Landesarbeitsgericht Hamm

Urteil vom - Az: 15 Sa 131/16

Öffentlicher Dienst: Kündigung wegen verweigerter Untersuchung nach drei Jahren Arbeitsunfähigkeit

(1.) Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung findet, sind verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers einer betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen (§ 3 Abs. 4).
Voraussetzung für eine rechtmäßige Anordnung ist eine „begründete Veranlassung“ durch den Arbeitgeber.

(2.) Eine „begründete Veranlassung“ hat der Arbeitgeber etwa dann, wenn der Arbeitnehmer seit drei Jahren arbeitsunfähig ist.

(3.) Der Arbeitnehmer kann der Anordnung des Arbeitgebers nicht entgegenhalten, er möchte nur von einem selbst ausgewählten Arzt untersucht werden. Denn der Tarifvertrag sieht vor, dass die Untersuchung durch eine Betriebsart durchgeführt werden kann.

(4.) kommt der Arbeitnehmer der Anordnung des Arbeitgebers, sich eine betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, auch nach mehrfacher Abmahnung nicht nach, so kann dies eine Kündigung rechtfertigen.
(Redaktionelle Orientierungssätze)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.10.2015 – 3 Ca 203/15 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen um die rechtliche Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers und Zahlungsansprüche.

Der 1964 geborene und verheiratete Kläger war seit März 1994 bei der Stadt E aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 08.03.1994 als Elektrotechniker beschäftigt. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages richtete sich das Arbeitsverhältnis nach den Vereinbarungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) nebst Sonderregelungen. Künftige Änderungen durch Tarifverträge sollten vom Tage ihres Inkrafttretens an gelten.

Zum 04.09.1996 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte über. In dem zwischen der Stadt E und der Beklagten im Einvernehmen mit dem Personalrat der Stadt E geschlossenen Personalüberleitungsvertrag (PÜV) vom 01.10.1996 ist unter anderem geregelt:

 „§ 1

...

8. Enden nach erfolgter Überleitung – abgesehen vom Eintritt in den Ruhestand – Arbeitsverhältnisse, die an den Stichtagen mit der Stadt bestanden haben und noch nicht gekündigt waren und von der Gesellschaft übernommen werden, hat der/die Arbeitnehmer/in einen Anspruch auf Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrages mit der Stadt, es sei denn, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Gesellschaft beruht auf Gründen, die der/die Arbeitnehmer/in zu vertreten hat. Betroffenen Mitarbeitern/innen werden die in der Gesellschaft verbrachten Beschäftigungszeiten im Rahmen der tariflichen Bestimmungen als Dienst- und Beschäftigungszeit im Öffentlichen Dienst angerechnet. Der Anspruch besteht auch, wenn die Kündigung wegen unverschuldeter Krankheit erfolgt.

9. Die Gesellschaft wird Arbeitsverhältnisse, die Gegenstand dieses Vertrages sind, nicht ohne vorherige Anhörung der Stadt kündigen.“

Bei der Beklagten, die etwa 780 Arbeitnehmer beschäftigt und Seniorenheime betreibt, erhielt der Kläger bei einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 4.144,46 Euro.

Seit dem 23.11.2010 war der Kläger mit einer Unterbrechung vom 24.08. bis zum 15.09.2011 arbeitsunfähig erkrankt, wobei streitig ist, ob die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 24.04.2014 endete.

Seit dem 29.01.2014 weist der Kläger einen Grad der Behinderung von 30 auf. Mit Bescheid vom 03.07.2014 sicherte ihm die Bundesagentur für Arbeit die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge der Vermittlungsbemühungen bzw. eigener Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes der Arbeitgeber die Einstellung des Klägers von einer Gleichstellung abhängig mache.

Am 07.04.2014 informierte die Betriebsärztin die Beklagte wie folgt:

 „Zu ASiG-Untersuchung: Herr S kann keine Arbeiten mit erhöhten Anforderungen an das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, sowie keine Tätigkeiten mit Verantwortung für Menschen oder Maschinen durchführen. Auch Tätigkeiten unter starkem Zeitdruck sowie berufliche Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten sind ihm nicht möglich. Ferner sollte der Mitarbeiter nicht schwer Heben und Tragen, nicht häufig Knien und Hocken und nicht häufig Treppensteigen.“

Mit Schreiben vom 17.04.2014 teilte der Kläger der Beklagten mit:

 „Sehr geehrte Frau N, da meine Maßnahme zur Teilhabe im BTZ am 05.05.2014 endet, werde ich ab dem 06.05.2014 wieder meinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen können. Ich werde meine Arbeitskraft i(h)m Rahmen der Ihnen bekannten Einschränkungen aktiv anbieten. Bitte teilen Sie mir mit, wann ich mich am 06.05.2014 bei welchem Ansprechpartner melden soll. Für die Benennung meines zukünftigen Arbeitsplatzes im Wege einer Vorabinformation wäre ich sehr dankbar. Gerne biete ich für die Zwischenzeit ein Kurzpraktikum im Rahmen der aktuellen Maßnahme an und wäre auch für ein Gespräch (gem. BEM-Verfahren) jederzeit bereit.“

Mit Schreiben vom 25.04.2014 erwiderte die Beklagte, eine Arbeitsaufnahme des Klägers am 06.05.2014 sei nicht möglich mangels des Vorhandenseins eines leidensgerechten Arbeitsplatzes.

Unter dem 27.05.2014 stellte die Beklagte beim LWL-Integrationsamt Westfalen einen Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit sozialer Auslauffrist aus krankheitsbedingten Gründen, den sie mit Schreiben vom 12.06.2014 zurücknahm.

Ab August 2014 bezog der Kläger weder Einkommen noch anderweitige Leistungen.

Nachdem der Kläger mit seiner Klage vom 15.01.2015 Annahmeverzugsentgelt für August bis Dezember 2014 verlangt hatte, erklärte er im Gütetermin vom 24.02.2015, als Elektrotechniker arbeiten zu können und wollen. Mit Schreiben vom 25.02.2015 forderte die Beklagte den Kläger auf, am 26.02.2015 um 8.30 Uhr seinen Dienst an seinem alten Arbeitsplatz wieder aufzunehmen. Mit Schreiben vom 25.02.2015 machte der Prozessbevollmächtigte des Klägers ein Zurückbehaltungsrecht des Klägers wegen der ausstehenden Vergütung für August 2014 bis Januar 2015 geltend und führte aus, dass der Kläger nach Ausgleich der Forderungen die Arbeit vertragsgemäß aufnehmen werde. Mit Schreiben vom 26.02.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er leider nicht zur Arbeit erschienen sei, sondern sich auf sein Zurückbehaltungsrecht berufen habe. Sodann führte sie weiter aus:

 „Aufgrund dieses Verhaltens sehen wir hier, entgegen Ihren Angaben in der Gerichtsverhandlung, doch kein großes Arbeitsengagement und gehen vor allem davon aus, dass Sie tatsächlich doch nicht wieder derart arbeitsfähig sind, um auf Ihrem alten Arbeitsplatz vollumfänglich arbeiten zu können. Wir lehnen daher hiermit ausdrücklich Ihre weitere Arbeitsleistung ab! Wir erkennen hier also im Weiteren keinerlei Arbeitsfähigkeit Ihrer Person an! Wir lehnen auch weiterhin eine Zahlungspflicht für den in ihrer Klage geltend gemachten Zeitraum sowie in gleicher Weise aktuell ab.“

Mit Schreiben vom 04.03.2015 (Bl. 159 d .A.) ordnete die Beklagte gegenüber dem Kläger eine betriebsärztliche Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TVöD-B bei ihrer Betriebsärztin für den 09.03.2015 an. Nachdem der Kläger zu der Untersuchung nicht erschienen war, erteilte die Beklagte die schriftliche Abmahnung vom 10.03.2015 (Bl. 158 d. A.). Mit Schreiben vom 10.03.2015 (Bl. 164 d. A.) ordnete die Beklagte eine betriebsärztliche Untersuchung für den 16.03.2015 an. Hierzu führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 12.03.2015 aus, dass der Kläger an der Untersuchung nicht teilnehmen werde. Wegen der Begründung dieser Weigerung wird auf den Inhalt des Schreibens (Bl. 165 f. d. A.) verwiesen. Mit Schreiben vom 17.03.2015 sprach die Beklagte wegen der Nichtteilnahme an der Untersuchung am 16.03.2015 eine weitere Abmahnung aus und forderte den Kläger auf, an einer betriebsärztlichen Untersuchung am 23.03.2015 teilzunehmen. Hierzu teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten mit Schreiben vom 19.03.2015 (Bl. 181 f. d. A.) mit, dass er an der Untersuchung nicht teilnehmen werde, und begründete dies. Nachdem der Kläger an der Untersuchung nicht teilgenommen hatte, sprach die Beklagte unter dem 24.03.2015 eine weitere Abmahnung aus. In dieser heißt es auszugsweise:

 „Wir weisen Sie jetzt zum dritten und letzten Mal darauf hin, dass wir in Ihrem oben geschilderten Verhalten einen schwerwiegenden Verstoß gegen Ihre vertraglichen Pflichten sehen! Wir missbilligen Ihre Handlungsweise, nehmen diese nicht einfach so hin und mahnen Sie von daher erneut ab.

Wir sind auch nicht mehr bereit, ein derartiges Fehlverhalten in Zukunft hinzunehmen. Wir fordern Sie hiermit letztmalig ausdrücklich auf, künftig unserer berechtigten Aufforderung zur Durchführung einer betriebsärztlichen Untersuchung auch nachzukommen und damit die Ihnen obliegenden arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen.

Sollten Sie also in Zukunft erneut oder in gleichartiger Weise, trotz der bereits dreifach erfolgten Abmahnungen, gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, müssen Sie, mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen!“

Wegen der weiteren Einzelheiten der erteilten Abmahnungen wird auf die eingereichten Kopien Bezug genommen (Bl. 158, 178 f., 197 f. d. A.). Am 24.03.2015 ordnete die Beklagte eine betriebsärztliche Untersuchung für den 30.03.2015 an. Unter dem 25.03.2015 (Bl. 200 f. d. A.) erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers erneut, dass der Kläger an der Untersuchung nicht teilnehmen werde.

Nach der erneuten Nichtteilnahme des Klägers an der Untersuchung hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 30.03.2015, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage B 7 zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.04.2015 verwiesen wird, zur beabsichtigten fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Mit weiterem Schreiben vom 30.03.2015 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten hilfsweisen außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist an. Wegen der Einzelheiten dieser Anhörung wird auf Bl. 464 - 475 d. A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 07.04.2015, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 31.12.2015. Unter dem 14.04.2015 wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Kündigung gemäß § 174 BGB zurück. Mit Schreiben vom 16.04.2015 wies die Beklagte das Schreiben des Klägervertreters vom 14.04.2015 gemäß § 174 BGB zurück.

Der Kläger hat behauptet, am 24.04.2014 habe er der Beklagten seine Arbeitskraft angeboten. Am 27.05.2014 habe er darauf verwiesen, die Beklagte möge ihn wie vertraglich geschuldet einsetzen. Er sei physisch und psychisch in der Lage, die geschuldete Arbeit zu verrichten. Die Betriebsärztin habe ihn vor Erstellung der Bescheinigung vom 07.04.2014 nicht untersucht; die dort genannten Einschränkungen träfen nicht zu. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement habe nicht stattgefunden. Die Beklagte verfüge über Stellen im Rechnungswesen, wo er als Buchhalter im Bereich der Debitorenbuchhaltung bzw. der Finanz-, Kreditoren- und Anlagenbuchhaltung, im Bereich Mahn- und Kassenwesen und zur Kassenprüfung sowie als Bürokaufmann eingesetzt werden könne, anlernbar innerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Monaten. Auch sei er bereits im Rahmen seiner Tätigkeit als Elektrotechniker immer wieder mit kaufmännischen Arbeiten betraut worden.

Das Schreiben vom 14.04.2015 könne nicht zurückgewiesen werden, weil sein Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 19.09.2014 eine Vollmacht übersandt habe. § 3 Abs. 4 TVöD-B sei auf sein Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, die Bestimmung vor dem Hintergrund der fehlenden Erkrankung auch nicht einschlägig. Die angeordnete Untersuchung stelle einen nicht gerechtfertigten schwerwiegenden Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte dar.

Die Kündigung sei auch unverhältnismäßig. Als mildere Maßnahme sei sein tatsächlicher Einsatz nach Zahlung der ausstehenden Vergütung in Betracht gekommen. Darüber hinaus stehe der Wirksamkeit der Kündigung § 1 Ziffer 9 des PÜV entgegen, denn die Beklagte hätte die Stadt E vor Ausspruch der Kündigung anhören müssen. Die Abmahnungen seien schließlich nicht hinreichend konkret.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.155,88 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.09.2014, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.10.2014, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.11.2014, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.12.2014, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.01.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.02.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.03.2015 und auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.04.2015,

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnungen vom 10.03., 17.03. und 24.03.2015 aus der Personalakte zu entfernen,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch schriftliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2015, zugegangen am 07.04.2015, zum 07.04.2015 nicht aufgelöst worden ist,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch schriftliche Kündigung der Beklagten vom 07.04.2015, zugegangen am 07.04.2015, zum 31.12.2015 nicht aufgelöst worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, ihn für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu den im Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen als Elektrotechniker weiter zu beschäftigen, und

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.866,76 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB zu zahlen, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.05.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.06.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.07.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.08.2015, auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.08.2015 und auf einen Teilbetrag in Höhe von 4.144,46 Euro brutto seit dem 01.10.2015.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei am 27.01.2011 das betriebliche Eingliederungsmanagement eingeleitet worden, im Rahmen dessen am 19.12.2011 ein persönliches Gespräch zwischen dem Kläger und der Betriebsärztin stattgefunden habe. Anfang 2014 sei das betriebliche Eingliederungsmanagement wieder aufgenommen worden. Nach Erhalt der betriebsärztlichen Feststellungen vom 07.04.2014 habe sie vergeblich einen leidensgerechten Arbeitsplatz für den Kläger gesucht. Dies habe sie dem Kläger in einem Gespräch am 24.04.2014 mitgeteilt. In einem weiteren Gespräch am 11.06.2014 habe sie dem Kläger zugesagt, die Möglichkeit seines Einsatzes im Bereich Rechnungswesen zu überprüfen. Ein solcher Einsatz sei jedoch nicht in Betracht gekommen, weil dem Kläger die erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse fehlten und die dort geschuldeten Tätigkeiten nicht leidensgerecht seien. Auch bei der Stadt E habe sie sich erfolglos um einen Arbeitsplatz für den Kläger bemüht.

Aufgrund der beharrlichen Weigerung des Klägers, sich der angeordneten betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sei sie berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen. Wegen der mehrjährigen Arbeitsunfähigkeit und des widersprüchlichen Verhaltens des Klägers liege eine begründete Veranlassung vor. Sie sei aufgrund von § 1 Ziffer 9 des PÜV nicht verpflichtet gewesen, die Stadt E vor Ausspruch der Kündigung anzuhören, da es sich um eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen handele.

Sowohl dem Kläger wie auch seinem Prozessbevollmächtigten sei bekannt, dass die Zeugin N ihre Personalleiterin sei und zum Ausspruch von Kündigungen bevollmächtigt. Diese habe die Kündigung unterschrieben und nicht nur paraphiert. Die Anhörung habe ihr Betriebsrat am 30.03.2015 erhalten und am 04.02.2015 der Kündigung widersprochen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen N und L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll des Sitzung vom 15.10.2015 (Bl. 521 - 526 d. A.).

Durch Urteil vom 15.10.2015 hat das Arbeitsgericht Dortmund die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Es hat seine Entscheidung wesentlich auf die nachstehenden Erwägungen gestützt:

Das Verhalten des Klägers stelle einen zur fristlosen Kündigung an sich geeigneten wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Ein Verstoß gegen die aus § 3 Abs. 4 TVöD-B resultierende Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers sei je nach den Umständen geeignet, auch eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Der Arbeitnehmer, der schuldhaft eine ordnungsgemäße ärztliche Begutachtung unmöglich mache, handle grob pflichtwidrig. Die Beklagte habe den Kläger auch zu Recht aufgefordert, sich einer Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TVöD-B, der auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sei, zu unterziehen. Denn es hätten nach der fast dreieinhalbjährigen Arbeitsunfähigkeit berechtigte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Klägers vorgelegen. Ein widersprüchliches Verhalten sei der Beklagten nicht vorwerf-bar. Diese habe unter Wahrung billigen Ermessens auch verlangen dürfen, dass die Bescheinigung durch einen Betriebsarzt, nämlich die von ihr ausgewählte Ärztin, ausgestellt wird. Die Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtige nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers.

Die vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten des Klägers aus. Insbesondere könne dieser sich nicht auf die geltend gemachten Weigerungsgründe berufen. Denn auf die Pflichtwidrigkeit seiner Weigerung sei er durch die streitgegenständlichen, ordnungsgemäßen Abmahnungen ausdrücklich hingewiesen worden.

Der Beklagten habe kein milderes Mittel als eine außerordentliche, fristlose Kündigung zur Verfügung gestanden. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen, sechsmonatigen (nur fiktiv anzunehmenden) Kündigungsfrist sei der Beklagten nicht zuzumuten gewesen.

Die Beklagte habe ihre Pflichten nach § 84 Abs. 2 SGB IX unter Berücksichtigung der bestehenden Mitwirkungspflicht des Klägers nicht verletzt. Auch habe sie die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere nicht an § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG und nicht an §§ 85, 91 SGB IX. Der Kläger sei einem schwerbehinderten Menschen nicht durch einen Bescheid nach § 68 Abs. 2 SGB IX gleichgestellt, sondern ihm habe die Bundesagentur für Arbeit lediglich die Gleichstellung zugesichert. Die schriftliche Zusage der zuständigen Behörde, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen, verpflichte die Behörde zwar grundsätzlich zu entsprechendem Verwaltungshandeln. Sie ersetze aber nicht den zugesicherten Verwaltungsakt.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere nicht an der behaupteten fehlenden Kenntnis des Klägers von der Kündigungsvollmacht der Personalleiterin der Beklagten. Die Zeugin N sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Personalleiterin der Beklagten und habe damit Kündigungsvollmacht gehabt. Denn mit der Stellung als Personalleiter sei das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden. Auch sei die Kündigung nicht gemäß § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Der Zurückweisungserklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers habe keine Vollmacht beigelegen; die Zurückweisung der Zurückweisung durch die Beklagte mit Schreiben vom 16.04.2015 sei daher erfolgreich. Der Beklagten sei zudem keine Vollmacht mit dem an die Stadt E adressierten Schreiben vom 19.09.2014 zur Verfügung gestellt worden. Die Kündigung vom 07.04.2015 sei formwirksam, da ordnungsgemäß unterschrieben. Der Fall einer Paraphe liege nicht vor.

Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere nicht an der in § 1 Ziffer 9 des PÜV vorgesehenen Anhörungsverpflichtung der Stadt E, deren Nichtbeachtung jedenfalls keine Unwirksamkeit der Beendigungserklärung zur Folge habe.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch sei nicht zur Entscheidung angefallen.

Der Kläger habe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte.

Der Kläger habe schließlich mangels Annahmeverzugs der Beklagten keine Zahlungsansprüche. Ihm stehe auch kein Schadensersatz wegen entgangener Vergütung infolge einer Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch die Beklagte zu. Denn der Kläger habe nicht dargelegt, dass der Beklagten innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Beschäftigung möglich gewesen wäre und er eine solche von der Beklagten verlangt hätte.

Gegen das ihm am 30.10.2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger am 18.11.2015 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.02.2016 – mit am 01.02.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger meint, die Beklagte habe durch ihr an ihn gerichtetes Schreiben vom 26.02.2015 abschließend und endgültig auf die vertragliche Arbeitsleistung verzichtet. § 3 Abs. 4 TVöD-B sei mangels einzelvertraglicher Inbezugnahme nicht auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Weitergehend fehle es an einem begründeten Anlass, ihn zu verpflichten, an einer Untersuchung zur Klärung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken. Er habe vielmehr die vertraglich geschuldete Tätigkeit explizit angeboten; berechtigte Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit hätten nicht vorgelegen. Da er die Person der benannten Ärztin als Betriebsärztin abgelehnt habe, hätte die Beklagte eine alternative Behandlerin benennen müssen. Denn die durch die Beklagte ausgewählte Medizinerin stehe in deren Lager und werde von ihr vergütet. Die Kammer hätte berücksichtigen müssen, dass er im Gütetermin die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit angeboten habe. Es sei rechtsfehlerhaft, der Beklagten kein widersprüchliches Verhalten zu unterstellen, obwohl diese mit Schreiben vom 26.02.2015 seine Arbeitskraft endgültig und abschließend abgelehnt hätte. Es erschließe sich auch nicht, inwiefern er seinen Mitwirkungspflichten in Bezug auf Unterlagen und Informationen etwaiger Vorbefunde nicht genügt habe. Letztlich sei unberücksichtigt geblieben die tiefgreifende und nachhaltige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die angekündigte Untersuchungsanordnung ohne Rücksichtnahme auf sein Recht auf freie Arztwahl. Bei der Interessenabwägung seien sein Lebensalter und die lange Beschäftigungszeit nicht ermessensfehlerfrei berücksichtigt worden. Die Abmahnungen seien unverhältnismäßig. Ebenso sei es der Beklagten zumutbar gewesen, bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist ihn fortgesetzt auf der Grundlage einer Arbeitserprobung zu beschäftigen; denn er hätte die Aufnahme der Arbeit angeboten. In einem solchen Fall eines Arbeitsversuchs hätte die Beklagte unmittelbar davon überzeugt werden können, dass er die geschuldete Tätigkeit ausüben könne.

Seine Mitwirkungshandlung im Rahmen des § 84 Abs. 2 SGB IX sei darin zu erblik-ken, dass er bereit und in der Lage gewesen sei, die Arbeit zu erbringen und dies der Beklagten auch mehrmals angeboten habe. Es sei unzutreffend, hinsichtlich des Zeitpunkts der Erklärung der Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB von seiner vermeintlichen Pflicht zur Teilnahme an der Untersuchung am 30.03.2015 auszugehen.

Hinsichtlich der Betriebsratsanhörung verweist der Kläger vollumfänglich auf seinen erstinstanzlichen Prozessvortrag. Im Zusammenhang mit § 85 SGB IX hätte zu seinen Gunsten berücksichtigt werden müssen, dass ihm die Gleichstellung behördlich zugesichert worden sei. Deshalb sei er wie ein Schwerbehinderter zu qualifizieren.

Die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass Frau N als Personalleiterin beschäftigt werde. Sowohl wegen § 174 BGB als auch wegen §§ 623, 126 BGB sei die Kündigung als unwirksam zu qualifizieren. Insbesondere handele es sich bei der Unterschrift der Zeugin N um eine schlichte Paraphe.

Rechtsfehlerhaft sei die Beurteilung von § 1 Ziff. 9 des PÜV. Es handele sich insoweit um einen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers. Es habe die Rechtsfolge analog des § 102 BetrVG gewählt werden sollen.

Die Abmahnungen seien aus seiner Personalakte zu entfernen. Sie verletzten ihn in seinem Persönlichkeitsrecht derart tiefgreifend, dass sie Ausstrahlungswirkung auf seine berufliche Zukunft hätten. Dies gelte insbesondere für eine Beschäftigung bei der Stadt E, welche nachhaltig erschwert sei.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht auch seine Zahlungsansprüche als unbegründet qualifiziert. Er habe nicht nur mit Schreiben vom 17.04.2014, sondern auch nachfolgend persönlich im Sinne des § 294 BGB durch tatsächliches Angebot zeitlich vor dem 01.08.2014 die Arbeit bei der Beklagten vertragsgemäß angeboten. Es wäre folglich an der Beklagten gewesen, ihm konkrete Arbeit zuzuweisen. Die Beklagte indes habe es abschließend und endgültig abgelehnt, ihn fortgesetzt zu beschäftigen, was sich im zeitlichen Nachgang auch in dem Schreiben vom 26.02.2015 dokumentiert habe. Nichts anderes gelte in Bezug auf die Leistung von Schadensersatz wegen entgangener Vergütung infolge einer Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch die Beklagte. Er habe allein und ausschließlich seine Arbeitsleistung zurückgehalten, weil es zunächst an der Beklagten gewesen sei, aufgelaufene Annahmeverzugslöhne auszuzahlen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 15.10.2015, Az. 3 Ca 203/15, zugestellt am 30.10.2015 abzuändern und nach den Schlussanträgen des Klägers 1. Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung abzuweisen.

Sie trägt vor, dass sie eigentlich von Beginn an gar nicht vorgehabt habe, das Arbeitsverhältnis des Klägers verhaltensbedingt zu beenden. Den Beendigungsgrund und damit auch die vollständige Zerrüttung des für eine Arbeitsfortführung notwendigen Vertrauens habe der Kläger vielmehr durch seine wiederholte beharrliche Teilnahmeverweigerung an der angeordneten ärztlichen Untersuchung herbeigeführt. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des Gesetzes sei zu bejahen. Der Kläger sei unstreitig fast dreieinhalb Jahre arbeitsunfähig erkrankt gewesen und hätte ihr gegenüber zu erkennen gegeben, dass er nicht mehr als Elektrotechniker arbeiten könne. Erstmals im Gütetermin, ohne diesen Sinneswandel jemals zu erklären, habe der Kläger ausgeführt, dass er nun auf einmal doch als Elektrotechniker arbeiten könne. Er habe dieser Erklärung allerdings keine Taten folgen lassen, sondern auf ihre Aufforderung, seine Arbeitsleistung als Elektrotechniker aufzunehmen, schlichtweg ein Zurückweisungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend gemacht. Sie habe auch nicht dauerhaft die weitere Inanspruchnahme der klägerischen Arbeitsleistung abgelehnt, sondern eine entsprechende betriebsärztliche Diagnose einholen lassen wollen, deren Erstellung bzw. Zustandekommen durch die bewusste und gewollte Verweigerung des Klägers aber letztlich gescheitert sei. Der Kläger habe durch seinen eigenen widersprüchlichen Prozessvortrag dafür gesorgt, dass er personenbedingt zum damaligen Zeitpunkt nicht habe beschäftigt werden können. Verhaltensbedingt habe er letztendlich dazu beigetragen, dass dieser Umstand angehalten habe. Er habe im Hinblick auf dieses widersprüchliche Verhalten seine Arbeitsleistung auch gerade nicht tatsächlich angeboten. Es sei nicht an ihr gewesen, es auf einen „Arbeitsversuch“ ankommen zu lassen. Im direkten Nachgang der völlig neuen prozessualen Einlassung im Gütetermin sei der Kläger aufgefordert worden, seinen Dienst am 26.02.2015 um 08:30 Uhr aufzunehmen. Das habe er aus eigenem Belieben unverzüglich mit einem urplötzlichen Hinweis auf sein angebliches Zurückbehaltungsrecht gerade nicht getan. § 3 Abs. 4 TVöD-B sei anwendbar kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme. Der Umstand, dass der Kläger die Untersuchung trotz mehrfacher Aufforderung und Abmahnung wiederholt nicht wahrgenommen habe, stelle sich als grob fahrlässig dar. Es habe auch einen begründeten Anlass im Sinne der Tarifnorm zu einer klägerischen Teilnahmepflicht an der angeordneten Untersuchung bestanden. Es gelte insoweit den vorliegenden sehr langen Krankheitsstand des Klägers, sein unstreitig nur eingeschränktes Angebot zu einer Arbeitskraft vom 17.04.2014 und seine plötzlich angeblich vollkommende Genesung im Gütetermin am 24.02.2015 und die darauf am nächsten Tag direkt folgende tatsächliche Arbeitsverweigerung zu beachten. Vor allem die eigene Bitte des Klägers, ihm doch seinen „zukünftigen Arbeitsplatz“ zu benennen, sei ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen eben nicht mehr habe auf seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren können.

Im Übrigen verteidigt die Beklagte das arbeitsgerichtliche Urteil als zutreffend.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie befinde sich auch nicht in Annahmeverzug. Sie bestreitet, dass der Kläger mit Schreiben vom 17.04.2014 oder persönlich durch tatsächliches Angebot zeitlich vor dem 01.08.2014 ihr seine Arbeit vertragsgemäß angeboten habe. Der Kläger habe zwar in der Güteverhandlung seine Arbeitsleistung angeboten, aber auf die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts im Termin ausdrücklich nicht hingewiesen. Vielmehr habe er ihr – der Beklagten – suggeriert, dass er direkt und sofort angeblich wieder voll einsatzfähig arbeiten könne und angeblich auch wolle. Deshalb habe sie am nächsten Tag die Aufforderung zur Wie-deraufnahme der Arbeit erklärt. Der Kläger sei insgesamt selbstverschuldet seines Arbeitsplatzes verlustig.

Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen in er-ster und zweiter Instanz, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

I.   Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

II.  In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts erweist sich in jeder Weise als zutreffend.

Die fristlose Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem 07.04.2015 aufgelöst. Die Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert weder an § 102 Abs. 1 BetrVG noch an §§ 84 Abs. 2, 85, 91 SGB IX. Darüber hinaus ist die Kündigung nicht gemäß § 174 BGB unwirksam; sie ist auch formwirksam im Sinne des § 623 BGB sowie ordnungsgemäß unterschrieben, § 126 Abs. 1, 2 BGB.

Eine Anhörungsverpflichtung gegenüber der Stadt E vor Kündigungserklärung bestand nicht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der streitgegenständlichen Abmahnungen aus seiner Personalakte. Ebensowenig hat er Zahlungsansprüche gegen die Beklagte, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt eines beklagtenseitigen Annahmeverzugs noch unter dem Aspekt eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch die Beklagte.

Die Berufungskammer folgt den sehr sorgfältig und umfassend begründeten Feststellungen des Arbeitsgerichts und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nochmaligen Darstellung ab. Die Angriffe der Berufung des Klägers geben Anlass zu den nachstehenden Anmerkungen.

1.   Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.04.2015 mit diesem Tag aufgelöst.

a)   Die fristlose Kündigung ist gerechtfertigt wegen Verstoßes des Klägers gegen die aus § 3 Abs. 4 TVöD-B resultierende Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers. Nach § 3 Abs. 4 TVöD-B ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, den Beschäftigten zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Ein Verstoß gegen die tarifliche Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers ist je nach den Umständen geeignet, eine Kündigung, auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers zu rechtfertigen (BAG, 27.09.2012 – 2 AZR 811/11, ZTR 2013, 265; BAG, 07.11.2002 – 2 AZR 475/01, BB 2003, 1178; BAG, 06.11.1997 – 2 AZR 801/96, AP Nr. 142 zu § 626 BGB).

aa)   Entgegen der Ansicht des Klägers ist der TVöD-B auf das Arbeitsverhältnis des Klägers kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme anwendbar. Zwar erfasst die Inbezugnahme ihrem Wortlaut nach nicht den TVöD-B, da dieser keine künftige Änderung des BAT ist. Mit dem Arbeitsgericht ist indes davon auszugehen, dass die dynamische Inbezugnahme eine nachträgliche Lücke der vertraglichen Vereinbarung bewirkt, welche im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Der BAT-VKA für den Bereich der Kommunen wurde zum 01.10.2005 weitestgehend ersetzt durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom 13.09.2005 (§ 2 TVÜ-VKA). Damit hat die dynamische Entwicklung des BAT-VKA ihr Ende gefunden mit der Folge, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der lückenhaften Klausel diejenige Gestaltung tritt, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Geschäftsbedingung bekannt gewesen wäre. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass das nachfolgende Regelungswerk des öffentlichen Dienstes vorliegend der TVöD-B ist, da der Kläger bei einer Arbeitgeberin beschäftigt ist, die der Fürsorge und Betreuung von alten Personen dienende Heime betreibt (§ 1 Abs. 1 d TVöD-B).

bb)   Die Beklagte hatte begründete Veranlassung, den Kläger zu verpflichten, an einer Untersuchung zur Klärung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken. Anlass für die angeordnete Untersuchung war die begründete Annahme der Beklagten, der Kläger könne infolge seines Gesundheitszustandes die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf seinen bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr erbringen. Es lagen insoweit berechtigte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Klägers vor.

Nach fast dreieinhalbjähriger Arbeitsunfähigkeit hatte die Betriebsärztin der Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger in seiner Arbeitsfähigkeit erheblich eingeschränkt sei. Auch der Kläger hatte zunächst gegenüber der Beklagten seine Arbeitskraft ab dem 06.05.2014 im Rahmen der der Beklagten bekannten Einschränkungen angeboten mit der Maßgabe, er sei hinsichtlich der Benennung seines zukünftigen Arbeitsplatzes für eine Vorabinformation dankbar. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Kläger die vertraglich geschuldete Tätigkeit explizit angeboten hat. Vielmehr hat der Kläger erst im Gütetermin vom 24.05.2015 ohne weitere Erklärung mitgeteilt, als Elektrotechniker arbeiten zu können. Auf die Aufforderung der Beklagten, seine Arbeitsleistung als Elektrotechniker aufzunehmen, machte er sodann ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend. Die Beklagte hat sich auch nicht strikt und nachhaltig geweigert, den Kläger zu beschäftigen. Mit ihrem Schreiben vom 26.02.2015 brachte die Beklagte vielmehr zum Ausdruck, sie gehe davon aus, dass der Kläger arbeitsunfähig sei, da er trotz ihrer Arbeitsaufforderung die Arbeit eben nicht wieder aufgenommen, sondern ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht habe. Allein mit dieser Begründung lehnte die Beklagte die Arbeitsleistung des Klägers ab. Damit lag ohne weiteres der Fall vor, eine begründete Veranlassung der Beklagten anzunehmen, den Kläger zu verpflichten, seine Arbeitsfähigkeit nachzuweisen. Gerade nämlich in einem solchen Fall gibt § 3 Abs. 4 TVöD-B dem Arbeitgeber das Recht, eine Untersuchung des Arbeitnehmers anzuordnen. Die Beklagte hat insoweit in keiner Weise widersprüchlich gehandelt. Sie hat in dem Schreiben vom 26.02.2015 nicht voraussetzungslos und grundlos die Arbeitsleistung des Klägers abgelehnt, sondern sich darauf bezogen, dass der Kläger nicht derart arbeitsfähig ist, dass er seinen alten Arbeitsplatz wieder besetzen könnte. Widersprüchlich verhalten hat sich vielmehr der Kläger, der zunächst seine Arbeitskraft im Rahmen der ärztlicherseits festgestellten Einschränkungen anbot, dann um Benennung eines zukünftigen Arbeitsplatzes bat, um schließlich nach seiner Erklärung im Gütetermin, als Elektrotechniker arbeiten zu können, der Aufforderung der Beklagten, die Arbeit wieder aufzunehmen, nicht nachzukommen.

Das Recht des Arbeitgebers, bei begründeter Veranlassung eine Untersuchung auf Arbeitsfähigkeit anzuordnen, ist an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Grenze der Anordnung ist allein, dass der Arbeitgeber von der Befugnis nicht willkürlich Gebrauch machen darf (Sponer/Steinherr, TVöD Gesamtausgabe, 164. AL 9/2016, § 3 TVöD Rz. 187). Ein willkürliches Verhalten der Beklagten war nicht erkennbar und wird von dem Kläger auch nicht behauptet.

 (1)   Gemäß § 3 Abs. 4 TVöD-B darf der Arbeitgeber verlangen, dass die ärztliche Bescheinigung durch einen Betriebsarzt ausgestellt wird. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, dass der Kläger die konkrete Untersuchungsperson für sich abgelehnt hat. Die Beklagte war keinesfalls verpflichtet, vor dem Hintergrund des § 315 Abs. 1 BGB einen alternativen Untersucher benennen zu müssen. Der Kläger kann nämlich nicht einwenden, er werde sich nur von einem Arzt seiner Wahl untersuchen lassen. § 3 Abs. 4 TVöD-B bestimmt ausdrücklich, dass es sich bei dem beauftragten Arzt um einen Betriebsarzt handeln kann, soweit sich die Betriebsparteien nicht auf einen anderen Arzt geeinigt haben. Unstreitig handelt es sich bei der von der Beklagten ausgewählten Ärztin um eine Betriebsärztin.

 (2)   Mangels begründeter Einwände des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, nicht an der von ihr bestimmten Ärztin festzuhalten (BAG, 27.09.2012 – 2 AZR 811/11, a.a.O.). Ein Verstoß der Beklagten bei der Auswahl der konkreten Ärztin gegen § 315 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Insbesondere musste die Beklagte dem Kläger nicht erläutern, warum die von ihr ausgesuchte Person die Untersuchung durchführen sollte. Die ausgesuchte Ärztin hatte der Kläger bereits am 19.12.2011 und 17.02.2014 aufgesucht, und zwar eigeninitiativ, so dass die Beklagte mangels konkreter anderweitiger Benennung durch den Kläger nicht von Einwänden gegen die ausgewählte Ärztin ausgehen musste.

b)   Im Rahmen der getroffenen Interessenabwägung hat das Arbeitsgericht das Lebensalter des Klägers und seine langen Beschäftigungszeiten berücksichtigt. Es hat diesen Sozialdaten gegenüber gestellt die besonders grobe und beharrliche Pflichtverletzung des Klägers, an der angeordneten Untersuchung nicht mitzuwirken. Die von dem Kläger geltend gemachten Weigerungsgründe sind nicht geeignet, die beharrliche Verletzung der Pflicht, an der angeordneten Untersuchung mitzuwirken, in einem für den Kläger günstigen Licht erscheinen zu lassen. Denn der Kläger war durch die streitgegenständlichen Abmahnungen ausdrücklich auf die Pflichtwidrigkeit seiner Weigerung hingewiesen worden. Weder waren die Abmahnungen unverhältnismäßig, noch hätte die Beklagte vor dem Hintergrund eines Arbeitsangebots des Klägers zunächst eine Arbeitsprobe durchführen müssen. Spätestens bei der dritten Abmahnung wusste der Kläger, dass die Beklagte die erneute Weigerung, den Untersuchungstermin am 30.03.2015 wahrzunehmen, nicht mehr hinnehmen würde. Der Kläger hatte auch deshalb, weil die Beklagte ihn darauf hinwies, dass es sich um die letzte Abmahnung handele, davon auszugehen, dass ihn bei erneuter Nichtwahrnehmung des Untersuchungstermins die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses erwarten würde. Ein milderes Mittel als eine außerordentliche, fristlose Kündigung stand der Beklagten nicht zur Verfügung. Insbesondere war ihr der Ablauf der (fiktiv anzunehmenden) ordentlichen Kündigungsfrist, bei deren Einhaltung das Arbeitsverhältnis noch mehr als acht Monate fortbestanden hätte, nicht zuzumuten. Der Beklagten war nämlich ein weiterer Einsatz des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unmöglich, da die Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht geklärt war.

Der Kläger kann der Beklagten nicht mit Erfolg vorhalten, sie habe ihre Pflicht nach § 84 Abs. 2 SGB IX nicht gewahrt. Der Arbeitgeber kann seiner gesetzlichen Pflicht nämlich insoweit nur nachkommen, wenn eine Bereitschaft des Arbeitnehmers zu entsprechender Mitwirkung besteht. Dies war bei der andauernden Verweigerungshaltung des Klägers hinsichtlich der mehreren angesetzten Untersuchungstermine nicht der Fall.

2.  Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

Kündigungsgrund ist die Nichtteilnahme des Klägers an der Untersuchung am 30.03.2015. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 07.04.2015 zu. Damit hat die Beklagte die Zweiwochenfrist des Gesetzes ohne weiteres ersichtlich eingehalten. Entgegen der Auffassung des Klägers war nicht davon auszugehen, dass die Beklagte seine vermeintliche Arbeitsunfähigkeit zur Kündigung veranlasst hat. Dass die Beklagte die vermeintliche Arbeitsunfähigkeit „einwendet“, wie der Kläger vorträgt, lässt diese nicht zum Kündigungsgrund erstarken.

3.  Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht an einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats, § 102 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BetrVG.

Hier setzt sich die Berufungsbegründung nicht mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinander, sondern verweist unzureichend auf den erstinstanzlichen Prozessvortrag. Es erschließt sich zudem nicht, zu welchem konkreten Vorbringen des Klägers das erstinstanzliche Gericht hätte Zeugen vernehmen müssen. Unter Berücksichtigung des anzuwendenden Grundsatzes der subjektiven Determinierung ist nicht erkennbar, dass die Beklagte dem Betriebsrat die für ihren Kündigungsentschluss maßgeblichen Gründe nicht vollständig mitgeteilt hätte. Das gilt auch in Bezug auf die dem Betriebsrat nicht mitgeteilte Vertretungstätigkeit des Klägers, da diese den Kündigungsentschluss der Beklagten nicht bestimmt hat. Hier fehlt es ebenfalls mit einer Auseinandersetzung der Berufung im einzelnen. Gleiches gilt für die Information des Betriebsrats hinsichtlich des Termins bei der Betriebsärztin Anfang 2011. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst falsch informiert hat. Im Übrigen kann insgesamt verwiesen werden auf die sorgfältig begründete Entscheidung des Arbeitsgerichts (Seiten 16 bis 19 der Entscheidungsgründe).

4.  Die Kündigung ist auch nicht unwirksam wegen Verstoßes der Beklagten gegen §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX.

Der Kläger ist einem schwerbehinderten Menschen nicht durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX gleichgestellt (§ 68 Abs. 2 SGB IX) mit der Folge, dass die streitgegenständliche Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurft hätte, §§ 68 Abs. 1, 85 SGB IX. Die Bundesagentur für Arbeit hatte dem Kläger insoweit lediglich die Gleichstellung zugesichert. Dies hat das Arbeitsgericht berücksichtigt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat richtig begründet, dass die schriftliche Zusage der zuständigen Behörde, einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen, diese zwar grundsätzlich zu entsprechendem Verwaltungshandeln verpflichtet, den zugesicherten Verwaltungsakt indes nicht ersetzt und sich hierfür auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts 9 AZR 643/07 (NZA 2009, 728) bezogen. Dem folgt die Berufungskammer (s. Rn. 35 der angezogenen Entscheidung).

5.

a) Den gleichfalls überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Kündigungsvollmacht der Personalleiterin N der Beklagten tritt die Berufung nicht erheblich entgegen. Die Zeugin N ist die Personalleiterin der Beklagten und hatte damit Kündigungsvollmacht (vgl. BAG, 22.01.1998 – 2 AZR 266/97, Rn. 11f., juris). Dies hat das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung auch des Berufungsgerichts ohne Weiteres erbracht. Hieran vermag jedenfalls allein die Nähe der Zeugin N zur Beklagten („im Lager“) nichts zu ändern.  Der Kläger hätte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bzw. der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage im einzelnen dartun müssen, was nicht geschehen ist. Zudem war die Vollmacht durch eine Urkunde nachgewiesen, deren Echtheit der Kläger nicht eingewendet hat (vgl. BAG, 22.01.1998, a.a.O., Rn. 12, juris). Für die Annahme der Kündigungsvollmacht der Personalleiterin bedurfte es nicht zusätzlich der Vorlage (irgend-)eines Arbeitsvertrages „mit der Frau N“ durch die Beklagte. Da mit der Stellung als Personalleiter das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist, war die Kündigung, ausgesprochen durch die Personalleiterin der Beklagten, rechtlich unproblematisch anzuerkennen.

b)  Eine Unwirksamkeit der Kündigung folgt auch nicht aus § 174 Satz 1 BGB. Denn der Zurückweisungserklärung des Klägers lag keine Vollmacht bei. Die nach Ansicht des Klägers der Beklagten mit Schreiben vom 19.09.2014 zur Verfügung gestellte Vollmacht betraf die in Kopie vorgelegte Vollmacht in Sachen „S ./. Stadt E“, adressiert an die Stadt E, welche jedoch nicht die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits ist. Entgegen der Annahme des Klägers war die Vorlage einer Vollmacht seiner Prozessbevollmächtigten nicht entbehrlich. Liegt der Zurückweisungserklärung ihrerseits keine Vollmacht bei, ist die Zurückweisung der Zurückweisung rechtlich erfolgreich möglich (LAG Berlin, 30.04.2004 – 13 Sa 350/04, Rn. 24 m.w.N., juris). Es kann dahinstehen, ob der Kläger seine Prozessbevollmächtigten (zuvor) in anderen Rechtsangelegenheiten bevollmächtigt hatte. Der Vortrag, dies sei „vollumfassend“ geschehen, lässt zudem den inhaltlichen Umfang der Bevollmächtigung nicht erkennen mangels hinreichender Substantiierung.

6.   Die Kündigung ist auch formwirksam im Sinne der §§ 126 Abs. 1, 2 und 623 BGB erklärt worden. Insbesondere erfüllt der Schriftzug unter der Kündigungserklärung vom 07.04.2015 die an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen und stellt  keine Paraphe dar. Auch dies hat das Arbeitsgericht sorgfältig begründet, ohne dass die Berufung dem erheblich entgegengetreten wäre. Dass die Unterschrift auch tatsächlich von der Zeugin N stammt, hat die Beweisaufnahme für die Berufungskammer überzeugend ergeben. Der Hinweis, die Zeugin stehe im Lager der Beklagten, geht auch insoweit ins Leere. Das Gericht durfte zu seinem Ergebnis kommen durch einen selbst vorzunehmenden Schriftvergleich gemäß § 441 ZPO; eine Hinzuziehung eines graphologischen Sachverständigen war entbehrlich (LAG Düsseldorf, 07.11.2012 - 12 Sa 1392/12, Rn. 31 m.w.N., juris).

7.  Die Kündigung scheitert nicht an der in § 1 Ziffer 9 des PÜV vorgesehenen Anhörungsverpflichtung der Stadt E.

In keinem Fall führt  die Nichtbeachtung der Anhörungsverpflichtung zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet. Entgegen der Annahme des Klägers ist insbesondere ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers nicht anzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien des PÜV bei Vertragsabschluss sicherstellen wollten, dass eine fehlende Anhörung zur Unwirksamkeit einer Kündigung führe, sind nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar. Der Hinweis auf die Rechtsfolge analog § 102 BetrVG verfängt nicht. Denn entgegen § 102 BetrVG, der in seinem Abs. 1 Satz 3 eine Sanktion bestimmt für den Fall der ohne Anhörung erklärten Kündigung, weist der PÜV diese Rechtsfolge nicht auf. Auch die weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts überzeugen; ihnen hat die Berufung nichts Erhebliches entgegenzusetzen. Behauptungen ins Blaue zu Wille und Sinn der Vertragsschließenden des PÜV ersetzen kein substantiiertes Vorbringen. Dem angebotenen Beweis (Zeugnis des Herrn M, Personal- und Organisationsamt bei der Stadt E) war als unzulässiger Ausforschungsbeweis nicht nachzugehen. Regelungen ohne Sanktionen sind zudem nicht per se ein „zahnloser Tiger“, zumal die Vertragsparteien des PÜV etwa Rückkehrrechte nach betriebs- oder krankheitsbedingten Kündigungen durchaus geregelt haben.

8.   Der nur für den Fall des Obsiegens gestellte Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht mehr zur Entscheidung angefallen.

9. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Entfernung der ihm von der Beklagten erteilten Abmahnungen aus seiner Personalakte.

Die Anspruchsgrundlage der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog greift grundsätzlich nur im bestehenden Arbeitsverhältnis. Es ist zwar anerkannt, das die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rechte und Pflichten begründen kann (st. Rspr., etwa BAG, 14.09.1994 – 5 AZR 632/93, NZA 1995, 220; BAG, 17.01.1956 - 3 AZR 304/54, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG,  2.12.1986 - 3 AZR 123/86, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Deputat). Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt aber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Regelfall zu dem Ergebnis, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte nicht mehr zusteht (vgl. auch BAG, 19.07.2012 – 2 AZR 782/11, NZA 2013, 91). Etwas anderes kann dann gelten, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden kann. Ein solcher Fall liegt vor, wenn eine Interessenabwägung im Einzelfall ergibt, dass die weitere Aufbewahrung zu unzumutbaren beruflichen Nachteilen für den Arbeitnehmer führen könnte, obwohl der beurkundete Vorgang für das Arbeitsverhältnis rechtlich bedeutungslos geworden ist (BAG, 30.05. 1996 – 6 AZR 537/95,  AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2). Dafür ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Die Interessenlage nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich dadurch geprägt, dass das berufliche Fortkommen bei dem bisherigen Arbeitgeber nicht mehr behindert werden kann. Dort wird es im Regelfall keine arbeitsrechtlichen Nachteile mehr geben können. Die Abmahnung hat also nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in aller Regel erheblich an Bedeutung verloren.  Allerdings kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat der Kläger keinen Entfernungsan-spruch. Sein Hinweis, die Abmahnungen hätten Ausstrahlungswirkung auf seine berufliche Zukunft, trägt für sich genommen nicht. Auch das Vorbringen, ein Auffinden einer anderweitigen Beschäftigung, insbesondere bei der Stadt E, sei nachhaltig erschwert, bleibt lediglich unsubstantiierte Behauptung. Das gilt speziell für den Vortrag, die Stadt E habe eine fortgesetzte Beschäftigung des Klägers abgelehnt, weil die Beklagte sie vom Ausgang des Rechtstreits vollumfänglich in Kenntnis gesetzt habe. Wer wann im einzelnen eine entsprechende Ablehnung gegenüber dem Kläger formuliert bzw. die Stadt E über den Ausgang des Rechtsstreits wie informiert hat, erschließt sich dem Vorbringen des Klägers nicht; dem angebotenen Beweis war daher unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Ausforschungsbeweises nicht nachzugehen.

Wird ein Beweis angetreten, bei dem es an der Bestimmtheit der zu beweisenden Tatsache fehlt und sollen durch die beabsichtigte Beweiserhebung erst die Grundlagen für die substantiierte Tatsachenbehauptung gewonnen werden, ist dieser Beweisantritt unzulässig und unbeachtlich (BAG, 28.5.1998 – 6 AZR 618/96, NZA 1999, 96). Gemäß § 373 ZPO muss die beweispflichtige Partei - hier der Kläger - diejenigen Tatsachen bezeichnen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörende Geschehnisse oder Zustände. Entsprechen die unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen nicht diesen Anforderungen, hat die Beweiserhebung aufgrund dieses unzulässigen Ausforschungsbeweisantritts zu unterbleiben (BAG, 6.5.1998 – 5  AZR 612/97, NZA 1998, 939).

10.   Zahlungsansprüche gegen die Beklagte aus Annahmeverzug und auf Schadensersatz bestehen nicht.

a)   Für den Zeitraum 01.08.2014 bis 24.02.2015 besteht kein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Arbeitsvergütung gemäß §§ 615 Satz 1, 611 Abs. 1 BGB. Denn die Beklagte befand sich während dieses gesamten Zeitraums nicht in Annahmeverzug. Das Schreiben des Klägers vom 17.04.2014 konnte die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzen, weil es nicht die geschuldete Arbeitsleistung betraf, § 294 BGB. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend gesehen. Die Berufung setzt sich mit den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts nicht in der gebotenen Tiefe auseinander, insbesondere nicht mit dem Aspekt, dass erst die durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts im Falle einer im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig beschriebenen Tätigkeit näher bestimmte Tätigkeit die im Sinne von § 294 BGB zu bewirkende Arbeitsleistung ist. Auch überzeugt nicht die Auffassung des Klägers, die Beklagte hätte ihm nicht ein Arbeitsangebot als Elektrotechniker machen müssen, sondern des Inhalts seiner zuvor erfolgten tatsächlichen Beschäftigung. Hier bleibt es dabei, dass die Beklagte ihr Direktionsrecht gemäß § 106 Satz 1 GewO in rechtlich zulässiger Weise schon vor der Erkrankung des Klägers dahin ausgeübt hatte, dem Kläger vertragsgemäß die Tätigkeiten eines Elektrotechnikers zuzuweisen.

Das Angebot einer „leidensgerechten Arbeit“ vermochte die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzen, wie das Arbeitsgericht zutreffend begründet hat. Auch in der Berufungsinstanz fehlt es an einem substantiierten Vortrag des Klägers dazu, dass er der Beklagten seine Arbeitskraft als Elektrotechniker angeboten hat. Das gilt insbesondere auch für seine pauschale Behauptung, er habe am 24.04. und 27.05.2014  seine Arbeitskraft der Beklagten tastsächlich angeboten. Dem (unzulässigen) Beweisangebot war nicht nachzugehen.

Ebenso wenig befand sich die Beklagte in der Zeit vom 25.02. bis 07.04.2015 in Annahmeverzug. Mit dem Arbeitsgericht geht auch die Berufungskammer davon aus, dass dem Kläger ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nicht zustand. Kein Zahlungsanspruch besteht schließlich für die Zeit vom 08.04.2015 bis September 2015, da das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitraum bereits beendet war.

b)  Auch Ansprüche auf Schadensersatz wegen entgangener Vergütung in Folge einer Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten durch die Beklagte stehen dem Kläger nicht zu.

Ein Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben. Denn die Beklagte hat, in- dem sie dem Kläger keine andere Tätigkeit zuwies, nicht schuldhaft ihre Rück-sichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt. Der insoweit darlegungsbehaftete Kläger hat nicht dargetan, dass der Beklagten innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens  eine Beschäftigung möglich gewesen wäre und er eine solche von der Beklagten verlangt hat. Das Vorbringen in der Berufungsinstanz enthält hierzu nichts weiterführend Neues.

Nach alledem war die Berufung insgesamt zurückzuweisen.

III.  Die Kostenfolge zu Lasten des mit dem Rechtsmittel unterlegenen Klägers beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision war nicht gegeben.



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