Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 7 Sa 532/15

Rechtsmissbrauch durch zu kurze Befristung

Es stellt einen institutionellen Rechtsmissbrauch dar, wenn der Arbeitgeber bei einem nach § 14 Abs.1 S.2 Nr.1 TzBfG befristeten Arbeitsvertrag eine weit hinter dem prognostizierten Mehrbedarfszeitraum zurückbleibende Befristungsdauer wählt (hier höchstens 20 % des mehrjährigen Zeitraums mit Beschäftigungsmehrbedarf), um sich die Möglichkeit offen zu halten, das Personal – unabhängig von einer vorangegangenen Erprobung – unter Leistungsgesichtspunkten beliebig austauschen zu können.
(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.2015 in Sachen14 Ca 6837/14 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses für die Zeit bis zum 31.08.2014.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 14. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, der Entfristungsklage der Klägerin stattzugeben, wird auf das angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.2015 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 07.05.2015 zugestellt. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil am 21.05.2015 Berufung eingelegt und diese am 07.07.2015 begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die mit Verlängerungsvertrag vom 10.12.2013 vorgenommene streitgegenständliche Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien auf den 31.08.2014 durch den Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt sei. Dies habe das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung zu Unrecht offen gelassen. Unstreitig habe die Auflegung des Fonds Heimerziehung einen vorübergehend erhöhten Beschäftigungsbedarf hervorgerufen, der jedoch nur bis zum Ende der Fonds-Laufzeit am 31.12.2016 (betreffend die B D ), bzw. 31.12.2017 (betreffend die ehemalige D ) zeitlich begrenzt sei. Die Befristungsdauer müsse mit der Dauer des erhöhten Beschäftigungsbedarfs nicht übereinstimmen, sondern könne auch hinter dieser zurückbleiben, z. B. um sich die Möglichkeit eines späteren Personalaustauschs offen zu halten. Zwar sei zum Zeitpunkt der Befristungsverlängerung ein generell steigender Personalbedarf eingeplant gewesen. Dem habe jedoch die Übernahme von 10 Auszubildenden des Ausbildungsjahrgangs 2011 zum Juli 2014 gegenüber gestanden. Soweit darüber hinaus in der Geschäftsstelle Fonds Heimerziehung Arbeitsverträge von befristet Beschäftigten verlängert worden seien, sei die Auswahl nach Eignung, Leistung und Befähigung erfolgt.

Die Beklagte wendet sich ferner dagegen, dass das Arbeitsgericht in der streitgegenständlichen Befristung einen institutionellen Rechtsmissbrauch gesehen habe. Das Arbeitsgericht habe dabei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum institutionellen Rechtsmissbrauch fehlerhaft angewendet. So habe das Bundesarbeitsgericht bei einer Befristungsgesamtdauer von 7 Jahren und 9 Monaten bei einer dreimaligen Befristungsverlängerung noch keinen institutionellen Rechtsmissbrauch feststellen können. Auch liege kein Fall vor, in denen eine Vielzahl sehr kurzfristiger tage- oder wochenweiser Befristung aneinandergereiht worden seien.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.2015, Aktenzeichen 14 Ca 6837/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Arbeitsgericht Köln zu Recht darauf abgestellt habe, dass die vereinbarte Befristungsdauer 2,65 bzw. 3,5 Jahre hinter der Laufzeit der beiden Fonds Heimerziehung zurückbleibe und die Beklagte nicht konkret vorgetragen habe, wie sich die Einstellungsverpflichtung von Auszubildenden auf den Beschäftigungsbedarf auswirke und welche Prognose der vereinbarten Befristung zugrunde gelegen habe. Ferner habe das Arbeitsgericht zu Recht bemängelt, dass es am konkreten Vortrag zu den gegebenenfalls während der Fondslaufzeit unterschiedlichen personellen Bedarfen gefehlt habe.

Das Arbeitsgericht habe zutreffend auch einen institutionellen Rechtsmissbrauch in der streitigen Befristung gesehen. Dabei habe es gerade nicht auf die Gesamtdauer und die Anzahl der befristeten Verträge abgestellt, sondern auf die weiteren Umstände des Einzelfalls. Diese seien vorliegend dadurch geprägt, dass die Beklagte den vermeintlichen Befristungsgrund des erhöhten Beschäftigungsbedarfs dazu missbraucht habe, das Kündigungsschutzgesetz zu umgehen und sich durch die weit hinter dem erhöhten Beschäftigungsbedarf zurückbleibende Befristungsdauer einen Personalaustausch unter vermeintlichen Eignungs- und Leistungsgesichtspunkten zu ermöglichen.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten und der Berufungserwiderungsschrift der Klägerin wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.2015 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch nach Maßgabe der in § 66 Abs. 1 ArbGG enthaltenen Regeln form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Die streitige Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 31.08.2014 ist nicht durch den Sachgrund eines vorübergehenden Beschäftigungsmehrbedarfs im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG gedeckt. Ist die Befristung somit rechtsunwirksam, so gilt gemäß § 16 Satz 1 TzBfG der befristete Arbeitsvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Klägerin hat die Unwirksamkeit der Befristung auch im Sinne von § 17 TzBfG durch rechtzeitige Klageerhebung geltend gemacht.

1. Der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG setzt die Prognose voraus, dass der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung, um dessen Willen der Arbeitsvertrag abgeschlossen wird, nicht für einen unbestimmten Zeitraum dauerhaft besteht, sondern nur vorübergehender Natur und demnach zeitlich begrenzt ist (BAG vom 20.02.2008, 7 AZR 950/06, AP Nr.45 zu § 14 TzBfG; BAG vom 29.07.2009, 7 AZR 907/07, AP Nr.65 zu § 14 TzBfG). Maßgeblich ist die Prognose, wie sie sich im Zeitpunkt des Abschlusses des befristeten Arbeitsvertrages darstellt.

Vorliegend sollte die Klägerin zur Mitarbeit in dem sogenannten Fonds Heimerziehung beschäftigt werden. Der Fonds Heimerziehung war jedoch für eine nur begrenzte Laufzeit aufgelegt worden, nämlich für die Zeit bis zum 31.12.2016, soweit die Heimerziehung in der B D betroffen war, und bis zum 31.12.2017, soweit es um die Heimerziehung in der ehemaligen D ging. Die Beklagte hat somit auf den ersten Blick plausibel dargelegt, dass sich die Mitarbeit der Klägerin an den Aufgaben des Fonds Heimerziehung auf einen Beschäftigungsbedarf bezog, der seiner Natur nach voraussehbar nur von begrenzter Dauer sein würde.

2. Allerdings fällt auf, dass die Beschäftigung der Klägerin bei der Beklagten, soweit sie sich auf die Mitarbeit im Fonds Heimerziehung bezog, zunächst vom 01.08.2013 bis 31.01.2014 befristet war und dann durch den hier streitgegenständlichen Vertrag vom 10.12.2013 um nur 7 Monate bis zum 31.08.2014 verlängert wurde. Demgegenüber erstreckte sich die Laufzeit des Fonds Heimerziehung mindestens bis zum 31.12.2016, soweit die Heimerziehung in der ehemaligen D betroffen war, sogar bis zum 31.12.2017. Selbst wenn man auf das frühere dieser beiden Daten abstellt, so machte die Laufzeit des der Klägerin am 10.12.2013 zugebilligten befristeten Vertrages gerade einmal 20 % der verbleibenden Mindestdauer des durch den Fonds Heimerziehung hervorgerufenen erhöhten Beschäftigungsbedarfes aus.

a. Nach jahrzehnterlanger ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts galt jedoch für den Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG die Voraussetzung, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit einiger Sicherheit die Prognose gestellt werden konnte, dass für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers über das Vertragsende hinaus kein Bedarf mehr bestehen würde (BAG vom 11.02.2004, AP Nr. 256 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG vom 05.06.2002, AP Nr. 13 zu § 1 BeschFG 1996; BAG vom 12.09.1996, AP Nr. 182 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG vom 25.11.1992, AP Nr. 150 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG vom 29.09.1982, AP Nr. 70 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; BAG vom 13.05.1982, AP Nr. 68 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; APS-Backhaus, 4.Aufl., § 14 TzBfG Rdnr. 48 a).

b. Legt man diesen Grundsatz zugrunde, scheidet vorliegend der Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG von vornherein aus; denn die Beklagte hat auch nicht ansatzweise substantiiert darlegen können, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des letzten befristeten Arbeitsvertrages mit der Klägerin, also am 10.12.2013, die Prognose gerechtfertigt war, dass der durch den Fonds Heimerziehung hervorgerufene erhöhte Beschäftigungsbedarf, für den die Klägerin eingestellt worden ist, nach dem Vertragsende mit der Klägerin, also nach dem 31.08.2014, nicht mehr gegeben sein würde.

aa. So hat die Beklagte ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Befristungsverlängerung ein generell steigender Personalbedarf eingeplant gewesen sei. Sie hat darüber hinaus die Behauptung aufgestellt, dass dieser weiter anwachsende Personalbedarf durch die sukzessive Einstellung von 10 Auszubildenden des Ausbildungsjahrgangs 2011 hätte aufgefangen werden sollen und auch aufgefangen worden sei. Die Beklagte hat jedoch jedwede objektiv nachvollziehbare Erläuterung dazu vermissen lassen, wie sie den Umfang des durch den Fonds Heimerziehung hervorgerufenen Personalmehrbedarfs im Rahmen ihrer Prognose überhaupt ermittelt hat.

bb. Zudem erscheint die Argumentation der Beklagten im Hinblick auf die Rechtfertigung der Befristung des Arbeitsvertrages der Klägerin zum 31.08.2014 auch unschlüssig; denn wenn nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten die Einstellung der Auszubildenden nur den erwarteten generell weiter ansteigenden Personalbedarf abdecken sollte, so fragt sich, was mit dem Beschäftigungsbedarf geschehen sollte, den die Klägerin schon jetzt, d. h. während der Zeit der ihr bewilligten befristeten Weiterbeschäftigung, abzudecken hatte.

cc. Die Klägerin hat ferner behauptet, dass die Beklagte im Zeitraum zwischen Dezember 2013 und Juni 2014 7 unbefristete und 47 befristete Neueinstellungen vorgenommen und 40 befristete Arbeitsverträge verlängert habe. Die Beklagte ist dem nicht näher entgegengetreten. Im Gegenteil hat die Beklagte ausdrücklich eingeräumt, dass in der Geschäftsstelle Fonds Heimerziehung diverse Arbeitsverträge von befristeten Beschäftigten verlängert worden seien, wobei „eine Auswahl nach Eignung, Leistung und Befähigung“ erfolgt sei.

c. Eine am 10.12.2013 zu stellende Prognose mit dem Inhalt, dass nach Ablauf der vereinbarten Befristung am 31.08.2014 ein Beschäftigungsbedarf für die Klägerin im Rahmen der Aufgaben des Fonds Heimerziehung nicht mehr zu erwarten sein würde, hat die Beklagte somit in keiner Weise nachvollziehbar darlegen können.

3. Zum Rechtsgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG hatte das Bundesarbeitsgericht schon bisher die Auffassung vertreten, dass es nicht erforderlich sei, dass die Befristungsdauer den Gesamtzeitraum des Ausfalls des zu vertretenden Mitarbeiters einnehmen müsse. Vielmehr könne die Dauer des befristeten Arbeitsvertrages des Vertreters auch hinter dem Ausfallzeitraum zurückbleiben (Nachweise bei APS-Backhaus, § 14 TzBfG Rdnr.48).

a. Hieran anknüpfend hat das BAG in seiner Entscheidung vom 20.02.2008, 7 AZR 950/06, ebenso BAG vom 29.07.2009, 7 AZR 907/07, die Auffassung vertreten, dass auch beim Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG die Dauer des befristeten Vertrages nicht zwingend mit der Dauer des prognostizierten Beschäftigungsmehrbedarfs gleich laufen müsse, sondern die Vertragsdauer auch dahinter zurückbleiben dürfe (aus grundsätzlichen Erwägungen kritisch hierzu: APS-Backhaus, § 14 TzBfG Rdnr. 48 b, 48 c, 139 b; Preis/Greiner RDA 2010, 154 f.).

b. Grundlage für die Rechtsprechung des BAG zur Vertretungsbefristung war die Überlegung, dass es der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers überlassen bleiben müsste, ob der Arbeitgeber die Arbeitskapazität eines vorübergehend ausfallenden Arbeitnehmers überhaupt durch eine Vertretungskraft kompensieren will oder ob er sich z. B. dafür entscheiden will, den Ausfall durch die noch vorhandenen Arbeitskräfte aufzufangen und dabei gegebenenfalls in Kauf zu nehmen, dass die Erledigung von Arbeitsaufgaben länger dauert oder bestimmte Arbeitsaufgaben vorübergehend nicht ausgeführt werden. Konsequenz aus dieser Überlegung ist, dass es dem Unternehmer dann auch freigestellt sein müsste, den vorübergehenden Arbeitsausfall eines Mitarbeiters nur teilweise, also für einen Teil des Ausfallzeitraums, durch einen Vertreter abzudecken (Nachweise bei APS-Backhaus, § 14 TzBfG Rdnr. 48, 332).

c. Übertragen auf den Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 TzBfG bedeutet dies, dass auch ein Unternehmer, auf dessen Betrieb – z. B. auf Grund äußerer Einflüsse – ein erhöhter Beschäftigungsbedarf zukommt, sich dazu entscheiden kann, diesen erhöhten Beschäftigungsbedarf nicht durch eine zeitlich befristete Erhöhung der Anzahl von Arbeitskräften aufzufangen, sondern in Kauf zu nehmen, dass eben Arbeitsaufgaben liegen bleiben oder deren Erledigung länger dauert. Konsequenz hieraus wäre wiederum, dass auch im Falle des Befristungsgrundes des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG der Arbeitgeber die Entscheidung treffen kann, den vorübergehend erhöhten Beschäftigungsbedarf nur für einen Teilzeitraum seiner erwarteten Dauer durch die Beschäftigung zusätzlicher, mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestatteter Arbeitskräfte aufzufangen. (Nur) in dieser Hinsicht erscheint die Sachlage bei den Vertretungsgründen der §§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 TzBfG vergleichbar.

d. Auch mit Hilfe dieser Überlegungen vermag die Beklagte jedoch die Befristung des Arbeitsvertrages der Klägerin auf den 31.08.2014 nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG nicht zu rechtfertigen.

aa. Entscheidend hierfür ist, dass die Beklagte gerade keine unternehmerische Entscheidung des Inhalts getroffen hat, den durch den Fonds Heimerziehung hervorgerufenen erhöhten Beschäftigungsbedarf nur für Teilzeiträume durch die Gewinnung zusätzlicher, befristet beschäftigter Mitarbeiter abzudecken. Für eine solche unternehmerische Entscheidung diesen Inhalts hat die Beklagte nichts vorgetragen. Insbesondere war sie nicht Gegenstand der Prognoseentscheidung, die bei Abschluss des letzten befristeten Arbeitsvertrages mit der Klägerin am 10.12.2013 zu treffen war.

bb. Stattdessen hat sich die Beklagte durch die Wahl - verglichen mit der mutmaßlichen Dauer des erhöhten Beschäftigungsbedarfs auf Grund der Aufgabe „Fonds Heimerziehung“ - äußerst kurz bemessener Befristungszeiträume die Möglichkeit offen halten wollen, in kurzen Abständen immer wieder die Leistungen der befristet beschäftigten Mitarbeiter überprüfen, bewerten und vermeintlich leistungsschwächere gegen vermeintlich leistungsstärkere Mitarbeiter austauschen zu können. Dies wird zum einen durch die eigene Einlassung der Beklagten belegt, wonach sie unter den befristet Beschäftigten der Geschäftsstelle Fonds Heimerziehung für die Frage der Vertragsverlängerung eine Auswahl nach Eignung, Leistung und Befähigung getroffen habe. Zum anderen wird es durch den vorliegenden Fall der Klägerin bestätigt; denn ausweislich des unstreitigen Schreibens der Beklagten vom 30.05.2014 (Anlage K3) war die Entscheidung der Beklagten gegen eine Weiterbeschäftigung der Klägerin über den 31.08.2014 hinaus ausschließlich leistungsbedingt.

cc. Zwar hat das BAG in seiner Entscheidung vom 20.02.2008 tatsächlich in einem obiter dictum zu erkennen gegeben, dass es eine Entscheidung eines Arbeitgebers für legitim halte, durch die Wahl einer im Vergleich zum eigentlichen Befristungsgrund des vorübergehenden Beschäftigungs- mehrbedarfs abgekürzten Vertragslaufzeit sich die Möglichkeit „zu einem personellen Austausch des befristeten Arbeitnehmers“ offen zu halten. Damit wird jedoch nur die Möglichkeit angesprochen, dass der Arbeitgeber bereits im Zeitpunkt der Prognoseerstellung hinsichtlich des Beschäftigungsbedarfs, der vorübergehend durch den befristet einzustellenden Arbeitnehmer abgedeckt werden soll, für die spätere Zukunft bereits anderweitige Dispositionen getroffen haben kann, sei es z. B., dass er zu einem späteren Zeitpunkt Auszubildende in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernehmen will oder auf Grund gesetzlicher, tarifvertraglicher oder sonstiger ihn bindender Vorschriften übernehmen muss, oder dass er mit einem anderen Arbeitnehmer für einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt bereits die Verpflichtung eingegangen ist, einen Arbeitsvertrag abzuschließen.

dd. Dagegen kann damit nicht gemeint sein, dass der Arbeitgeber durch die Wahl kurzer Befristungszeiträume sich die beliebige Möglichkeit offen halten kann, in vergleichsweise kurz gewählten Abständen immer wieder die ‚Leistung und Eignung‘ des Arbeitnehmers zu überprüfen, ohne die Vorgaben für leistungsbedingte Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz beachten zu müssen, und ohne dass dabei irgend ein innerer Zusammenhang zu dem Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 TzBfG bestünde, wobei der Arbeitnehmer zugleich in ganz erheblicher Weise durch ein derartiges Vorgehen unter Druck gesetzt würde.

ee. Bei jedem Arbeitgeber kann zu jeder Zeit das abstrakte Interesse unterstellt werden, immer nur die leistungsstärksten und persönlich am besten geeigneten Arbeitnehmer beschäftigen zu wollen. Trüge man diesem Gedanken im Hinblick auf die Zulassung befristeter Arbeitsverträge Rechnung, wäre zu erwarten, dass der Abschluss befristeter Arbeitsverträge zur absoluten Regel würde.

ff. Das deutsche Arbeitsrecht und das Arbeitsrecht der Europäischen Union sind jedoch gerade vom gegenteiligen Grundsatz geprägt: Das normale Arbeitsverhältnis soll das unbefristete Arbeitsverhältnis sein. Befristungen sind nur ausnahmsweise zugelassen, wenn besondere, in der Sache selbst begründete Rechtfertigungssachverhalte vorliegen.

gg. Vor diesem Hintergrund kann der allgemeine Wunsch, immer nur die am besten geeigneten und gerade leistungsstärksten Arbeitnehmer beschäftigten zu wollen, für sich betrachtet keinesfalls als Sachgrund einer Befristung akzeptiert werden. Die Anerkennung eines solchen Sachgrundes wäre auch mit § 5 der EU-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge nicht vereinbar. Der durch diese Vereinbarung gesetzte Rahmen, der Mindestschutzbestimmungen vorsieht, die die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten verhindern sollen, wäre damit überschritten (vgl. EUGH vom 04.07.2006, C 212/04, AP Nr. 1 zu Richtlinie 99/70 EG; EUGH vom 14.04.2008, C 268/06, NZA 2008, 581; zur europarechtlichen Problematik insgesamt ferner APS-Backhaus, § 14 TzBfG Rdnr. 48 c, 139 b).

hh. Wenn das Interesse des Arbeitgebers, durch den Abschluss befristeter Arbeitsverträge einen Austausch der Arbeitnehmerschaft zu jedem beliebigen Zeitpunkt unter Leistungs- und Eignungsgesichtspunkten vornehmen zu können, allgemein als Sachgrund einer Befristung nicht in Frage kommt, so ist auch schlechthin kein Grund dafür ersichtlich, damit die willkürliche Wahl eines beliebigen Befristungszeitraumes zu rechtfertigen, nur weil derselbe Arbeitnehmer unter ganz anderen sachlichen Aspekten, hier dem Grund des§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG, grundsätzlich befristet beschäftigt werden könnte.

ii. In diesem Sinne teilt das Berufungsgericht die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Wahl einer Befristungsdauer, die einem solchen rechtlich nicht anerkannten Zweck dienen soll und mit dem eigentlichen Befristungsgrund – dem vorübergehenden Beschäftigungsmehrbedarf – nichts zu tun hat, als institutionell rechtsmissbräuchlich anzusehen ist.

e. Dementsprechend hat das BAG auch in seiner neueren Rechtsprechung einen inneren Zusammenhang zwischen dem Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG und der gewählten Befristungsdauer keineswegs vollständig aufgegeben. Es führt vielmehr aus, dass, je weiter sich die vereinbarte Vertragslaufzeit von der durch den eigentlichen Sachgrund indizierten Dauer entfernt, dies dafür sprechen kann, dass der Sachgrund des vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung nur vorgeschoben ist (BAG vom 29.07.2009, 7 AZR 907/07, AP § 14 TzBfG Nr. 65). Explizit führt das BAG dies für den Fall aus, dass die vereinbarte Befristungsdauer über den durch den Sachgrund des Beschäftigungsmehrbedarfs eigentlich indizierten Zeitraum hinausreicht. Der Grundsatz muss in gleicher Weise aber auch dann gelten, wenn die vereinbarte Vertragslaufzeit ganz erheblich hinter der durch den Sachgrund des vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs indizierten Dauer zurückbleibt und hierfür ein für sich betrachtet rechtlich anerkannter Ausnahmegrund nicht angeführt werden kann. So liegt der Fall hier. Die der Klägerin mit Vertrag vom 10.12.2013 zugebilligte Vertragslaufzeit erreicht gerade einmal 20 % des durch den Befristungsgrund des Beschäftigungsmehrbedarfs indizierten Zeitraums, selbst wenn man zugunsten der Beklagten darauf abstellt, dass ein Teil des Fonds Heimerziehung schon mit dem 31.12.2016 auslaufen sollte. Irgendein innerer Zusammenhang zwischen der gewählten Vertragslaufzeit und der eigentlich indizierten Befristungsdauer ist damit schlechthin nicht mehr erkennbar.

f. Der sachliche Befristungsgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG scheidet daher aus.

4. Ein anderer sachlicher Rechtfertigungsgrund ist ebenfalls nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht vorgebracht. Insbesondere kann die gewählte Befristung nicht mit dem Motiv einer Eignungs- oder Leistungserprobung der Klägerin gerechtfertigt werden. Die Klägerin hatte im Zeitpunkt des Beginns des Verlängerungszeitraumes bereits eine sechsmonatige befristete Beschäftigungszeit hinter sich gebracht. Außerdem war sie aus mehreren vorangegangenen Arbeitsverhältnissen – auch zeitnah – hinsichtlich Person, Eignung und Leistungsfähigkeit bekannt.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 I ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht erkennbar.

Im Hinblick auf die europarechtskonforme Auslegung des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG war auch eine Vorlage des Rechtsstreits an den Europäischen Gerichtshof nicht angezeigt.



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