Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 8 Sa 1124/11

Sachgrundbefristung - Wegfall der Rechtsgrundlage

Ist nicht abzusehen, ob über einen bestimmten Zeitraum hinaus eine Rechtsgrundlage besteht, aufgrund derer der Arbeitgeber einen Mehrbedarf an Arbeitskräften einstellen kann, so stellt dies einen wirksamen Befristungsgrund i.S.d. §14 I S.2 Nr.1 TzBfG (vorübergehender Mehrbedarf) dar.
Hier: Aufgrund der Verfassungswidrigkeit von Arbeitsgemeinschaften, welche aufgrund § 44 b SGB II a.F. geschlossen wurden, war für die Stadt Frankfurt nicht absehbar, ob der Arbeitsplatz einer Arbeitnehmerin innerhalb der Arbeitsgemeinschaft, welche die Stadt mit dem Jobcenter eingegangen war, nach dem 31.12.2010 wegfällt oder nicht.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 - 5 Ca 8934/10 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer bis zum 31. Dezember 2010 dauernden Befristung.

Die am 16. September 1962 geborene und verheiratete Klägerin ist seit dem 01. November 2008 im Jugend- und Sozialamt der beklagten Stadt zum Einsatz in der A beschäftigt. Zuletzt erlangte die Klägerin eine monatliche Bruttovergütung von 2.638,57 EUR. Der Beschäftigung liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 16. Oktober 2008 zugrunde, der in § 1 folgende Regelung enthält (Blatt 5 der Akte):

Frau B wird ab dem 01. November 2008 eingestellt, und zwar als Vollzeitbeschäftigte.

Die Beschäftigte ist im Rahmen begründeter dienstlicher/betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet.

Die Beschäftigung erfolgt auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vom 21.12.2000 in der jeweils geltenden Fassung i. V. m. § 30 TVöD für folgende Aufgaben von begrenzter Dauer:

Einsatz in der A.

Das Arbeitsverhältnis endet mit Eintritt des nachstehenden Ereignisses:

Beendigung der Tätigkeit der A, spätestens am 31. Dezember 2010.

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2008 wies die beklagte Stadt die Klägerin der A zur Dienstleistung zu. Das Zuweisungsschreiben (Blatt 7 der Akte) lautet auszugsweise:

Sehr geehrte Frau B,

auf Wunsch der A und mit Ihrem Einverständnis weisen wir Sie mit Wirkung vom 01.11.2008 gemäß § 4 Abs. 2 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst - im Rahmen Ihres befristeten Beschäftigungsverhältnisses - der A zur Dienstleistung zu.

Gleichzeitig werden Sie im Jobcenter West, Arbeitsbereich „Leistungsberechnung“ eingesetzt.

Die Zuweisung zur A erfolgt bis längsten 31.12.2010; sie kann jederzeit von Seiten der Stadt Frankfurt am Main widerrufen werden.

Dem Einsatz der Klägerin bei der A lag die Entscheidung der Beklagten aus dem Jahr 2004 zugrunde, gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Frankfurt am Main eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) nach § 44b SGB II a.F. zu gründen, um ab dem 01. Januar 2005 für eine verbesserte Vermittlung von Langzeitarbeitslosen alle erforderlichen Hilfen zur Integration in den Arbeitsmarkt für alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus einer Hand anzubieten. Die Zusammenarbeit der Beklagten mit der Agentur für Arbeit Frankfurt am Main war in einem „Vertrag über die angestrebte Zusammenarbeit im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft nach § 44b SGB II“ (sog. Kooperationsvertrag) vom 22. Dezember 2004 näher geregelt und ausweislich dessen § 6 bis zum 31. Dezember 2010 befristet. Der Kooperationsvertrag enthielt in seinem Anhang 2 Regelungen über die Grundsätze der finanziellen Zusammenarbeit und bestimmte dort in Ziffer 3 zu den Personalkosten auszugsweise folgendes:

Aus dem Kapazitäts- und Qualifikationsplan (siehe Anhang 3 Ziffer 4) ergibt sich die Gesamtzahl der Arbeitsplätze, welche die ARGE für die von ihr wahrgenommenen Aufgaben bereitstellen muss. Bei den einzelnen Stellen ist jeweils kenntlich zu machen, wie sich die Personalkosten auf die Vertragspartner verteilen.

Jeder Vertragspartner trägt die Kosten für das von ihm in die ARGE eingebrachte bzw. überlassene Personal. Für Personal, das von der Stadt der ARGE zugewiesen wird, und das im Kapazitäts- und Qualifikationsplan zur Wahrnehmung von Aufgaben vorgesehen ist, die nicht der Stadt nach § 6 SGB II obliegen, werden die Personalkosten durch die Agentur erstattet. Die Kostenerstattung erfolgt auf Basis der im Rahmen des Kapazitäts- und Qualifikationsplanes festgelegten Mitarbeiterkapazitäten und der tatsächlichen Ist-Kosten je Mitarbeiter und Jahr. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall.

Am 20. Dezember 2007 entschied das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04, BVerfGE 119, 331), dass die Bildung von Arbeitsgemeinschaften nach § 44b SGB II dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung widerspreche, da ein zuständiger Verwaltungsträger verpflichtet sei, seine Aufgaben grundsätzlich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrzunehmen. Insoweit sei § 44b SGB II mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 83 Grundgesetz unvereinbar. Allerdings sei die Vorschrift des § 44b SGB II bis zum 31. Dezember 2010 weiter anwendbar, wenn der Gesetzgeber nicht zuvor eine andere Regelung treffe.

Mit Wirkung zum 21. Juli 2010 wurde das Grundgesetz durch Einfügung von Art. 91e GG geändert. Nach dieser Verfassungsnorm wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen. Im Nachgang zu dieser Verfassungsänderung wurde § 44b SGB II mit Wirkung zum 1. Januar 2011 neu gefasst und die Bildung gemeinsamer Einrichtungen statt der bisher vorgesehenen Arbeitsgemeinschaften ermöglicht.

Seit dem 1. Januar 2011 setzen die beklagte Stadt und die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main ihre Zusammenarbeit im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende in einer solchen gemeinsamen Einrichtung, die "Jobcenter" genannt wird, unter veränderten rechtlichen Vorgaben fort.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses sei rechtsunwirksam. In ihrem Beschäftigungsbereich sei der Arbeitsbedarf unverändert. Zwar sei der beklagten Stadt zuzubilligen, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unklar gewesen sei, in welcher Form künftig eine Zusammenarbeit der Kommunen mit der Bundesagentur für Arbeit möglich sei und auf welche Weise die Kommunen die Aufgabenwahrnehmung im SGB II spätestens ab 2011 organisieren. Zu keinem Zeitpunkt habe aber tatsächlich in Frage gestanden, dass die beklagte Stadt die Aufgaben weiter übernimmt.

Daneben hat die Klägerin die Ansicht geäußert, die Befristung sei auch deshalb unwirksam, weil sich die beklagte Stadt in der Zuweisung vom 15. Oktober 2008 vorbehalten habe, die Zuweisung jederzeit widerrufen zu können.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unbefristet über den 31. Dezember 2010 hinaus weiter fortbesteht.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und hierzu die Auffassung vertreten, die Rechtswirksamkeit der Befristung folge daraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin davon ausgegangen werden musste, dass mit Ablauf des 31. Dezember 2010 eine Fortsetzung der Kooperation mit der Bundesagentur aus Rechtsgründen nicht möglich sein werde. Da im Rahmen der Kooperation neben den ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben des § 16a (bis 31.12.2008: § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4) und des § 22 SGB II auch Aufgaben der Bundesagentur durch städtische Mitarbeiter ausgeführt wurden und diese Aufgaben in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab dem 01. Januar 2011 nicht mehr durch städtische Mitarbeiter ausgeführt werden durften, bestand nur bis zum 31. Dezember 2010 ein erhöhter Arbeitskräftebedarf, der die Befristung der Klägerin rechtfertigte.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24. Mai 2011 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unbefristet über den 31. Dezember 2010 hinaus fortbesteht. Es hat angenommen, dass die Beklagte bei Vertragsschluss keine seriöse Prognose habe anstellen können, dass das Arbeitsvolumen nach dem 31. Dezember 2010 nicht mehr vorhanden sein werde. Zwar sei die Beklagte darauf angewiesen gewesen, dass der Bundesgesetzgeber die Grundlage für eine weitere Kooperation noch schaffen werde und es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst hierauf keinen Einfluss habe nehmen können. Allerdings stehe damit keine Prognose dahin gehend fest, dass das Arbeitsvolumen nach dem 31. Dezember 2010 nicht mehr vorhanden sein werde. In diesem Zusammenhang bestehende Unsicherheiten müssten zulasten der Beklagten gehen, da die Befristungsmöglichkeiten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz sonst geeignet seien, den Kündigungsschutz nach sechsmonatiger Beschäftigungsdauer zu umgehen.

Gegen dieses der beklagten Stadt am 22. Juli 2011 zugestellte Urteil hat diese am 03. August 2011 Berufung eingelegt und diese am 16. September 2011 begründet.

Sie ist der Auffassung, ihre Prognose, dass spätestens mit dem 31. Dezember 2010 der Beschäftigungsbedarf für die Klägerin entfallen werde, sei zutreffend gewesen. Ausgehend von der Rechtslage bei Vertragsschluss habe sie von nichts anderem ausgehen können, zumal es hinsichtlich der zukünftigen Rechtslage verschiedene politische Auffassungen gab. Es sei unbekannt gewesen, ob eine Neuregelung überhaupt und ob sie rechtzeitig vor dem 31. Dezember 2010 beschlossen sein würde und ob diese Neuregelung dann eine Rechtsgrundlage für die Fortsetzung der Tätigkeit der Klägerin bilden würde.

Die Beklagte behauptet, für die Erledigung der Aufgaben des SGB II, die nach der Gesetzeslage bei Vertragsschluss der beklagten Stadt zugewiesen waren, sei prognostisch eine Personalstärke von 100 Vollzeitarbeitskräften hinreichend gewesen. Diese Beschäftigtenanzahl sei zum Zeitpunkt der Anstellung der Klägerin bereits weit überschritten gewesen, da sie am 16. Oktober 2008 459 Mitarbeiter in die ARGE entsandt hatte. Der Stellenbedarf der A habe sich 2008 auf 721 Stellen belaufen. Aus dem Finanzierungsanteil von 12,6 % folge ein Personalbedarf von etwa 92 Stellen.

Die beklagte Stadt beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 - 5 Ca 8934/10 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und der Sitzungsniederschrift vom 10. August 2012 (Blatt 157 f. der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2011 - 5 Ca 8934/10 - ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Buchstabe c) ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO.

II. Die Berufung ist begründet, da das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund der vereinbarten Befristung mit Ablauf des 31. Dezember 2010 geendet hat. Die Befristung im Arbeitsvertrag vom 16. Oktober 2008 ist wirksam, weil ein die Befristung rechtfertigender Sachgrund in Gestalt eines nur vorübergehend bestehenden betrieblichen Bedarfs im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG gegeben ist und die Befristungsvereinbarung das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG wahrt.

1. Die Befristung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 1 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG als rechtswirksam.

a. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass die Befristung seines Arbeitsvertrages unwirksam ist, muss er nach § 17 Satz 1 TzBfG innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund dieser Befristung nicht beendet ist. Nach § 17 Satz 2 TzBfG gelten die §§ 5 bis 7 des Kündigungsschutzgesetzes entsprechend, weshalb im Falle der Fristversäumnis die Befristung von Anfang an als rechtswirksam gilt, falls nicht die Voraussetzungen der §§ 5 und 6 KSchG gegeben sind.

Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage entspricht nicht dem in § 17 Satz 1 TzBfG vorgeschriebenen Wortlaut, da sie die Feststellung erstrebt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien unbefristet über den 31. Dezember 2010 hinaus weiter fortbesteht. Die Klägerin hat nach diesem Wortlaut eine allgemeine Feststellungsklage im Sinne des § 256 ZPO erhoben. Denn mit dieser Klage hat sie den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Parteien bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zum Streitgegenstand bestimmt. Demgegenüber besteht der Streitgegenstand bei einer Klage nach § 17 Satz 1 TzBfG in der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine bestimmte Befristungsvereinbarung zu dem in dieser Vereinbarung vorgesehenen Termin (BAG 16. April 2003 - 7 AZR 119/02 - NZA 2004, 283 m.w.N.). Die Erhebung einer Klage ist als Prozesshandlung jedoch ebenso auslegungsfähig wie eine private Willenserklärung. Denn gegenüber dem Wortlaut des Klageantrages ist der geäußerte Parteiwille maßgeblich, wie er aus dem Antrag, der Begründung und den sonstigen Umständen bei Erhebung der Klage erkennbar wird (BAG 16. April 2003 a.a.O.).

Daran, dass die Klägerin vorliegend eine Entfristungsklage gemäß § 17 Satz 1 TzBfG erheben wollte, bestehen keine Zweifel. Die Klägerin vertritt in der Klagebegründung ausdrücklich die Rechtsauffassung, dass die Befristungsabrede mangels eines sachlichen Grundes rechtsunwirksam ist und ihr Arbeitsverhältnis daher gemäß § 16 Satz 1 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt.

b. Der rechtzeitigen Klageerhebung steht auch nicht entgegen, dass nach dem Wortlaut von § 17 Satz 1 TzBfG die Feststellungsklage innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses erhoben worden sein muss und die Klägerin vorliegend die Klage bereits am 23. Dezember 2010, mithin mehr als eine Woche vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses erhoben hat, da die materiell-rechtliche Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG nach ständiger und zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt wird (BAG 02. Juni 2010 - 7 AZR 136/09 - NZA 2010, 1172 m.w.N.).

2. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ist gerechtfertigt, weil der betriebliche Bedarf an ihrer Arbeitsleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als nur vorübergehend bestehend anzusehen war, § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG.

a. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Die Befristung eines Arbeitsvertrags wegen eines nur vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitsleistung setzt voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers in dem Betrieb kein (dauerhafter) Bedarf mehr besteht (BAG 20. Februar 2008 - 7 AZR 950/06 - AP Nr. 45 zu § 14 TzBfG m.w.N.). Der vorübergehende Bedarf i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ist zu unterscheiden von der regelmäßig gegebenen Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs eines Unternehmens. Die allgemeine Unsicherheit über die zukünftig bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten rechtfertigt die Befristung nicht. Sie gehört zum unternehmerischen Risiko des Arbeitgebers, das er nicht durch den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags auf den Arbeitnehmer abwälzen kann (BAG 20. Februar 2008 a.a.O.).

Der vorübergehende betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung kann sich aus unterschiedlichen Sachverhalten ergeben, z.B. aus der Tatsache, dass für einen begrenzten Zeitraum in dem Betrieb zusätzliche Arbeiten anfallen, die mit dem Stammpersonal allein nicht erledigt werden können, oder daraus, dass sich der Arbeitskräftebedarf künftig verringert, z.B. wegen der Inbetriebnahme einer neuen technischen Anlage oder der prognostizierten Schließung einer Dienststelle (BAG 30. Oktober 2008 - 8 AZR 855/07 - NZA 2009, 723). Der vorübergehende Bedarf kann einmalige oder wiederkehrend auszuführende Daueraufgaben des Arbeitgebers oder eine zeitweise übernommene Sonderaufgabe betreffen, für deren Erledigung das vorhandene Stammpersonal nicht ausreicht (BAG 20. Februar 2008 a.a.O.).

b. Über den vorübergehenden Bedarf i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ist eine Prognose zu erstellen, welcher konkrete Anhaltspunkte zugrunde liegen müssen. Die Prognose ist Teil des Sachgrunds. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose über den nur vorübergehend bestehenden Arbeitskräftebedarf hat der Arbeitgeber bei einem Bestreiten des Arbeitnehmers im gerichtlichen Verfahren darzulegen, damit der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhält, die Richtigkeit der Prognose zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu überprüfen (BAG 20. Februar 2008 a.a.O.).

c. Die Wirksamkeit einer Befristung wegen eines vorübergehenden Mehrbedarfs i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG setzt zudem voraus, dass der Arbeitnehmer gerade zur Deckung dieses Mehrbedarfs eingestellt wird. Es genügt, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein vom Arbeitgeber darzulegender ursächlicher Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert, die vorhandene Arbeitsmenge zu verteilen, seine Arbeitsorganisation zu ändern oder die zusätzlichen Arbeiten anderen Arbeitnehmern zuzuweisen. Er darf einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften nur nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des vorübergehenden Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten (BAG 20. Februar 2008 a.a.O.).

d. Nach Auffassung der Kammer konnte die Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der Klägerin nur von einem vorübergehenden Mehrbedarf an Arbeitsleistung i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG ausgehen.

aa. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags der Klägerin waren etwa 700 Stellen bei der A besetzt. Da die A über kein eigenes Personal verfügte, wurden ihr sämtliche Mitarbeiter/innen durch die Beklagte und durch die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main im Verhältnis 2/3 zu 1/3 zugewiesen. Von den im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags der Klägerin etwa 700 besetzten Stellen waren 459 durch Mitarbeiter/innen der Beklagten besetzt.

Die Aufgabenbearbeitung bei der A erfolgte dergestalt, dass es eine Trennung zwischen originären Aufgaben der Beklagten und originären Aufgaben der Agentur für Arbeit nicht gab. Die von den beiden Trägern der ARGE zugewiesenen Mitarbeiter wurden sowohl im Aufgabenfeld der Agentur für Arbeit aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II als auch im Aufgabenfeld der Beklagten aus § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II tätig.

Der durch das SGB II der Beklagten zugewiesene Aufgabenbereich umfasste im Wesentlichen nur die Prüfung, die Bescheidung und die Auszahlung der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) und die Prüfung, die Bescheidung und die Auszahlung der Leistungen nach § 16a SGB II (bis 31.12.2008: § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB II). Daneben wurden auf Grundlage der vertraglichen Regelungen zwischen der Beklagten und der Agentur für Arbeit in erheblichem Umfang Aufgaben der Agentur für Arbeit durch Mitarbeiter der beklagten Stadt ausgeführt. Nach dem Vorbringen der Beklagten wären für die ausschließliche Erledigung ihrer Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II ca. 100 Mitarbeiter/innen ausreichend gewesen. Dies hat die Klägerin zwar bestritten, sie hat aber in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt, dass sie den Anteil des Arbeitsvolumens, der in die gesetzlich begründete Zuständigkeit der Beklagten fiel, auf etwa 30 % des Gesamtarbeitsvolumens der A schätzt. Hieraus folgt, dass die Klägerin der Auffassung ist, dass für die Erledigung der Aufgaben nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II im Zeitpunkt ihres Vertragsschlusses etwa 210 Mitarbeiter erforderlich waren (30 % von 700).

bb. Es mag zweifelhaft erscheinen, ob bereits die im Jahr 2004 vereinbarte und bis zum 31. Dezember 2010 befristete Zusammenarbeit zwischen der Beklagten und der Agentur für Arbeit Frankfurt am Main die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin hätte rechtfertigen können. Nachdem der Bundesgesetzgeber im Jahr 2004 die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beschlossen hatte, vereinbarten die Beklagte und die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main ihre Zusammenarbeit bis zum 31. Dezember 2010. Diese Befristung auf sechs Jahre war dadurch begründet, dass der als Experimentierklausel bezeichnete § 6a SGB II a.F. für 69 kommunale Träger die Möglichkeit eröffnete, an Stelle der Agenturen für Arbeit als Träger der Leistung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II zugelassen zu werden. Diese Zulassungen konnten nur mit Wirkung zum 01. Januar 2005 beantragt werden und wurden für einen Zeitraum von sechs Jahren erteilt. Die Befristung der Vereinbarungen zwischen der Beklagten und der Agentur für Arbeit dienten mithin der Möglichkeit, dass die Beklagte auf den am 01. Januar 2011 geltenden Rechtszustand reagieren konnte und - bei dauerhafter Zulassung des Optionsmodell - erneut über einen diesbezüglichen Antrag entscheiden konnte.

cc. Nachdem aber das Bundesverfassungsgericht am 20. Dezember 2007 entschieden hatte, dass die in § 44b SGB II geregelte Bildung von Arbeitsgemeinschaften mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 83 Grundgesetz unvereinbar ist und dass die Vorschrift nur noch bis zum 31. Dezember 2010 angewendet werden darf, stand im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Klägerin fest, dass ihr Einsatz in der ARGE ab dem 01. Januar 2011 aus Rechtsgründen nicht möglich sein wird.

Im Jahr 2008 gab es drei denkbare Szenarien, wie die Leistungsgewährung nach dem SGB II ab dem 01. Januar 2011 durch die Beklagte erfolgt: zum ersten bestand die Möglichkeit, dass es - wie tatsächlich geschehen - zu einer Grundgesetzänderung und einer Änderung der einfachgesetzlichen Vorschriften des SGB II kommt, die eine weitere - wenn auch organisatorisch veränderte - Zusammenarbeit zwischen der Agentur für Arbeit und der Beklagten gestattet. Zum zweiten war es vorstellbar, dass der Bundesgesetzgeber die Wahl des Optionsmodells auch ab dem 1. Januar 2011 ermöglicht und die Anzahl der Optionsgemeinden erweitert, so dass die Beklagte neben den eigenen Aufgaben auch die Aufgaben der Agentur für Arbeit hätte übernehmen können. Hierzu hätte es einer Änderung des SGB II bedurft. Schließlich bestand als drittes die Möglichkeit, dass es zu keiner der ersten beiden Varianten kommt. In diesem Fall wären der Beklagten nur die Aufgaben aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II geblieben, für deren Erfüllung zwischen 100 (Vortrag der Beklagten) und 210 (Vortrag der Klägerin) Mitarbeiter/innen erforderlich gewesen wären.

Ausgehend von diesen bestehenden Möglichkeiten und dem zugrunde liegenden rechtlichen Rahmen ist die von der Beklagten angestellte Prognose, dass nur von einem bis zum 31. Dezember 2010 erhöhten Personalbedarf auszugehen ist, zutreffend. Es ist nicht entscheidend, ob und wie die Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags mit der Klägerin die Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit fortsetzen wollte. Es fehlte zu diesem Zeitpunkt schlicht die Rechtsgrundlage dafür, dass die Beklagte über den 31. Dezember 2010 hinaus, Aufgaben der Agentur für Arbeit durch eigene Mitarbeiter/innen ausführen darf. Ebenso wenig ist bedeutsam, welchen politischen Willen es hinsichtlich der ersten beiden Möglichkeiten gab. Entscheidend ist allein der im Zeitpunkt des Vertragsabschluss mit der Klägerin fehlende rechtliche Rahmen.

Die Klägerin ist auch zur Deckung des vorübergehenden Mehrbedarfs eingestellt worden. Ausgehend von der im Zeitpunkt des Arbeitsvertragsabschlusses aus Rechtsgründen einzig statthaften Prognose, dass die Beklagte ab dem 01. Januar 2011 nur noch Aufgaben nach 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II durch eigene Mitarbeiter ausführen wird, gab es ab diesem Zeitpunkt einen streitigen Personalbedarf zwischen 100 und 210 Mitarbeiter/innen. Da die Beklagte jedoch hinsichtlich der Aufgaben bereits über 459 Mitarbeiter/innen verfügte von denen zumindest 250 unbefristet beschäftigt waren, erfolgte die Einstellung der Klägerin zur Abdeckung des Mehrbedarfs.

In diesem Zusammenhang ist es in Anwendung der dargestellten Rechtsgrundsätze auch unerheblich, ob die Klägerin während ihres Einsatzes in der ARGE vollständig oder überwiegend originäre Aufgaben der Beklagten bearbeitet hat, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Mehrbedarf und befristeter Einstellung ausreichend ist. Es ist nicht erforderlich, dass gerade die zusätzlichen Arbeiten den befristet eingestellten Mitarbeitern zugewiesen werden. Daher bestehen auch keine Bedenken, soweit das Zuweisungsschreiben vom 15. Oktober 2008 die Möglichkeit eines Widerrufs der Zuweisung enthält.

3. Die Befristungsabrede wahrt das Schriftformerfordernis nach § 14 Abs. 4 TzBfG. Anhaltspunkte für deren Formunwirksamkeit sind nicht gegeben.

III. Als unterlegende Partei hat die Klägerin nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Die Zulassung der Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG geboten.

Hinweis: Der Berichtigungsbeschluss wurde in den Entscheidungstext eingearbeitet:

In dem Berufungsverfahren wird das Berufungsurteil vom 10. August 2012 in seinem Tenor dahin berichtigt, dass das abgeänderte Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt - 5 Ca 8934/10 - vom 24. Mai 2011 stammt.

Gründe:

Das Urteil war wie geschehen nach § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen, da ein offensichtlicher Schreibfehler vorlag. Das im Tenor niedergeschriebene Datum des 24. Mai 2010 ist hinsichtlich seiner Jahreszahl fehlerhaft, zutreffend stammt es vom 24. Mai 2011. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem gestellten Antrag, aus dem Zusammenhang des Urteils und aus dem Vorbringen der Parteien.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben, die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Sie kennen die Kanzlei Labisch aus folgenden Medien:

Logo SWR1
Logo SWR4
Logo RPR1
Logo Wiesbadener Kurier
Logo Geißener Anzeiger
Logo Wormser Zeitung
Logo Wiesbadener Tagblatt
Logo Main Spitze
Logo Frankfurter Rundschau
Logo Handelsblatt
Logo Allgemeine Zeitung
Logo Darmstädter Echo
Logo Focus
Logo NTV
Logo ZDF WISO
Lexikon schließen
Schließen