Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss vom - Az: 3 Ws 59/15 Vollz
Kein Mindestlohn für Strafgefangene
2. § 40 HmbStVollzG ist auch in Verbindung mit der Hamburger Strafvollzugsvergütungsordnung weiterhin verfassungsgemäß.
(Leitsätze des Gerichts)
(3.) Das Mindestlohngesetz hat zum Ziel, die Tarifautonomie zu stärken und angemessene Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sicherzustellen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Arbeit im Strafvollzug öffentlich-rechtlicher Natur ist, die Gefangenen nicht Arbeitnehmer sind und zwischen den Gefangenen und der Anstalt kein Arbeitsvertrag geschlossen wird.
So ist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG der Strafgefangene verpflichtet, die ihm zugewiesene Arbeit auszuüben.
(4.) Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Mindestlohngesetzes erlangt der Strafgefangene auch nicht etwa dadurch, dass er bzw. für ihn die Anstalt Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlt. Die Beitragspflicht besteht nicht etwa nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III („Personen, die gegen Arbeitsentgelt ... beschäftigt sind“), sondern wird vom Gesetzgeber in § 26 Abs. 1 Ziff. 4 SGB III ausdrücklich bestimmt.
(Redaktionelle Orientierungssätze)
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 5 als Strafvollstreckungskammer - vom 08. Juni 2015 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Gegenstandswert wird auf 8.100 € festgesetzt.
3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts im angefochtenen Beschluss des Landgerichts Hamburg wird auf 8.100,- € abgeändert.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer, Strafgefangener in der JVA Fuhlsbüttel, arbeitet in der dortigen Bäckerei. Er verlangt für seine Tätigkeit ab Januar 2015 eine Vergütung nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG).
Für Januar 2015 erhielt er nach § 40 Abs. 2 HmbStVollzG i.V.m. §§ 2, 3 HmbStVollzVergO für 147 Arbeitsstunden nach Vergütungsstufe 2 mit Zeitzuschlägen 269,43 €, für Februar 2015 für 140 Arbeitsstunden inklusive einer Leistungszulage 281,80 €. Im März 2015 wurde er nach Vergütungsstufe 3 entlohnt und erhielt für 161 Stunden 369,43 €. Er verlangt für die Monate Januar bis März 2015 und für die zukünftigen Monate anstelle dieser Arbeitsvergütung die Zahlung des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG von 8,50 € pro Stunde. Er ist der Auffassung, dass das am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Mindestlohngesetz auch für Strafgefangene gelte, für die auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nach SGB III und IV abgeführt würden. Im Übrigen sei die Gefangenenentlohnung auch deshalb verfassungswidrig, weil die nunmehr seit 14 Jahren geltende Eckvergütung in Höhe von 9 Prozent der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf den Resozialisierungsgrundsatz nicht mehr genüge. Das gelte umso mehr, als mit der Änderung der Strafvollzugsvergütungsordnung die früher gewährten Leistungszulagen von bis zu 30 Prozent auf 10 Prozent reduziert worden seien und zudem Arbeiten regelhaft mit Vergütungsstufe 1 gleich 75 Prozent der Eckvergütung vergütet würden, auch wenn eine Einarbeitung in Maschinenführung erforderlich sei. § 40 Abs. 8 HmbStVollzG, der arbeitenden Gefangenen unter bestimmten Voraussetzungen den Erlass noch offener Verfahrenskosten gewährt, käme ihm nicht zugute, da er keine offenen Verfahrenskosten habe. Die gegenwärtige Entlohnung laufe den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen zuwider, wie sie in der Empfehlung REC (2006) des Ministerkommitees des Europarates vom 11. Januar 2006 aufgeführt seien. Sie verstoße zudem gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, nach der Diskriminierungen wegen sozialer Herkunft verboten seien. Strafgefangene würden im Sinne dieser Charta diskriminiert, weil sie vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen seien.
Jedenfalls stehe ihm bis zur Einführung einer verfassungsgemäßen Gefangenenentlohnung entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01. Juli 1998 eine Vergütung in Höhe von 40 Prozent der Bemessungsgrundlage zu.
Die JVA hält die Anträge für unbegründet.
Das Landgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück, führte im Einzelnen aus, dass das Mindestlohngesetz auf Strafgefangene keine Anwendung findet, dass § 40 HmbStVollzG weder verfassungs- noch europarechtswidrig sei und legte den Gegenstandswert auf 9.000 Euro fest.
Hiergegen richtete sich die mit der Sachrüge begründete Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG unzulässig, weil es nicht geboten ist, die Entscheidung des Landgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu überprüfen.
1. Das Mindestlohngesetz findet auf Strafgefangene keine Anwendung, denn es gilt nach § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nach der Begründung des Gesetzes (Bundestagsdrucksache 18/1558 S. 26) hat es zum Ziel, die Tarifautonomie zu stärken und angemessene Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sicherzustellen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Arbeit im Strafvollzug öffentlich-rechtlicher Natur ist, die Gefangenen nicht Arbeitnehmer sind und zwischen den Gefangenen und der Anstalt kein Arbeitsvertrag geschlossen wird (Arloth, Strafvollzugsgesetze, 3. Aufl. 2011, § 37 StrVollzG Rn. 6; AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, Vor § 37 StVollzG Rn. 30 jeweils m.w.N.). So ist gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG der Strafgefangene verpflichtet, die ihm zugewiesene Arbeit auszuüben.
Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Mindestlohngesetzes erlangt der Strafgefangene auch nicht etwa dadurch, dass er bzw. für ihn die Anstalt Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlt. Die Beitragspflicht besteht nicht etwa nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III („Personen, die gegen Arbeitsentgelt ... beschäftigt sind“), sondern wird vom Gesetzgeber in § 26 Abs. 1 Ziff. 4 SGB III ausdrücklich bestimmt.
2. § 40 HmbStVollzG ist auch in Verbindung mit der Hamburger Strafvollzugsvergütungsordnung weiterhin verfassungsgemäß. Nach § 40 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 1 HmbStVollzG ist das Arbeitsentgelt unter Zugrundelegung von 9 vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV zu bestimmen, also des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten in den alten Bundesländern. Der Beschwerdeführer erhielt im Januar und Februar 2015 ohne Berücksichtigung von Zeit- und Leistungszuschlägen nach Vergütungsstufe 2 100 Prozent von 9 Prozent der Bezugsgröße, im März 2015 nach Vergütungsstufe 3 125 Prozent von 9 Prozent = 11,25 Prozent der Bezugsgröße. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der monetären Entlohnung ist ferner zu berücksichtigen, dass gemäß § 2 Abs. 3 HmbStVollzVergO der Grundlohn sich um 13 Prozentpunkte erhöht, wenn der Gefangene in Stufe 1 vier Monate, in Stufe 2 sechs Monate und in Stufe 3 acht Monate gearbeitet hat. Der Beschwerdeführer hat daher die konkrete Aussicht, in Vergütungsstufe 3 138 Prozent von 9 Prozent = 12,42 Prozent der Bezugsgröße zu verdienen.
§ 40 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 1 HmbStVollzG entspricht inhaltlich §§ 43, 200 StVollzG, die als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 (NJW 1998, 3337ff) neu gefasst worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss vom 24. März 2002 (NJW 2002, 2023-2025) die gesetzliche Neuregelung, die in einer monetären und nichtmonetären Vergütung der Arbeit bestand, als „derzeit noch vertretbar“ angesehen, gleichzeitig aber den Gesetzgeber aufgefordert, die Bezugsgröße nicht festzuschreiben, sondern einer steten Prüfung zu unterziehen. Entgegen der in der Literatur geäußerten Kritik (etwa Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2011, § 200 Rn. 3; AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 200 Rn. 3 - 5, jeweils m.w.N.) hält der Senat die Höhe der monetären Vergütung für noch verfassungsgemäß (ebenso OLG Hamm, Beschl. v. 20. September 2012, 1 Vollz(Ws) 456/12 - juris, ausführlich Arloth, Strafvollzugsgesetze, 3. Aufl. 2011, § 43 StVollzG Rn. 5). Die Höhe des Arbeitsentgelts ist erst dann von Verfassungs wegen zu beanstanden, wenn es zusammen mit den anderen Vorteilen, die für die Gefangenenarbeit gewährt werden, offensichtlich nicht geeignet ist, den Gefangenen in gebotenem Maße davon zu überzeugen, dass Erwerbstätigkeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist (BVerfG a.a.O., Abs. 38). Das vermag der Senat im vorliegenden Fall nicht zu bejahen. Gerade im Bereich einfacherer Tätigkeiten herrscht in der freien Wirtschaft weiterhin ein erheblicher Lohndruck. Eine spürbare Erhöhung der Gefangenenentlohnung würde die Wettbewerbsfähigkeit der anstaltseigenen Betriebe beeinträchtigen mit der Folge des Verlustes von Arbeitsplätzen in den Vollzugsanstalten, was unter Resozialisierungsgesichtspunkten kontraproduktiv wäre. Nicht zuletzt weist das Landgericht in seinem angefochtenen Beschluss zutreffend darauf hin, dass der Beschwerdeführer mit seinem Nettoverdienst in der Haft nicht grundlegend schlechter steht als ein Mindestlohn beziehender Arbeitnehmer nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialabgaben sowie Abzug der Kosten für Wohnung, Verpflegung und Fahrtkosten zur Arbeit.
3. Die Gefangenenentlohnung nach § 40 HmbStVollzG verstößt nicht gegen die Europäische Grundrechtscharta. Der Beschwerdeführer wird nicht wegen seiner sozialen Herkunft diskriminiert. Er unterliegt den Einschränkungen des Hamburger Strafvollzugsgesetzes, weil er Straftaten begangen hat.
4. Die weiteren vom Beschwerdeführer zitierten europarechtlichen Empfehlungen haben keinen rechtsverbindlichen Charakter. Es kann daher dahin stehen, ob die gegenwärtige Gefangenenentlohnung in Hamburg dieser Empfehlung widerspricht.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO, die Festsetzung des Gegenstandswerts aus §§ 52 Abs. 3, 60 GKG. Gegenstand des Verfahrens war nicht allein die begehrte Mehrvergütung für die Monate Januar bis März 2015, sondern auch für die Folgemonate. Wenn das Landgericht insoweit von einem quartalsmäßigen Wert von 2.700 € ausgeht und sodann die Wertfestsetzung, um eine übermäßige Kostenbelastung des Gefangenen zu vermeiden, auf das Dreifache begrenzt, so ist dies nicht zu beanstanden. Der Gegenstandswert musste dann aber auch für die erste Instanz auf 8.100 € geändert werden, § 63 Abs. 3 Satz 2, 65 GVG.