Studien11 mittlerweile12 eines anderen belehrt: Danach entspricht die Verteilung der Zeugnisnoten in neuerer Zeit mitnichten der zuweilen nach wie vor intuitiv unterstellten Phänomenologie jener „Gauß'schen Glocke“, als deren häufigster Wert eben die Mittelgröße erscheint. Vielmehr pflegen die Noten sehr gut und gut heute bei weitem häufiger vergeben zu werden als die empirisch längst auf ein „Schattendasein“ verwiesene Note „befriedigend“ als vermeintlichem Mittelmaß. Daraus ist im informierten Fachschrifttum mit vollem Recht nicht nur die Schlussfolgerung gezogen worden, dass dem Arbeitszeugnis bei heute nicht weniger als 86,6 v.H. (sehr) guter Leistungsbeurteilungen nichts mehr über die tatsächliche Leistungsfähigkeit einer Arbeitsperson entnommen werden, sie vielmehr allenfalls noch als Ausschlusskriterium fungieren kann13. Eingefordert ist vielmehr von den Gerichten für Arbeitssachen, aus den solcherart signifikanten empirischen Daten die Konsequenzen zu ziehen14: Danach kann auf dem Hintergrund der gewandelten Praxis der Akteure der Arbeitswelt in der Tat nicht mehr daran festgehalten werden, dem Anspruchssteller die Darlegungs- und Beweislast dafür zuzuweisen, dass er zu Unrecht in die Gruppe der schwächsten 13,4 v.H. aller Beschäftigten eingereiht worden sei.

II. Oblag es im Lichte dessen hier der Beklagten, die tatsächlichen Grundlagen einschlägiger Unzulänglichkeit der Klägerin im Rechtsstreit aufzudecken, so kann ihr nicht zugebilligt werden, sich dieser Last in verwertbarer Weise unterzogen zu haben. Zwar lässt sie im diesbezüglichen Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 6. August 2012 keinen Zweifel daran, wie ausgeprägt sich ihre Unzufriedenheit über die Klägerin aus der Zeit von Juli 2010 bis Juli 2011 nach wie vor darstellt. Ihre auf Objektivierung gerichteten Ausführungen bleiben jedoch durchweg derart formelhaft15, dass sie dem Gericht angesichts des schon im Teilurteil in Erinnerung gerufenen Verbots, seine Erkenntnisse per „Ausforschung“ von Beweismitteln16 gewinnen zu wollen, nicht einmal die prozessuale Befugnis zu verschaffen, den damaligen Verhältnissen mit den ihm verfügbaren Mitteln der Tatsachenfeststellung auf den Grund zu gehen. Insofern gilt hier für die Beklagte nichts anderes als das, was das Gericht dort schon der Klägerin hat zurufen müssen17. Damit kommt es auf deren eingehende Gegenäußerungen im Schriftsatz vom 27. August 2012 S. 1 bis 5 nicht mehr an.

III. War der Bewertungsklage ihr Erfolg nach allem nicht zu versagen, was

der Tenor zu I. dieses Schlussurteils daher zum Ausdruck bringt, so ergeben sich die sogenannten „Nebenentscheidungen“ weitgehend wie von selbst:

1. Soweit das Gericht auch ohne bekundeten Wunsch der Parteien über die Verpflichtung zur Tragung der Kosten seiner Inanspruchnahme entschieden hat, bedurfte es hierzu keines Antrags (§ 308 Abs. 2 ZPO18). Diese Kosten hat das Gericht den Parteien nach Maßgabe des § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO19 je zur Hälfte zugewiesen, weil jede der Parteien im wertmäßig gleichen Umfang unterlegen gewesen ist (s. Tenor zu II.).

2. Den Wert des Streitgegenstandes hat das Gericht auch für dieses Schlussurteil aufgrund des § 61 Abs. 1 ArbGG20 im Tenor festgesetzt und - wiederum, wie schon beim Teilurteil - mit einer halben Monatsvergütung der Klägerin bemessen. Das sind 850,-- Euro und erklärt den Tenor zu III.



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