Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 16 Sa 278/15

Klage gegen Änderungskündigung im Kleinbetrieb

1. Der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gebietet, dass einem Arbeitnehmer gegen eine Änderungskündigung außerhalb des betrieblichen Anwendungsbereichs des KSchG die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme zur Verfügung stehen muss.

2. Es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze über den Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes.

3. Trägt der Arbeitnehmer einen Sachverhalt vor, der die Treuwidrigkeit der Änderungskündigung indiziert, obliegt es dem Arbeitgeber diesen Vortrag zu entkräften und einen irgendwie einleuchtenden Grund für die ausgesprochene Maßnahme zu benennen.
(Leitsätze des Gerichts)

Hier: Erfolgreiche Änderungsschutzklage einer Zahnarzthelferin gegen eine Änderungskündigung. Die Änderungskündigung wurde ausgesprochen kurz nach dem Bekanntwerden, dass die Klägerin nicht mehr nur ausschließlich sitzende Tätigkeiten verrichten kann.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. Februar 2015 -4 Ca 1674/14 -abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 26.9.2014 rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung in einem Kleinbetrieb.

Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Zahnarztpraxis. Sie beschäftigt regelmäßig weniger als 10 Arbeitnehmer.

Die am xx.xx.1958 geborene Klägerin ist seit 1. August 1975 in der Zahnarztpraxis der Beklagten, bzw. deren Rechtsvorgänger, in Vollzeit (39 Stunden wöchentlich) zu einer Bruttomonatsvergütung von 2420 € als ausgebildete Zahnarzthelferin beschäftigt. Die übrigen 8 Mitarbeiterinnen der Praxis sind zwischen 18 und ca. 37 Jahre alt und weisen eine Betriebszugehörigkeit längstens seit 2007 auf. Die Klägerin ist an einem Leiden erkrankt, aufgrund dessen sie nicht längere Zeit ausschließlich im Sitzen arbeiten kann; insoweit wird auf die von ihr vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 29. August 2013 (Bl. 29 d.A.) Bezug genommen. Nachdem die Klägerin zunächst zumindest auch am Empfang eingesetzt wurde, wurde sie zuletzt nicht mehr dort, sondern überwiegend zur Assistenz bei Behandlungen eingeteilt.

Mit Schreiben vom 26. September 2014, der Klägerin am selben Tag persönlich übergeben, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. April 2015 und bot ihr eine Fortsetzung mit einer auf 29 Stunden reduzierten Arbeitszeit zu einer Bruttomonatsvergütung von 1799,49 € bei ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen an; diesbezüglich wird auf Bl. 4 der Akten verwiesen. Mit Anwaltsschreiben vom 15. Oktober 2014 (Bl. 5 d.A.) nahm die Klägerin dieses Änderungsangebot unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist, an.

Mit ihrer am 16. Oktober 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Diskriminierungsverbot verstößt und sittenwidrig ist.

Hierzu hat sie vorgetragen, dass sie wegen ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes benachteiligt werde.

Demgegenüber hat die Beklagte eingewendet, der Klägerin seien in der Vergangenheit vermehrt Fehler unterlaufen, wodurch der Eindruck entstanden sei, sie sei überlastet. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit habe sie entlastet werden sollen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 44-46 der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar sei § 2 KSchG außerhalb des betrieblichen Geltungsbereichs des § 23 Abs. 1 KSchG entsprechend anwendbar, um Arbeitnehmern in Kleinbetrieben einen Mindestschutz vor vollkommen unberechtigten Änderungskündigungen zu gewährleisten. Außerhalb des betrieblichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes sei auch eine Änderungskündigung jedoch nur auf Verstöße gegen Treu und Glauben oder Sittenwidrigkeit bzw. auf einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zu überprüfen. Die Darlegungslast liege zunächst bei der Arbeitnehmerin. Umstände, die geeignet wären, die Treu- oder Sittenwidrigkeit des Änderungsangebots zu begründen, habe die Klägerin nicht im Einzelnen dargelegt. Zwar möge es sein, dass die Klägerin die älteste Arbeitnehmerin im Betrieb sei. Dass die Klägerin nicht mehr am Empfang eingesetzt werde, könne vielfältige Ursachen haben. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Altersdiskriminierung habe die Klägerin nicht dargelegt, sondern diesbezüglich lediglich Vermutungen geäußert. Soweit die Klägerin sich auf Mobbing berufe, hielten sich die von ihr geschilderten Vorfälle noch im Rahmen dessen, was als reguläre Konfliktsituation am Arbeitsplatz angesehen werden könne.

Dieses Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 16. Februar 2015 zugestellt. Die Klägerin hat dagegen am 4. März 2015 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 16. Mai 2015 am 12. Mai 2015 begründet.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Änderungskündigung sei bereits aus formalen Gründen unwirksam, weil sie nicht hinreichend bestimmt sei. Es sei unklar, ob die bisherigen festen Arbeitstage der Klägerin beibehalten würden. Ebenso sei unklar, ob mit "gleich bleibenden Bedingungen" ein ausschließlicher Einsatz in der Assistenz gemeint sei, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung ausschließlich in der Assistenz und nicht mehr am Empfang eingesetzt wurde. Ferner sei unklar, wie viele Urlaubstage ihr bei der verringerten Arbeitszeit zustünden. Die Änderung der Arbeitsbedingungen sei unwirksam. Ein irgendwie einleuchtender Grund für die Maßnahme liege nicht vor. Die Beklagte benenne zwar einige kleine Fehler, ohne diese jedoch zeitlich einzuordnen.

Als einzige Mitarbeiterin werde die Klägerin seit Juli 2014 nicht mehr am Empfang eingesetzt. Die von der Beklagten genannten Gründe für die Versetzung vom Empfang in die Assistenz dienten allein der Rechtfertigung dieser Maßnahme und hätten mit der Änderungskündigung nichts zu tun. Bei einer Tätigkeit am Empfang könne sie ihren Leiden besser Rechnung tragen, da sie jederzeit aufstehen könne. Dies sei im Bereich der Assistenz -insbesondere bei längeren Behandlungen- nicht möglich. Die Beklagte habe nicht dargelegt, weshalb die Reduzierung der Arbeitszeit erfolgt sei. Es treffe nicht zu, dass die Verringerung der Arbeitszeit die Zeit des Sitzens für die Klägerin reduziere. Vielmehr verstärke gerade das Sitzen in der Assistenz die Beschwerden der Klägerin. Jedenfalls erkläre die Versetzung in die Assistenz keineswegs die durch die Änderungskündigung herbeigeführte Verkürzung der Arbeitszeit. Das Arbeitsgericht habe die abgestufte Darlegungs- und Beweislast verkannt. Die Klägerin habe ausreichend Tatsachen vorgetragen, die einen Verstoß gegen das Benachteiligungsund Diskriminierungsverbot möglich erscheinen ließen. Unbestritten habe die Klägerin als älteste und am längsten beschäftigte Mitarbeiterin als einzige kein Weihnachtsgeld erhalten. Ferner wurde ihr als einzige die Arbeit am Empfang entzogen und eine Änderungskündigung ausgesprochen. Einen einleuchtenden Grund für die Änderungskündigung habe die Beklagte nicht vorgetragen. Ferner sei § 612a BGB zu berücksichtigen. Die Änderungskündigung sei einen Tag, nachdem sie den Arzt Dr. A um ein Gespräch darüber, warum sie nicht mehr am Empfang arbeiten dürfe, am 26. September 2014 erklärt worden. Dieser zeitliche Zusammenhang sei evident. Ferner habe das Arbeitsgericht die Anwendbarkeit des AGG übersehen. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes sei dieses nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf Kündigungen anwendbar. Hier liege eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters der Klägerin vor. Es sei eine vergleichbare Situation sämtlicher Mitarbeiterinnen gegeben, da alle über eine Ausbildung als Zahnarzthelferin verfügen. Die Klägerin sei die älteste und weise die längste Betriebszugehörigkeit aus. Sie werde gegenüber den übrigen Mitarbeiterinnen weniger günstig behandelt. Das Arbeitsgericht habe § 22 AGG verkannt. Die Klägerin habe ausreichend Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten ließen. Die Beklagte hätte ihren Eindruck, die Klägerin sei überlastet, erläutern müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 5. Februar 2014 -4 Ca 1674/14-abzuändern und

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 26. September 2014 rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Das Änderungsangebot sei hinreichend bestimmt. Lage und Verteilung der Arbeitszeit würden ebenso wie die Tätigkeit (Empfang oder Assistenz) im Rahmen des Direktionsrechts festgelegt. Nicht alle Mitarbeiterinnen übten eine identische Tätigkeit aus. So werde beispielsweise die Mitarbeiterin B ausschließlich in der Assistenz eingeteilt, die Mitarbeiterin C hauptsächlich in der Prophylaxe und nur zu einem geringfügigen Teil von 4 h wöchentlich im Mahnwesen eingesetzt. Die Mitarbeiterin D sei hauptsächlich in der Assistenz und zu einem Viertel ihrer Arbeitszeit am Empfang tätig. Die Mitarbeiterin E sei ausschließlich in der Prophylaxe tätig. Die Klägerin sei deshalb vom Empfang in den Bereich der Stuhlassistenz und Prophylaxe versetzt worden, weil man mit ihren Leistungen nicht mehr zufrieden gewesen sei. Die Klägerin selbst habe ihre fehlerhaften Arbeitsleistungen mit einer Überforderungssituation in ihrem familiären Umfeld erklärt. Die Änderungskündigung sei als milderes Mittel gegenüber einer Beendigungskündigung erklärt worden. Es sei unzutreffend, dass die Klägerin als einzige Mitarbeiterin überhaupt nicht am Empfang eingesetzt werde. Auch die Mitarbeiterinnen A und E würden nicht am Empfang eingesetzt. Da die Mitarbeiterin F im Februar 2014 schwanger geworden sei und aus Gründen des Arbeitsschutzes nicht mehr in der Assistenz eingesetzt werden durfte, habe Bedarf bestanden, die Klägerin regelmäßig im Bereich der Assistenz und der Prophylaxe einzusetzen. Der Einsatz der Klägerin dort sei unproblematisch, da grundsätzlich zwischen einer sitzenden Tätigkeit am Empfang und einer sitzenden Tätigkeit in der Assistenz kein Unterschied bestehe. Im Übrigen könne die Assistenz sowohl stehend als auch sitzend ausgeführt werden. Die Aufbereitung der Instrumente und die Vorbereitung der Behandlungszimmer fänden ausschließlich im Stehen statt. Dagegen werde am Empfang die Tätigkeit hauptsächlich sitzend ausgeübt. Aufgrund der von der Klägerin gemachten Fehler habe jedoch keine Bereitschaft mehr bestanden, sie am Empfang einzusetzen. Da auch in der Assistenz ein fehlerfreies Arbeiten nicht verzeichnet werden konnte, sei die Änderungskündigung erfolgt. Wegen ihrer schlechten Leistungen habe die Klägerin kein Weihnachtsgeld erhalten. Die Tatsache, dass sie um ein Gespräch gebeten habe, sei für die Entscheidung der Beklagten, eine Änderungskündigung auszusprechen, nicht ausschlaggebend gewesen. Die Klägerin trage selbst vor, es sei bei der Übergabe des Kündigungsschreibens erklärt worden, sie sei überlastet. Vor dem Hintergrund der gezeigten Schlechtleistungen hätten die Beklagten vermutet, dass die Klägerin aufgrund einer bekannten familiären Belastungssituation nicht mehr in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erbringen. Es bleibe dabei, dass die Klägerin keine nachvollziehbaren Tatsachen für eine Diskriminierung wegen des Alters oder einer bestehenden Erkrankung vorgetragen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist begründet. Die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung vom 26. September 2014 ist unwirksam.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass außerhalb des betrieblichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (§ 23 Abs. 1 KSchG) dem von einer Änderungskündigung im Kleinbetrieb betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Maßnahme zur Verfügung stehen muss (A/P/S-Künzl, Kündigungsrecht, 4. Auflage, § 2 Rn. 353). Dies gebietet der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes.

Daraus folgt jedoch nicht, dass der Prüfungsmaßstab des § 2 KSchG, der die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG) voraussetzt, anzuwenden ist. Vielmehr gelten die allgemeinen Grundsätze über den Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes.

Eine Kündigung verstößt deshalb in der Regel nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, z.B. vor Diskriminierungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz. Schließlich darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt. Die gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der Betriebszugehörigkeit "einleuchten" muss (Bundesarbeitsgericht 28. August 2003-2 AZR 333/02-Rn. 16-18).

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt beim Arbeitnehmer. Allerdings gilt der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht. Deshalb gelten insoweit die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht oder nicht nur einen Auswahlfehler des Arbeitgebers geltend macht, sondern die Kündigung nur oder auch aus anderen Gründen für treuwidrig hält. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer, der die Gründe, die zu seiner Kündigung geführt haben, oft nicht kennt, nur einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn aus dem Vorbringen des Klägers auf den ersten Blick ein schwerer Auswahlfehler erkennbar ist. Die Treuwidrigkeit kann sich aber auch aus anderen Gesichtspunkten ergeben.

Der Arbeitgeber muss sich nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf den Vortrag des Arbeitnehmers einlassen, um ihn zu entkräften. Kommt er dieser sekundären Behauptungslast nicht nach, gilt der schlüssige Vortrag des Arbeitnehmers gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Trägt der Arbeitgeber hingegen die betrieblichen, persönlichen oder sonstigen Gründe vor, den Vorwurf der Treuwidrigkeit ausschließen, so hat der Arbeitnehmer die Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit der Kündigung dennoch ergeben soll, zu beweisen (Bundesarbeitsgericht 28. August 2003-2 AZR 333/02-Rn. 21).

Die Klägerin hat einen Sachverhalt vorgetragen, der die Treuwidrigkeit der Änderungskündigung nach § 242 BGB indiziert. Sie hat sich darauf berufen, dass sie als die bei weitem älteste und am längsten dem Betrieb zugehörige Zahnarzthelferin als einzige von einer derartigen Maßnahme (Änderungskündigung zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit) betroffen ist. Damit oblag es der Beklagten als Arbeitgeber, den Vortrag der Klägerin zu entkräften. Abzustellen ist insoweit auf das Vorbringen, das die Beklagte in Bezug auf die hier streitgegenständliche Maßnahme, die Änderungskündigung, gehalten hat. Hieraus folgt, dass die seitens der Beklagten für die bereits vor der Änderungskündigung erklärte Versetzung der Klägerin vom Empfang in die Assistenz angeführten Gründe (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 2.2.2015, Seite 2 unten/3 oben, Blatt 36, 37 der Akten) nicht maßgeblich sind. Als Grund für die Änderungskündigung nennt die Beklagte, dass auch hinsichtlich der geänderten Tätigkeit ein fehlerfreies Arbeiten seitens der Klägerin nicht verzeichnet werden konnte (Seite 6 der Berufungserwiderung, Bl. 131 d.A.). Ferner habe die Beklagte vor dem Hintergrund der gezeigten Schlechtleistungen der Klägerin vermutet, dass sie auch aufgrund einer bekannten familiären Belastungssituation nicht mehr in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erbringen (Seite 8 der Berufungserwiderung, Bl. 133 d.A.). Welche Fehler der Klägerin nach der erfolgten Versetzung in die Assistenz wann unterlaufen sein sollen legt die Beklagte nicht im Einzelnen dar, so dass deren Gewicht und die hieraus folgende Belastung des Arbeitsverhältnisses nicht bewertet werden können. Insbesondere im Hinblick auf die langjährige Dauer des Arbeitsverhältnisses wäre ein entsprechender Vortrag erforderlich gewesen (vgl. Bundesarbeitsgericht 28. August 2003-2 AZR 333/02-Rn. 18). Soweit die Beklagte mit dem Ausspruch der Änderungskündigung der familiären Belastungssituation der Klägerin Rechnung tragen wollte, rechtfertigt auch dies die Änderungskündigung nicht. Zunächst handelt es sich hierbei um dem Privat- und Familienleben der Klägerin zuzurechnende Umstände, die für sich genommen in keinem Bezug zum Arbeitsverhältnis stehen und vom Arbeitgeber nicht zum Anlass für arbeitsrechtliche Maßnahmen genommen werden dürfen. So schützt etwa Art. 7 der Europäischen Grundrechtecharta die Achtung des Privat- und Familienlebens in besonderer Weise. Allenfalls, wenn die vom Arbeitgeber angenommene Überlastung der Arbeitnehmerin aufgrund ihrer familiären Situation konkret feststellbare betriebliche Auswirkungen (etwa Leistungsmängel, Verspätungen, Fehlzeiten) hat, kann der Arbeitgeber hierauf mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen reagieren. Solche hat die Beklagte jedoch nicht im Einzelnen vorgetragen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach dem Vorbringen der Beklagten nicht erkennbar ist, aus welchem Grund eine Reduzierung der Arbeitszeit in dem hier vorgenommenen Umfang von 10 Stunden erfolgen musste. Auch deshalb kann die Maßnahme nicht nachvollzogen werden. Ein irgendwie einleuchtender Grund für den Ausspruch der Änderungskündigung ist daher nicht erkennbar.

III.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.



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