Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 9 SaGa 1082/15

Pilotenstreik ist doch rechtswidrig

(1.) Eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, kommt einer Befriedigungsverfügung gleich. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Umgekehrt gilt aber auch, dass die einstweilige Verfügung umso eher zu erlassen ist, je offensichtlicher die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ist.

(2.) Wird der Streik wegen eines tariflich nicht regelbaren Ziels geführt, welches erkennbar nicht bloß untergeordneten Charakter hat, ist der Arbeitskampf insgesamt als rechtswidrig anzusehen.

(3.) Zur Bestimmung des Streikziels kann auch auf Umstände außerhalb des formellen Streikbeschlusses abgestellt werden. Eine Auslegung des wirklichen Willens der kampfführenden Gewerkschaft ist erforderlich, wenn das gegenüber der Arbeitgeberseite kommunizierte Kampfziel unklar ist.

(4.) Wird eine tariflich nicht regelbare Forderung mit einer tariflich regelbaren Forderung verknüpft, so führt dies zur Rechtswidrigkeit eines deswegen geführten Streiks, wenn die unzulässige Forderung einen Anlass zum Streik gegeben hat und nicht lediglich ein unwesentliches Begleitmotig darstellt.

Hier: Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Hessen ist der für den 09.09.2015 angekündigte Pilotenstreik der Gewerkschaft Cockpit bei der Lufthansa AG und Lufthansa Cargo AG offensichtlich rechtswidrig und daher zu unterlassen. Die Gewerkschaft verfolge mit dem Streik nicht nur eine verbersserte Übergangsversorgung, sondern wolle mehr Mitbestimmung beim "Wings"-Konzept der Lufthansa. Das Projekt sieht den Aufbau eines Tochterunternehmens ("Eurowings") im Ausland vor, in dem Mitarbeiter zu schlechteren Bedingungen als in Deutschland beschäftigt werden sollen. Der Aufbau eines Tochterunternehmens falle jedoch in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers; tariflich regelbare Forderungen seien hier nicht vorstellbar.
In erster Instanz hatte das Arbeitsgericht Frankfurt den Streik noch für rechtmäßig erklärt.

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsklägerinnen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2015 - 13 Ga 130/15 - abgeändert.

1. Dem Verfügungsbeklagten wird es untersagt,

seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 9. September 2015, von 0:01 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Verfügungsklägerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs Airbus A320-Family, Boeing B737 und Embraer von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen.

2. Dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 100.000,00 (in Worten: Einhunderttausend und 0/100 Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Präsidenten A, angedroht.

Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungsbeklagte zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine Verpflichtung zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen im einstweiligen Rechtsschutz.

Die Verfügungsklägerin zu 1. ist die größte deutsche Fluggesellschaft und Obergesellschaft des Lufthansa Konzerns. Sie betreibt die konzernintern als Lufthansa Passage bezeichnete Linienfluggesellschaft mit Frankfurt als Heimatflughafen. Die Verfügungsklägerin zu 2. ist eine der größten Frachtfluggesellschaften im internationalen Luftverkehr und eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1.

Der Verfügungsbeklagte ist die Vereinigung Cockpit e.V. (abgekürzt: VC). Dabei handelt es sich um eine Gewerkschaft, die im Lufthansakonzern Tarifpartner für die Gruppe der Cockpitmitarbeiter ist. Sie vertritt die Interessen von rund 9.300 Cockpitmitarbeitern aus zahlreichen deutschen Luftfahrtgesellschaften.

Der Verfügungsbeklagte schloss mit dem auf Arbeitgeberseite zuständigen Arbeitgeberverband Luftverkehr e.V. (kurz: AGVL) mehrere Tarifverträge ab. Die Arbeitgeberseite kündigte den Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal vom 15./16. Mai 2000 (im Folgenden TV-ÜV) sowie den Tarifvertrag Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal der Lufthansa Cargo AG mit Einstellungsdatum vor dem 27. September 1995 (im Folgenden TV-ÜV Cargo) mit Wirkung zum 31. Dezember 2013.

Seit Ende 2013 verhandelten die Tarifparteien über den Abschluss neuer Tarifverträge zur Regelung der Übergangsversorgung. Der Verfügungsbeklagte teilte am 21. März 2014 mit, dass sich in einer Urabstimmung nahezu alle Mitglieder für einen Streik ausgesprochen haben. In der Folgezeit kam es zu zahlreichen Streikmaßnahmen. Erstmals rief der Verfügungsbeklagte am 28. März 2014 zum Streik auf. Nach Durchführung des Streiks nahmen die Tarifvertragsparteien ihre Verhandlungen über den Neuabschluss eines TV-ÜV am 6. Mai 2014, 14. Mai 2014, 15. Mai 2014, 12. Juni 2014, 27. Juni 2014 und 8. Juli 2014 wieder auf.

Am 9. Juli 2014 stellte der Vorstandsvorsitzende der Verfügungsklägerin zu 1. dem Verfügungsbeklagten das sog. Wings-Konzept vor. Demnach soll eine neue Low-Frill-Airline unter einer neuen Marke künftig Low-Cost-Flüge im Interkontinentalbereich für Privatreisende anbieten. Gegenstand der Überlegungen ist das Betreiben einer in Österreich unter der Marke Eurowings geführten Fluglinie, die in Konkurrenz zu Low-Cost-Airlines wie Ryanair, Easyjet etc. treten soll.Die Eurowings GmbH ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Verfügungsklägerin zu 1. und bislang als Regio-Gesellschaft tätig. Das Cockpitpersonal soll in dieser Gesellschaft nach den Plänen der Verfügungsklägerin zu 1. zu schlechteren Arbeitsbedingungen als in Deutschland arbeiten. Dieses Konzept wurde von dem Verfügungsbeklagten von Anfang an kritisiert und abgelehnt.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 bot die Verfügungsklägerin zu 1. dem Verfügungsbeklagten eine Schlichtung zum Thema Übergangsversorgung an. Der Verfügungsbeklagte antwortete mit Schreiben vom 10. Dezember 2014 und lehnte darin eine Schlichtung bezogen auf das Thema Übergangsversorgung ab. Weiter wird in dem Schreiben ausgeführt, dass die Gewerkschaft der Überzeugung sei, „…dass eine Befriedung der verschiedenen offenen Konfliktthemen nur gelingen kann, wenn wir sämtliche strittigen Fragestellungen aufgreifen und lösen…“ (vgl. Anlage ASt 25).

Ein weiteres Schlichtungsangebot erfolgte im Februar 2015. Mit Schreiben vom 16. März 2015 legte die Verfügungsklägerin zu 1. ein - aus ihrer Sicht verbessertes - Angebot zur Übergangsversorgung vor (Anlage ASt 31).

Insgesamt kam es – im Vorfeld der jetzigen Streikmaßnahme – zu zwölf Streiks, die zum Teil die Verfügungsklägerinnen betrafen, zum Teil andere Fluggesellschaften. Im Einzelnen waren folgende Zeiträume betroffen: 29. August 2014; 5. September 2014; 10. September 2014; 30. September 2014; 8 - 9. Oktober 2014; 16. Oktober 2014; 20. - 21. Oktober 2014; 1. - 2. Dezember 2014 sowie 4. Dezember 2014; 12. - 13. Februar 2015. Der letzte Streik fand in der Zeit vom 18. bis 21. März 2015 statt.

Am 24. März 2015 verunglückte die Germanwings-Maschine 4U9525. Infolge dieses Ereignisses stellte der Verfügungsbeklagte sämtliche Arbeitskampfmaßnahmen ein.

Die Verfügungsklägerin zu 1. regte Ende April 2015 eine Gesamtschlichtung aller offenen Tarifverträge an (vgl. Pressemitteilung vom 29. April 2015, Anlage ASt 36). Dem stimmte der Verfügungsbeklagte am 13. Mai 2015 zu und erklärte, bis zum Beginn der Schlichtung Ende Juli 2015 auf weitere Streiks zu verzichten. Die Parteien verständigten sich auf Bundesminister a.D. B als Schlichter. Letztlich kam die Schlichtung nicht zustande, da unterschiedliche Vorstellungen über die dort zu verhandelnden Themen bestanden. Nach Vorstellung des Verfügungsbeklagten sollten auch Arbeitsplatzthemen im Zusammenhang mit dem im Juli 2014 verkündeten sog. Wings-Konzept in die Schlichtungsgespräche einbezogen werden. Demgegenüber verwies die Verfügungsklägerin zu 1. darauf, dass sie nicht bereit sei, im Rahmen einer Schlichtung über die unternehmerischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Wings-Konzept zu sprechen.

In einer Presseinformation des Verfügungsbeklagten vom 6. Juli 2015 (Anlage Ast 37) heißt es hierzu u.a.: „…‘Eine Gesamtbefriedigung des Konflikts ist nur möglich, wenn alle Tarifthemen auf den Tisch kommen‘, sagt C, Sprecher der VC. Indem Lufthansa sich hinter der unternehmerischen Freiheit versteckt und darauf besteht, die Arbeitsplatzthemen aus der Gesamtschlichtung auszuklammern, verkennt sie die elementaren Interessen des eigenen Cockpitpersonals…“

Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 (Anlage ASt 38) unterbreitete der Verfügungsbeklagte einen Vorschlag für ein „Bündnis für Wachstum und Beschäftigung“. Dabei sollte es neben anderen Themen u.a. um die neue Wings-Plattform gehen. Der Verfügungsbeklagte bot Zugeständnisse in den Bereichen Übergangsversorgung, Forderungen zu einem neuen Vergütungstarifvertrag und Entlastung der Cockpitpersonalkosten bei dem Langstreckenkonzept JUMP! an. Im Gegenzug wurde eine Sicherheit der Arbeitsplatzperspektiven für alle in Deutschland bei Lufthansa angestellten Piloten gefordert. Ziellinie für Gespräche zu einem „Bündnis für Wachstum und Beschäftigung“ sollte der 1. September 2015 sein.

In der Folgezeit fanden in Arbeitsgruppen Gespräche statt, die im Wesentlichen Einzelheiten des Wings-Konzepts zum Gegenstand hatten. Über die Übergangsversorgung wurden keine Gespräche oder Verhandlungen geführt.

Am 1. September 2015 fand ein Spitzengespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 1. statt. In der Mitgliederkommunikation VC-Tarif vom 2. September 2015 (Anlage ASt 65) heißt es u.a. wie folgt: „…Die wesentliche Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen zu diesem Gesamtpaket war, dass Lufthansa die Ausflaggung von Flugzeugen und die damit verbundene Verlagerung von Arbeitsplätzen in untarifierte Unternehmen im In- und Ausland während der Verhandlungen unterlässt. … Diese in den letzten Wochen geschaffenen Fakten und der Verlauf des gestrigen Spitzengesprächs zeigen, dass der Konzernvorstand nicht willens ist, mit uns eine gesamthafte Lösung am Tariftisch herbeizuführen. Stattdessen führt er seinen aggressiven Ausflaggungskurs unbeirrt weiter…“.

Mit Schreiben vom 2. September 2015 machte die Verfügungsklägerin zu 1. das Angebot, dass der bisherige Tarifvertrag Übergangsversorgung nachwirkend für alle Bestandsmitarbeiter gelten solle.

Ebenfalls mit Schreiben vom 2. September 2015 erklärte der Verfügungsbeklagte das Scheitern der Verhandlungen zum Tarifvertrag Übergangsversorgung und kündigte Arbeitskampfmaßnahmen an.

Mit Beschluss vom 4. September 2015 (Anlage Ast 69) beschlossen der Vorsitzende Tarifpolitik und der Vorstand des Verfügungsbeklagten Streikmaßnahmen am 8. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Verfügungsklägerin zu 1. durchzuführen. In dem Beschluss heißt es unter anderem: „…Mit dem Streik soll folgendes Tarifziel durchgesetzt werden: Neuabschluss eines Tarifvertrages Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal bei der DLH…“. In dem Beschluss betreffend die Verfügungsklägerin zu 2. wird als Streikziel „Neuabschluss eines Tarifvertrages Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal bei LCAG“ benannt. Ein entsprechender Streikbeschluss erging zu der am nächsten Tag, dem 09. September 2015, geplanten Streikmaßnahmen bei der Verfügungsklägerin zu 1.

In einer Presseinformation des Verfügungsbeklagten vom 7. September 2015 (Anlage ASt 72) heißt es u.a. wie folgt: „….Voraussetzung für die Verhandlungen dieses Paktes war, zumindest für den Verhandlungszeitraum, das Aussetzen der Ausflaggung von Flugzeugen und den damit einhergehenden Verlagerungen von deutschen Pilotenarbeitsplätzen im Inland und ins Ausland. Anstatt Zeit für konstruktive Verhandlungen zu schaffen, setzt das Lufthansa Management jedoch die Tarifflucht aggressiv fort und verweigert sich einer Gesamtlösung zu Lasten des Unternehmens, aller Mitarbeiter und der Kunden. … 'Mit Vorlage des konstruktiven Angebotes der VC wird erneut klar, dass die Piloten sich nicht gegen die geforderten Anpassungen stellen. Für ein solches Bündnis muss es aber auch ein Bekenntnis zum eigenen Personal und dessen Recht auf tariflicher Mitbestimmung geben. Ausflaggung und Tarifflucht sind das Gegenteil davon', sagt C, Sprecher der Vereinigung Cockpit. … Die Vereinigung Cockpit bedauert die Auswirkungen auf die betroffenen Passagiere und Mitarbeiter. Sie steht der Lufthansa jederzeit zu Gesprächen zur Verfügung, wenn das Management ernsthaften Willen zeigt und den Verhandlungen durch Aussetzen der Tarifflucht den nötigen Raum verschafft. …“

Die Streikmaßnahmen am 8. September 2015 wurden – wie angekündigt – umgesetzt. Die Verfügungsklägerinnen erreichten durch das Aufstellen von Ersatzflugplänen nach ihren Angaben, dass etwa die Hälfte der Interkontinentalflüge gleichwohl durchgeführt werden konnten, ebenfalls wurde erreicht, dass ein großer Teil der Flüge im Frachtverkehr stattfinden konnte.

Mit Antragsschrift vom 8. September 2015, bei dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangen und dem Verfügungsbeklagten am selben Tag zugestellt, haben die Verfügungsklägerinnen die Untersagung der Streikmaßnahmen beantragt.

Sie sind der Auffassung, der Streik sei rechtswidrig. Sie meinen, dem Verfügungsbeklagten gehe es bei dem Streik in erster Linie darum, das Wings-Konzept zu verhindern. Der Verfügungsbeklagte setze den Streik ein, um auf eine zentrale Entscheidung im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit Einfluss zu nehmen; dies sei rechtswidrig. Es könne nicht allein auf die formal aufgrund des Streikbeschlusses mitgeteilte Arbeitskampfforderung abgestellt werden. Im vorliegenden Fall würde eine Vielzahl von Indizien dafür sprechen, dass es dem Verfügungsbeklagten vorrangig um eine Einflussnahme bei der unternehmerischen Neuausrichtung innerhalb des Konzerns gehe. Bis zum Bekanntwerden des Wings-Konzepts habe man konstruktiv über die Frage der Übergangsversorgung verhandelt. Seit Vorstellung des Konzepts seien konstruktive Verhandlungen über die Übergangsversorgung mit dem Verfügungsbeklagten nicht mehr möglich gewesen. Dass es dem Verfügungsbeklagten vor allem um das Wings-Konzept gehe, werde auch dadurch belegt, dass er sich einer Schlichtung nur bezogen auf diese tarifliche Frage verweigert habe. Es sei wohl befürchtet worden, im Falle erfolgreicher Verhandlungen zur Übergangsversorgung das Druckmittel im Widerstand gegen das Wings-Konzept zu verlieren. Um was es dem Verfügungsbeklagten in erster Linie gegangen sei, werde belegt durch zahlreiche Äußerungen des Vorstands und Pressesprechers sowie des Vorsitzenden Tarifpolitik. Diese Äußerungen müsse sich der Verfügungsbeklagte auch zurechnen lassen. Die Streikankündigung sei unmittelbar nach dem Scheitern des „Bündnisses für Wachstum und Beschäftigung“ erfolgt. In den damit im Zusammenhang stehenden Mitteilungen habe der Vorstand und die Tarifkommission des Verfügungsbeklagten erneut deutlich gemacht, dass sie in Wirklichkeit die Ausflaggung von Flugzeugen und die Verlagerung von Arbeitsplätzen verhindern wollten. Durch das letzte von ihr gemachte Angebot bzgl. der Übergangsversorgung sei die Gewerkschaft auch weitgehend klaglos gestellt worden. Es sei zugesagt worden, den TV-ÜV gegenüber allen Bestandsmitarbeitern nachwirkend zur Anwendung zu bringen. Zumindest bei den beiden Verfügungsklägerinnen habe es seit dem 1. Januar 2014 gar keine Neueinstellungen gegeben, so dass die alte Rechtslage hier für alle Beschäftigten gelten würde.

Der Streik sei im Übrigen unverhältnismäßig. Die Streikmaßnahmen müssten einer verschärften Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen, weil es um einen Arbeitskampf einer Spartengewerkschaft gehe. Die in Rede stehenden Streikmaßnahmen seien nicht angemessen. Schließlich ergebe sich die Rechtswidrigkeit des Streiks aus dem Verstoß gegen den Grundsatz der Arbeitskampfparität. Die Paritätsverschiebung ergebe sich insbesondere durch die Gewerkschaftspluralität nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit. Auch sei auf Seiten der Verfügungsklägerinnen kein adäquates Kampfmittel gegeben, dass sie dem Streik entgegensetzen könne.

Die Verfügungsklägerin zu 1. hat zuletzt beantragt, dem Verfügungsbeklagten zu untersagen,

1.1 seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 8. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs A 380, A 340, A 330 und Boeing B747 von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

1.2 seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 9. September 2015, von 0:01 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs Airbus A320-Family, Boeing B737 und Embraer von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag Ziffer 1.2

1.3 dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, seine Mitglieder zu bundeweiten Streiks am 9. September 2015 bei der Verfügungsklägerin zu 1. aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen, soweit die Streikmaßnahmen

 (a) die Dauer von zwei Stunden an einem Tag überschreiten;

 (b) weiter hilfsweise zu (a): die Dauer von vier Stunden an einem Tag überschreiten;

 (c) weiter hilfsweise zu (b): die Dauer von sechs Stunden an einem Tag überschreiten;

 (d) weiter hilfsweise zu (c): die Dauer von acht Stunden an einem Tag überschreiten.

Die Verfügungsklägerin zu 2. hat beantragt,

2. es dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 8. September 2015 von 08:00 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 2. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs MD11 und B77F von Deutschland aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen.

Die Verfügungsklägerinnen haben ferner beantragt,

3. dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Präsidenten A, angedroht.

Der Verfügungsbeklagte hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Verfügungsbeklagte hält den Streik für rechtmäßig. Maßgeblich sei der Inhalt seines Streikbeschlusses. Die Aufgabe des Wings-Konzepts sei zu keinem Zeitpunkt von dem Verfügungsbeklagten zum Streikziel erhoben worden. Die Streikmaßnahmen seien auch weder unverhältnismäßig noch beeinträchtigten sie die Arbeitskampfparität.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat am 8. September 2015 die Anträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Verfügungsbeklagte verfolge kein rechtswidriges Arbeitskampfziel. Für die Bestimmung, was Arbeitskampfziel sei, sei von den förmlichen Streikbeschlüssen vom 4. September 2014 auszugehen. In sämtlichen Streikbeschlüssen sei als Streikziel der Abschluss eines Tarifvertrages Übergangsversorgung für das Cockpitpersonal genannt. Es sei üblich, dass auch an sich nicht regelbare Themen in Verhandlungen miterörtert würden. Auch Gründe der Rechtssicherheit würden es verbieten, andere Umstände außerhalb der Streikbeschlüsse heranzuziehen. Der Streik sei auch im Übrigen nicht unverhältnismäßig. Auch die Arbeitskampfparität sei nicht gestört. Bzgl. des sonstigen Inhalts des arbeitsgerichtlichen Urteils wird auf Bl. 340 - 352 der Akte Bezug genommen.

Dieses Urteil ist den Verfügungsklägerinnen am 9. September 2015 zugestellt worden. Die Verfügungsklägerinnen haben bereits am 8. September 2015 Berufung eingelegt und diese am nächsten Tag, eingehend bis 8.00 Uhr, begründet.

Unter Wiederholung und Vertiefung meinen die Verfügungsklägerinnen, das Arbeitsgericht habe den Anträgen zu Unrecht nicht stattgegeben.

Die Verfügungsklägerinnen stellen den Antrag,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2015 - 13 Ga 130/15 - abzuändern;

2. die Verfügungsklägerin zu 1. stellt ferner den Antrag,

2.1 es dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, seine Mitglieder zu bundesweiten Streiks am 9. September 2015, von 0:01 Uhr bis 23:59 Uhr bei der Antragstellerin zu 1. betreffend Flüge mit Flugzeugen des Typs Airbus A320-Family, Boeing B737 und Embraer von deutschen Flughäfen aus aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen;

2.2 hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag Ziffer 2.1;

dem Verfügungsbeklagten zu untersagen, seine Mitglieder zu bundeweiten Streiks am 9. September 2015 bei der Verfügungsklägerin zu 1. aufzurufen und/oder Streiks im genannten Zeitraum durchzuführen, soweit die Streikmaßnahmen

 (a) die Dauer von zwei Stunden an einem Tag überschreiten;

 (b) weiter hilfsweise zu (a): die Dauer von vier Stunden an einem Tag überschreiten;

 (c) weiter hilfsweise zu (b): die Dauer von sechs Stunden an einem Tag überschreiten;

 (d) weiter hilfsweise zu (c): die Dauer von acht Stunden an einem Tag überschreiten;

3. dem Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlungen gegen die vorstehenden Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Präsidenten A, angedroht;

4. die Verfügungsklägerinnen erklären das Verfahren, soweit Streikaufrufe und Streikmaßnahmen für den 8. September 2015 streitgegenständlich waren, für erledigt.

Der Verfügungsbeklagte schloss sich der teilweisen Erledigungserklärung an und beantragte im Übrigen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er meint, es könne nur auf die im Streikbeschluss genannte Tarifforderung ankommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den gesamten Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Verfügungsklägerinnen ist zulässig und begründet. Der Streik des Verfügungsbeklagten ist rechtswidrig, weil es dem Verfügungsbeklagten neben dem offen verlautbarten Ziel des Abschlusses eines neuen Tarifvertrags zur Übergangsversorgung auch darum ging, wegen der von den Verfügungsklägerinnen geplanten und zum Teil schon umgesetzten Maßnahmen zur Neuausrichtung des Konzerns auf der Basis des sog. Wings-Konzepts Druck aufzubauen, um von diesen Plänen wieder Abstand zu nehmen.

A. Die Berufung der Verfügungsklägerinnen ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.

B. Die Berufung hat in der Sache auch Erfolg.

I. Der Hauptantrag der Verfügungsklägerin zu 1., den Streik der Gewerkschaft VC am 9. September zu untersagen, ist begründet.

1. Der Unterlassungsantrag ist zunächst zulässig.

a) Ein Unterlassungsantrag muss - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Dieser muss wissen, in welchen Fällen gegen ihn als Sanktion ein Ordnungsgeld oder gar Ordnungshaft verhängt werden kann. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue Antragsformulierung und einen dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangsvollstreckungsverfahren verlagert werden (vgl. BAG 22. September 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 11, AP Nr. 174 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).

b) Im vorliegenden Fall ist der Antrag hinreichend bestimmt. Er bezieht sich unzweifelhaft auf Streikmaßnahmen des Verfügungsbeklagten am 9. September 2015. Untersagt werden soll sowohl der Streikaufruf als auch die Durchführung des Streiks. Unklarheiten bestehen insoweit nicht.

2. Der Unterlassungsantrag ist auch begründet.

a) An den Erlass einer einstweiligen Verfügung, die auf die Untersagung eines Streiks gerichtet ist, sind bestimmte Anforderungen zu stellen.

aa) Ein Antrag auf Unterlassung einer Streikmaßnahme erfordert im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt, wie sich mittelbar aus § 62 Abs. 2 ArbGG ergibt, auch im Bereich des Arbeitskampfs in Betracht (allg. Ansicht, vgl. Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; LAG Berlin-Brandenburg 14. August 2012 – 22 SaGa 1131/12 – zu 2.2.1 der Gründe, BeckRS 2012, 72275; LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 - 2 SaGa 1/09 – Rn. 49, NZA 2009, 631).

Für den heranzuziehenden Prüfungsmaßstab ist zu beachten, dass eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, einer Befriedigungsverfügung gleichkommt. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Umgekehrt gilt aber auch, dass die einstweilige Verfügung umso eher zu erlassen ist, je offensichtlicher die Rechtswidrigkeit der Maßnahme ist (vgl. Prütting in Schwab/Weth ArbGG 3. Aufl. § 62 Rn. 171).

Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Streikrechts (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie die mit einem Arbeitskampfgeschehen oftmals schwierigen und komplexen Fragestellungen wird nach zum Teil vertretener Auffassung verlangt, die Streikmaßnahme müsse offensichtlich rechtswidrig sein (vgl. Hess. LAG 2. Mai 2003 – 9 SaGa 637/03 – Rn. 31, Juris; LAG Sachsen 2. November 2007 – 7 SaGa 19/07 – Rn. 93, NZA 2008, 59; wohl auch ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 228), während die Gegenmeinung es ausreichen lässt, dass die Streikmaßnahme (lediglich) rechtswidrig sei (vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 62 Rn. 113; GK-ArbGG/Vossen Stand: April 2012 § 62 Rn. 81; Korinth Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren 2. Aufl. S. 361).

bb) Eine Streikmaßnahme kann im einstweiligen Verfügungsverfahren nur dann untersagt werden, wenn sie rechtswidrig ist und dies glaubhaft gemacht ist (vgl. Hess. LAG 7. November 2014 - 9 SaGa 1496/14 - Rn. 230, Juris; Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; Hess. LAG Urteil vom 17. Sept. 2008 – 9 SaGa 1442/08 – BB 2008, 2296). Die beantragte Untersagungsverfügung muss zum Schutz des Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) und zur Abwendung drohender wesentlicher Nachteile geboten und erforderlich sein. Besteht ein Verfügungsanspruch, hat zur Prüfung, ob eine auf Unterlassung eines Arbeitskampfes gerichtete einstweilige Verfügung im Sinne des § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, eine Interessenabwägung stattzufinden, in die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen für beide Parteien einzubeziehen sind (vgl. Hess. LAG 7. November 2014 - 9 SaGa 1496/14 - Rn. 230; Hess. LAG 9. August 2011 – 9 SaGa 1147/11 – Rn. 29, Juris; LAG Baden-Württemberg 31. März 2009 – 2 SaGa 1/09 – Rn. 49, NZA 2009, 631; LAG Köln 14. Juni 1996 – 4 Sa 177/96 – AP Nr. 149 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).

cc) Der Anspruch auf Unterlassung einer Streikmaßnahme folgt grundsätzlich aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 14 GG. Das Recht des Betriebsinhabers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB deliktisch geschützt (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 21, NJW 2010, 631). Es ist auf die ungestörte Betätigung und Entfaltung des von dem Betriebsinhaber geführten Betriebs gerichtet und umfasst alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehender Einheit ausmacht. Es handelt sich bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb um einen „offenen Tatbestand“, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessenssphäre ergeben (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 23, NJW 2010, 631). Bei einem Streik ist in der Regel auch die Koalitionsbetätigungsfreiheit des Streikgegners tangiert, der sich seinerseits auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen kann (vgl. BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06 – Rn. 15, NZA 2007, 1055).

Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sind (vgl. BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 23, NJW 2010, 631). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts schützt das Doppelgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG zum einen den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sie zu verlassen. Geschützt ist zum anderen auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (BVerfG 6. Februar 2007 - 1 BvR 978/05 - zu II 2 a der Gründe, NZA 2007, 394; BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 11 NZA 2007, 1055).

Das Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht uneingeschränkt gewährt. Es kann insbesondere durch andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter eingeschränkt werden. Im jeden Fall bedarf es eines verhältnismäßigen Ausgleichs (sog. praktische Konkordanz) beider geschützten Interessen (vgl. BVerfG 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85 - zu C I 1 a der Gründe, BVerfGE 84, 212). Zentraler Maßstab für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit eines Streiks ist mithin der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06 – Rn. 22, NZA 2007, 1055).

b) Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, dass der Arbeitskampf rechtswidrig war. Dabei kann offen bleiben, ob man auf dem Standpunkt steht, der Streik müsse offensichtlich rechtswidrig sein oder ob es ausreicht, eine „einfache“ Rechtswidrigkeit festzustellen. Denn auch nach dem strengeren Maßstab ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hier stattzugeben.

Der Verfügungsbeklagte verfolgte bei dem Streik als nicht nur unwesentliche Nebenforderung das Ziel, in Bezug auf das strittige Wings-Konzept Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben. Dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund aller Umstände des Falles fest. Ausnahmsweise kann auch auf Umstände und Äußerungen außerhalb des formalen Streikbeschluss abgestellt werden. Der Streit um die unternehmerische Neuausrichtung innerhalb des Konzerns ist - erzwingbar - nicht tariflich regelbar. Wird der Streik wegen eines tariflich nicht regelbaren Ziels geführt, welches erkennbar nicht bloß untergeordneten Charakter hat, ist der Arbeitskampf insgesamt als rechtswidrig anzusehen.

aa) Der Arbeitskampf muss um ein tariflich regelbares Ziel geführt werden.

 (1) Arbeitskämpfe sind nur rechtmäßig, wenn sie um ein tariflich regelbares Ziel geführt werden (vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 80, NZA 2007, 987; BAG 10. Dezember 2002 - 1 AZR 96/02 - zu I 3 a der Gründe, NZA 2003, 734). Dies folgt aus der Hilfsfunktion des Arbeitskampfes zur Sicherung der Tarifautonomie (vgl. dazu grundlegend BAG GS 21. April 1971 - GS 1/68 - BAGE 23, 292; vgl. auch BAG 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 – Rn. 33, NJW 2010, 631). Der Arbeitskampf dient lediglich dazu, einer Tarifforderung Nachdruck zu verleihen, um den Gegner zu einem Tarifabschluss zu bewegen. Auch in der Wissenschaft wird ganz überwiegend gefordert, dass der Arbeitskampf nur um ein tariflich regelbares Ziel geführt werden dürfe (vgl. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 6; ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 114).

 (a) Unter Umständen kann der Bereich des tariflich Regelbaren weit zu fassen sein. Nach der Rechtsprechung ist es etwa möglich, einen Firmentarifvertrag zu erstreiken, mit dem die mit einer Betriebsänderung verbundenen Nachteile ausgeglichen oder abgemildert werden sollen (vgl. zum Tarifsozialplan BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 79 ff., NZA 2007, 987). Vor diesem Hintergrund hat das Bundesarbeitsgericht anerkannt, dass zumindest Abfindungs- und Kündigungsfristen im Zusammenhang mit Betriebsänderungen tariflich regelbare Ziele sind. Nicht zulässig ist es grundsätzlich aber, dass sich die Gewerkschaft gegen die Umsetzung der unternehmerischen Maßnahme als solche wendet (vgl. ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 116).

In der Wissenschaft wird im Ansatz zutreffend darauf hingewiesen, dass es eine Frage der wertenden Betrachtung und des Ausgleichs widerstreitender Grundrechtspositionen sei (nämlich Art. 12 und Art. 9 Abs. 3 GG), zu entscheiden, welche Bereiche unternehmerischer Betätigung, die sich zugleich als Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen darstellen, aus dem Bereich des durch Arbeitskampf Erkämpfbaren herauszunehmen sind (vgl. ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 116; Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 21; Scholz in Maunz/Dürig 35. Lfg. Art. 9 GG Rn. 364; Hensche/Heuschmid in Däubler TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 946). Die zum Teil in der Literatur vertretene Auffassung, dass Standortentscheidungen zumindest bei Kapitalgesellschaften und Großunternehmen nicht zum geschützten Bereich unternehmerischer Betätigungsfreiheit zu zählen seien (vgl. Kühling/Bertelsmann NZA 2005, 1017, 1026; Däubler/Däubler Arbeitskampfrecht 3. Aufl. § 13 Rn. 40 ff.), geht nach Auffassung der Kammer jedenfalls aber zu weit. Die Frage, welche Bedeutung eine unternehmerische Maßnahme für ein Unternehmen hat, kann in so einem Fall schwerlich von den Gerichten beantwortet werden. Eine Differenzierung zwischen Großunternehmen und mittelständischen Unternehmen erscheint - auch aus Gleichheitsgesichtspunkten - kaum durchführbar. Richtet sich der Streik gegen die unternehmerische Entscheidung einer beabsichtigten Neugründung einer Gesellschaft im Ausland als solche, ist er rechtswidrig (wie hier i.E. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 15; HWK/Hergenröder 5. Aufl. Art. 9 GG Rn. 281; Wiedemann/Wiedemann TVG 7. Aufl. Einl. Rn. 450; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I § 7 III 5 b S. 345). Hier ergibt sich eine Grenze aus dem widerstreitenden Grundrecht aus Art. 12 GG. Was der einzelne Arbeitgeber nur persönlich für sich entscheiden und verantworten kann, darf nicht durch Streikdruck erzwungen werden (zutreffend ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 116; ähnlich Wiedemann/Wiedemann TVG 7. Aufl. Einl. Rn. 450).

 (b) Zwischen dem, was freiwillig ausgehandelt werden kann und dem, was durch Arbeitskampf erstritten werden kann, ist zu trennen. Es ist zu berücksichtigen, darauf hat das Arbeitsgericht mit Recht hingewiesen, dass im Laufe von Verhandlungen durchaus verschiedene Forderungen wechselseitig aufgestellt werden können. Es schadet dabei auch grundsätzlich nicht, Forderungen aufzustellen, die in die Unternehmerfreiheit eingreifen. Auf freiwilliger Basis ist es der Arbeitgeberseite stets möglich und zumutbar, auch solche Zugeständnisse zu machen - z.B. im Sinne einer schuldrechtlichen Selbstbindung -, die an sich in einem Tarifvertrag nicht geregelt werden können. Im Sinne möglichst offener Verhandlungen können daher die verschiedensten Positionen auch in Abhängigkeit zueinander gebracht und Zugeständnisse von verschiedenen Voraussetzungen in anderen Themenbereichen abhängig gemacht werden. Ein Koppelungsverbot gilt bei Tarifverhandlungen grundsätzlich nicht (vgl. Löwisch/Rieble TVG 3. Grundl. Rn. 165).

Von der Frage, was zum Gegenstand von Verhandlungen erhoben werden kann, ist allerdings stets die Frage zu trennen, was durch Arbeitskampf erzwungen werden kann (vgl. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 13 ff.; HWK/Hergenröder 5. Aufl. Art. 9 GG Rn. 281; Wiedemann/Wiedemann TVG 7. Aufl. Einl. Rn. 450). Beide Bereiche sind nicht vollkommen deckungsgleich. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, was zum Gegenstand des Arbeitskampfs gemacht werden kann.

 (2) Im vorliegenden Fall hat die Gewerkschaft VC selbst nicht geltend gemacht, der Streik sei wegen des rechtmäßigen Ziels der Mitbestimmung bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland geführt worden. Sie hat auch nicht - soweit nach Aktenlage erkennbar - zu irgendeinem Zeitpunkt eine konkrete Forderung mit einem regelungsfähigen Tarifinhalt, der sich auf die Absicherung konkreter sozialer Nachteile für die Belegschaft bezieht, aufgestellt. Bei der Frage, ob es innerhalb des Lufthansakonzerns zulässig ist, eine neue Gesellschaft in Österreich aufzubauen und dort Piloten zu anderen Arbeitsbedingungen einzustellen, erscheint es auch eher schwer vorstellbar, eine zulässige Tarifforderung aufzustellen.

bb) Der Arbeitskampf wurde im vorliegenden Fall nicht im Schwerpunkt um die Verbesserung der Übergangsversorgung geführt. Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach § 286 ZPO aufgrund des gesamten Akteninhalts fest.

 (1) Maßgeblich für den Inhalt der mit einem Streik verfolgten Ziele sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in erster Linie die dem Gegner in Form des konkreten von den dazu legitimierten Gremien der Gewerkschaft getroffenen Streikbeschlusses übermittelten Tarifforderungen (vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 109, NZA 2007, 987; Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 2). Sonstige Verlautbarungen nicht vertretungsberechtigter Mitglieder der Gewerkschaft sind zur Bestimmung des Streikziels schon aus Gründen der Rechtssicherheit und um der Unbefangenheit der Meinungsbildung innerhalb der Gewerkschaft willen unmaßgeblich (vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 109, NZA 2007, 987).

In einer älteren Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, es spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Streik um tariflich regelbare Ziele geführt werde. Das bedeutet, dass die Arbeitsgeberseite das Gegenteil nachzuweisen hat (vgl. BAG 19. Juni 1973 - 1 AZR 521/72 - zu A II 1 der Gründe, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; im Anschluss BAG 29. November 1983 - 1 AZR 469/82 - zu III 1 a der Gründe, NZA 1984, 34).

 (2) Gleichwohl ist es ebenfalls anerkannt, dass zur Bestimmung des Streikziels auch auf Umstände außerhalb des formellen Streikbeschlusses abgestellt werden kann. Eine Auslegung des wirklichen Willens der kampfführenden Gewerkschaft ist erforderlich, wenn das gegenüber der Arbeitgeberseite kommunizierte Kampfziel unklar ist.

Die Arbeitskampfparteien haben vor Beginn einer Arbeitskampfmaßnahme dem jeweiligen Gegner den Kampfbeschluss bekanntzugeben (vgl. BAG 19. Juni 2012 - 1 AZR 775/10 - Rn. 39, Juris). Die von einer Arbeitskampfmaßnahme des Gegenspielers betroffene Seite muss wissen, woran sie ist und was von ihr verlangt wird, damit sie ihr eigenes Verhalten darauf einrichten und von ihren arbeitskampfrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten Gebrauch machen kann. An Form und Inhalt der Unterrichtung sind dabei aber keine hohen Anforderungen zu stellen. Für einen wirksamen Streikaufruf, dem ein entsprechender Streikbeschluss der zuständigen Gewerkschaft zugrunde liegt, genügt deshalb ein von der Gewerkschaft im zu bestreikenden Betrieb verteiltes Flugblatt, aus dem sich die Arbeitskampfmaßnahme und der Zeitraum des Streiks ergeben (vgl. BAG 19. Juni 2012 - 1 AZR 775/10 - Rn. 39, Juris). Ist deshalb kein förmliches Verfahren vorgeschrieben, um der Arbeitgeberseite die dem Arbeitskampf zugrunde liegenden Forderungen mitzuteilen, bedingt dies, dass ggf. auch auf sonstige Umstände abzustellen ist (vgl. auch ErfK/Linsenmaier 15. Aufl. Art. 9 GG Rn. 139: Information über die Medien).

In der Entscheidung zum Tarifsozialplan hat das Bundesarbeitsgericht zwar den Obersatz gebildet, es komme - schon aus Gründen der Rechtssicherheit - auf den Inhalt des förmlichen Streikbeschlusses an(vgl. BAG 24. April 2007 - 1 AZR 252/06 - Rn. 109, NZA 2007, 987). Allerdings heißt es in den Gründen weiter unter Rn. 110: „…Nach den gesamten Umständen ist davon auszugehen, dass der Streikbeschluss der Beklagten inhaltlich den Tarifforderungen entsprach, die sie dem Kläger mit Schreiben vom 18. Dezember 2002 übermittelt hatte, und dass für den Kläger hinreichend deutlich erkennbar war, es werde um diese Ziele gekämpft…“. Damit nahm das Gericht der Sache nach eine Auslegung anhand weiterer Umstände des Falls vor, um den wahren Willen der Gewerkschaft zu ermitteln. Außerdem ging es in dem Fall erkennbar darum, dass ausgeschlossen werden sollte, dass das Streikziel durch nicht vertretungsberechtigte Mitglieder der Gewerkschaft, wie z.B. örtliche Streikleitungen, bestimmt werden sollte. Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass das Urteil nicht in dem Sinne verstanden werden kann, dass es ausschließlich und in allen Fallgestaltungen nur formal auf den Streikbeschluss der Gewerkschaft ankommen kann. Vielmehr sind auch sonstige Äußerungen der Gewerkschaft selbst - also solche ihrer vertretungsberechtigten Repräsentanten - berücksichtigungsfähig.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat es in einer älteren Entscheidung ausreichen lassen, dass eine Forderung nach den Gesamtumständen, auch aufgrund konkludenten Verhaltens, als erhoben anzusehen ist (vgl. BVerfG 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 u.a., zu A I 2 a der Gründe, AP Nr. 4 zu § 116 AFG). Ferner ist es in der Instanzrechtsprechung anerkannt, dass im Einzelfall auch auf andere Äußerungen der Gewerkschaft, etwa die Übermittlung tariflicher Forderungen, Stimmzettel für die Urabstimmung usw., abgestellt werden kann (vgl. Hess. LAG 17. September 2008 - 9 SaGa 1442/08 - Rn. 39, Juris; Hess. LAG 7. November 2014 - 9 SaGa 1496/14 - Rn. 242; Juris).

 (3) In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es auch anerkannt, dass es ausnahmsweise auf sonstige Äußerungen oder Begleitumstände ankommen kann, wenn nur so das wahre, aber rechtswidrige Kampfziel der Gewerkschaft aufgedeckt wird (so BAG 19. Juni 1973 - 1 AZR 521/72 - zu A II 1 der Gründe, AP Nr. 47 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht). Diese Ansicht wird, soweit es hierzu Stellungnahmen gibt, wohl überwiegend geteilt (vgl. LAG Sachsen-Anhalt 12. März 1997 - 3 Sa 285/96 - zu III 2 b der Gründe, Juris; MünchArbR/Ricken 3. Aufl. § 194 Rn. 6; Löwisch/Rieble TVG 3. Aufl. Grundl. Rn. 451).

Ansonsten bestünde die Gefahr, dass eine Gewerkschaft durch die geschickte Formulierung des Streikaufrufs in Wirklichkeit Ziele verfolgen könnte, die nicht mehr von Art 9 Abs. 3 GG gedeckt wären. Dies festzustellen, ist Sache des Gerichts und im Einzelfall aufgrund aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, § 286 ZPO. Dabei ist ein zurückhaltender Maßstab anzulegen, weil die Rechtsunsicherheit leidet, wenn zu viele Umstände außerhalb des Streikbeschlusses herangezogen werden. Außerdem spricht - wie oben dargelegt - bei einem gewerkschaftlich getragenen Streik eine tatsächliche Vermutung dafür, dass es um tariflich regelbare Ziele geht. Deshalb trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die dafür sprechen, dass es auch um nicht tariflich regelbare Forderungen geht.

 (4) Im vorliegenden Fall steht - auch bei einer zurückhaltenden Betrachtungsweise - zur Überzeugung der Kammer ausnahmsweise aufgrund der Umstände des Einzelfalls fest, dass der Verfügungsbeklagte jedenfalls auch das Streikziel verfolgte, auf die Arbeitgeberseite Druck auszuüben, um Zugeständnisse bei der Durchführung des Wings-Konzepts zu erreichen. Dies war, wie die Verfügungsklägerinnen im Kern unbestritten vorgetragen haben, zwischen den Parteien hauptsächlicher Streitpunkt in der letzten Zeit vor dem Streik. Dies ergibt sich aus folgenden Anhaltspunkten:

Die Verfügungsklägerinnen haben vorgetragen, dass seit Bekanntwerden des Wings-Konzepts im Juli 2014 nahezu ausschließlich über diese unternehmerischen Planungen gesprochen worden sei. Die Übergangsversorgung habe für die Gewerkschaft VC hingegen offenbar keine Rolle gespielt. Dies ist durch eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen D auch glaubhaft gemacht worden.

Seit Bekanntwerden des Wings-Konzepts hat der Verfügungsbeklagte versucht, hierzu Einfluss zu nehmen. In verschiedenen Gesprächen sollte neben dem Thema der Übergangsversorgung auch das Thema Wings-Konzept mit der Unternehmensleitung besprochen werden. So heißt es etwa in der Information für das Cockpitpersonal VC-Tarif vom 21. November 2014 (Anlage ASt 44): „…Wie beabsichtigt, ist es in der Folge auch gelungen, uns über andere Themenbereiche auszutauschen. Hier standen insbesondere die „WINGS“-Plattformen und unsere Übergangsversorgung (TV ÜV) im Fokus der Gespräche…“.

Im Folgenden versuchte der Verfügungsbeklagte, die Forderung nach mehr Mitbestimmung bei dem Wings-Konzept mit der Forderung nach einer Neuregelung der Übergangsversorgung zu verknüpfen. Deutlich wurde dies daran, dass er das Angebot einer Gesamtschlichtung nur für die tariflich regelbaren Ziele ablehnte. In einer Presseinformation des Verfügungsbeklagten vom 6. Juli 2015 (Anlage ASt 37) heißt es hierzu u.a.: „…‘Eine Gesamtbefriedigung des Konflikts ist nur möglich, wenn alle Tarifthemen auf den Tisch kommen‘, sagt C, Sprecher der VC. Indem Lufthansa sich hinter der unternehmerischen Freiheit versteckt und darauf besteht, die Arbeitsplatzthemen aus der Gesamtschlichtung auszuklammern, verkennt sie die elementaren Interessen des eigenen Cockpitpersonals…“

Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 (Anlage ASt 38) unterbreitete der Verfügungsbeklagte einen Vorschlag für ein „Bündnis für Wachstum und Beschäftigung“. Dabei sollte es neben anderen Themen insbesondere um die neue Wings-Plattform gehen. Es sollte eine Sicherheit der Arbeitsplatzperspektiven für alle in Deutschland bei Lufthansa angestellten Piloten erreicht werden. Auch hier wird deutlich, dass es der Gewerkschaft VC vornehmlich um eine „Paketlösung“ ging, nicht aber um (separate) Verhandlungen zu dem Thema Übergangsversorgung.

In der Folgezeit fanden in Arbeitsgruppen Gespräche statt, die im Wesentlichen Einzelheiten des Wings-Konzepts zum Gegenstand hatten. Über die Übergangsversorgung wurden keine Gespräche oder Verhandlungen geführt. Auch nach den Angaben der Gewerkschaft fanden die letzten Verhandlungen über das Thema Übergangsversorgung am 12. März 2015 statt.

Am 1. September 2015 fand ein Spitzengespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Verfügungsklägerin zu 1. statt. In der Mitgliederkommunikation VC-Tarif vom 2. September 2015 (Anlage ASt 65) heißt es u.a. wie folgt: „…Die wesentliche Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen zu diesem Gesamtpaket war, dass Lufthansa die Ausflaggung von Flugzeugen und die damit verbundene Verlagerung von Arbeitsplätzen in untarifierte Unternehmen im In- und Ausland während der Verhandlungen unterlässt. … Diese in den letzten Wochen geschaffenen Fakten und der Verlauf des gestrigen Spitzengesprächs zeigen, dass der Konzernvorstand nicht willens ist, mit uns eine gesamthafte Lösung am Tariftisch herbeizuführen. Stattdessen führt er seinen aggressiven Ausflaggungskurs unbeirrt weiter. …“. Auch dies verdeutlicht, dass für den Verfügungsbeklagten das Thema der Verhinderung bzw. Verzögerung der „Ausflaggung“ ein wesentliches Thema, wenn nicht das Hauptthema, war.

In einer Presseinformation des Verfügungsbeklagten vom 7. September 2015 (Anlage ASt 72) heißt es u.a. wie folgt: „….Voraussetzung für die Verhandlungen dieses Paktes war, zumindest für den Verhandlungszeitraum, das Aussetzen der Ausflaggung von Flugzeugen und den damit einhergehenden Verlagerungen von deutschen Pilotenarbeitsplätzen im Inland und ins Ausland. Anstatt Zeit für konstruktive Verhandlungen zu schaffen, setzt das Lufthansa Management jedoch die Tarifflucht aggressiv fort und verweigert sich einer Gesamtlösung zu Lasten des Unternehmens, aller Mitarbeiter und der Kunden. … 'Mit Vorlage des konstruktiven Angebotes der VC wird deutlich, dass die Piloten sich nicht gegen die geforderten Anpassungen stellen. Für ein solches Bündnis muss es aber auch ein Bekenntnis zum eigenen Personal und dessen Recht auf tariflicher Mitbestimmung geben. Ausflaggung und Tarifflucht sind das Gegenteil davon', sagt C, Sprecher der Vereinigung Cockpit. … Die Vereinigung Cockpit bedauert die Auswirkungen auf die betroffenen Passagiere und Mitarbeiter. Sie steht der Lufthansa jederzeit zu Gesprächen zur Verfügung, wenn das Management ernsthaften Willen zeigt und den Verhandlungen durch Aussetzen der Tarifflucht den nötigen Raum verschafft. …“

Gerade in der letzten Pressemitteilung, die einen Tag vor Streikbeginn veröffentlicht wurde, wird deutlich, dass es der Gewerkschaft maßgeblich zumindest auch darum ging, Druck im Hinblick auf die streitige Frage der „Tarifflucht“ aufzubauen. Das Problem der Billigairlines wird (erneut) in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem angekündigten Streik, der sich - formal betrachtet - nur auf die Übergangsversorgung bezieht, gebracht. Das Angebot zu Gesprächen wird in einen Bedingungskontext gesetzt zu dem Aussetzen der „Tarifflucht“.

Aus Sicht der Arbeitgeberin und eines objektiven Dritten sprechen diese Umstände deutlich dafür, dass die Gewerkschaft zum Mittel des Streiks greifen will, sofern keine (einvernehmliche) Lösung des umstrittenen Billigairline-Konzepts gefunden wird.

Dies war auch nahezu einhelliger Eindruck in der Öffentlichkeit, der durch die Presseberichterstattung Widerhall gefunden hat. Dort wurde ganz überwiegend in dem Sinne berichtet, dass der Streik auch wegen des Streits zwischen Piloten und Geschäftsleitung um das Wings-Konzept und die neue Gesellschaft Eurowings geführt werde (vgl. beispielhaft diverse Presseartikel Anlagen ASt 73).

 (5) Die Gewerkschaft muss sich auch Äußerungen ihres Pressesprechers oder in den von ihr rausgegebenen Rundbriefen zurechnen lassen. Als eingetragener Verein wird die Gewerkschaft vertreten durch ihren Vorstand, § 31 BGB. Dies schließt nicht aus, dass er sich auch Äußerungen von Nichtorganmitgliedern, wie im Übrigen auch § 30 BGB zeigt, zurechnen lassen muss. Die Übertragung eines wichtigen Aufgabenbereichs an einen Funktionsträger führt grundsätzlich auch zu der Zurechenbarkeit dessen Tuns (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 74. Aufl. § 31 Rn. 8; siehe auch BAG 21. Juni 1988 - 1 AZR 651/86 zu II 3 der Gründe, NJW 1989, 57). Äußerungen des Pressesprechers muss sich die Gewerkschaft VC daher zurechnen lassen. Dieser vertritt die Positionen der Gewerkschaft in der Öffentlichkeit und ist als „Repräsentant“ des Vereins anzusehen. Auch die Äußerungen in der internen Mitgliederkommunikation „VC-Tarif“ muss er sich zurechnen lassen. Hierbei handelt es sich um Äußerungen der Konzern-Tarifkommission des Verfügungsbeklagten. Es handelt sich gerade nicht um (unbeachtliche) Äußerungen einzelner Gewerkschaftsmitglieder oder einer örtlichen Arbeitskampfleitung. Auch der Verfügungsbeklagte hat im Prozess nicht geltend gemacht, dass er sich die Stellungnahmen und Äußerungen nicht zurechnen lassen müsste.

cc) Damit hat der Verfügungsbeklagte eine tariflich nicht regelbare Forderung mit einer tariflich regelbaren Forderung verknüpft. Sofern dies zum Anlass des Streiks genommen und nicht nur unwesentliches Begleitmotiv war, ist der Arbeitskampf insgesamt nicht mehr als rechtmäßig einzustufen (h.M., vgl. Otto Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht § 5 Rn. 25; Kissel Arbeitskampfrecht § 24 Rn. 11; Löwisch/Rieble TVG 3. Grundl. Rn. 165; vgl. auch BAG 10. Dezember 2002 - 1 AZR 96/02 - zu I 4 der Gründe, NZA 2003, 734, wonach der Streik jedenfalls dann rechtswidrig sei, wenn es sich nicht um eine bloße Nebenforderung handelt).

dd) Der Gewerkschaft VC bleibt es unbenommen, wegen des offenen Tarifthemas „Übergangsversorgung“ zu streiken. Sie muss dann aber deutlich machen, dass dies der wesentliche Anlass und Hauptstreitpunkt des Arbeitskampfgeschehens sein soll. Werden in den dem Arbeitskampf vorausgehenden Verhandlungen teilweise tariflich regelbare und nicht tariflich regelbare Ziele erhoben, muss sie insoweit von den nicht erkämpfbaren Zielen Abstand nehmen. Hingegen darf sie nicht durch Stellungnahmen oder sonstiges Verhalten gegenüber dem Arbeitgeber und ggf. der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, der Streik werde geführt, um einen Verhandlungserfolg auf einem Gebiet zu erzielen, welches nicht zu den erzwingbaren Tarifforderungen gehört.

c) Der Verfügungsgrund ergibt sich aus der zeitlichen Begrenzung des Arbeitskampfs.

d) Die Interessenabwägung ist im vorliegenden Fall zugunsten der Arbeitgeberseite vorzunehmen. Bei der abschließenden Interessenabwägung ist zu beachten, dass mit dem Erlass der einstweiligen Verfügung zwar die Hauptsache vorweggenommen wird. Auf der anderen Seite ist ein Streik der Piloten mit großen wirtschaftlichen Einbußen - z.T. in Millionenhöhe - und einer großen Drittbetroffenheit der Kunden verbunden. Auch ein halber Tag ist deshalb nicht von bloß untergeordneter Bedeutung.

II. Der Hilfsantrag fällt nicht zur Entscheidung an.

III. Soweit der Unterlassungsantrag bezogen auf den Streik vom 8. September 2015 übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, hat das Gericht nach § 91a Abs. 1 ZPO nur noch über die Kosten nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei entspricht es billigem Ermessen, derjenigen Partei die Kosten aufzuerlegen, die voraussichtlich unterlegen gewesen wäre. Dies wäre hier der Verfügungsbeklagte gewesen. Zur Begründung kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.

C. Die Entscheidung über die Kosten beruht im Übrigen auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist nach § 72 Abs. 4 ArbGG nicht zulässig. Damit ist diese Entscheidung unanfechtbar.



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