Landesarbeitsgericht Niedersachsen
- Az: 8 Sa 859/22
Keine Zweifel an Arbeitsunfähigkeitsbeschäftigung trotz Kündigung
2. Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang.
3. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht.
(Leitsätze des Gerichts)
Im vorliegenden Streitfall war der Kläger bei der Beklagten, einer Zeitarbeitsfirma, als Helfer beschäftigt. Der Kläger legte der Beklagten am 02.05.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum ab dem 02.05.2022 bis zum 06.05.2022 vor. Mit Schreiben vom 02.05.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.05.2022. Daraufhin legte der Kläger zwei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die ihn bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses als arbeitsunfähig attestierten. Die Beklagte hatte jedoch Zweifel an das Vorliegen einer Erkrankung. Insbesondere stehe nach ihrer Ansicht der Verdachte nahe, dass eine Koinzidenz zwischen der Kündigung und der ab dem 02.05. bis zum 31.5.2022 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorliege, weshalb sie die Lohnfortzahlung verweigerte – zu Unrecht, entschied das LAG. Eine arbeitgeberseitige Kündigung könne – soweit sich der Arbeitnehmer unmittelbar nach deren Erhalt als arbeitsunfähig meldet – grundsätzlich geeignet sein, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.
Im konkreten Fall bestehe gerade kein kausaler Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Arbeitsunfähigkeit, da der Kläger vor Kündigungszugang als arbeitsunfähig attestiert wurde. Dementsprechend könne der Kläger nicht erst durch den Erhalt einer arbeitgeberseitigen Kündigung dazu motiviert worden sein, einen Arzt aufzusuchen, um die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erreichen.
Das LAG hat die Revision zugelassen.
(Redaktionelle Zusammenfassung)
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 26.10.2022 - 2 Ca 190/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im beendeten Arbeitsverhältnis über Entgeltfortzahlungsansprüche.
Der am 00.00.1997 geborene Kläger war bei der Beklagten, einer Zeitarbeitsfirma, seit dem 16.03.2021 als Helfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem Stundenlohn von 10,88 Euro beschäftigt. Arbeitsvertraglich war sein Entgelt spätestens bis zum 15. Bankarbeitstag des Folgemonats fällig.
Die Beklagte setzte den Kläger seit dem 21.04.2022 nicht mehr ein.
Der Kläger legte der Beklagten am 02.05.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines behandelnden Arztes vom 02.05.2022 für den Zeitraum ab dem 02.05.2022 bis 06.05.2022 vor (Bl. 9 d.A.). (Jedenfalls) die zur Gerichtsakte gelangte Bescheinigung weist eine Diagnose nach Diagnoseschlüssel aus, dies ist der ICD-10-Code J 06.9.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05.2022, dem Kläger zugegangen am 03.05.2022, ordentlich zum 31.05.2022 (Bl. 5 d.A.).
Durch Folgebescheinigung vom 06.05.2022 (ICD-10-Code ebenfalls J 06.9) wurde eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 20.05.2022 festgestellt, durch weitere Folgebescheinigung vom 20.05.2022 eine bis zum 31.05.2022 fortbestehende Arbeitsunfähigkeit (ICD-10-Code weiterhin J 06.9 und zusätzlich erstmalig R 45.7) (Bl. 9 und 10 d.A.).
Mit Schreiben vom 23.05.2022 (Bl. 4 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe sich am 2.5.2022 krank gemeldet, "gleichzeitig" habe sie ihm die Kündigung zum 31.05.2022 ausgesprochen. Daraufhin habe er Folgebescheinigungen eingereicht, die die Zeit bis zum 31.05.2022 umfassten. Damit bestehe eine Koinzidenz zwischen der Kündigung und der ab dem 2.5. bis zum 31.5.2022 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, die ernsthafte Zweifel begründe.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht seine Auffassung vorgetragen, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht erschüttert. Er habe sich zunächst krankgemeldet, erst daraufhin habe die Beklagte ihm die Kündigung ausgesprochen. Die vom Bundesarbeitsgericht für die Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angeführte zeitliche Koinzidenz setze - wolle man sie auch auf Arbeitgeberkündigungen anwenden - voraus, dass zunächst der Zugang einer Kündigung geschehe und erst im Anschluss hieran eine Krankmeldung bzw. die Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolge.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1675,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.06.2022 zu zahlen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich ihre Auffassung vorgetragen, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei dadurch erschüttert, dass der Zeitraum der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit taggenau der Kündigungsfrist entspreche.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens erster Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der erstinstanzlichen Kammerverhandlung vom 26.10.2022 (vgl. Bl. 43/43 R d.A.) ergänzend Bezug genommen.
Mit Urteil vom 26.10.2022 (Bl. 47 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei vorliegend nicht erschüttert. Da nicht der Kläger selbst, sondern die Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, könne sich die Beklagte auf die Grundsätze der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8.9.201 - 5 AZR 149/21 nicht berufen. Allein die Koinzidenz des Endes der Arbeitsunfähigkeit mit dem Ablauf der von der Beklagten einen Tag nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochenen Kündigung sei nicht geeignet, den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten ausweislich der Zustellungsurkunde Bl. 51 d.A. am 3.11.2022 zugestellt worden. Hiergegen hat die Beklagte mit einem am gleichen Tage eingegangenen Schriftsatz vom 2.12.2022 (Bl. 54 ff. d.A.) fristgerecht Berufung eingelegt und diese mit einem bei dem erkennenden Gericht am 3.1.2023 eingegangenen Schriftsatz auch fristgerecht begründet.
Die Beklagte macht geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, weil die gesamte verbleibende Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses passgenau mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgedeckt worden sei. Auch habe der Kläger ab dem 1.6.2022 nahtlos in einem anderen Beschäftigungsverhältnis gestanden, in dem er eine Arbeitsunfähigkeit natürlich nicht habe gebrauchen können.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 26.10.2022 - 2 Ca 190/22 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der entscheidende Unterschied zu dem Sachverhalt, hinsichtlich dessen das Bundesarbeitsgericht Feststellungen getroffen habe, sei, dass der Kläger es gewesen sei, der am 2.5.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten vorgelegt habe, woraufhin die Beklagte nur einen Tag später das Arbeitsverhältnis gekündigt habe. Bei der durchgängig bescheinigten Diagnose habe es sich um eine Infektion der oberen Atemwege gehandelt, ab dem 20.5.2022 sei als weitere Diagnose "emotionaler Schock oder Stress" hinzugetreten.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen vor dem erkennenden Gericht gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 8.3.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht.
I.
Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1 i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519 Abs. 1, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
1.
Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
a)
Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG 11. Dezember 2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 16, BAGE 169, 117).
aa)
Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (so die st. Rspr., vgl. BAG 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 17, BAGE 157, 102; 15. Juli 1992 - 5 AZR 312/91 - zu II 1 der Gründe, BAGE 71, 9).
bb)
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (st. Rspr. BAG 11. August 1976 - 5 AZR 422/75 - zu 2 c der Gründe, BAGE 28, 144; 11. Oktober 2006 - 5 AZR 755/05 - Rn. 35; BGH 16. Oktober 2001 - VI ZR 408/00 - zu II der Gründe, BGHZ 149, 63). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt jedoch ein "bloßes Bestreiten" der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Der Arbeitgeber ist dabei nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Hierfür gibt es weder nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Regelung, der in der Bekämpfung eines Missbrauchs der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt (vgl. BT-Drs. 12/5263 S. 10), hinreichende Anhaltspunkte. Diese Bestimmung gibt ihm lediglich ein zusätzliches Instrument zur Erschütterung des Beweiswerts an die Hand, um einem missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers begegnen zu können. Den Beweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. BAG 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 - Rn. 18, BAGE 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.
cc)
Bei der näheren Bestimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten hat das Bundesarbeitsgericht bereits erkannt, dass dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung iSd. § 3Abs. 1 Satz 2 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen sind (vgl. BAG 13. Juli 2005 - 5 AZR 389/04 - zu I 6 der Gründe, BAGE 115, 206; im Anschluss hieran BAG 10. September 2014 - 10 AZR 651/12 - Rn. 27, BAGE 149, 101). Ebenso hat es entschieden, dass in Bezug auf die vom Arbeitgeber im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. BAG 11. Dezember 2019 - 5 AZR 505/18 - Rn. 20, BAGE 169, 117). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitsgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine - unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten - überhöhten Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind.
b)
Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag zB dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden (vgl. BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - Rn. 30; 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - BAGE 74, 127). Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet. Ob dies konkludent, zB durch die Benennung als Zeuge, geschehen kann, erscheint mit Blick auf die höchstpersönliche Natur des Schutzinteresses des Arztgeheimnisses nicht frei von Zweifeln (vgl. MüKoZPO/Damrau/Weinland 6. Aufl. § 385 Rn. 13; aA BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 75/13 - Rn. 40, BAGE 148, 129; Musielak/Voit/Huber ZPO 18. Aufl. § 385 Rn. 8).
Mit Urteil vom 8. September 2021 - 5 AZR 149/21 - hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts erkannt, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird, dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (zeitliche Koinzidenz).
2.
Dem vom Bundesarbeitsgericht zuletzt entschiedenen Fall lagen drei wesentliche Umstände zugrunde, die in ihrer Gesamtheit zur Erschütterung des Beweiswertes führten: 1.) es handelte sich um eine einzige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, 2.) diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung deckte passgenau die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses - also im dortigen Fall die gesamte Kündigungsfrist - ab, 3.) die dortige Klägerin hatte eine Eigenkündigung ausgesprochen, sich zeitgleich mit der Einreichung ihrer Kündigung arbeitsunfähig gemeldet und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht.
a)
Die Vorlage einer einzigen, im vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall sich über einen Zeitraum von 15 Tagen erstreckenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist auch aus Sicht der Kammer in besonderer Weise zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geeignet. Liegen die übrigen oben genannten Voraussetzungen vor, so hindert aus Sicht der Kammer - gerade bei einer zwei Wochen übersteigenden Kündigungsfrist, wie dies hier der Fall ist - auch die Vorlage mehrerer Bescheinigungen nicht die Annahme, deren Beweiswert sei erschüttert.
b)
Die ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen deckten vorliegend die gesamte Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bescheinigte eine Krankheit des Klägers bis zum 31.05.2022, das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der arbeitgeberseitigen Kündigung an diesem Tag.
c)
Vorliegend hat der Kläger keine Eigenkündigung ausgesprochen, vielmehr hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit ihm gekündigt. Eine arbeitgeberseitige Kündigung kann nach Auffassung der Kammer, wenn der Arbeitnehmer sich "postwendend" nach deren Erhalt arbeitsunfähig meldet, grundsätzlich ebenfalls geeignet sein, eines der Elemente zu bilden, die in der Gesamtschau den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern vermögen.
Derart lag es im vorliegenden Fall aber gerade nicht. Der zeitliche Ablauf der Geschehnisse war genau umgekehrt: Es war der Kläger, der am 2.5.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten einreichte, die an ebendiesem Tag ausgestellt war und diesen Tag als ersten Tag der Krankheit benannte. Die Kündigung der Beklagten datiert zwar auch vom 2.5.2022, ging dem Kläger jedoch erst am 3.5.2022 zu. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte das Kündigungsschreiben bereits aufgesetzt hatte bzw. bereits zur Kündigung entschlossen war, als sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt, denn darauf kommt es vorliegend nicht an. Entscheidend ist, dass der Kläger nicht erst durch den Erhalt einer arbeitgeberseitigen Kündigung dazu motiviert worden sein kann, einen Arzt aufzusuchen, um die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erreichen.
Das aus Sicht der Kammer wichtigste Merkmal zur Erschütterung des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Fällen des vorliegenden Typs, die zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit einer Eigenkündigung bzw. - wie hier - ggf. auch einer Arbeitgeberkündigung, ist somit hier nicht gegeben. Die übrigen Umstände reichen nach Auffassung der Kammer zur Erschütterung des Beweiswertes nicht aus. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer vor dem Ende eines gekündigten Arbeitsverhältnisses und bis zu dessen letztem Tag - und sei es auch für mehrere Wochen - erkrankt, erschüttert den Beweiswert aus Sicht der Kammer nicht. Das gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem der Kläger bereits vor Erhalt der Kündigung erkrankte, aufgrund der Erstdiagnose durchgängig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig war und es sich zudem nach dem - vom Kläger freiwillig offengelegten - ICD-10-Code mit einer Infektion der oberen Atemwege um eine Erkrankung handelt, die ärztlicherseits in aller Regel gut und zweifelsfrei feststellbar ist. Dass im letzten Zeitabschnitt mit "emotionalem Schock oder Stress" noch eine zweite Erkrankung hinzutrat, bei deren Feststellung der Arzt weitgehend auf Angaben des Patienten angewiesen ist, erschüttert den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht. Auch der Umstand, dass der Kläger just einen Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig war und zu arbeiten begonnen hat, reicht aus Sicht der Kammer für eine Erschütterung des Beweiswertes (noch) nicht aus.
Da die Beklagte den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht zu erschüttern vermochte und die übrigen Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 3 Abs. 1 EFZG vorliegen, besteht der klageweise geltend gemachte Anspruch. Die hiergegen gerichtete Berufung konnte keinen Erfolg haben.
III.
Die Beklagte und Berufungsklägerin trägt die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels (§ 97 ZPO).
Die Revision war zuzulassen. Unter welchen Umständen der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wird, ist durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 - 5 AZR 149/21 - aus Sicht der Kammer nicht hinlänglich geklärt. Die oben aufgeworfenen Rechtsfragen sind entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und aus Sicht der Kammer auch abstrakt klärungsfähig.