Landesarbeitsgericht Hessen

Beschluss vom - Az: 9 TaBV 129/12

Protokolleinsicht durch ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied

Ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied hat keinen Anspruch auf Einsicht in Sitzungsprotokolle des Betriebsrats. Dies gilt auch für Sitzungen, an denen das ausgeschiedene Mitglied noch teilgenommen hat.

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 20. März 2012 - 4 BV 1/12 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

Die Beteiligten streiten darum, ob ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied die Überlassung von Kopien der Protokolle von Betriebsratssitzungen verlangen kann, hilfsweise die Einsichtnahme in die Protokolle.

Der Beteiligte zu 1) und Antragsteller war seit der Betriebsratswahl im Frühjahr 2010 bis zum 31. Aug. 2011 Mitglied des bei den Beteiligten zu 4) und 5) für das A in B gewählten Gemeinschaftsbetriebsrats (Beteiligter zu 2)). Dieser besteht aus 11 Mitgliedern, Vorsitzende ist die Beteiligte zu 3). Der Beteiligte zu 2) ist auf Grundlage eines Tarifvertrages nach § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG für den Standort B gebildet worden.

Der Beteiligte zu 1) hat mit seinem am 6. Jan. 2012 beim Arbeitsgericht Darmstadt eingereichten Antrag die Überlassung von Kopien der Protokolle bestimmter Betriebsratssitzungen, hilfsweise Einsichtnahme in diese und - soweit diese noch nicht existierten - deren Erstellung begehrt.

Eine Geschäftsordnung hat sich der Betriebsrat nicht gegeben.

Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht gewesen, verantwortlich für die Erstellung der Sitzungsniederschriften sei die Beteiligte zu 3). Von 97 Sitzungen, die während seiner Amtszeit ab der Wahl 2010 bis zu seinem Ausscheiden stattgefunden hätten, seien nur 43 Protokolle erstellt und verlesen worden, davon 16 innerhalb eines Zeitraums von sechs bis elf Monaten und acht innerhalb eines Zeitraums von drei bis sechs Monaten. Die Vorgehensweise der Beteiligten zu 3) untergrabe die Möglichkeit, Einwendungen gegen die Protokolle vorzunehmen und zu begründen. Er habe ein Recht darauf, Kopien der Protokolle der Sitzungen, an denen er teilgenommen hätte, zu erhalten, jedenfalls aber in diese Einsicht zu nehmen. Auch ein ehemaliges Betriebsratsmitglied könne als Zeuge dafür benannt werden, dass bestimmte Beschlüsse in bestimmten Sitzungen gefasst worden seien. Er könne dadurch zu einer fahrlässigen Falschaussage gezwungen werden. Er müsse auch noch Einwendungen gegen die Protokolle geltend machen können, was deren Kenntnis voraussetze.

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,

den Beteiligten zu 2) zu verpflichten, ihm Kopien der Protokolle datumsmäßig genannter Betriebsratssitzungen zu überlassen, hilfsweise festzustellen, dass ihm Einsicht in diese Protokolle zu gewähren ist, ferner den Beteiligten zu 2) zu verpflichten, die Protokolle für bestimmte datumsmäßig aufgelistete Betriebsratssitzungen zu erstellen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 4) und 5) haben keine Anträge gestellt.

Die Beteiligten zu 2) und 3) sind der Meinung gewesen, der Beteiligte zu 1) habe als ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied kein Rechtsschutzbedürfnis und keine Anspruchsgrundlage für seinen Antrag. Der Beteiligte zu 1) habe im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht lediglich geäußert, er benötige die Protokolle zu Kontrollzwecken. Einen konkreten Anlass habe er nicht genannt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, ihrer Anträge und des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhaltes wird auf die Sachdarstellung des angefochtenen Beschlusses (I.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat die Anträge durch Beschluss vom 20. März 2012 - 4 BV 1/12 - zurückgewiesen, da eine Anspruchsgrundlage hierfür nicht ersichtlich sei. Ein Recht auf Überlassung von Kopien der Protokolle bestünde nach § 34 Abs. 3 BetrVG ohnehin nicht. Das Recht auf Einsichtnahme ende mit Ausscheiden aus dem Betriebsrat. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe verwiesen.

Der Beteiligte zu 1) hat gegen den ihm am 10. April 2012 zugestellten Beschluss am 10. Mai 2012 per Telefax Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der rechtzeitig beantragten Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 11. Juli 2012 an diesem Tag per Telefax begründet.

Der Beteiligte zu 1) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für unrichtig. Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass es hinsichtlich der Protokolle nicht um eine Kontrolle der Betriebsratstätigkeit ginge, sondern dass er die Überlassung der Kopien bzw. die Einsicht in die Protokolle der Sitzungen begehre, an denen er teilgenommen habe. Er begehre die Überlassung bzw. Einsicht zur Überprüfung, ob die Protokolle richtig erstellt worden seien, die Beschlüsse richtig wiedergegeben worden seien und der Sitzungsablauf richtig dokumentiert worden sei. Es sei dabei nicht auf den Zeitpunkt der Einsicht abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Sitzungen, an denen er teilgenommen habe. Ohne Einsichtsrecht wäre das ausgeschiedene Betriebsratsmitglied ohne jegliche Kontrollmöglichkeit. Das Arbeitsgericht habe bei seiner Auslegung auch § 34 Abs. 2 BetrVG nicht berücksichtigt. Dieses Recht werde nicht begrenzt. Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende habe sich in ihrer Eigenschaft als Protokollführerin lediglich Notizen vom Sitzungsverlauf gemacht.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 20. März 2012 - 4 BV 1/12 - abzuändern und den Beteiligten zu 2) zu verpflichten, ihm Kopien der Protokolle datumsmäßig genannter Betriebsratssitzungen zu überlassen, hilfsweise festzustellen, dass ihm Einsicht in diese Protokolle zu gewähren ist, ferner den Beteiligten zu 2) zu verpflichten, die Protokolle für bestimmte datumsmäßig aufgelistete Betriebsratssitzungen zu erstellen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 4) und 5) stellten keine Anträge.

Die Beteiligten zu 2) und 3) verteidigen den arbeitsgerichtlichen Beschluss und sind weiterhin der Ansicht, § 34 Abs. 3 BetrVG gestehe nur amtierenden Betriebsratsmitgliedern einen Anspruch auf Einsicht in die Betriebsratsunterlagen zu. Abgesehen davon berechtige dieser Anspruch nicht zur Herstellung von Fotokopien. An einer Reihe von Betriebsratssitzungen habe der Beteiligte zu 1) gar nicht teilgenommen. Einige Sitzungen, für die der Beteiligte zu 1) ein Überlassungs- bzw. Einsichtsrecht begehrt, hätten gar nicht stattgefunden. Die Beteiligten zu 2) und 3) behaupten, die Beteiligte zu 3) habe veranlasst, dass von jeder Betriebsratssitzung durch die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende oder ein anderes Betriebsratsmitglied ein handschriftliches Protokoll erstellt worden sei. Erforderlichenfalls sei dann später eine Reinschrift angefertigt worden. Bevor die Beteiligte zu 3) die Sitzung geschlossen habe, habe sie nachgefragt, ob Anmerkungen oder Korrekturen zur Protokollierung gewünscht würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 25. Okt. 2012 verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG.

Die Beschwerde hat jedoch, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, in der Sache keinen Erfolg. Dem Beteiligten zu 1) steht als ausgeschiedenem Betriebsratsmitglied und auch ausgeschiedenem Betriebsratsangehörigen kein Einsichtsrecht in die Unterlagen des Betriebsrats mehr zu.

In den Kommentaren zum Betriebsverfassungsrecht heißt es einhellig, das Einsichtsrecht stünde lediglich den Betriebsratsmitgliedern und ggf. Ersatzmitgliedern zu, es bestehe jederzeit und sei weder zeitlich beschränkt noch von besonderen Voraussetzungen abhängig (etwa Fitting BetrVG 26. Aufl. § 34 Rz. 33; Richardi-Thüsing BetrVG 13. Aufl. § 34 Rz. 27; ErfK-/Koch 12. Aufl. § 34 BetrVG Rz. 2; GK-BetrVG/Raab 9. Aufl. § 34 Rz. 29, 32; vgl. auch Schmitz-Scholemann NZA 2012, 1010 re. Spalte am Ende). Dazu, ob auch ausgeschiedene Betriebsratsmitglieder das Einsichtsrecht nach § 34 Abs. 3 BetrVG in Anspruch nehmen können, lässt sich keiner der BetrVG-Kommentare aus. Es gibt dazu auch keine Rechtsprechung.

Die Auslegung des § 34 Abs. 3 BetrVG führt zur Verneinung eines Vorlage- bzw. Einsichtsrechts ausgeschiedener Betriebsratsmitglieder.

Die richterliche Gesetzesauslegung wird bestimmt durch die allgemeinen Auslegungsregeln nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. BAG Urteil vom 30. März 2004 - 1 AZR 7/03 - EzA § 113 BetrVG 2001 Nr. 4 mit weiteren Nachw.).

Der Wortlaut des § 34 Abs. 3 BetrVG ist eindeutig. Danach haben die „Mitglieder des Betriebsrats“ das Einsichtsrecht. Das sind die amtierenden und nicht die ausgeschiedenen Mitglieder (vgl. LAG Niedersachsen Beschluss vom 16. Februar 2001 - 16 TaBV 46/00 - Juris: Ein einzelnes Betriebsratsmitglied hat das Recht, jederzeit auch bei Geltendmachung eines berechtigten Interesses Einsicht in die beim Personalausschuss vorhandenen Unterlagen zu nehmen).

Abzustellen ist auf die Geltendmachung des Einsichtsrechts und nicht auf den Zeitpunkt, den die Unterlagen betreffen. Eine Regelung eines Einsichtsrechts nach Ablauf der Amtszeit ist im Gesetz nicht geregelt.

Der Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelung gibt kein Einsichtsrecht für ausgeschiedene Mitglieder her. Dass dem Arbeitgeber oder einem Beauftragten der Gewerkschaft, der an einer Sitzung teilgenommen hat, ein entsprechender Protokollauszug schriftlich auszuhändigen ist, begründet kein Einsichtsrecht. Diese Regelung ist offensichtlich getroffen worden, weil nur amtierende Betriebsratsmitglieder ein Einsichtsrecht haben.

Auch aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ergibt sich kein Einsichtsrecht. § 34 Abs. 3 BetrVG soll sicherstellen, dass sich jedes Betriebsratsmitglied über die Vorgänge im Betriebsrat und in den Ausschüssen informieren kann. Dieses allgemeine Informationsinteresse besteht nach Ausscheiden aus dem Betriebsrat nicht mehr.

Hier besteht zwar die Besonderheit, dass nach dem streitigen Vorbringen des Beteiligten zu 1) über lange Zeiträume während seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat keine Protokolle gefertigt worden seien, so dass er nicht hätte Einblick nehmen können, aber auch diese Auseinandersetzung muss im bestehenden Betriebsrat geführt werden.

Ausgeschiedene Betriebsratsmitglieder haben kein Kontrollrecht über die Betriebsratstätigkeit mehr. Mit Beendigung des Betriebsratsamtes endet das Einblicksrecht. Damit ein Einsichtsrecht einen Sinn hätte, müsste man dem ausgeschiedenen Betriebsratsmitglied konsequenterweise noch das Einwendungsrecht nach § 34 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zubilligen. Aber auch dieses besteht für ausgeschiedene Betriebsratsmitglieder nicht mehr.

Die vom Beteiligten zu 1) konstruierten Fälle, dass er eventuell einmal als Zeuge über den Inhalt der Sitzung aussagen müsste und hierfür das Protokoll kennen müsste, muss auf der Grundlage der jeweiligen Verfahrensordnung, z.B. durch einen Vorlegungsantrag, gelöst werden und kann ein Einsichtsrecht in alle Protokolle für einen bestimmten Zeitraum nicht rechtfertigen.

Eine besondere Rechtfertigung wie zum Beispiel eine notwendige Einsicht aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.

Die Rechtsbeschwerde ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Rechtsfrage, wie § 34 Abs. 3 ArbGG im Hinblick auf ein Einsichtsrecht ausgeschiedener Betriebsratsmitglieder auszulegen ist, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Ihre Klärung verlangt eine solche Entscheidung. Die Frage lässt sich zwar anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten. Aber zu dieser Annahme, die Rechtsfrage sei klar zu beantworten, gelangt das Beschwerdegericht ja nur aufgrund seiner Gesetzesinterpretation.



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