Arbeitsgericht Frankfurt

Urteil vom - Az: 13 Ga 130/15

Piloten dürfen streiken

Für die Feststellung, was Streikziel ist, ist richtigerweise auf den Inhalt des Streikbeschlusses abzustellen.

(Die Entscheidung ist in der Berufungsinstanz aufgehoben worden. Nach Ansicht des Landesarbeitsgericht Hessen ist im vorliegenden Falle nicht alleine auf den Streikbeschluss, sondern auch auf Verlautbarungen beispielsweise des Pressesprechers abzustellen.)

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen.

Die Verfügungsklägerin zu 1 ist die größte deutsche Fluggesellschaft und Obergesellschaft des Lufthansa Konzerns. Die Verfügungsklägerin zu 2 ist eine der größten Frachtfluggesellschaften im internationalen Luftverkehr. Sie ist eine 100prozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1. Die Verfügungsbeklagte ist eine Gewerkschaft, sie vertritt die Interessen von rund 9300 Cockpit-Mitarbeitern aus zahlreichen deutschen Luftfahrtgesellschaften.

Nach der Kündigung des Tarifvertrages Übergangsversorgung (im Folgenden TV-ÜV) verhandeln die Parteien seit Ende 2013 über den Abschluss eines neuen Tarifvertrages. Nach Durchführung einer Urabstimmung kam es in der Folgezeit zu zahlreichen Streikmaßnahmen, erstmals rief die Verfügungsbeklagte am 28. März 2014 zum Streik auf. Insgesamt kam es – im Vorfeld der jetzigen Streikmaßnahme – zu zwölf Streiks, die zum Teile die Verfügungsklägerinnen betrafen, zum Teil die Fluggesellschaft Germanwings. Der letzte Streik fand in der Zeit vom 18. bis 21. März 2015 statt. Zuvor war ein Schlichtungsangebot der Verfügungsklägerin zu 1 bezüglich des Neuabschlusses eines Tarifvertrages zur Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal abgelehnt worden. Als Reaktion darauf forderte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin zu einer Gesamtschlichtung bezüglich aller strittigen Fragestellungen auf (Anlage ASt 25). Ein weiteres Schlichtungsangebot erfolgte im Februar 2015. Mit Schreiben vom 16. März 2015 legte die Verfügungsklägerin zu 1 ein Angebot zur Übergangsversorgung vor (Anlage ASt 31). Dies wurde nicht angenommen, die Verfügungsbeklagte kündigte am gleichen Tag Streikmaßnahmen für den 18. März 2015 an. Nach dem Absturz der Germanwingsmaschine 4U9525 am 24. März 2015 kam es zunächst zu keinen weiteren Streikmaßnahmen. Nachdem die Gespräche zu Tarifthemen Ende April 2015 wieder aufgenommen wurden, regte die Verfügungsklägerin zu 1 eine Gesamtschlichtung aller offenen Tarifverträge an (Pressemitteilung vom 29. April 2015, Anlage ASt 36). Dem stimmte die Verfügungsbeklagte am 13. Mai 2015 zu und erklärte, bis zum Beginn der Schlichtung Ende Juli 2015 auf weitere Streiks zu verzichten. Die Parteien verständigten sich auf Bundesminister a. D. X als Schlichter. Letztlich kam die Schlichtung nicht zustande, da unterschiedliche Vorstellungen über die dort zu verhandelnden Themen bestanden. Nach Vorstellung der Verfügungsbeklagten sollten auch Arbeitsplatzthemen im Zusammenhang mit dem im Juli 2014 verkündeten sogenannten Wing Konzept in die Schlichtungsgespräche eingezogen werden. Dabei ging es etwa um die Geltung der Arbeitsbedingungen des Konzerntarifvertrages bei der Eurowings GmbH und anderen Beteiligungsgesellschaften. Dem gegenüber verwies die Verfügungsklägerin zu 1 darauf, dass sie nicht bereit sei, im Rahmen einer Schlichtung über die unternehmerischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Wings Konzept zu sprechen. Dieses Konzept beinhaltet, dass eine neue „no-frill-Airline“ unter einer neuen Marke künftig „low-cost-Flüge“ im Interkontinentalverkehr für Privatreisende, voraussichtlich mit B767 beziehungsweise A330 Modellen anbieten soll. Daneben soll die bereits existierende Eurowings GmbH „low-cost-Flüge“ im Kontinentalverkehr für Privatreisende anbieten. Die Eurowings GmbH ist eine 100prozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1 und bislang als Regio-Gesellschaft tätig. Hierzu hatte der Vorstandsvorsitzende der Verfügungsklägerin zu 1 die Pläne am 09. Juli 2014 vorgestellt. Dies beinhaltete auch den Plan, Arbeitsplätze außerhalb Deutschlands zu schaffen mit Gründung einer ausländischen Gesellschaft. Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 unterbreitete die Verfügungsbeklagte einen Vorschlag für ein „Bündnis für Wachstum und Beschäftigung“. Dabei ging es auch um Vorschläge zu einer Neuregelung des Tarifvertrags Übergangsversorgung verbunden mit dem Angebot, dort Abstriche hinzunehmen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens verwiesen (Anlage ASt 38). Mit Schreiben vom 02. September 2015 erklärte die Verfügungsbeklagte das Scheitern der Verhandlungen zum Tarifvertrag Übergangsversorgung und kündigte Arbeitskampfmaßnahmen an. Mit Beschluss vom 04. September 2015 beschloss der Vorsitzende Tarifpolitik und der Vorstand der Verfügungsbeklagten Streikmaßnahmen am 08. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Verfügungsklägerin zu 1 durchzuführen. In dem Beschluss heißt es unter anderem:

 „mit dem Streik soll folgendes Tarifziel durchgesetzt werden: Neuabschluss eines Tarifvertrages Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal bei der Deutschen Lufthansa“.

Entsprechende Streikbeschlüsse ergingen – ebenfalls am 4. September 2015 – zu Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin zu 2 am 08. September 2015 und zu Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin zu 1 am 09. September 2015. Hinsichtlich des Inhalts der Beschlüsse wird auf die entsprechenden Anlagen Bezug genommen. Mit Schreiben vom 05. September 2015 schlug die Verfügungsklägerin zu 1 der Verfügungsbeklagten vor, die Gespräche und Verhandlungen wieder aufzunehmen (Anlage Ast 40).

Die Streikmaßnahmen am 08. September 2015 wurden – wie angekündigt – umgesetzt. Die Verfügungsklägerinnen erreichten durch das Aufstellen von Ersatzflugplänen nach ihren Angaben, dass etwa die Hälfte der Interkontinentalflüge gleichwohl durchgeführt werden konnten, ebenfalls wurde erreicht, dass ein großer Teil der Flüge im Frachtverkehr stattfinden konnte.

Mit Antragsschrift vom 08. September 2015, bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen und der Verfügungsbeklagten zugestellt am selben Tage, beantragten die Verfügungsklägerinnen die Untersagung der Streikmaßnahmen.

Die Verfügungsklägerinnen halten den Streik für rechtswidrig. Sie gehen davon aus, dass die Verfügungsbeklagte ein rechtswidriges Streikziel verfolgt. Insoweit halten sie nicht die Angaben in den Streikbeschlüssen vom 04. September 2015 für maßgeblich. Sie sind der Ansicht, abweichend von den formellen Festlegungen im Streikbeschluss sei auch das gesamte Verhalten und die Äußerungen der Verfügungsbeklagten zur Bestimmung des Streikziels heranzuziehen. Hieraus ergebe sich, dass die Verfügungsbeklagte eigentlich das Ziel verfolge, sich dem Wings Konzept entgegenzustellen. Sie setze damit den Streik ein, um auf eine zentrale Entscheidung im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit Einfluss zu nehmen; dies sei rechtswidrig. Der Streik sei im Übrigen unverhältnismäßig. Insoweit unterliege die Streikmaßnahme der Verfügungsbeklagten einer verschärften Verhältnismäßigkeitsprüfung, dies sei im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass es sich um eine Spartengewerkschaft handele. Die in Rede stehenden Streikmaßnahmen seien nicht angemessen. Schließlich ergebe sich die Rechtswidrigkeit des Streiks aus dem Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitskampfparität. Die Paritätsverschiebung ergebe sich insbesondere durch die Gewerkschaftspluralität nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit. Auch sei auf Seiten der Verfügungsklägerinnen kein adäquates Kampfmittel gegeben, dass sie dem Streik entgegensetzen könne.

Es liege auch ein Verfügungsgrund vor, da die Möglichkeit bestehen müsse, sich gegen einen rechtswidrigen Streik durch eine Eilverfügung zu schützen. Eine Interessenabwägung sei in diesem Zusammenhang bei feststehender Rechtswidrigkeit des Streiks nicht erforderlich, selbst wenn man diese aber vorzunehmen hätte, seien die Interessen der Verfügungsklägerinnen an der Unterlassung des Streiks als überwiegend anzusehen.

Die Verfügungsklägerin zu 1 beantragt – unter Antragsrücknahme mit Übrigen – der Verfügungsbeklagten zu untersagen,

1.1 ihre Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 08. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 1 betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs A 380, A 340, A 330 und Boeing Boeing B747 von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durch-zuführen;

1.2 ihre Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 9. September 2015, von 0:01 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs Airbus A320-Family, Boeing B737 und Embraer von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeit-raum durchzuführen;

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen Ziffer 1.1 und 1.2

der Verfügungsbeklagten zu untersagen, ihre Mitglieder zu bundeweiten Streiks am 9. September 2015 bei der Verfügungsklägerin zu 1 aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen, soweit die Streikmaßnahmen

 (a) die Dauer von zwei Stunden an einem Tag überschreiten;

 (b) weiter hilfsweise zu (a): die Dauer von vier Stunden an einem Tag überschreiten;

 (c) weiter hilfsweise zu (b): die Dauer von sechs Stunden an einem Tag überschreiten;

 (d) weiter hilfsweise zu (c): die Dauer von acht Stunden an einem Tag überschreiten.

Die Verfügungsklägerin zu 2 beantragt,

es der Antragsgegnerin zu untersagen, ihre Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 08. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 2 betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs MD11 und B77F von Deutschland aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen.

Die Verfügungsklägerinnen beantragen ferner:

Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250.000,00 (in Worten: Euro zweihundertfünfzigtausend), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Präsidenten Y, angedroht.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte hält den Streik für rechtmäßig. Maßgeblich sei der Inhalt ihres Streikbeschlusses. Die Aufgabe des Wings Konzepts sei zu keinem Zeitpunkt von der Verfügungsbeklagten zum Streikziel erhoben worden. Die Streikmaßnahmen seien auch weder unverhältnismäßig noch beeinträchtigten sie die Arbeitskampfparität.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den gesamten Inhalt der gewechselten und in mündlicher Verhandlung im Bezug benommen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist nicht begründet. Die Verfügungsklägerinnen haben keinen Anspruch auf die begehrten Unterlassungen. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und dem von der Rechtsprechung anerkannten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, da die Arbeitskampfmaßnahmen der Verfügungsbeklagten nicht rechtswidrig sind. Die Verfügungsbeklagte verfolgt keine rechtswidrigen Streikziele, die geplanten Maßnahmen sind nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitskampfparität liegt nicht vor.

1. Die Verfügungsbeklagte verfolgt kein rechtswidriges Streikziel. Zwar ist es richtig, dass Streikmaßnahmen bei Rechtswidrigkeit einer einzigen Streikforderung als rechtswidrig anzusehen sind. Jedoch ist das hier verfolgte Streikziel nicht unzulässig. Auszugehen ist für die Bestimmung des Streikziels von den förmlichen Streikbeschlüssen der Verfügungsbeklagten vom 04. September 2015. In sämtlichen Streikbeschlüssen ist als Streikziel der Abschluss eines Tarifvertrags Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal genannt. Dieses Streikziel ist ein zulässiges Streikziel, was auch die Verfügungsklägerinnen nicht Abrede stellen. Für die Feststellung, was Streikziel ist, ist richtigerweise auf den Inhalt des Streikbeschlusses abzustellen. So versteht die Kammer auch das Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 24. April 2007 (1 AZR 252/06, Juris). Jedenfalls ergibt sich aus der genannten Entscheidung sicher nicht der gegenteilige Schluss, den die Verfügungsklägerinnen hier ziehen möchten. Die formelle Betrachtung ausgehend vom Inhalt des Streikbeschlusses ist aus Gründen der Rechtssicherheit und –klarheit erforderlich. Die Auffassung der Verfügungsklägerinnen, wonach Strategien, offizielle Statements der Gewerkschaft im Rahmen der Tarifvertragsverhandlungen und das Vorgehen einer Gewerkschaft in diesem Zusammenhang dazu führen können, dass - abweichend vom Inhalt des Streikbeschlusses – ein neues Streikziel erkannt werden kann, führt zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten und missachtet die gewerkschaftsinternen Willensbildungsprozesse. So stellt sich schon die Frage, wie das in Einzelnen ermittelt werden soll und durch wen. Auch ist die Frage, wer hierzu maßgebliche Erklärungen abgeben kann und wie damit umzugehen ist, wenn sich widersprechende Erklärungen vorliegen. Ganz praktisch betrachtet ist es keine Seltenheit, dass im Rahmen von Tarifvertragsverhandlungen auch Gegenstände miterörtert werden, durchaus auch als Forderungen einer Seite aufgestellt werden im Rahmen von diskutierten Paketlösungen, die mit den Mitteln des Streikrechts nicht durchzusetzen wären. So versteht auch die Kammer das Angebot der Verfügungsbeklagten vom Juli 2015. Es ist nicht erkennbar, wie objektiv festgestellt werden sollte, wann solche Verhandlungspositionen und Vorschläge, die auch andere Punkte in Tarifvertragsverhandlungen einbeziehen, „zum heimlichen Streikziel“ mutieren. Es ist dann auch die Frage, wie unter solchen Vorzeichen noch offene, alle Lösungsmöglichkeiten einbeziehende Tarifvertragsverhandlungen geführt werden könnten, bei denen es ja – wie auch die Verfügungsklägerinnen im Rahmen der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung eingeräumt haben – durchaus einmal darum gehen kann, dass Regelungen in einer Gesamtlösung getroffen werden sollen, die nicht erstreikt werden könnten. Soweit die Verfügungsklägerinnen darauf hinweisen, dass in zahlreichen schriftlichen Äußerungen der Verfügungsbeklagten es im Wesentlichen um das Wings Konzept geht und nicht um den Tarifvertrag Übergangsversorgung, so ist dies wohl erstmal dem Umstand geschuldet, dass die Verfügungsbeklagte diese unternehmerische Entscheidung kritisch betrachtet, aufgrund derer sie – wie in der heutigen Sitzung deutlich geworden ist – negative soziale Auswirkungen befürchtet. Mit einer solchen Kritik der Gewerkschaft an ihren unternehmerischen Entscheidungen müssen die Verfügungsklägerinnen umgehen.

2. Die in Rede stehenden Streikmaßnahmen wahren auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sie sind insbesondere nicht unangemessen, wie die Verfügungsklägerinnen meinen. Dabei teilt die Kammer nicht die Auffassung der Verfügungsklägerinnen, wonach hier eine verschärfte Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden habe, wie zum Teil in der Literatur für Betriebe der Daseinsvorsorge gefordert wird. Richtigerweise hat hier eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden nach den üblichen Maßstäben, die Raum lässt für sämtliche Umstände des Einzelfalles (vgl. dazu Hess. LAG, 07.11.2014, 9 SaGa 1496/14, Juris). Auch den Spartengewerkschaften stehen die vollen Rechte aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz zu, dies ist ein Ergebnis der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit, insbesondere das Streikrecht kann nicht auf die beschriebene Weise relativiert werden.

Der Streik ist gemessen daran nicht unverhältnismäßig. Insbesondere stellt er keinen unangemessenen Eingriff in Rechtspositionen Dritter dar. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass durch den geplanten Streik hohe finanzielle Schäden bei den Verfügungsklägerinnen eintreten werden oder schon eingetreten sind. Wirtschaftliche Schädigung ist aber Teil jeden Arbeitskampfes und von Verfassungs wegen prinzipiell hinzunehmen. Die von den Verfügungsklägerinnen angesprochenen Imageschäden, die möglicherweise zu Kundenverlusten führen, sind zunächst belastbar nicht nachzuweisen, die ausgesprochen hohe Auslastung im Sommer 2015 spricht zunächst einmal nicht dafür. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, die für eine Existenzgefährdung der Verfügungsklägerinnen sprechen. Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht aus der Drittbetroffenheit. Die Streikmaßnahmen treffen nicht nur die Verfügungsklägerinnen, sondern auch deren Kunden und letztlich die Volkswirtschaft, die vom Frachtverkehr abhängt. Allerdings entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass auch ein Streik in einem Unternehmen der Daseinsvorsorge nicht von vornherein unzulässig sein kann (vgl. zuletzt Hess. LAG, 07.11.2014, 9 SaGa 1496/14, Juris mit weiteren Nachweisen). Ein solches „Streikverbot“ wäre mit der in Artikel 9 Absatz 3 garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit nicht zu vereinbaren (Hess. LAG, a.a.o). Die Drittbetroffenheit ist in diesem Falle eine unvermeidbare Folge.

Auch ein Verstoß gegen den ultima ratio Grundsatz ist nicht zu erkennen. Soweit die Verfügungsklägerinnen die Unverhältnismäßigkeit des Streiks damit begründen wollen, dass die Verfügungsbeklagte sich der Schlichtung verweigert, ist darauf hinzuweisen, dass es de lege lata kein obligatorisches Schlichtungsverfahren gibt. Dies im Wege der Rechtsfortbildung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zu entwickeln, hält die Kammer nicht für geboten. Sie schließt sich der Auffassung an, dass rechtsfortbildende Überlegungen gerade in einem summarischen einstweiligen Verfügungsverfahren nicht angestellt werden müssen (vgl. hierzu die Nachweise Hess. LAG, 07.11.2014, 9 SaGa 1496/14, Juris). Vorliegend haben zwischen den Parteien Tarifvertragsverhandlungen immer wieder stattgefunden. Wie sich aus dem im Termin überreichten Schreiben des Herrn S. an die Verfügungsbeklagte vom 16. März 2015 ergibt, gab es auch im März 2015 noch Gespräche zu dem Thema Übergangsversorgung. Diese blieben aber bisher ohne einvernehmliches Ergebnis. Im Übrigen ist noch ergänzend darauf hinzuweisen, dass auch schon vor der Verkündung des Wings Konzepts eine Einigung zum Thema Übergangsversorgung nicht gelungen ist, auch hier kam es schon zu einer Streikmaßnahme. Dabei haben die Verhandlungen hierzu bereits Ende 2013 begonnen.

Schließlich ist der Streik auch nicht unverhältnismäßig im Hinblick auf die Ankündigungsfrist, die die Verfügungsbeklagte einhält, nämlich 24 Stunden. Zwar kann grundsätzlich auch eine Verpflichtung zu Vorankündigungen von Streikmaßnahmen geboten sein, nämlich insbesondere dann, wenn er Auswirkungen für Dritte hat. Im Einzelfall ist aber zu beachten, dass es gerade das Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme ist, durch die Zufügung wirtschaftlicher Nachteile Druck zur Erreichung von legitimen tariflichen Zielen auszuüben (Arbeitsgericht Frankfurt am Main, 14 Ga 126/14). Unverhältnismäßig wird das Kampfmittel erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger Rechtspositionen darstellt. Davon geht die Kammer hier nicht aus. Die Verfügungsklägerinnen werden durch die Vorankündigungsfrist von 24 Stunden in die Lage versetzt, die Kunden zu informieren und gegebenenfalls auch durch Notflugpläne und Umbuchungen Ausweichmöglichkeiten zu schaffen. So ist es den Verfügungsklägerinnen gelungen die Streikmaßnahme am heutigen Tage durch entsprechende Maßnahmen in Teilen abzumildern, indem zahlreiche Flüge dennoch, wie geplant, durchgeführt werden konnten.

3. Die Arbeitskampfparität ist schließlich hier nicht in einem solchen Maß gestört, dass der Streik als rechtswidrig anzusehen ist. Einen Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität leiten die Verfügungsklägerinnen zunächst durch die Paritätsverschiebung durch Gewerkschaftspluralität ab. Die von den Verfügungsklägerinnen aufgestellten allgemeinen Spekulationen zu den Nachteilen eines Unternehmens mit mehreren Spartengewerkschaften sind in dieser Allgemeinheit nicht geeignet, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität in diesem konkreten Fall zu begründen. Erfolglos bleibt auch das Vorbringen, der Verstoß gegen den Grundsatz der Kampfparität ergebe sich aus dem Fehlen jeglicher Reaktionsmöglichkeiten auf Seiten der Verfügungsklägerinnen. Zwar verweisen die Verfügungsklägerinnen auf die Probleme, die bei den in Betracht zu ziehenden Abwehrmitteln - etwa der Aussperrung – eintreten würden. In der Gesamtbetrachtung sieht die Kammer aber keine Situation gegeben, in der die Kampfparität der Tarifvertragsparteien ernsthaft in Frage gestellt wäre. Die Hürden für die Annahme eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Kampfparität sind hoch. Jede Einschränkung der Kampffähigkeit einer kleinen Spartengewerkschaft stellt sich gleichzeitig als ein Eingriff in die Koalitionsbetätigungsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz der kampführenden Gewerkschaft dar, sodass es gewichtiger und tragfähiger Gründe bedarf, nicht nur abstrakter Befürchtungen, um eine nachhaltige Störung der Parität zu bejahen (hierzu Hess. LAG, 07.11.2014, 9 SaGa 1496/14). In der Gesamtbetrachtung sieht die Kammer es hier als zumutbar für die Verfügungsklägerinnen an, die Folgen dieses Arbeitskampfes hinzunehmen, ohne selbst Arbeitskampfmittel ergreifen zu können. Eine Lösung des Konflikts wird sich letztlich – darüber waren sich im Ausgangspunkt die Parteien im heutigen Verhandlungstermin zumindest einmal einig – nicht durch Streik, sondern durch ernsthafte Verhandlungen und das Vorlegen annehmbarer Angebote erreichen lassen.

4. Erfolglos bleibt auch der Hilfsantrag der Verfügungsklägerin zu 1. Da der in Aussicht genommene Streik als verhältnismäßig und rechtmäßig anzusehen ist, gibt es keine Grundlage für eine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht.

II. Die Verfügungsklägerinnen haben aufgrund ihres Unterliegens die Kostens des Verfahrens zu tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 250.000 EUR festgesetzt. Die Berufung wird zugelassen, § 64 Abs. 3 Nr. 2 c ArbGG.



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