Arbeitsgericht Düsseldorf

Urteil vom - Az: 10 CA 4027/15

Keine Indizien für die Diskriminierung eines Rollstuhlfahrers

1. Im Anwendungsbereich des § 22 AGG hat der Beschäftigte zunächst Indizien vorzutragen und gegebenenfalls auch im Wege des Vollbeweises zu beweisen, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen sollen. Erst wenn dem Beschäftigten in einem ersten Schritt dieser Beweis gelungen ist, kommt ihm in einem zweiten Schritt eine Beweiserleichterung dergestalt zugute, dass es nicht erforderlich ist, dass die (nunmehr bewiesenen) Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben, sondern es vielmehr dann ausreicht, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht.

2. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur dann gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig.
(Leitsätze des Gerichts)

(3.) Eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine anderen Person in einer vergleichbaren Situation erfährt oder erfahren würde.

(4.) Kann der Arbeitnehmer Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt.

(5.) Ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung besteht nur, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

(6.) Ein Anspruch auf die Entfernung einer zu Recht erteilten Abmahnung besteht, wenn der Arbeitgeber kein schutzwürdiges Interesse mehr an ihrem Verbleib in der Personalakte hat.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 13.08.2015 nicht aufgelöst ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Restlohn in Höhe von 3.350,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.032,77 Euro netto zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein wohlwollendes und qualifiziertes Schlusszeugnis zu erteilen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 57 % und die Beklagte zu 43 % zu tragen.

6. Streitwert: 32.417,23 Euro.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Entschädigung unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung. Er wendet sich zuletzt darüber hinaus noch gegen die Wirksamkeit einer fristgerechten sowie einer fristlosen Kündigung, begehrt die Entfernung einer Abmahnung, die Zahlung von Annahmeverzugslohn sowie die Erteilung eines Zeugnisses.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Ingenieur zu einem Bruttolohn von zuletzt 3.350,00 Euro beschäftigt. Nach einem Motorradunfall ist der Kläger zu 100 % schwerbehindert und kann sich nur auf Krücken bzw. mit einem Rollstuhl bewegen. Die Beklagte, die weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigt, entwickelt individuelle Beleuchtungskonzepte für Beleuchtungssanierung und Neu-Beleuchtung und setzt diese vor Ort um. Der Tätigkeitsbereich des Klägers umfasst laut Arbeitsvertrag den Bereich Aufnahme, Umsetzung und Installation von Projekten im Bereich der energiesparenden Beleuchtung und Planungen und Realisierung von elektrischen Anlagen. Er ist der einzige Mitarbeiter, der die technischen Fertigkeiten dafür mitbringt.

Mit Schreiben vom 7. April 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers, nachdem das Integrationsamt der Kündigung unter dem 25. März 2015 zugestimmt hatte, wobei das Kündigungsschreiben jedoch nicht handschriftlich unterschrieben war. Im Gütetermin vom 11. Mai 2015 einigten sich die Parteien daraufhin auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses (7 Ca 2366/15). Mit Schreiben vom 11. Mai 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut. Da zwischen der Zustimmung des Integrationsamtes und dem Zugang der Kündigung mittlerweile allerdings ein Zeitraum von mehr als einem Monat (§ 88 Abs. 3 SGB SGB IX) vergangen war, einigten sich die Parteien im Gütetermin vom 26. Juni 2015 (3 Ca 3200/15) erneut auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Für den Monat Mai 2015 rechnete die Beklagte zunächst lediglich einen Betrag von 2.300,00 Euro brutto ab, für den Monat Juni 2015 erfolgte zunächst keine Zahlung. Mittlerweile ist eine Nachzahlung an den Kläger erfolgt.

Am 1. Juli 2015 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Anweisung, wonach private, elektronische Geräte nicht am Arbeitsplatz genutzt oder betrieben werden dürfen.

Mit Schreiben vom 23. Juli 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Zustimmung des Integrationsamtes vom 17. Juli 2015 erneut fristgerecht zum 31. August 2015. Am 24. Juli 2015 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, deren näherer Inhalt dem Gericht nicht bekannt ist, da das Abmahnungsschreiben nicht zu den Akten gereicht wurde. Aus dem Klagevorbringen ergibt sich, dass dem Kläger vorgeworfen wird, für längere Zeit seinen Arbeitsplatz verlassen zu haben und in der Zeit vom 14. Juli 2015 bis zum 17. Juli 2015 unentschuldigt gefehlt zu haben. Schließlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien am 13. August 2015 fristlos und rechnete die Vergütung auch nur bis zum 13. August 2015 ab.

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Entschädigung i.H.v. 10.000 Euro, da er wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt werde. Ihm sei durch schriftliche Arbeitsanweisung verboten, elektronische Geräte an seinem Arbeitsplatz benutzen, insbesondere ein Handy oder ein Laptop. So sei ihm auch verboten worden, an heißen Tagen ein von ihm selbst mitgebrachtes batteriebetriebenes Lüftungsgerät zum Einsatz kommen zu lassen. Er sei als Schwerbehinderter, der aus dem Rollstuhl nicht aufstehen könne und sich Luft verschaffen könne, auf die Luftzufuhr durch technische Hilfe angewiesen. Er habe einen Arbeitsplatz zugewiesen bekommen, den er nicht verlassen dürfe. Es handele sich hierbei um eine Abstellkammer, die eigens für ihn als Büroraum eingerichtet und mit einem Schreibtisch und einem Stuhl versehen worden sei. Zudem habe er das schriftliche Verbot erhalten, mit anderen Mitarbeitern zu sprechen. Schließlich habe er auch als einziger Mitarbeiter den Lohn für den Monat Mai 2015 nur zum Teil und den Lohn für den Monat Juni 2015 zunächst überhaupt nicht erhalten. Alle diese Maßnahmen im Betrieb beträfen ausschließlich den Kläger als schwerbehinderten Mitarbeiter. Für die anderen Mitarbeiter würden diese Verbote nicht gelten. Es sei Aufgabe der Beklagten das Gegenteil zu beweisen. Insofern berufe er sich auf die Beweislastumkehr des Antidiskriminierungsgesetzes.

Aus den gleichen Gründen sei auch die fristgerechte Kündigung vom 23. Juli 2015 unwirksam. Er berufe sich insoweit auf die europarechtliche Rechtsprechung. Die Kündigung sei auch nicht fristgerecht erfolgt, da der Kläger als Schwerbehinderter eine andere Kündigungsfrist genießen würde.

Die fristlose Kündigung sei in Ermangelung eines wichtigen Grundes unwirksam. Auch sei die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Auch diese weitere Kündigung zeige aber deutlich, dass der Kläger diskriminiert und mit grundlosen Kündigungen überzogen werde.

Unabhängig von der Frage, ob das Arbeitsverhältnis mittlerweile beendet sei oder nicht, habe er ein Interesse an der Entfernung der Abmahnung vom 24. Juli 2015, da der dortige Inhalt für den von ihm verfolgten Entschädigungsanspruch von Bedeutung sei.

Nachdem die Beklagte erklärt hat, aus einer weiteren ausgesprochenen fristlosen Kündigung vom 27. Juli 2015 keinerlei Rechte mehr herzuleiten haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich dieses Kündigungsschutzantrags ebenso übereinstimmend für erledigt erklärt wie hinsichtlich der Vergütungklage für die Monate Mai und Juni 2015.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.000,00 Euro nebst Verzugszinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. August 2015 zu zahlen;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 23 Juli. 2015 sein Ende findet;

3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 20. April 2015 aus der Personalakte zu entfernen;

4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung vom 13. August 2015 sein Ende findet;

5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Restlohn für den Monat August 2015 i.H.v. 3.350,00 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.032,77 Euro netto zu zahlen;

6. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes qualifiziertes Zwischenzeugnis, hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Kündigungsschutzanträgen ein wohlwollendes, qualifiziertes Schlusszeugnis zu erteilen.

die Beklagte erkennt den Zeugnisanspruch an und beantragt im Übrigen,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass der Kläger als einziger sein Gehalt verspätet erhalten habe. Ebenso bestreitet sie, dass es ein schriftliches oder mündliches Verbot der Beklagten gebe, dass es anderen Mitarbeitern verbiete, mit dem Kläger zu sprechen. Nicht nur dem Kläger, sondern allen Mitarbeitern sei es gleichfalls verboten, eigene elektronische Geräte mitzubringen. Die im Termin vorgelegten Fotos zeigten, dass es sich bei dem dem Kläger zugewiesenen Büro nicht um eine Abstellkammer handele.

Die Kündigung vom 22. Juli 2015 sei wirksam, da das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung finde. Der Tätigkeitsbereich des Klägers sei darüber hinaus auch tatsächlich in Wegfall geraten. Die Beklagte habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Bereich der Planung nicht mehr aus eigener Hand anzubieten sondern künftig ausschließlich an elektrotechnische Drittfirmen zu vergeben.

Die fristlose Kündigung sei erfolgt, weil der Kläger trotz der ausdrücklichen Arbeitsanweisung, der den Gebrauch von privaten elektronischen Geräten am Arbeitsplatz verbiete, mit seinem Smartphone Fotos von seinem Arbeitsplatz gefertigt habe, die er in der Güteverhandlung vom und 27. Juli 2015 vorgelegt habe. Aufgrund der ausdrücklichen Arbeitsanweisung sei eine Abmahnung entbehrlich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur zum Teil begründet.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Entschädigung i.H.v. 10.000 Euro gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Insoweit ist die Klage unbegründet.

1. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Nach näherer Maßgabe des AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund, hier also wegen einer Behinderung, in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses unzulässig (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Als „Maßnahmen“ sind sämtliche Anordnungen des Arbeitgebers, also beispielsweise Weisungen, einseitige Leistungsbestimmungen, Versetzungen und Umsetzungen zu betrachten (BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 32, NZA 2009, 945; vgl. auch BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (vgl. zum Ganzen zuletzt BAG 18. September 2014 – 8 AZR 759/13 – ZTR 2015, 216 mwN).

2. Gemäß § 22 AGG trägt der Arbeitgeber dann die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat, wenn der Arbeitnehmer seinerseits Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Dies bedeutet, dass der Beschäftigte zunächst Indizien vortragen und gegebenenfalls auch im Wege des Vollbeweises beweisen muss, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Erst wenn dem Beschäftigten in einem ersten Schritt dieser Beweis gelungen ist, kommt ihm in einem zweiten Schritt eine Beweiserleichterung dergestalt zugute, dass es nicht erforderlich ist, dass die (nunmehr bewiesenen) Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben, sondern es vielmehr dann ausreicht, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 26. März 2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 38, NZA 2015,734; BAG 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08 – Rn. 65, NZA 2011, 93).

3. In Anwendung dieser Grundsätze, war eine Benachteiligung wegen der Behinderung nicht zu vermuten.

a) Der Kläger ist hinsichtlich der von ihm behaupteten Indiztatsachen überwiegend bereits beweisfällig geblieben.

aa) Der Kläger ist beweisfällig geblieben, soweit er behauptet, dass er der einzige Mitarbeiter gewesen sei, dem die Maivergütung verspätet und die Junivergütung zunächst überhaupt nicht ausgezahlt worden sei. Die Beklagte war auch nicht im Wege einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, anhand von Kontoauszügen näher darzulegen, wann bei den einzelnen Mitarbeitern die Zahlung erfolgte. Gerade im Rahmen eines Kleinbetriebes wäre es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, sich bei den Kollegen zu erkundigen, wann diese ihre Zahlung erhalten haben und insoweit Zeugenbeweis anzubieten. Geht man davon aus, dass der Kläger seine Kollegen nicht befragt hat, kann die Behauptung, dass er der einzige gewesen sei, nur als Behauptung ins Blaue hinein angesehen werden.

bb) In gleicher Weise ist der Kläger für seine Behauptung beweisfällig geblieben, dass er ein schriftliches Verbot erhalten habe, mit anderen Mitarbeitern zu sprechen (Seite 2 des Schriftsatzes vom 17. Juli 2015). Dies überrascht umso mehr, als es dann doch ein Einfaches gewesen sein sollte, dieses Schriftstück im Prozess vorzulegen. Soweit er behauptet, dass die Kollegen ein solches schriftliches Verbot erhalten hätten, hätte er insoweit – sollte sein Vortrag nicht ins Blaue hinein erfolgt sein – Zeugenbeweis anbieten können. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, dass ihm die den Sachvortrag der Beklagten stützenden, schriftlichen Erklärungen einzelner Mitarbeiter zugänglich gemacht werden, besteht hierauf prozessual kein Anspruch, da sie aus Sicht des Gerichts nicht entscheidungserheblich waren.

cc) Hinsichtlich der schriftlichen Arbeitsanweisung, wonach es verboten ist elektronische Geräte mit an den Arbeitsplatz zu nehmen, hat die Beklagte behauptet, dass diese Arbeitsanweisung sämtlichen Mitarbeitern erteilt worden sei. Für seine gegenteilige Behauptung ist der Kläger ebenfalls beweisfällig geblieben. Aus diesem Grunde kann auch das Verbot, ein batteriebetriebenes Lüftungsgerät am Arbeitsplatz zu nutzen keine Benachteiligung wegen der Behinderung darstellen. Es mag sein, dass dem Kläger unter dem Gesichtspunkt eines leidensgerechten Arbeitsplatzes wegen seiner Schwerbehinderung hätte gestattet werden müssen, ein solches Lüftungsgerät mitzubringen. Da die Mitnahme aber allen Mitarbeitern verboten ist, erfährt der Kläger nicht eine weniger günstige Behandlung, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, so dass sich das Verbot jedenfalls nicht als Benachteiligung erweist.

b) Selbst wenn man den gesamten klägerischen Vortrag zu seinen Gunsten als richtig unterstellt, besteht aufgrund dieser Indiztatsachen nach Auffassung der Kammer aber auch keine nach allgemeiner Lebenserfahrung überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Behandlung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung erfolgt ist. Es würde vielmehr – den Sachvortrag des Klägers als richtig unterstellt – nach allgemeiner Lebenserfahrung vieles dafür sprechen, dass ein Arbeitgeber mit einem nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer, dem er mehrfach versucht hat zu kündigen und dabei wiederholt an formellen Hürden gescheitert ist, ebenso verfahren wäre. Dies zeigt jedenfalls die Erfahrung des Gerichtes. Die vom Kläger behaupteten Verhaltensweisen der Beklagten könnten dann möglicherweise, als einzelne Mobbinghandlungen, um den Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen, den Beginn eines Mobbings darstellen, haben aber im Ergebnis mit der Schwerbehinderung des Klägers nichts zu tun.

II.

Die fristlose Kündigung vom 13. August 2015 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 19; BAG 10. April 2014 – 2 AZR 684/13 – Rn. 39; BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 15, BAGE 146, 303). Grundsätzlich ist der Arbeitgeber – auch im Vertrauensbereich – vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zunächst gehalten den Arbeitnehmer abzumahnen. Einer Abmahnung bedarf es auch in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausnahmsweise nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 865/13 – Rn. 47; BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 495/11 – Rn. 16; BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 18, NZA 2011, 1027).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die fristlose Kündigung der Beklagten mangels vorheriger Abmahnung jedenfalls als unverhältnismäßig. Sollte der Kläger die Fotos seines Arbeitsplatzes trotz der bestehenden Anweisung, am Arbeitsplatz keine elektronischen Geräte zu benutzen, gefertigt haben, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine Abmahnung mit eindringlicher Kündigungsandrohung geeignet gewesen wäre, ein solches Verhalten in der Zukunft zu vermeiden. Ein Arbeitnehmer muss auch nicht damit rechnen, dass alleine die einmalige Fertigung von Fotos seines Arbeitsplatzes eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt, deren Entgegennahme für den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist. Eine Abmahnung war auch nicht aufgrund der erteilten Anweisung vom 1. Juli 2015 entbehrlich. Soweit die Beklagte meint, dass hierin eine Art „vorweggenommene“ Abmahnung liege, fehlt es dieser Abmahnung bereits an einer entsprechenden Kündigungsandrohung.

III.

In Ermangelung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 13. August 2015 hat der Kläger einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn (§ 615 Satz 1 BGB) für die Zeit vom 14. August 2015 bis zum 31. August 2015 i.H.v. 3.350,00 Euro brutto abzüglich bereits gezahlter 1.032,77 Euro netto.

IV.

Die fristgerechte Kündigung vom 23. Juli 2015 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2015 aufgelöst.

1. Die Kündigung verstößt nicht gegen § 1 KSchG, da das Kündigungsschutzgesetz gemäß § 23 KSchG auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet, da die Beklagte nicht regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.

2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG unwirksam. Zwar ist eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen (BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 14, NZA 2014, 372). Wie bereits unter I. ausgeführt, vermochte der Kläger jedoch eine Diskriminierung wegen der Behinderung nicht darzulegen. Hinzu kommt, dass die Beklagte den Entschluss zur Kündigung des Klägers bereits Anfang April 2015 gefasst hatte (vgl. die formunwirksame Kündigung). Die vom Kläger behaupteten Diskriminierungshandlungen begannen jedoch nach eigenem Vorbringen erst zu einem späteren Zeitpunkt.

3. Der Kläger hat zudem auch keine Tatsachen vorgetragen, die dazu führen würden, dass sich die Kündigung als Verstoß gegen Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB darstellte. Zwar hat ein Arbeitgeber auch außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes bei einer Kündigung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß bei einer sozialen Auswahl zu berücksichtigen. Die Beklagte hat aber vorgetragen, dass der Arbeitsplatz des Klägers in Wegfall geraten sei, da die von ihm ausgeübten Tätigkeiten zukünftig fremd vergeben würden und der Kläger der einzige Mitarbeiter sei, der diese Tätigkeiten wahrgenommen habe. Bei dem neu eingestellten Mitarbeiter handele es sich um einen Verkäufer. Dem ist der für das Vorliegen des Unwirksamkeitsgrundes nach § 242 BGB darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht mehr substantiiert entgegengetreten.

4. Soweit sich der Kläger formelhaft und schlagwortartig darauf beruft, dass die Kündigung gegen EG Recht und die europarechtliche Rechtsprechung verstoße, ist ein solches pauschales Vorbringen, ohne sich konkret mit der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union bzw. der Richtlinie 2000/78 EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auseinander zu setzen, unbehelflich. Auch die im Gütetermin angesprochene Adipositas-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (18. Dezember 2014 –

C-354/13 – NZA 2015,33) ist für den Streitfall nicht zielführend. Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung Ausführungen dazu gemacht, ob und gegebenenfalls wann Adipositas eines Arbeitnehmers eine Behinderung darstellen kann. Welche Rückschlüsse aus dieser Entscheidung für die Wirksamkeit der Kündigung des Klägers gezogen werden sollen, erschloss sich der Kammer nicht.

5. Das Integrationsamt hat der Kündigung mit Bescheid vom 17. Juli 2015 zugestimmt, so dass die Kündigung auch nicht nach § 85 Abs. 1 SGB IX unwirksam ist.

6. Die Beklagte hat die gesetzliche Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 BGB gewahrt. Damit ist zugleich auch die Mindestkündigungsfrist des § 86 SGB IX eingehalten.

V.

Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines wohlwollenden und qualifizierten Schlusszeugnisses gemäß § 109 Abs. 1 GewO, wohingegen der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses nicht mehr bestand.

VI.

Soweit der Kläger noch die Entfernung der Abmahnung vom 20. April 2015 begehrt, ist die Klage unbegründet.

1. Arbeitnehmer können grundsätzlich in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (BAG 19. Juli 2012 – 2 AZR 782/11 – Rn. 13, NZA 2013, 91 m.w.N.). Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer allerdings regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur dann gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG 14. September 1991 – 5 AZR 632 / 93 – NZA 1995, 220; LAG München 8. Juli 2009 – 11 Sa 51/09 – zitiert nach juris; LAG Schleswig-Holstein 27. Mai 2008 – 5 Sa 396/07 – zitiert nach juris).

2. Hiernach hat der Kläger keine Umstände vorgetragen, die dafür sprechen würden, dass er auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ein Interesse an der Entfernung der Abmahnung hat. Soweit er in der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 2015 darauf hingewiesen hat, dass der Inhalt der Abmahnung auch für die Verfolgung seines Entschädigungsanspruchs von Bedeutung sei, ist zum einen darauf zu verweisen, dass dieser Klageantrag mit diesem Urteil abgewiesen wurde und zudem das Berufungsgericht in einem möglichen Berufungsverfahren die erteilte Abmahnung im Rahmen des Entschädigungsprozesses unabhängig davon würdigen kann, ob sich die Abmahnung noch in der Personalakte befindet oder nicht.

VII.

Da der Schriftsatz der Beklagten vom 25. September keinerlei neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag enthielt, war die Gewährung eines Schriftsatznachlasses für den Kläger nicht geboten.

VIII.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 92 Abs. 1 ZPO. Hierbei ist das Gericht von einem Gerichtsgebührenstreitwert von 40.703,44 Euro (drei Kündigungen = insgesamt fünf Gehälter, Abmahnung = ein Gehalt, Zeugnis = ein Gehalt, zuzüglich Zahlungsanträge). Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da die Klage insoweit ursprünglich zulässig und begründet war. Im Übrigen richtet sich die Kostenentscheidung nach § 92 Abs. 1 ZPO nach dem Anteil des Obsiegens bzw. Unterliegens. Den Rechtsmittelstreitwert hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt.

 

 



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