Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern

Urteil vom - Az: 5 SaGa 6/19

Keine Urlaubsgewährung während des Kündigungsschutzprozesses

Ein Arbeitnehmer kann im gekündigten Arbeitsverhältnis, dessen Fortbestand aufgrund einer Kündigungsschutzklage im Streit ist, im Wege einer einstweiligen Verfügung regelmäßig keine Urlaubsgewährung für einen Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist durchsetzen.
(Leitsatz des Gerichts)

Die Klägerin war bei der Beklagten als Callcenter-Agentin beschäftigt. Für die Zeit vom 27.07 bis zum 09.08.2019 beantragte die Klägerin Urlaub. Die Beklagte genehmigte lediglich den Urlaub für die erste Woche bis zum 02.08.2019; den Urlaubsantrag für die Folgewoche lehnte sie ab. Im Juni 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich zum 31.7.2019. Hiergegen beantragte die Klägerin mit ihrer einstweiligen Verfügung, die Beklagte dazu zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 05.08. bis zum 09.08.2019 Urlaub zu gewähren.
Das ArbG hat dem Antrag stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass auch im gekündigten Arbeitsverhältnis, dessen Fortbestand noch streitig sei, ein Anspruch auf Urlaubsgewährung bestehe. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein. Nachdem sich die Parteien in dem Kündigungsschutzverfahren auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigten und dieses Verfahren für erledigt erklärten, hatte das LAG über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Der Anspruch auf Gewährung von Urlaub setze ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus und könne nur erfüllt werden, wenn im fraglichen Zeitraum eine Arbeitspflicht besteht. Die Klägerin habe nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Recht mehr auf eine Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Erfüllung des Urlaubsanspruchs bei gleichzeitiger Zahlung bzw. Zahlungszusage der Urlaubsvergütung gehabt. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien im August 2019 noch besteht, sei bei Einlegung der Berufung nicht geklärt gewesen. Der Ausgang des Kündigungsschutzprozesses sei zu diesem Zeitpunkt noch offen. Da die Klägerin nach dem 31.07.2019 nicht verpflichtet war, eine Arbeitsleistung zu erbringen, konnte sie folglich nicht freigestellt werden. Die Klägerin war bereits von der Arbeitspflicht befreit. Hinsichtlich der Zahlungszusage von Urlaubsvergütung fehle es zudem an einer Eilbedürftigkeit. Es sei nicht davon auszugehen, dass etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin durch Zeitablauf vereitelt werden oder nicht mehr durchsetzbar sind. Da die Berufung der Beklagten voraussichtlich erfolgreich gewesen wäre, sind die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen – so das LAG.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

A.

Mit der einstweiligen Verfügung hat die arbeitgeberseitig gekündigte Klägerin eine Urlaubsgewährung für einen Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist begehrt.

Die im August 1967 geborene Klägerin nahm am 03.12.2018 bei der Beklagten eine Beschäftigung als Callcenter-Agentin auf.

Im Januar 2019 beantragte sie Urlaub für die Zeit vom 27.07. bis zum 09.08.2019, um ihr schulpflichtiges Enkelkind während der Sommerferien zeitweise betreuen zu können. Anfang Juni 2019 genehmigte die Beklagte den Urlaub lediglich für die Woche vom 27.07. bis zum 02.08.2019; den Urlaubsantrag für die Folgewoche lehnte sie ab.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter dem 28.06.2019 ordentlich zum 31.07.2019 aus verhaltensbedingten Gründen. Hiergegen hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 05.08. - 09.08.2019 Urlaub zu gewähren,

hilfsweise

festzustellen, dass für den Zeitraum vom 01.08. - 09.08.2019 keine Arbeitspflicht der Klägerin gegenüber der Beklagten besteht.

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie könne der Klägerin überhaupt keinen Urlaub gewähren, da das Arbeitsverhältnis bereits geendet habe. Die Beklagte habe über den 31.07.2019 hinaus kein Interesse an der Arbeitsleistung und sichere der Klägerin zu, dass die Kündigung bis zum 31.07.2019 nicht zurückgenommen werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung angeführt, dass auch im gekündigten Arbeitsverhältnis, dessen Fortbestand noch streitig sei, ein Anspruch auf Urlaubsgewährung bestehe. Die Beklagte könne die Kündigung möglicherweise zurücknehmen und den Annahmeverzug damit beenden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie verweist nochmals darauf, dass sie der Klägerin ab dem 01.08.2019 keinen Urlaub mehr gewähren könne, da das Arbeitsverhältnis beendet sei und keine Arbeitsverpflichtung mehr bestehe. Zunächst sei in dem Kündigungsschutzverfahren zu klären, ob das Arbeitsverhältnis fortbestehe. Je nach Ausgang dieses Verfahrens könne die Klägerin entweder den Urlaub oder eine Urlaubsabgeltung verlangen. Das Eilverfahren dürfe dem nicht vorgreifen.

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz den Antrag angekündigt, das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 17.07.2019 - 11 Ga 2/19 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat die erstinstanzliche Entscheidung verteidigt und die Zurückweisung der Berufung begehrt.

Die Parteien haben in dem Kündigungsschutzrechtsstreit am 02.09.2019 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, nach dem das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2019 geendet hat. Daraufhin hat die Klägerin das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Schriftsatz vom 02.09.2019 für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 04.09.2019 angeschlossen.

Beide Parteien beantragen,

über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

B.

Haben die Parteien durch Einreichung eines Schriftsatzes den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Ermessensentscheidung ist regelmäßig daran auszurichten, wer die Kosten zu tragen gehabt hätte, wenn die Erledigung nicht eingetreten wäre. Die Kosten sind den Parteien ganz oder teilweise in demjenigen Umfang aufzuerlegen, in dem sie das Verfahren voraussichtlich verloren hätten (z. B. BAG, Beschluss vom 02. Januar 2018 - 6 AZR 235/17 - Rn. 18 = NZA 2018, 325; BAG, Beschluss vom 22. Januar 2004 - 1 AZR 495/01 - Rn. 12, juris = ZTR 2004, 268; Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91a, Rn. 24).

Die Berufung der Beklagten wäre voraussichtlich erfolgreich gewesen, da der Hauptantrag der Klägerin nicht begründet und der Hilfsantrag nicht zulässig war. Es entspricht daher billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

I. Hauptantrag

Nach § 935 ZPO, § 62 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 7 ArbGG sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Gewährung von Urlaub im August 2019, dessen Verwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes hätte vereitelt oder wesentlich erschwert werden können.

Zur Gewährung von Urlaub nach § 7 BUrlG gehört nicht nur die Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Erfüllung des Urlaubsanspruchs. Mit ihr verbunden ist zugleich die Zahlung der Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs oder zumindest die vorbehaltlose Zahlungszusage (BAG, Urteil vom 19. Januar 2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 68, juris = NZA 2016, 1144; BAG, Urteil vom 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 18 und 21-23, juris = NZA 2015, 998). Der Anspruch auf Gewährung von Urlaub setzt ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus (§ 1 BUrlG). Der Urlaubsanspruch kann nur erfüllt werden, wenn im fraglichen Zeitraum eine Arbeitspflicht besteht (BAG, Urteil vom 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 - Rn. 19, juris = NZA 2015, 998).

Die Klägerin hatte nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Recht mehr auf eine Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Erfüllung des Urlaubsanspruchs bei gleichzeitiger Zahlung bzw. Zahlungszusage der Urlaubsvergütung. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien im August 2019 noch besteht, war bei Einlegung der Berufung nicht geklärt. Der Ausgang des Kündigungsschutzprozesses war zu diesem Zeitpunkt offen. Da die Klägerin nach dem 31.07.2019 nicht verpflichtet war, eine Arbeitsleistung zu erbringen, konnte sie hiervon nicht freigestellt werden. Sie war bereits von der Arbeitspflicht befreit.

Selbst wenn die Beklagte die Kündigung, wie von der Klägerin für möglich gehalten, zurückgenommen hätte, wäre die Klägerin allein deshalb nicht verpflichtet gewesen, die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Kündigende kann eine Kündigung nicht einseitig zurücknehmen. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bedarf der Zustimmung der anderen Vertragspartei. Da das Einverständnis der Klägerin erforderlich gewesen wäre, hätte sie ihre Interessen ohne weiteres wahren können. Unabhängig davon gab es jedoch überhaupt keine Anzeichen für eine zu erwartende Rücknahme der Kündigung. Bloße Spekulationen genügen nicht, um eine drohende Vereitelung der Verwirklichung von Rechten durch Zeitablauf annehmen zu können. Eine Rücknahme der Kündigung, die - mit Zustimmung der Klägerin - überhaupt erst die Voraussetzung für das in Anspruch genommene Recht auf Urlaubsgewährung geschaffen hätte, stand nicht im Raum. Eine Veränderung des bestehenden Zustandes war nicht zu erwarten.

Hinsichtlich der Zahlung oder der Zahlungszusage von Urlaubsvergütung fehlt es zudem an einer Eilbedürftigkeit. Es besteht nicht die Gefahr, dass evtl. Zahlungsansprüche der Klägerin durch Zeitablauf vereitelt werden oder nicht mehr durchsetzbar sind.

II. Hilfsantrag

Der hilfsweise gestellte Antrag festzustellen, dass für den Zeitraum vom 01.08. bis zum 09.08.2019 keine Arbeitspflicht der Klägerin gegenüber der Beklagten besteht, ist unzulässig. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse liegt nicht vor.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Im Fall einer negativen Feststellungsklage besteht regelmäßig nur dann ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Entscheidung, wenn sich die Gegenpartei eines Anspruchs gegenüber der klagenden Partei berühmt (BAG, Urteil vom 19. Juni 1984 - 1 AZR 361/82 - Rn. 28, juris = NJW 1985, 220; BGH, Urteil vom 09. Mai 2019 - VII ZR 154/18 - Rn. 30, juris).

Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt behauptet oder geltend gemacht, dass die Klägerin ihr gegenüber im Zeitraum 01.08. bis 09.08.2019 zur Arbeitsleistung verpflichtet sei. Mit dem Ablauf der Kündigungsfrist endete die Arbeitspflicht der Klägerin. Das hat die Beklagte zu keiner Zeit in Zweifel gezogen. Die Klägerin hat es lediglich für möglich gehalten, dass die Beklagte durch eine Rücknahme der Kündigung erneut eine Arbeitspflicht hätte begründen können. Hierfür gab es jedoch weder Anzeichen noch hätte die Beklagte dieses Ergebnis einseitig, also ohne Einverständnis der Klägerin, herbeiführen können.

C.

Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG, § 99 Abs. 1 ZPO kein Rechtsmittel gegeben (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 9. Aufl. 2017, § 78, Rn. 48; vgl. BGH, Beschluss vom 08. Mai 2003 - I ZB 40/02 - Rn. 15, juris = NJW-RR 2003, 1075). Das Alleinentscheidungsrecht des Vorsitzenden ergibt sich aus § 64 Abs. 7, § 55 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG, da die Parteien den Rechtsstreit außerhalb der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt haben (LAG Hamm, Beschluss vom 15. Dezember 2005 - 4 Sa 1613/04 - Rn. 22, juris).



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