Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Urteil vom - Az: 12 Sa 297/22

Kurzarbeitergeld: Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers bei unrichtiger KUG-Beantragung

1. Den Arbeitgeber trifft aus dem Arbeitsverhältnis die Nebenpflicht, im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld die Interessen der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wahren.

2. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann den Arbeitgeber zu Schadensersatz aus § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB verpflichten.

3. Das in die Berechnung des Kurzarbeitergeldes eingehende Soll-Entgelt ist in Anwendung von § 106 Absatz 1 Satz 3 SGB III auf der regelmäßigen oder gewöhnlichen Arbeitszeit unter Ausschluss von Mehrarbeit zu errechnen.

4. Ist vertraglich durch anwendbaren Tarifvertrag oder Individualarbeitsvertrag keine regelmäßige Arbeitszeit vereinbart und ergibt sich auch aus der Praxis des Arbeitsverhältnisses keine regelmäßig geleistete Arbeitszeit, so kann im Sinne des § 106 Abs. 1 SGB III eine regelmäßige oder gewöhnliche Arbeitszeit nicht festgestellt werden.

5. Vereinbaren die Parteien eine Teilzeitbeschäftigung mit einer Mindeststundenanzahl, ohne dass aus den weiteren Umständen etwa der Vertragspraxis auf einen regelmäßigen Umfang der gewöhnlichen Arbeitszeit geschlossen werden kann, so ist das Soll-Entgelt in Anwendung von § 106 Abs. 4 SGB III aus dem Durchschnitt der letzten drei Kalendermonate vor Beginn des Arbeitsausfalls zu errechnen.
(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02. Februar 2022 - 29 Ca 7423/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen Verschuldens des Arbeitgebers bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld und Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld.

Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin beschäftigten den Kläger seit November 1999 als Einlasskraft, Kassierer und Verkäufer in einem Kino.

In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 05.11.1999 vereinbarte die Rechtvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger die Einstellung als Teilzeitkraft und außerdem: „Der Arbeitseinsatz richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen.“

In 2003 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über.

Am 11.10.2014 schlossen die Parteien die „Zusatzvereinbarung Nr. 3 zum Arbeitsvertrag.“ Dort heißt es:

„Auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 05.11.1989 und der Zusatzvereinbarung Nr. 2 vom 15.12.2011 ist der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber als Einlasskraft, Kassierer, Verkäufer in Teilzeit beschäftigt. Die Parteien vereinbaren hiermit, dass mit Wirkung vom 01.11.2014 die vereinbarte Stundenzahl mindestens 100 Stunden je Monat beträgt.“

Der Manteltarifvertrag vom 27.01.2017 zwischen der Gewerkschaft ver.di und einer Reihe von Kinounternehmen, darunter die Beklagte, (MTV) bestimmt in „§ 5 Zuschlagspflichtige Arbeitszeit“:

„... 4. Mehrarbeit

Mehrarbeit ist ausschließlich die über die monatliche Sollarbeitszeit von 173 Stunden hinaus geleistete Arbeit; dies gilt auch für Teilzeitkräfte. Mehrarbeit wird mit der anteiligen monatlichen Grundvergütung und einem Zuschlag von 25 % bezahlt, oder nach Wahl der ArbeitnehmerInnen in Freizeit ausgeglichen. Für Teilzeitbeschäftigte, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.07.2001 begründet wurde, gilt die über die einzelvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit als Mehrarbeit.“

In 2017 arbeitete der Kläger monatlich zwischen 100 und 190 Stunden, im Monatsdurchschnitt 124,42 Stunden. Seit Beginn 2018 arbeitete der Kläger - unstreitig - von Mai bis September 2018, im November und Dezember 2018 sowie im März und August 2019 mehr als 100 Stunden monatlich, nämlich bis zu 161 Stunden.

Im Dezember 2019 arbeitete der Kläger für die Beklagte 153,52 Stunden, im Januar 2020 129,36 Stunden und im Februar 2020 160,68 Stunden. Hierfür erhielt er ausweislich der erteilten Abrechnungen je Arbeitsstunde einen Stundenlohn von 10,36 zuzüglich Provisionen in wechselnder Höhe, außerdem verschiedene weitere Zuschläge, darunter einen Überstundenzuschlag für die 100 übersteigenden Arbeitsstunden in Höhe von 25 % je Stunde.

Die Beklagte schloss mit dem für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers gebildeten Betriebsrat am 25.03.2020 eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit beginnend am 19. März 2020 und andauernd bis zum 30.06.2020. Unter § 5 heißt es dort:

„Mitarbeiter, die Kurzarbeitergeld beziehen, erhalten von der Gesellschaft einen Zuschuss zum Kurarbeitergeld (Aufstockung), der brutto zu gewähren ist. Das Kurzarbeitergeld wird von der Gesellschaft im jeweiligen Abrechnungszeitraum für Mitarbeiter, die den allgemeinen Leistungssatz gemäß § 105 Nr. 2 SGB III (60) erhalten, um 25 Prozentpunkte auf 85 % der Nettoentgeltdifferenz im Sinne des § 106 SGB III aufgestockt. Für Mitarbeiter, die Kurzarbeitergeld beziehen und die Voraussetzungen für den erhöhten Leitungssatz gemäß § 105 Nr. 1 SGB III (67 %) erfüllen, erfolgt eine Aufstockung um 23 Prozentpunkte auf 90 % der Nettoentgeltdifferenz im Sinne des § 106 SGB III.

Der Kläger war seit dem 19.03.2020 in Kurzarbeit Null.

Die Betriebsparteien verlängerten die Kurzarbeit und die Regelung zur Zahlung der Aufstockung. Mit der Betriebsvereinbarung zur Anpassung der Kurzarbeit vom 30.11.2020 setzten sie die Aufstockungsgrenzen auf 80 bzw. 87 % herab.

Ab November 2020 erhöhte sich der Stundenlohn des Klägers auf 10,48 Euro brutto.

Mit Klage und Klageerweiterungen hat der Kläger für die Monate März 2020 bis Juni 2021, jeweils nach erfolgloser vorgerichtlicher Geltendmachung, Nettozahlungen eingeklagt. Diese hat er zuletzt in Höhe Differenz zwischen 90 bzw. ab November 2020 87 % der vom Kläger unter Zugrundelegung des Durchschnittsverdiensts der Monate Dezember 2019 bis Februar 2020 errechneten Nettoentgeltdifferenz aus dem Soll-Entgelt und den von der Beklagten als Kurzarbeitergeld und Aufstockung geleisteten Beträgen errechnet. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Darstellungen Bl. 152-154, 162, 197-199 dA verwiesen. Der Kläger hat behauptet, noch in weiteren Monaten seit Beginn 2018 über 100 Stunden hinaus für die Beklagte gearbeitet zu haben. Er hat die Auffassung vertreten, in der Zusatzvereinbarung sei nur eine Mindeststundenarbeitszeit festgelegt. Da er regelmäßig mehr als 100 Stunden monatlich für die Beklagte geleitet habe, handele es sich um Dauerarbeitsstunden, die für das Kurzarbeitergeld bzw. den Zuschuss zu berücksichtigen seien. In diesem Zusammenhang hat er auf Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und zur Abrufarbeit hingewiesen. Er hat vor dem Arbeitsgericht zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.199,71 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. September 2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, Berechnungsfehler bei der Ermittlung des Kurzarbeitergelds lägen nicht vor. Maßgebend sei die individualvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 100 Stunden pro Monat. In Verbindung mit dem jeweils vereinbarten Stundenlohn ergäbe sich hieraus ein hinreichend bestimmtes Soll-Entgelt im Sinne der Berechnungsvorschriften zum Kurzarbeitergeld. Bei den über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden handele es sich vorliegend um Mehrarbeit, die bei der Bemessung des Kurzarbeitergeldes nicht zu berücksichtigen sei. Dies folge aus der manteltarifvertraglichen Regelung.

Mit Urteil vom 02.02.2022 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es – zusammengefasst – ausgeführt: Anspruchsgrundlage für die eingeklagten Forderungen seien wegen der weiteren Aufstockungsbeträgen die Betriebsvereinbarung und wegen weiteren Kurzarbeitergeldes ein Schadensersatzanspruch. Insoweit habe der Kläger wegen der Angabe einer unzutreffenden Arbeitszeit seitens der Beklagten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit zu wenig Kurzarbeitergeld erhalten. Als von Kurzarbeit betroffener Arbeitnehmer, auf dessen Lohnsteuerkarte ein Kinderfreibetrag von mindestens 0,5 eingetragen sei, könne der Kläger in Anwendung der gesetzlichen Regelung als Kurzarbeitergeld 67 % der Nettoentgeltdifferenz beanspruchen, ab dem vierten Monat der Kurzarbeit 77 % und ab dem siebten Monate 87 %. Die Nettoentgeltdifferenz sei auf der Grundlage des Bruttoarbeitsentgelts zu errechnen, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall bei Zugrundelegung seiner regelmäßigen Arbeitszeit erzielt hätte. Die zur Klagebegründung vorgenommene Berechnung durch den Kläger entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Die geltend gemachte Differenz dürfte sich allein daraus ergeben, dass die Beklagte als durchschnittliche Arbeitszeit 100 Stunden monatlich zu Grunde gelegt habe. Dem vermöge die erkennende Kammer nicht zuzustimmen. Die arbeitsvertragliche Regelung spreche von einer Mindestarbeitszeit, nicht von einer Regelarbeitszeit. In der Vergangenheit sei fast regelmäßig mehr als 100 Stunden monatlich gearbeitet worden. Die 100 Stunden stellten einen Sockel dar, auf den beliebig aufgestockt werden könne. Deshalb sei der Berechnung des Kurzarbeitergelds die gesetzliche Vorschrift zu Grunde zu legen, die einschlägig sei, wenn das Soll-Entgelt sich nicht hinreichend bestimmt feststellen lasse. In deren Anwendung sei auf das Durchschnittsentgelt aus den Verdiensten des Klägers für die Monate Dezember 2019 bis Februar 2020 abzustellen.

Gegen das ihr am 03.03.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15.03.2022 Berufung eingelegt und am 08.04.2022 begründet. Sie begehrt weiter die Klageabweisung und macht geltend: Für die Berechnung des Kurzarbeitergeldes sei allein die regelmäßige feste Arbeitszeit des Klägers von 100 Arbeitsstunden pro Monat zu Grunde zu legen. Irrig sei die Auffassung, wonach die im Vertrag genannten 100 Stunden nur einen Sockel darstellten und nicht die regelmäßige Arbeitszeit. Das Arbeitsgericht habe außer Acht gelassen, dass der Kläger für jede über 100 Stunden hinausgehende Arbeitsstunde Mehrarbeitszuschläge abgerechnet und ausgezahlt bekommen habe. Mithin stelle jede Arbeitsstunde, die über die monatliche Sollarbeitszeit von 100 Arbeitsstunden hinausgehe, eine Überstunde dar. So sei das Arbeitsverhältnis seit dessen Beginn gelebt worden. Arbeitszeiten, die als Mehrarbeit mit Zuschlägen vergütet würden, könnten nicht berücksichtigungsfähig bei der Ermittlung des Soll-Entgelts sein. Es sei widersprüchlich und treuwidrig, wenn der Kläger eine Abrechnung der Kurzarbeitervergütung unter Berücksichtigung angefallener Mehrarbeit verlange. Letztlich betreibe er Rosinenpickerei. Sie verweist auf Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zum Antragsverfahren, wonach Soll-Entgelt das Bruttoarbeitsentgelt sei, das der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin ohne den Arbeitsausfall und vermindert um das Entgelt für Mehrarbeit in dem Anspruchszeitraum bei Vollarbeit erzielt hätte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.01.2022 - 29 Ca 7423/20 - abzuändern

und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat die Berufung beantwortet. Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Zutreffend stelle das Arbeitsgericht bei der Bestimmung der zugrunde zu legenden Arbeitszeit auf den Vertragswortlaut und die tatsächlichen Verhältnisse ab. Die 100 Stunden seien nur als monatliche Mindestarbeitszeit vereinbart und es sei fast regelmäßig mehr als die Anzahl von Arbeitsstunden geleistet worden. Es handele sich keineswegs um Rosinenpickerei. Ohne Berücksichtigung der langjährigen Überschreitung der 100 Stunden würde das Kurzarbeitergeld keine repräsentative Entschädigung darstellen. Den Mehrarbeitszuschlag habe er nicht von der Beklagten verlangt. Er werde ihm erst seit rund 10 Jahren gezahlt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 64 Absatz 2 Buchstabe b Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 600 EUR. Die Beklagte hat die Berufung innerhalb der Fristen aus § 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG eingelegt und begründet. Berufungseinlegung und -begründung genügen den formalen und inhaltlichen Anforderungen aus §§ 64 Absatz 6 und 7, 46c ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO).

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Ohne Rechtsverletzung hat das Arbeitsgericht dem Klageantrag stattgegeben. Das Vorbringen im Berufungsverfahren begründet keine abweichende Entscheidung. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung des eingeklagten Betrages aus § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen schuldhafter Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag bzw. wegen des Zuschusses zum Kurzarbeitergeld aus der einschlägigen Bestimmung der jeweils zeitlich anwendbaren Betriebsvereinbarung beanspruchen.

1. Die Rechtswegzuständigkeit hatte das Berufungsgericht nicht zu prüfen, § 65 ArbGG. Es sei aber darauf hingewiesen, dass das Arbeitsgericht zu Recht die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen angenommen hat. Bei beiden geltend gemachten Ansprüchen handelt es sich um Ansprüche aus der Zuständigkeit dieser Gerichte. Sowohl der Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis im Verfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld als auch der Anspruch auf die Zahlung weiterer Aufstockungsbeträge zum Kurzarbeitergeld aus der Betriebsvereinbarung sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Absatz 1 Nummer 3a ArbGG.

2. Anspruchsgrundlage für die vom Kläger zu beanspruchenden Zahlungen sind die Schadensersatzpflicht aus § 280 Abs. 1 BGB und die Bestimmung aus der jeweils zeitlich anwendbaren Betriebsvereinbarung zur Verpflichtung der Beklagten, einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld zu zahlen.

a. Der Kläger kann die Klageforderung teilweise auf einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten stützen, die die Beklagte in dem Verfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld trafen.

aa. Nach § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz kann dabei auch durch die Verletzung einer Nebenpflicht ausgelöst werden, wie sie in § 241 Absatz 2 BGB als Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils beschrieben sind.

bb. Den Arbeitgeber trifft aus dem Arbeitsverhältnis die Nebenpflicht, im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld die Interessen der von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wahren. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht kann den Arbeitgeber zu Schadensersatz aus § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB verpflichten.

(1) Das Kurzarbeitergeld ist zwar ein Anspruch des Arbeitnehmers, § 95 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Es ist aber der Arbeitgeber, der das Kurzarbeitergeld zu beantragen, zu errechnen und auszuzahlen hat, §§ 320 Absatz 1 Satz 2, 323 Absatz 2 Satz 1 SGB III. Arbeitgeber und der Betriebsrat sind im Verwaltungsverfahren über die Bewilligung von Kurzarbeitergeld Beteiligte im Sinne des § 12 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch. Der Arbeitnehmer hat im Verwaltungsverfahren bzw. im sozialgerichtlichen Verfahren kein eigenes Antrags- oder Klagerecht wegen der Bewilligung von höherem Kurzarbeitergeld (BSG, 25.05.2005 - B 11a/11 AL 15/04 R, juris Rn 22). Am Verfahren der Geltendmachung des Kurzarbeitergeld-Anspruchs ist er grundsätzlich nicht beteiligt (Gagel/Bieback, 85. EL März 2022, SGB III § 95 Rn. 86). Die Arbeitnehmer bleiben materiell berechtigte Anspruchsinhaber, so dass im sozialgerichtlichen Verfahren der Arbeitgeber in Prozessstandschaft fremde Rechte im eigenen Namen geltend macht (Brand/Kühl, 9. Aufl. 2021, SGB III § 95 Rn. 21, vergleiche: BSG, 07.05.2019 - B 11 AL 11/18 R, juris Rn 10).

(2) Bei der Antragstellung und in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren wegen der Bewilligung von Kurzarbeitergeld wird der Arbeitgeber treuhänderisch für den Arbeitnehmer tätig. Bei schuldhafter Verletzung einer Fürsorgepflicht dem Arbeitnehmer gegenüber wird er schadensersatzpflichtig (vergleiche BSG, 25.05.2005 - B 11a/11 AL 15/04 R, juris Rn 22; LArbG Saarland, 24.01.2006 - 2 Sa 38/06, juris Rn 18). Wegen der treuhänderischen Stellung treffen den Arbeitgeber im Rahmen der Beantragung von Kurzarbeitergeld die in § 320 Absatz 1 SGB III niedergelegten Pflichten. Unterlaufen dem Arbeitgeber in diesem Pflichtenkreis von ihm zu vertretende Pflichtverletzungen, aufgrund dessen die von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer einen Schaden insbesondere dadurch erleiden, dass Kurzarbeitergeld nicht in der gesetzlich zustehenden Höhe gezahlt wird, kommt ein Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmer nach § 280 Absatz 1 BGB in Betracht (Boecken, Festschrift Düwell 2021, 595, 607f). Im Hinblick auf die fehlende Beteiligung des Arbeitnehmers im Sozialverwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren ist dieser Anspruch von besonderer Bedeutung.

cc. Der Kläger hat die Klageforderung auf einen Schadensersatzanspruch als Klagegrund gestützt. Spätestens ist dies erfolgt mit der Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Berufungsbeantwortung.

b. Weitere Anspruchsgrundlage sind die einschlägigen Bestimmung aus den Betriebsvereinbarungen zur Kurzarbeit, wonach die Beklagte den von Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Aufstockungsbetrag zum Kurzarbeitergeld zahlt. Im Arbeitsverhältnis des betriebsangehörigen Klägers wirken die Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend, § 77 Absatz 4 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz.

3. Die Beklagte hat ihrer Verpflichtung zur sorgfältigen Berechnung des dem Kläger zustehenden Kurzarbeitergeldes verletzt. Dieses bzw. die Aufstockungsbeträge bemaßen sich vorliegend nach den von dem Kläger zu Grunde gelegten Umfang des Arbeitsausfalls, wie er sich aus dem Durchschnitt der von ihm ab Dezember 2019 bis Februar 2020 monatlich geleisteten Arbeitszeiten ergibt. Dies folgt aus den einschlägigen Bestimmungen zur Berechnung des Kurzarbeitergeldes.

a. Gemäß der Regelung in §§ 105, 421c SGB III bemisst sich das Kurzarbeitergeld auf einen Prozentsatz der Nettoentgeltdifferenz. § 5 der Betriebsvereinbarung zur Einführung der Kurzarbeit bzw. die Fortführungsbestimmungen aus den späteren Betriebsvereinbarungen bemessen den Aufstockungsbetrag unter Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls als Prozentsatz der Nettoentgeltdifferenz.

b. Die Nettoentgeltdifferenz ist in § 106 Absatz 1 Satz 1 SGB III bestimmt als die Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Soll-Entgelt und dem pauschalierten Nettoentgelt aus dem Ist-Entgelt. Nach Satz 2 der Vorschrift ist das Soll-Entgelt das Bruttoarbeitsentgelt, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall in dem Anspruchszeitraum erzielt hätte, vermindert um Entgelt für Mehrarbeit. Nach § 106 Absatz 4 SGB III ist, wenn sich das Soll-Entgelt einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers in dem Anspruchszeitraum nicht hinreichend bestimmt feststellen lässt, als Soll-Entgelt das Arbeitsentgelt maßgebend, das die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer in den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor Beginn des Arbeitsausfalls in dem Betrieb durchschnittlich erzielt hat, vermindert um Entgelt für Mehrarbeit. Dies entspricht den von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Hinweisen, auf die die Beklagte mit der Berufungsbegründung hinweist.

c. Bei der hier vorliegenden Entlohnung mit einem Stundenlohn ist das Soll-Entgelt zu ermitteln durch Multiplikation des Stundenlohns mit den im jeweiligen Monat ohne die Kurzarbeit zu leistenden Arbeitsstunden, einschließlich der Entgeltstunden und Entgeltanteile für Urlaub und Feiertage sowie der beitragspflichtigen Lohnbestandteile wie Leistungszulagen, die ohne Kurzarbeit angefallen wären, aber ohne Entgelt für Mehrarbeit (Brand/Kühl, 9. Aufl. 2021, SGB III § 106 Rn. 8).

d. Bei der Bestimmung der ohne die Kurzarbeit zu leistenden Stunden ist im Hinblick auf die abzugrenzende Mehrarbeit zu beachten, dass es keinen festen Sprachgebrauch von Mehrarbeit im Arbeits- und Sozialrecht gibt. In Anlehnung an eine Entscheidung des BSG zu einer anderen Vorschrift des Arbeitsförderungsrechts, die den Begriff Mehrarbeitszuschläge verwendete (BSG, 18.02.1987 - 7 RaR 19/86, juris Rn 25), ist für die Zwecke des § 106 SGB III darunter die Arbeitszeit zu verstehen, die über die Arbeitszeit hinaus erbracht wird, die die Arbeitsvertragsparteien als die gewöhnliche und regelmäßige angesehen haben (Gagel/Bieback, 85. EL März 2022, SGB III § 106 Rn 37). Zur Bestimmung der ohne die Kurzarbeit zu leistenden Arbeitszeiten ist somit auf vertraglich geschuldete, individuelle Regelarbeitszeit abzustellen (Estelmann, in. Eicher/Schlegel SGB III § 106 nF Rn 70).

e. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann vorliegend keine regelmäßige Arbeitszeit des Klägers festgestellt werden, die im Kurzarbeitszeitraum ausgefallen und aus der das Soll-Entgelt hinreichend bestimmt feststellbar sein würde. Ist vertraglich durch anwendbaren Tarifvertrag oder Individualarbeitsvertrag keine regelmäßige Arbeitszeit vereinbart und ergibt sich auch aus der Praxis keine regelmäßig geleistete Arbeitszeit, so kann eine regelmäßige oder gewöhnliche Arbeitszeit im Sinne des § 106 Abs. 1 SGB III nicht festgestellt werden. Vereinbaren die Parteien eine Teilzeitbeschäftigung mit einer Mindeststundenanzahl, ohne dass aus den weiteren Umständen etwa der Vertragspraxis auf einen regelmäßigen Umfang der gewöhnlichen Arbeitszeit geschlossen werden kann, so ist das Soll-Entgelt in Anwendung von § 106 Abs. 4 SGB III aus dem Durchschnitt der letzten drei Kalendermonate vor Beginn des Arbeitsausfalls zu errechnen.

aa. Die tarifvertragliche Vorschrift zur regelmäßigen durchschnittlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in § 2 Abs. 2 MTV bestimmt vorliegend nicht den Umfang der ausgefallenen Arbeitszeit. Die Beklagte beschäftigt den Kläger als Teilzeitkraft und damit kürzer als die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit, vgl. § 2 Abs. 1 Teilzeit und Befristungsgesetz (TzBfG).

bb. Die Parteien haben auch individualvertraglich keine regelmäßige Arbeitszeit verabredet.

(1) In der Zusatzvereinbarung haben die Parteien ausdrücklich eine Mindeststundenzahl vereinbart. Dem Wortsinn nach unterscheidet sich aber eine regelmäßig abzuleistende Arbeitszeit von einer Mindestarbeitszeit. Die Mindestarbeitszeit bestimmt die untere Grenze der abzuleistenden Arbeitszeit. Welche Arbeitszeiten darüber hinaus (regelmäßig) abzuleisten sind, lässt sich der Angabe nicht entnehmen. Dies hat das Arbeitsgericht mit dem Begriff des Sockels zum Ausdruck gebracht. Die Mindestarbeitszeit ist wie eine Sockelarbeitszeit in jedem Bezugszeitraum zu leisten. Welche Arbeitszeiten in dem Bezugszeitraum hinzukommen, lässt sich der Sockelarbeitszeit nicht entnehmen.

(2) Die von den Parteien mindestens vereinbarte Mindeststundenzahl weist auf die gesetzliche Regelung zur Abrufarbeit in § 12 TzBfG. Bei Vereinbarung von Abrufarbeit muss in Anwendung von § 12 TzBfG die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit als Höchst- oder als Mindestarbeitszeit festgelegt werden. Diese Festlegungen geben keine regelmäßige Arbeitszeit an, sondern Grenzen des Arbeitsumfangs, die nicht über- oder unterschritten werden sollen. Kennzeichnend für die Abrufarbeit bleibt, dass sich der Arbeitsumfang nach dem Arbeitsanfall richtet. Für ein entsprechendes Verständnis der vorliegend auszulegenden Abrede aus der Zusatzvereinbarung spricht die ursprünglich mit der Rechtsvorgängerin getroffene Absprache zur Arbeitszeit. Ausweislich des Wortlauts der Zusatzvereinbarung Nr. 3 war der mit der Rechtsvorgängerin abgeschlossene Arbeitsvertrag weiterhin Grundlage der Tätigkeit des Klägers für die Beklagte. Die Prozessparteien haben somit die ursprüngliche Abrede zum Arbeitseinsatz als Teilzeitkraft mit einem Einsatz nach den betrieblichen Erfordernissen nicht aufgehoben, sondern ergänzt. Sie wollten weiterhin den Arbeitsanfall im Betrieb maßgebend sein lassen. Auch dies spricht gegen das Verständnis der Abrede als Vereinbarung einer regelmäßigen Arbeitszeit.

(3) Das dargestellte Verständnis wird von der Vertragspraxis bestätigt. 100 Stunden/Monat war nicht die regelmäßig in dem Arbeitsverhältnis praktizierte Arbeitszeit. Vielmehr schwankte die monatliche Arbeitszeit des Klägers nicht unerheblich. Auf Monate mit tatsächlich 100 Arbeitsstunden folgten Monate mit deutlich höherer Arbeitszeit, die sich in dem vom Kläger beschriebenen Zeitraum auf bis zu 190 Stunden belief. Dabei bedarf der Streit zwischen den Parteien um den tatsächlichen Arbeitszeitumfang in einzelnen Monaten keiner Aufklärung. Ausgehend von den Behauptungen der Beklagten ergibt sich ebenfalls ein erheblich schwankender Arbeitszeitumfang.

cc. Eine regelmäßige oder gewöhnliche Arbeitszeit kann im Hinblick auf die wie dargestellt schwankenden Monatsarbeitszeiten auch nicht aus der Praxis des Arbeitsverhältnisses hergeleitet werden.

dd. Mangels regelmäßiger oder gewöhnlicher Arbeitszeit lässt sich das Sollentgelt nicht hinreichend bestimmt feststellen. Deshalb ist vorliegend gemäß § 106 Abs. 4 Satz 1 SGB III auf die letzten drei vor dem Arbeitsausfall abgerechneten Monate abzustellen. Dabei sind die über 100 Stunden im Monat geleisteten Stunden zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung der Berufung handelt sich insoweit nicht um Mehrarbeit im Sinne der Vorschrift.

(1) Wie unter dargestellt, ist unter Mehrarbeit im Sinne von § 106 SGB III die Arbeitszeit zu verstehen, die über die Arbeitszeit hinaus erbracht wird, die die Arbeitsvertragsparteien als die gewöhnliche und regelmäßige angesehen haben. Vorliegend haben die Parteien, wie ausgeführt, keine gewöhnliche oder regelmäßige Arbeitszeit vereinbart, sondern eine Mindestarbeitszeit, wobei im Übrigen die betrieblichen Erfordernisse für den Arbeitsumfang maßgebend sein sollten. Eine gewöhnliche oder regelmäßige Arbeitszeit, wie sie für die Abgrenzung der Mehrarbeit erforderlich ist, kann vor diesem Hintergrund auch unter Berücksichtigung der Praxis des Arbeitsverhältnisses nicht festgestellt werden. Dementsprechend können die über die Mindestarbeitszeit hinausgehenden Stunden nicht als die Mehrarbeit im Sinne von § 106 SGB III eingeordnet werden.

(2) § 5 Abs. 4 MTV oder die gewährten Überstundenzuschläge stehen dem nicht entgegen.

Für Altbeschäftigte wie den Kläger ordnet die genannte Tarifvorschrift an, dass über die einzelvertraglich vereinbarte Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten hinaus geleistete Arbeitszeit als Mehrarbeit gilt und deshalb mit Zuschlägen zu vergüten ist. Den Begriff der Sollarbeitszeit bzw. einer regelmäßigen Arbeitszeit verwendet die Tarifvorschrift in dem einschlägigen Satz nicht. Als einzelvertragliche Vereinbarung kommt daher auch die Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit in Betracht. Aus der Wortwahl „gilt ... als Mehrarbeit“ könnte auf eine Fiktion und damit auf die willentliche Gleichstellung von Arbeitszeiten, die eigentlich keine Mehrarbeit sind, geschlossen werden. Die Vorschrift würde dann auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwenden sein, ohne dass hieraus etwas für die Begründung einer Regelarbeitszeit folgen würde. Jedenfalls aber muss der Begriff der Mehrarbeit aus der Tarifvorschrift nicht mit dem Sprachgebrauch des § 106 SGB III identisch sein. Vielmehr kann er unter Mehrarbeit auch Arbeitszeiten oberhalb der einzelvertraglich vereinbarten Mindestarbeitszeit erfassen.

Nimmt man dagegen an, dass die tarifvertragliche Vorschrift zu Gunsten der Altbeschäftigten das Erfordernis einer regelmäßigen Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten impliziert, so würde die Tarifvorschrift für eine Abrufarbeit keinen Anspruch begründen und die Zahlung von Zuschlägen an den Kläger für Arbeitszeiten jenseits der 100 Stunden/Monat wäre nicht in der Tarifnorm begründet. Auch dies bliebe aber ohne Auswirkungen auf die hier zu beantwortende Frage nach der arbeitsförderungsrechtlichen Einordnung der Arbeitsstunden jenseits des Mindeststundenzahl. Insbesondere hätte die Vergütungspraxis keine Änderung der individualvertraglichen Absprachen im Sinne der Vereinbarung einer regelmäßigen Arbeitszeit von 100 Stunden im Monat bewirkt. Hierfür fehlt es bereits an einem hinreichend erkennbaren Angebot der Beklagten. Aus der Zahlung der Zuschläge musste der Kläger nicht schließen, dass damit die 100 Stunden Mindestarbeitszeit zur Regelarbeitszeit werden sollten. Hierfür fehlt es an der hinreichenden Erkennbarkeit eines etwa bei der Beklagten vorhandenen Abänderungswillens. Die zu Grunde liegende Tarifvorschrift spricht nicht von einer Regelarbeitszeit. Die aus den erteilten Abrechnungen für den Kläger erkennbare Gewährung eines Überstundenzuschlags für die Stunden jenseits der Mindeststundenzahl impliziert ebenfalls kein Angebot auf Vereinbarung einer Regelarbeitszeit. Daraus, dass die Beklagte die flexibel vom Kläger über das Mindestmaß hinaus geleisteten Stunden wie Überstunden für Beschäftigte mit regelmäßiger Arbeitszeit vergütete, musste der Kläger nicht schließen, die Beklagte wolle mit ihm eine Regelarbeitszeit vereinbaren.

f. Das Berufen des Klägers auf die im Winter 2019/29 durchschnittlich geleistete Arbeitszeit ist auch nicht wegen Treuwidrigkeit oder weil er damit Rosinenpickerei betreibe unbeachtlich.

aa. Das aus § 242 BGB folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung Die Rechtsordnung verbietet allerdings nicht jedes widersprüchliche Verhalten. Widersprüchliches Verhalten ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG 17. Juni 2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 57).

bb. Vorliegend ist nicht ersichtlich, welchen Vertrauensbestand der Kläger geschaffen haben soll, auf dessen Grundlage die Beklagte annehmen durfte, er würde eine Berechnung des Kurzarbeitergeldes ausschließlich auf der Grundlage der Mindeststundenanzahl hinnehmen. Die Entgegennahme von Zuschlägen für bestimmte Arbeitszeiten begründet keinen Vertrauenstatbestand, dass diese Stunden bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes keine Berücksichtigung finden sollen. Die technische Regelung zur Berechnung des Kurzarbeitergeldes begründet keine allgemein anerkannten Vorstellungen hinsichtlich der (Nicht-) Berücksichtigung von mit Zuschlägen abgerechneten Arbeitsstunden als allein mit Treu und Glauben vereinbar. Besondere Umstände, die eine Treuwidrigkeit begründen könnten, sind ebenfalls nicht dargetan. Der Vorwurf der Rosinenpickerei impliziert, dass Vorteile kumuliert werden sollen, die sich gegenseitig ausschließen. Zuschläge für Stunden jenseits einer Mindeststundenzahl und Berücksichtigung dieser Stunden bei der Berechnung von Kurzarbeitergeld schließen sich aber nicht aus.

4. Fehlendes Verschulden steht dem Schadensersatzanspruch nicht entgegen.

a. Vorliegend ist die Beklagte als Schuldnerin darlegungsbelastet für das Fehlen eines Verschuldens. Nach der Regelung in § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB begründet die Pflichtverletzung die Schadensersatzpflicht. Ein fehlendes Vertretenmüssen hat der Gesetzgeber in § 280 Absatz 1 Satz 2 BGB als anspruchsausschließende Einwendung normiert. Soweit die Pflichtverletzung feststeht, muss der Schuldner darlegen und unter Umständen beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Ulber in: Erman BGB, Kommentar, 16. Auflage 2020, § 280 Rn 66). Die Entlastung, die Pflichtverletzung nicht in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu vertreten zu haben, obliegt dem Schuldner (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 280 Rn 39).

b. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich ein fehlendes Verschulden nicht daraus, dass sie regelmäßig geleistete Überstunden nicht bei der Berücksichtigung des Kurzarbeitergeldes berücksichtigt hat. Zur Errechnung des Kurzarbeitergeldes hatte sie zu ermitteln, was die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers ist. Hier hätte sie von den vertraglichen Vereinbarungen und der Praxis der Vertragsparteien ausgehend und unter gebührend sorgfältiger Ermittlung der Rechtslage erkennen können, dass ein Abstellen auf die Mindeststundenzahl zu der Regelung in § 106 SGB III im Widerspruch stehen und dies zu einer nur teilweisen Realisierung der Ansprüche des Klägers wegen Kurzarbeitergeld führen könnte. Um der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gerecht zu werden, hätte sie jedenfalls die Arbeitsagentur mit den Einzelheiten des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts bekannt machen und Auskunft von ihr einfordern können, wie zu verfahren sei.

5. Schließlich sind auch die übrigen Voraussetzungen der eingeklagten Ansprüche gegeben. Wie es das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen festgestellt hat, erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz gemäß §§ 105 Ziffer 1, 149 Ziffer 1 SGB III. Aus den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte ersichtlich hat er ein Kind. Die von der Dauer des Kurarbeitergeldbezuges abhängige und in einem Prozentsatz ausgedrückte Höhe des Kurzarbeitergeldes folgt aus § 105 SGB III beziehungsweise der wegen der Corona-Pandemie eingeführten vorübergehenden Sonderregelung in § 421c Abs. 2 SGB III. Einwendungen gegen die auf dieser Grundlage vom Kläger vorgenommenen Berechnung oder die Auszahlung als Nettobetrag hat die Beklagte mit der Berufung nicht vorgebracht.

III.

Von den Nebenentscheidungen beruht die Entscheidung zur Kostentragungspflicht der mit ihrer Berufung unterlegenen Beklagten auf § 97 ZPO.

Veranlassung, in Anwendung von § 72 Absatz 2 ArbGG die Revision zuzulassen, bestand nicht. Insbesondere beruht die Entscheidung nicht auf einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Vielmehr sind für die Streitentscheidung maßgebend die Umstände des Einzelfalls und die dadurch bestimmte Auslegung der von den Parteien getroffenen vertraglichen Absprachen zum Arbeitszeitumfang.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.



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