Arbeitsgericht Verden

- Az: 2 Ca 145/22

Langzeiterkrankter Arbeitnehmer hat Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben

(1.) Ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf die Durchführung einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend eines Wiedereingliederungsplanes seines behandelnden Arztes.

(2.) Auf Grundlage der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflichten ist der Arbeitgeber verpflichtet, das ihm im betrieblichen Rahmen Mögliche zu tun, um den Arbeitnehmer bei der Vorbereitung der vollständigen Wiederaufnahme seiner vertraglich vereinbarten Leistung zu helfen. Dazu gehört gerade auch die Ermöglichung der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, wenn diese durch einen behandelnden Arzt empfohlen und durch die Krankenkasse finanziert wird.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Rahmen der Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend der ärztlichen Empfehlung zur Wiedereingliederung vom 22.03.2022 in den ersten beiden Wochen mit täglich zwei Stunden, in der dritten Woche mit vier Stunden und in der vierten Woche mit sechs Stunden einen Arbeitsplatz als Köchin zuzuteilen und sie zu beschäftigen, unter Be­ rücksichtigung eines aktuellen Wiedereingliederungsplans der behandelnden Ärztin.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR bestimmt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine stufenweiseWiedereingliederung in den Arbeitsprozess.

Die Klägerin ist seit dem 1.8.2014 als Köchin in der Krankenhausküche der Beklagten in Ro. beschäftigt. In der Regel arbeitete die Klägerin von 6.oo Uhr bis 14.40 Uhr und verrichtete dabei die verschiedensten Tätigkeiten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird zur Ver­meidung von Wiederholungen auf die Darstellung in der Klagschrift Bezug genommen. Seit dem 24.9.2021 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin leidet unter einer chronischen Lungenerkrankung. Nach einer Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 16.12.2021 bis zum 20.1.2022 wurde eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben vorgeschlagen.

Entsprechend einerWiedereingliederungsvereinbarung wurde die Klägerin am 7. und 8. 2. 2022 mit täglich zwei Stunden beschäftigt. Dabei bereitete sie die Tages- und die Milchsuppe vor, stellte Desserts bereit, tütete Brötchen ein und produzierte Komponenten für die Speisen des nächsten Tages. Sie packte Tiefkühlware aus und bereitete die Produktion vor. Am Freitag, den 9.2.2022 wurden der Klägerin für zwei Stunden ausschließlich Tätigkeiten am sogenannten Portionierband zugewiesen. In diesem Bereich findet durch ein stoßweise laufendes Gebläse ein Luftaustausch statt. Dies führt nach Angaben der Klägerin bei ihr zu Atemnot. Da die Kü­ chenleitung trotz Hinweis der Klägerin auf diesen Umstand auf einer weiteren Arbeit am Porti­ onierband bestand, beendete die Klägerin die Wiedereingliederung.

Die Klägerin bat in der Folge um Wiederaufnahme der Wiedereingliederung ohne Zuweisung von Arbeit am Portionierband. Dies lehnte die Beklagte ab. Ein Einsatz nur mit zwei Stunden oder ohne Tätigkeiten am Portionierband sei nicht möglich.

Die Klägerin legte unter dem 24.3.2022 einen neuen Wiedereingliederungsplan vor. Die Zu­ stimmung hierzu lehnte die Beklagte erneut ab.

Mit Bescheid vom 19.5.2022 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 seit dem 2.3.2022 festgestellt. Über den Antrag der Klägerin auf Gleichstellung war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht entschieden worden.

Mit ihrer am 3.Mai 2022 bei Gericht eingegangenen Klage verlangt die Klägerin die Durchfüh­ rung einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend der ärztlichen Empfehlung. Mit Ausnahme der Tätigkeit am Portionierband könne die Klägerin alle weiteren in der Küche anfallenden Tätigkeiten einer Köchin erfüllen, allerdings zunächst mit sich langsam steigernder Tagesarbeitszeit. Dies habe sich auch bereits in den ersten beiden Tagen derWie­ dereingliederung im Februar gezeigt. Die Klägerin habe aus dem Fürsorgegedanken Anspruch auf eine Zustimmung der Beklagten zu dem von der behandelnden Ärztin vorgeschlagenen Vorgehen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin im Rahmen der Maßnahme der stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend der ärztlichen Empfehlung zur Wiedereingliederung vom 22.03.2022 in den ersten beiden Wochen mit einer täglichen Arbeitszeit von 2 Stunden, in der dritten Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von 4 Stunden und in der vierten Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von 6 Stunden auf einem Arbeitsplatz als Köchin zu beschäftigen, beginnend mit dem von der behandelnden Ärztin in Rahmen eines neuen Wiedereingliederungsplanes bestimmten Termin.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Klägerin kein Anspruch auf eine Wiedereingliederungsmaßnahme zustehe und im Übrigen der stufenweisen Wiedereingliederung betriebliche Gründe entgegenstünden. Es könne keine Arbeit zugewiesen werden, die nur zwei oder vier Stunden umfasse, auch nicht im Wege der Wiedereingliederung. Auch gehöre die Tätigkeit am Portionierband zu den unbedingt zu erledigenden Arbeiten, die andererseits die Gesundheit der Klägerin nach deren eigenen Angaben gefährde. Ein Herausnehmen dieser Tätigkeiten würde nicht zu einer vollständigen Arbeitserprobung führen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze, die vorgelegten Unterlagen und die Protokolle Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Durchführung einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben entsprechend eines Wiedereingliederungsplanes ihrer behandelnden Ärztin.

Aus den arbeitsgeberseitigen Fürsorgepflichten nach §§ 611a, 241 Abs. 2BGB ist die Beklagte verpflichtet, das ihr im betrieblichen Rahmen Mögliche zu tun, um der Klägerin bei der Vorbereitung der vollständigen Wiederaufnahme ihrer vertraglich vereinbarten Leistung zu helfen. Dazu gehört nach Auffassung des Gerichts gerade auch die Ermöglichung der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben, wenn diese durch eine behandelnde Ärztin empfohlen und durch die Krankenkasse finanziert wird. Die Belastung der Beklagten besteht daher gerade nicht in der Vergütungspflicht, sondern nur in einer Organisationspflicht. Im vorliegenden Fall stellt die Pflicht zur Zuweisung von Arbeit als Köchin im Umfang von zwei, vier und sechs Stunden unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen keine unzumutbare Mitwirkung für die Beklagte dar.

Dies hat offensichtlich auch die Beklagte selbst so gesehen, als die Wiedereingliederung mit der Klägerin bereits am 7. Und 8.2.2022 begonnen wurde. Unstreitig hat die Klägerin an diesen beiden Tagen Arbeiten ausgeführt, zu denen sie nach ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet war. Zur Überzeugung des Gerichtes kann die Klägerin nach der etwas langsameren Herangehensweise während der Wiedereingliederung die ihr seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses übertragenen Aufgaben in dem bisher übertragenen Umfang erfüllen. Davon geht die behandelnde Ärztin aus. An deren fachkompetenten Feststellung orientiert sich das Gericht.

Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung der Beklagten, es könnten keine Aufgaben übertragen werden, weil es keine derartig kurzen Arbeitsprozesse gebe. Wie die Klägerin in zutreffender Weise ausführt, geht es nicht darum, dass die Klägerin sofort einen Arbeitsplatz ausfüllen kann, der im Rahmen der Dienstplangestaltung festgelegt ist. Sie ist zunächst zusätzlich im Betrieb einzusetzen, in bestimmten zeitlichen Rahmen mit Tätigkeiten einer Köchin. Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen kann nach Aussage der Klägerin dazu auch ein kurzer Einsatz am Portionierband gehören, nicht aber länger, als er auch vor der Arbeitsunfähigkeit eingeplant war.

Es stehen in der großen Küche der Beklagten ausreichend andere Tätigkeiten zur Verfügung, bei denen die Klägerin allein oder zur Unterstützung der anderen Mitarbeiter eingesetzt werden kann. Auf die Erledigung ganzer Arbeitsprozesse – im Übrigen: welche genau? – kommt es gerade nicht an. Auch am 7.2. und am 8.2.2022 ist es der Beklagten gelungen, entsprechende Tätigkeiten zu finden.

Der Klage war stattzugeben. Voraussetzung für die Verpflichtung der Beklagten ist allerdings ein aktueller Wiedereingliederungsplan.

Der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO

Der Streitwert war in Höhe eines Bruttomonatsgehalts der Klägerin zu bestimmen.

 

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann Berufung eingelegt werden,

a) wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder

b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder

c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.

Soweit die Voraussetzungen zu a), b) oder c) nicht vorliegen, ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; an seiner Stelle können Vertreter der Gewerkschaften oder von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglied Partei sind.

Die Berufung muss schriftlich oder in der zugelassenen elektronischen Form eingelegt werden.

 



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