Landesarbeitsgericht Nürnberg

- Az: 2 Ta 45/22

Keine Erhöhung des Vergleichswerts durch Vereinbarung einer sog. Sprinterklausel

Die Vereinbarung einer Sprinterklausel (vorzeitiges Ausscheidung bei Erhöhung der Abfindung), einer Verschwiegenheitsklausel und einer Sprachregelung erhöhen den Vergleichswert in der Regel nicht. Es handelt sich regelmäßig um Gegenleistungen zur Beendigung des Rechtsstreits.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägervertreters sowie von Amts wegen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 24.05.2022 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 02.06.2022, Az. 4 Ca 84/22, abgeändert.

2. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 83.495,23 € festgesetzt, der überschießende Vergleichswert auf 9.732,38 €.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

A.

Die Parteien stritten im Hauptsacheverfahren um die Wirksamkeit zweier Kündigungen zum 31.07. bzw. 31.08.2022, Weiterbeschäftigung, die Rechtswirksamkeit einer Versetzung sowie um Prämienzahlungen für das Jahr 2021 i.H.v. 22.000,- € und hilfsweise auch für das Jahr 2022 i.H.v. 13.833,33 €. Das monatliche Einkommen des Klägers betrug 9.732,38 € brutto (einschließlich Dienstwagen).

Das Verfahren endete durch Vergleich, der durch Beschluss des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 25.05.2022 festgestellt wurde. Hierin vereinbarten die Parteien unter anderem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2022, die unwiderrufliche Freistellung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, eine Regelung über die Prämien, eine Abfindung, eine sogenannte Sprinterklausel, die Erteilung eines im Einzelnen ausformulierten Zeugnisses, eine Sprachregelung und eine Stillschweigensklausel. Wegen des genauen Wortlauts des Vergleichs wird auf Bl. 138 ff. der Akten Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 24.05.2022 setzte das Arbeitsgericht den Wert des Streitgegenstandes auf 70.661,90 € (4 Monatsgehälter für den Bestandsstreit, ein Monatsgehalt für den Streit über die Versetzung, 22.000,- € Prämie 2021) fest und den überschießenden Vergleichswert auf zusätzliche 19.464,76 € (ein Monatsgehalt für den Weiterbeschäftigungsantrag, ein Monatsgehalt für die Einigung auf das Zeugnis; vgl. Bl. 145, 146 der Akten).

Hiergegen legte der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 02.06.2022, eingegangen beim Arbeitsgericht Bayreuth am selben Tage, Beschwerde ein. Beim Vergleichsmehrwert seien die Vereinbarungen bezüglich der Freistellung, der Sprachregelung, der Sprinterklausel sowie der Geheimhaltung wie auch die Prämienzahlung 2022 zu berücksichtigen.

Mit Beschluss vom 02.06.2022 half das Arbeitsgericht der Beschwerde des Klägervertreters zum Teil ab, setzte den überschießenden Vergleichswert auf 23.131,41 € fest, da sich die Parteien für das Jahr 2022 auf eine Prämienzahlung i.H.v. 3.666,66 € geeinigt hätten und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor.

Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 08.07.2022. Inhaltlich nahm der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 24.06.2022 (Bl. 159 der Akten) Stellung.

B.

I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.

II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Vereinbarungen über die Freistellung, die Sprachregelung, die Sprinterklausel und die Geheimhaltung nicht werterhöhend berücksichtigt. Von Amts wegen (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG) war zu berücksichtigen, dass der Weiterbeschäftigungsantrag im vorliegenden Fall im Gegensatz zur Ansicht des Arbeitsgerichts nicht zu bewerten war, andererseits aber die Prämie für das Jahr 2022 in der hilfsweise eingeklagten Höhe von 12.833,33 €.

Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.

Im Einzelnen gilt folgendes:

1. Der Gegenstandswert für das Verfahren war auf 83.495,23 € festzusetzen.

a. Der Streit um den Bestand des Arbeitsverhältnisses ist vom Arbeitsgericht zu Recht mit insgesamt 4 Monatsgehältern festgesetzt worden. Nach I Nr. 20 iVm 21.3 Streitwertkatalog wird - wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind - die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet, es sei denn unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen. Im vorliegenden Falle sollte die erste Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2022 beenden, die zweite Kündigung zum 31.08.2022. Die Beendigungszeitpunkte liegen um einen Monat auseinander, sodass insgesamt vier Monatsgehälter in Ansatz zu bringen waren (9.732,38 € × 4 = 38.929,52 €).

b. Der hilfsweise geltend gemachte Weiterbeschäftigungsantrag erhöhte den Gegenstandswert nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 - 2 Ta 15/20 - juris; 04.08.2020 - 2 Ta 84/20 juris; 08.07.2016 - 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 Rn 4, juris; 30.08.2011 - 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 04.08.2020 - 2 Ta 84/20; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20). Eine mit einer Entscheidung vergleichbare Regelung über die Weiterbeschäftigung (§ 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG) liegt vor, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet wurde und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist (LAG Nürnberg 04.08.2020 a.a.O. mwN; 11.05.2022 - 2 Ta 12/22).

Im vorliegenden Falle wurde der Weiterbeschäftigungsantrag ausdrücklich für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag gestellt, und kein Beendigungszeitpunkt nach dem 31.08.2022, dem Zeitpunkt der 2. Kündigung, vereinbart.

c. Der Streit über die während der Kündigungsfrist ausgesprochene Versetzung wurde zurecht mit einem Monatsgehalt (= 9.732,38 €) vom Arbeitsgericht bewertet (vgl. I. Nr. 14 Streitwertkatalog). Hiergegen wendet sich der Klägervertreter auch nicht.

d. Die eingeklagte Prämie für das Jahr 2021 (= 22.000,- €) erhöhte den Streitgegenstand. Dasselbe gilt auch für die hilfsweise i.H.v. 12.833,33 € eingeklagte Prämie für das Jahr 2022. Nach § 45 Abs. 1 S. 2 GKG wird ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht oder soweit die Parteien bei einer Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich eine Regelung über ihn treffen (§ 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 GKG). Im vorliegenden Falle haben sich die Parteien im Vergleich auf eine Prämienzahlung für das Jahr 2022 i.H.v. 3.666,66 € geeinigt. Als Gegenstandswert ist aber nicht der Betrag festzusetzen, auf den sich die Parteien geeinigt haben, sondern der Betrag, über den sich die Parteien gestritten haben und der auch gerichtlich hilfsweise geltend gemacht wurde.

e. Insgesamt war damit der Gegenstandswert für das Verfahren auf 83.495,23 € festzusetzen.

2. Für den Vergleich war ausgehend vom Verfahrenswert von 83.495,23 € lediglich ein überschießender Wert von 9.732,38 € (= ein Monatsgehalt) festzusetzen.

a. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Einigung auf Erteilung und Wortlaut des Zeugnisses mit einem Monatsgehalt bewertet (vgl. I. 25.1.3 iVm Nr. 29 Streitwertkatalog).

b. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht den hilfsweise gestellten Weiterbeschäftigungsantrag im Rahmen des Vergleiches werterhöhend berücksichtigt. Die Parteien haben hierüber gerade keine Regelung getroffen (siehe oben 1.b). Insoweit war der Beschluss des Arbeitsgerichts von Amts wegen zu korrigieren.

c. Eine Erhöhung des Vergleichswertes wegen der Einigung über die Prämienzahlung 2022 hatte nicht mehr zu erfolgen. Die Prämie für das Jahr 2022 ist bereits im Verfahrenswert berücksichtigt.

d. Die vereinbarte Freistellung erhöht den Vergleichswert nicht. Nach Ziff. I Nr. 25.1.4 Streitwertkatalog wird die Freistellungsvereinbarung mit bis zu einer Monatsvergütung (unter Anrechnung des Werts einer Beschäftigungs- oder Weiterbeschäftigungsklage) bewertet, wenn eine Partei sich eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat. Die Freistellung wird nur zukunftsbezogen ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses berücksichtigt, etwaige Zeiten einer Freistellung zuvor spielen keine Rolle. Eine gesonderte Bewertung der Freistellungsvereinbarung neben einem (Weiter-)Beschäftigungsanspruch erfolgt nicht. Denn die Freistellung regelt ja gerade den Beschäftigungsanspruch (vgl. LAG Nürnberg 11.05.2022 - 2 Ta 12/22).

Im vorliegenden Falle haben die Parteien zwar die Freistellung mit Protokollierung des Vergleichs ab 25.05.2022 und damit für über 3 Monate bis zum 31.08.2022 vereinbart. Wie der Klägervertreter in seiner Beschwerde darstellt, hatte die Beklagte den Wegfall des Arbeitsplatzes vor Auslauf der Kündigungsfrist behauptet, sodass dementsprechend eine Freistellung oder eine rechtswirksame Versetzung streitgegenständlich gewesen sei. Im Rahmen des Vergleichs hat man sich dann auf eine Freistellung geeinigt. Die vereinbarte Freistellung stellt sich somit als die Einigung über den Streit über die Versetzung dar. Die Versetzung ist jedoch bereits, da mit einem gesonderten Antrag streitgegenständlich gemacht, im Gegenstandswert für das Verfahren und damit auch im Vergleichswert mit enthalten. Eine gesonderte Festsetzung für die Einigung über die Freistellung ist daher nicht veranlasst.

e. Die Vereinbarungen über die Sprinterklausel, die Sprachregelung und die Geheimhaltung erhöhen, wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, den Wert des Vergleichs nicht. Eine Werterhöhung tritt nicht ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt (vgl. I Nr. 25.1 Streitwertkatalog). Das ist bezüglich der genannten Klauseln der Fall (zur Verschwiegenheitsklausel LAG Nürnberg 30.10.2020 - 2 Ta 123/20 Rn 21; LAG Köln 11.07.2016 - 4 Ta 159/16 - juris; zur Sprinterklausel: LAG Köln 24.06.2016 - 4 Ta 132/16 - Rn 9, vgl. I Nr. 25.1.1 Streitwertkatalog). Aus den Behauptungen des Klägervertreters, dass die Sprachregelung für den Kläger und die Geheimhaltung für die Beklagte ein wesentlicher Punkt der Einigung gewesen sei, ergibt sich nicht, dass hierüber vor Vergleichsschluss ein Streit oder eine Ungewissheit bestanden hat.

f. Insgesamt ergibt sich daher ein Vergleichsmehrwert von 9.732,38 €.

C.

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen