Arbeitsgericht Karlsruhe

Urteil vom - Az: 2 Ca 425/15

Keine Diskriminierungsvermutung nach erfolgtem Bewerbungsgespräch

1. Eine unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch führt bei einer wiederholten Bewerbung nicht die Vermutungswirkung des § 22 AGG herbei, wenn der Bewerber kurz zuvor an einem Vorstellungsgespräch teilgenommen hatte.
(Leitsatz des Gerichts)

(2.) Jedenfalls dann, wenn ein Schwerbehinderter sich auf mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil bewirbt und der Arbeitgeber ein identisches Auswahlverfahren durchführt, die für die Personalentscheidung verantwortlichen Mitarbeiter gleich bleiben und wie - im vorliegenden Fall - nur ca. 5 Wochen zwischen dem Vorstellungsgespräch und der erneuten Bewerbung liegen, bildet die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch (gemäß § 82 Satz 2 SGB IX) keine hinreichende Indiztatsache für eine Diskriminierung wegen der Behinderung.

(3.) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass im ersten Bewerbungsgespräch die Schwerbehindertenvertretung nicht teilgenommen hat.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 7.281,69 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren geltend macht.

Der am 00.00.1973 geborene Kläger absolvierte von September 1995 bis Dezember 1997 eine Ausbildung als Justizfachwirt. Anschließend war er in mehreren befristeten Arbeitsverhältnissen tätig. Unter anderem war der Kläger in der Zeit vom 24.04.2002 bis zum 30.09.2002 als Sachbearbeiter im Ausländeramt der Stadt L. unter anderem mit Asylangelegenheiten und Anhörungen bei ausländerrechtlichen Maßnahmen beschäftigt. Bis zum 31.10.2013 arbeitete der Kläger als Verwaltungsangestellter bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.

Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von zuletzt 30% schwerbehindert. Mit Bescheid vom 03.08.2012 (Bl. 113 d. A.) wurde der Kläger gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Mit Schreiben vom 25.04.2015 (Anlage B1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 02.11.2015, Bl. 37 d. A.) bewarb sich der Kläger für eine vom beklagten Landkreis ausgeschriebene Stelle als Unterkunftsleiter in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber (Kennziffer 1205). Dem Bewerbungsschreiben war der Schwerbehindertengleichstellungsschein beigefügt.

Mit Schreiben vom 21.05.2015 wurde der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch am 10.06.2015 eingeladen. Mit Schreiben vom 06.07.2015 erhielt der Kläger eine Absage bezüglich seiner Bewerbung.

Mit Schreiben vom 11.07.2015 bewarb sich der Kläger erneut auf eine Stelle des beklagten Landkreises als Unterkunftsleiter in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber (Kennziffer 1242). Die Stellenausschreibung des beklagten Landkreises war identisch mit der Stellenausschreibung Kennziffer 1205. Die Stellenausschreibung lautet auszugsweise wie folgt:

"Unterkunftsleitung (m/w) in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Landkreis K.

Ihre Aufgaben

- Durchführung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes

- Unterkunftsleitung für die Gemeinschaftsunterkunft

- Umsetzung und Treffen von Anordnungen im Rahmen der Wohnheimordnung

- Abhalten von Sprechstunden

- Gewährleistung der Belegung nach sozialverträglichen Gesichtspunkten

- Verwaltungsaufgaben

- Führen der Zu- und Abgangsliste

- Überwachung des Bestands und Beschaffung von Material und Ausstattungsgegenständen

- Gewährleistung des Informationsflusses

- Sicherstellung der Zusammenarbeit und Pflege von Kontakten mit Lieferanten, Ausländerbehände, Polizei, Feuerwehr, Gemeindeverwaltung, Landesaufnahmestelle, u.a.

Ihr Profil

- Ausbildung zum/zur Verwaltungswirt/in oder Angestelltenprüfung I

- Sozialkompetenz

- Kundenfreundliches Verhalten

- Konfliktfähigkeit

- Belastbarkeit und Eigenmotivation

- Entscheidungsfreudigkeit, Durchsetzungsvermögen und sicheres Auftreten

- selbständiges und zielorientiertes Arbeiten

- ausgeprägte Kommunikation- und Teamfähigkeit"

Mit Schreiben vom 09.09.2015 erfolgte eine erneute Absage an den Kläger.

Mit Schreiben vom 14.09.2015 machte der Kläger gegenüber der Beklagten Entschädigungsansprüche geltend, da er dem in der Stellenausschreibung angegebenen Anforderungsprofil in vollem Umfang entspreche und er entgegen den gesetzlichen Regelungen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei. Der Höhe nach machte er drei Monatsgehälter gemäß der Vergütungsgruppe E8, Stufe 1 TVöD (2.427,23 EUR x 3) geltend.

Der Kläger hatte sich bereits zuvor mehrfach bei dem beklagten Landkreis vergeblich beworben. Der Kläger erhielt am 18.12.2014 eine Absage für seine Bewerbung als Sachbearbeiter für die Betreuung der Haushaltskunden. Auf eine Bewerbung des Klägers für eine Stelle als Sachbearbeiter im Sachgebiet "Leistungen für Asylbewerber" erhielt der Kläger - nach Durchführung eines Vorstellungsgespräches am 23.02.2015 - eine Absage.

Die Einstellungsentscheidungen bzw. Nichteinstellungsentscheidungen wurde zumindest bei den letzten drei Bewerbungen durch den für die Auswahlverfahren zuständigen Sachbearbeiter, Herrn W., getroffen.

Mit seiner am 06.10.2015 eingegangenen Klage hat der Kläger eine Entschädigung nach § 15 AGG in Höhe von 7.281,69 EUR geltend gemacht.

Er vertritt die Auffassung, dass der beklagte Landkreis es entgegen der Regelung in § 81 Abs. 2 SGB IX unterlassen habe, ihn (erneut) zum Vorstellungsgespräch zu laden. Seine Ausbildung zum Justizfachwirt erfülle die Voraussetzungen der Stellenausschreibung, außerdem verfüge er aufgrund seiner Tätigkeit bei der Stadt L. über die notwendige Berufserfahrung im Umgang mit Asylangelegenheiten. Mit seiner neuen Bewerbung auf eine neu ausgeschriebene Stelle sei ein neues Auswahlverfahren in Gang gesetzt worden. Zwar sei beim vorangegangenen Stellenbesetzungsverfahren mit der Kennziffer 1205 nach Ansicht der Beklagten ein besserer Bewerber vorhanden gewesen, dies besage aber nicht, dass bei dem nunmehr streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahren (Kennziffer 1242) wieder ein besserer Bewerber vorhanden war. Um dies feststellen zu können, hätte der beklagte Landkreis, den Kläger erneut zum Vorstellungsgespräch einladen müssen. Zudem sei die Durchführung des Vorstellungsgespräches rechtsfehlerhaft erfolgt, da die Schwerbehindertenvertretung nicht anwesend gewesen sei.

Da der Kläger bereits 2014 bei seiner Bewerbung als Sachbearbeiter für die Betreuung der Haushaltskunden nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, läge ein besonders schwerwiegender Verstoß vor, der einen Entschädigungsanspruch in Höhe von drei Monatsgehältern rechtfertige.

Der Kläger hat zuletzt folgende Anträge gestellt:

Die Beklagte wird verurteilt auf Zahlung einer Entschädigung von 3 Monatsgehältern bei TVÖD E 8 Stufe 1 (EUR 2.427,23 x 3 = 7.281,69) an den Kläger.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die entstandenen Auslagen.

Der beklagte Landkreis hat beantragt

die Klage abzuweisen.

Der beklagte Landkreis vertritt die Auffassung, dass eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nicht stattgefunden habe. Eine erneute Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei aufgrund der Identität der Stellenausschreibung und der Identität des Auswahlverfahrens nicht mehr notwendig gewesen. Die Beklagte habe ihre Kenntnisse aus dem bereits durchgeführten Bewerbergespräch vom 10.06.2015 in ihre Auswahlentscheidung einfließen lassen. Dies sei ohne weiteres möglich, da zwischen dem durchgeführten Bewerbungsgespräch am 10.06.2015 und der erneuten Bewerbung des Klägers vom 11.07.2015 nur wenige Wochen lagen.

Das Anhörungsverfahren vom 10.06.2015 sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, dies gelte unabhängig davon, ob die Schwerbehindertenvertretung an dem Vorstellungsgespräch teilgenommen habe oder nicht. Die Tatsache, dass der Kläger für eine identische Stelle zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, lasse die Vermutungswirkung des § 22 AGG entfallen. Der beklagte Landkreis habe im Jahr 2015 22 Stellen als Unterkunftsleiter für Asylheime ausgeschrieben und besetzt. Für 2016 seien weitere 64 Stellen mit identischem Anforderungsprofil zu erwarten. Es würde eine Überforderung des öffentlichen Arbeitgebers darstellen, wenn er zu jeder (identischen) Stellenausschreibung bei einem identischen Auswahlverfahren mit identischen Personalverantwortlichen jeweils ein Vorstellungsgespräch durchführen müsste. Entsprechend dem Sinn und Zweck des § 82 Satz 2 SGB IX sei dem Kläger durch das Vorstellungsgespräch am 10.06.2015 die Möglichkeit eingeräumt worden, den beklagten Landkreis persönlich von seiner Eignung für die ausgeschriebene Stelle zu überzeugen. Der Personalverantwortliche sei aufgrund des Vorstellungsgesprächs vom 10.06.2015 zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger nicht in ausreichendem Maße über die in der Stellenausschreibung geforderten sozialen und kommunikativen Kompetenzen verfüge.

Im Übrigen sei die geltend gemachte Entschädigung überhöht, da der beklagte Landkreis ggfs. lediglich formale Erfordernisse falsch eingeschätzt habe.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteienvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsprotokolle vom 12.11.2015 und vom 26.01.2016 (Bl. 137) verwiesen.

Die Entscheidung der Kammer erging ohne Beweisaufnahme.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger wurde weder aufgrund der Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch noch aufgrund der Ablehnungsentscheidung selbst wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert.

1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber "Beschäftigter" im Sinne dieses Gesetzes. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Der beklagte Landkreis ist als "Arbeitgeber" passiv legitimiert. Arbeitgeber ist auch derjenige, der zu Bewerbungen für einen von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis auffordert.

2. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Die Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG beginnt im Falle einer Bewerbung grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung, nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat (BAG 15.03.2012 - 8 AZR 37/11 - zitiert nach juris). Die Ablehnung seiner Bewerbung wurde dem Kläger mit Schreiben vom 09.09.2015 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 14.09.2015 hat der Kläger den Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG gegenüber dem Arbeitgeber und mit seiner Klage vom 01.10.2015, Eingang beim Arbeitsgericht Karlsruhe am 06.10.2015, rechtzeitig innerhalb der 3-Monats-Frist des § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

3. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 AGG ergibt, ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus.

a) Aufgrund seiner Gleichstellung als Schwerbehinderter gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX auffällt der Kläger unter den Behindertenbegriff gemäß § 1 AGG (BAG, Urteil vom 18.09.2014 - 8 AZR 759/13 - Rn. 36 - zitiert nach juris).

b) Der Kläger wurde auch unmittelbar im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt, weil er im Laufe des Bewerbungsverfahrens eine weniger günstigere Behandlung erfuhr, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

aa) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, den vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektiven Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (BAG, Urteil vom 24.01.2013 - 8 AZR 188/12 - Rn. 26 - zitiert nach juris).

bb) Bei der Frage der objektiven Eignung sind bei der Besetzung von Stellen öffentlicher Arbeitgeber Besonderheiten zu berücksichtigen. Während der private Arbeitgeber grundsätzlich frei ist, welche Anforderungen er in seiner Stellenausschreibung an Bewerber stellen will, hat der öffentliche Arbeitgeber den Grundsatz der Besten-Auslese nach Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ein Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter in diesem Sinne sind nicht nur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, die mit Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient zum Einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stelle des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden soll, zum Anderen trägt er dem berechtigten Interesse des Bewerbers an seinem beruflichen Fortkommen Rechnung (BAG, 24.01.2013 - 8 AZR 188/12).

Aus Art. 33 Abs. 2 GG ergibt sich noch nicht, auf welchen Bezugspunkt sich die Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung beziehen. Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil. Der öffentliche Arbeitgeber hat in diesem die formalen Voraussetzungen, die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der ausgeschriebenen Tätigkeit benötigt. Mit Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss deshalb sachlich nachvollziehbar sein. Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenausschreibung bekannt gegebene Anforderungsprofil gebunden (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - 1 Sa 13/14; BAG, Urteil vom 24.01.2013 - a.a.O.). Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtungen nach § 82 Satz 2 und Satz 3 SGB IX.

cc) Die grundsätzliche Eignung des Klägers wurde von dem beklagten Landkreis nicht in Abrede gestellt. Insoweit konnte das Gericht dahingestellt sein lassen, ob die Ausbildung des Klägers zum Justizfachwirt der Ausbildung zum Verwaltungswirt oder der Angestelltenprüfung I entspricht. Die grundsätzliche Eignung des Klägers aus Sicht des beklagten Landkreises zeigt sich bereits darin, dass der beklagte Landkreis den Kläger auf eine identische Stellenausschreibung mit einem identischen Anforderungsprofil am 10.06.2015 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - 1 Sa 13/14, Rn. 56). Hätte der Kläger dem Anforderungsprofil von vorneherein nicht entsprochen, so wäre eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 3 SGB IX entbehrlich gewesen.

4. Der Kläger wurde aber nicht wegen seiner Behinderung weniger günstig behandelt.

a) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung angeknüpft oder durch sie motiviert ist. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf schuldhaftes Handeln oder eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG, Urteil vom 26.06.2014 - 8 AZR 547/13 - zitiert nach juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - 1 Sa 13/14 - zitiert nach juris).

b) Nach § 22 AGG genügt der Bewerber seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Es genügt der Vortrag von Hilfstatsachen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist. Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

c) Eine derartige Hilfstatsache liegt zwar grundsätzlich vor, da der Kläger entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurde. Dennoch ist im vorliegenden Fall die notwendige Indizwirkung zu versagen, da der beklagte Landkreis den Kläger zuvor aufgrund einer identischen Stellenausschreibung und in einem identischen Auswahlverfahren im Rahmen eines Vorstellungsgespräches angehört hatte.

Im Einzelnen gilt folgendes:      

aa) Nach § 82 Satz 2 SGB IX ist der öffentliche Arbeitgeber - vorbehaltlich des Satzes 3 - verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterlässt er die Einladung, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache im Sinne des § 22 AGG (BAG, Urteil vom 24.01.2013 - a.a.O.; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - a.a.O.). Diese Einladung hat der beklagte Landkreis im Hinblick auf die (erneute) Bewerbung des Klägers vom 11.07.2015 unterlassen.

bb) Dennoch vertritt die Kammer die Auffassung, dass in der vorliegenden Fallkonstellation daraus keine ausreichende Indizien für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung des Klägers herzuleiten sind. Der Schutzzweck des § 82 Satz 1 SGB IX besteht darin, dass ein schwerbehinderter Bewerber bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgespräches bekommen muss, selbst wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Der schwerbehinderte Bewerber sollte den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2014 - 1 Sa 13/14).

Diese Chance hat die Beklagte dem Kläger eingeräumt, in dem sie ihn am 10.06.2015 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Jedenfalls dann, wenn ein Schwerbehinderter sich auf mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil bewirbt und der Arbeitgeber ein identisches Auswahlverfahren durchführt, die für die Personalentscheidung verantwortlichen Mitarbeiter gleich bleiben und wie - im vorliegenden Fall - nur ca. 5 Wochen zwischen dem Vorstellungsgespräch und der erneuten Bewerbung liegen, bildet die unterlassene Einladung zum Vorstellungsgespräch gemäß § 82 Satz 2 SGB IX keine hinreichende Indiztatsache für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Die Chanceneröffnung durch das geführte Bewerbungsgespräch wirkt in diesem Fall auch für das neue Bewerbungsverfahren fort.

cc) Anhaltspunkte dafür, dass sich die Bewerbungschancen des Klägers aufgrund Änderungen in seinen Kenntnissen oder seiner Persönlichkeit verändert haben, wurden von dem Kläger weder dargelegt noch sind sie für das Gericht aufgrund des kurzen Zeitraums zwischen dem ersten Bewerbungsgespräch und der erneuten Bewerbung ersichtlich. Der Kläger hat identische Bewerbungsschreiben vorgelegt, so dass der beklagte Landkreis aufgrund der vorgelegten Unterlagen und des vorangegangenen Bewerbungsgespräches diskriminierungsfrei seine Auswahlentscheidung treffen konnte. Eine Hilfstatsache für eine Diskriminierung wegen der Behinderung wurde daher seitens des Klägers nicht ausreichend dargelegt.

d) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass im ersten Bewerbungsgespräch die Schwerbehindertenvertretung nicht teilgenommen hat. Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung das Recht, an Vorstellungsgesprächen teilzunehmen. Dass dies von dem beklagten Landkreis (bewusst oder unbewusst) verhindert wurde, wurde durch den Kläger nicht behauptet.

e) Soweit der Kläger seine Entschädigungsforderung damit begründet, dass er aufgrund seiner Ausbildung der am besten geeignete Bewerber gewesen sei und nur aufgrund seiner Behinderung die ausgeschriebene Stelle der Unterkunftsleitung nicht erhalten habe, ist dieser Vortrag nicht geeignet (Hilfs-)Tatsachen für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung zu begründen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Stellenausschreibung neben einer Ausbildung weitere Faktoren wie Sozialkompetenz, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit, Entscheidungsfreudigkeit und Durchsetzungsfähigkeit in ihrem Anforderungsprofil voraussetzt.

II.

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

2. Der Rechtsmittelstreitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Höhe der geltend gemachten Forderung im Urteil festgesetzt.

3. Die Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gesondert zuzulassen, die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 64 Abs. 2b ArbGG.



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