Landesarbeitsgericht Köln
- Az: 4 Sa 390/23
Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe – Arbeitgeber muss vollen Bonusbetrag zahlen
(Redaktioneller Orientierungssatz)
Der Kläger war bei der Beklagten von Juli 2016 bis November 2019 als Head of Advertising beschäftigt und hatte eine Führungsposition inne. Gemäß seinem Arbeitsvertrag betrug sein Jahreszielgehalt 95.000 Euro bei 100% Zielerreichung, bestehend aus einem Bruttofixgehalt von 66.500 Euro und einer variablen Vergütung von 28.500 Euro. Die Zielsetzung sollte zeitnah nach Beginn der Beschäftigung und im Folgenden zu Beginn jedes Kalenderjahres durch den Vorgesetzten erfolgen. Gemäß einer Betriebsvereinbarung über das Vergütungsmodell erhielten Mitarbeiter bis zum 1. März des Kalenderjahres eine zuvor mit der Beklagten besprochene Zielvorgaben. Der Kläger erhielt jedoch seine Zielvorgaben erst Ende September 2019. Der Kläger kündigte im November 2019 das Arbeitsverhältnis und erhielt eine variable Vergütung von 15.586 Euro für das Jahr 2019. Der Kläger verlangte jedoch zusätzlich 16.035 Euro, da er die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 als verspätet, formell unwirksam und ermessensfehlerhaft bewertete. Dagegen wandte die Beklagte ein, dass die entscheidenden Unternehmenskennzahlen bereits am 26.03.2019 in einer Präsentation, an der der Kläger teilnahm, bekannt gegeben wurden. Zusätzlich wurden sie erneut beim Heads Meeting am 16.04.2019, an dem der Kläger ebenfalls teilnahm, präsentiert. Es wurde betont, dass die festgelegten Unternehmensziele realistisch und im Voraus erreichbar waren.
Das Landesarbeitsgericht Köln entschied zugunsten des Klägers. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Kläger bis zum 01.03.2019 entsprechende Ziele vorzugeben. Eine solche Zielvorgabe hatte die Beklagte aber unstreitig nicht erteilt.
Dass dem Kläger die Umsatz- und E-Ziele in den genannten Meetings mitgeteilt worden seien, führe nicht zu einer angemessenen Zielvorgabe gemäß der Betriebsvereinbarung. Der Kläger habe zurecht darauf hingewiesen, dass aus dieser Mitteilung nicht ersichtlich sei, wie diese Ziele zur variablen Vergütung des Klägers relevant sein sollten. Es seien weder Gewichtung noch Zielbereiche für die Ziele des Klägers festgelegt worden. Die Anreizfunktion der Zielvorgabe sei wegen des derart späten Zeitpunkts innerhalb der Zielspanne – hier nach Ablauf von drei Vierteln des Geschäftsjahres – nicht mehr gegeben. Somit habe der Kläger nach Auffassung des Gerichts Anspruch auf Schadensersatz anstatt der Leistung.
(Redaktionelle Zusammenfassung)
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.11.2022 - 12 Ca 2958/20 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 16.035,94 Euro zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadenersatz aufgrund einer verspätet erfolgten Zielvorgabe für das Jahr 2019.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 18.07.2016 bis zum 30.11.2019 als Head of Advertising am Standort K tätig. Der Kläger war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Der Arbeitsvertrag vom 31.03.2016 (Anl. K1, Bl. 9-12 d.A.) regelt in § 4 unter der Überschrift "Vergütung" auszugsweise Folgendes:
"4.1 Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit ein Jahreszielgehalt in Höhe von € 95.000 (i. W. fünfundneunzigtausend) bei 100% Zielerreichung. Das Zielgehalt setzt sich aus einem Bruttofixgehalt in Höhe von € 66.500 (i. W. sechsundsechzigtausendfünfhundert) und einer variablen Vergütung in Höhe von brutto € 28.500 (i. W. achtundzwanzigtausendfünfhundert) bei 100% Zielerreichung zusammen.
4.2 Die Ziele werden zunächst zeitnah nach Antritt der Beschäftigung und im Folgenden zu Beginn eines jeden Kalenderjahres vom Vorgesetzten definiert die Zieldefinition diesem Arbeitsvertrag spätestens 4 Wochen nach Arbeitsaufnahme als Anlage hinzugefügt.
4.3 Eine Unter- oder Übererfüllung der Ziele wird anteilig berechnet. Eine Übererfüllung der Ziele wird bis zu 200 % vergütet. Die Zahlung der variablen Vergütung erfolgt jährlich nach Abschluss eines Geschäftsjahres, spätestens im Februar des Folgejahres.
[...]"
Das Geschäftsjahr der Beklagten entspricht dem Kalenderjahr.
Mit Schreiben vom 28.09.2017 (Anl. K2, Bl. 13 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich dessen Bruttojahreszielgehalt ab dem 01.10.2017 auf 102.125,00 Euro belaufe, welches sich aus einem Fixgehalt iHv. 71.488,00 Euro und einer variablen, erfolgsabhängigen Vergütung iHv. 30.637,00 Euro bei 100 % Zielerreichung zusammensetze.
Ausweislich der sog. MBO-Karte (MBO = Management By Objectives) für 2017 (Anl. K7, Bl. 73 d.A.) war dem Kläger für dieses Jahr als unternehmensbezogenes Ziel nur ein E-Ziel mit einer Gewichtung von 20 % der Gesamtzielbewertung vorgegeben, welches er zu 200 % erfüllte. Ausweislich der MBO-Karte für 2018 setzte die Beklagte das Unternehmensziel für den Kläger mit 60 % der Gesamtzielbewertung an, wobei je 30 % auf E-Ziel und Umsatzziel verteilt waren (Anl. K8, Bl. 74 d.A.). Der Kläger erreichte das E-Ziel zu 169 % und das Umsatzziel zu 107 %.
Unter dem 12.03.2019 schlossen die Beklagte und der bei ihr am Standort K gebildete Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung über das Vergütungsmodell für alle Mitarbeiter der [Beklagten] ausgenommen Vertriebs-Mitarbeiter am Standort K" (im Folgenden: BV; Anl. K3, Bl. 14-18 d.A.). Die BV sieht unter B Vergütungsmodelle für Mitarbeiter ohne und unter C für Mitarbeiter mit Führungsverantwortung vor.
Für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung regelt B II Abs. 1 BV die Zahlung eines sog. Company-Bonus iHv. bis zu 4 % einer Bruttojahresvergütung, der unabhängig von der persönlichen Leistung des Mitarbeiters ist. Nach B II Abs. 2 BV besteht dieser Company-Bonus aus einer hälftigen Komponente, die sich nach der Erreichung des E-Unternehmensziels richtet, sowie einer hälftigen Komponente, die sich nach der Erreichung des Umsatz-Unternehmensziels richtet; das Unternehmensziel wird spätestens bis zum Abschluss des ersten Quartals des Jahres definiert.
Unter C II BV heißt es für Mitarbeiter mit Führungsverantwortung unter der Überschrift "Verteilung Fixum/Variable":
"Das Bruttojahreszielgehalt wird in ein Fixgehalt von 90 % und einen variablen Gehaltsbestandteil von 10 % aufgeteilt, wobei das Fixgehalt in 12 gleichen Teilen monatlich, jeweils zum Monatsletzten, und der variable Gehaltsbestandteil jährlich jeweils im Februar zur Auszahlung gelangt. Etwaige abweichende arbeitsvertragliche Regelungen bleiben bestehen. Ausnahmen dürfen individuell verhandelt, jedoch nicht einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben werden (keine AGB)."
Unter C III BV heißt es unter der Überschrift "Variable Vergütung":
"1. Der Mitarbeiter erhält bis zum 01.03. des Kalenderjahres eine zuvor mit ihm zu besprechende Zielvorgabe. Diese setzt sich zu 70 % aus Unternehmenszielen zusammen. 30 % entfallen auf individuelle Ziele, von denen bis zu 3 definiert werden sollen. Die Gewichtung dieser individuellen Ziele liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Führungskraft, die sich hierzu mit dem Mitarbeiter abstimmen soll. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Mitarbeitern Ziele vorzugeben, die nach pflichtgemäßer Beurteilung ex ante erreichbar sind. Haben sich Umstände, die zur Grundlage der Zielvorgabe geworden sind, nach Vorgabe des Ziels schwerwiegend verändert und hätte der Arbeitgeber, wenn er dies vorausgesehen hätte, die Zielvorgabe anders gestaltet, so kann der Mitarbeiter eine Anpassung der Zielvorgabe verlangen, soweit ihm ein Festhalten an der ursprünglichen Zielvorgabe nicht zugemutet werden kann. Der Mitarbeiter kann den Betriebsrat oder ein Betriebsratsmitglied seiner Wahl hierzu vermittelnd hinzuziehen.
2. Der variable Gehaltsbestandteil richtet sich nach der Zielerreichung des Mitarbeiters und ist bei 200 % gedeckelt.
3. Die Zielerreichung wird im Februar des Folgejahres nach Feststehen des Jahresabschlusses festgestellt."
Nach F Abs. 1 Satz 1 BV regelt die BV die Vergütungsordnung rückwirkend zum 01.01.2019.
Mit E-Mail vom 26.09.2019 (Anl. K4, Bl. 19 d.A.) teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Führungskräften, u.a. dem Kläger, Folgendes mit:
"Ende September 2019 und wir haben die Rahmenbedingungen für das diesjährige MBO final. Ich kann mich an dieser Stelle einfach nur entschuldigen und für das kommende Jahr Besserung geloben.
Für 2019 haben wir jetzt folgende Parameter definiert:
- Umsatz
- E
- Individuelles Ziel für alle 142%
Das individuelle Ziel ist der Durchschnitt aller individuellen Ziele aller Führungskräfte mit MBP der vergangenen drei Jahre. Damit haben wir eine einigermaßen faire Lösung für alle geschaffen."
Ob dem Kläger bereits vor der E-Mail vom 26.09.2019 die für seine variable Vergütung maßgeblichen Parameter im Hinblick auf die Unternehmensziele mitgeteilt wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Eine Vorgabe von individuellen Zielen erfolgte unstreitig nicht. Jedenfalls in einem Heads Meeting am 15.10.2019 wurden konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen auch hinsichtlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt.
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019. Am 21.11.2019 hatte er seinen letzten Arbeitstag. Am 22.11.2019 legte eine Mitarbeiterin der Personalabteilung dem Kläger anlässlich der Abgabe seines Laufzettels bzgl. der Rückgabe von Arbeitsgeräten eine MBO-Karte für 2019 mit der Aufforderung vor, diese zu unterzeichnen. Diese MBO-Karte (Anl. B1, Bl. 49 d.A.) wies hinsichtlich der zu erreichenden Unternehmensziele ein E-Ziel und ein Umsatzziel mit einer jeweiligen Gewichtung von 35 % auf die Gesamtzielbewertung aus. Der Kläger bat um Aushändigung, um sich die Unterlage in Ruhe ansehen zu können. Dies wurde ihm verweigert.
Die Beklagte zahlte an den Kläger für 2019 eine variable Vergütung iHv. 15.586,55 Euro.
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 sei verspätet, formell unwirksam und ermessensfehlerhaft erfolgt. Aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes sei von einer Zielerreichung im Hinblick auf die Unternehmensziele von 100 % auszugehen, so dass unter Berücksichtigung der von der Beklagten angenommen Erfüllung der Individualziele mit 142 % (= 30-%-Anteil) von einer Gesamtzielerreichung von 112,6 % auszugehen sei. Damit stünden ihm für 2019 112,6 % von 28.083,92 Euro (11/12 von 30.637 Euro aufgrund unterjährigen Ausscheidens zu Ende November), mithin 31.622,49 Euro abzüglich gezahlter 15.586,55 Euro zu, also 16.035,94 Euro. Die Beklagte wäre mindestens aus betrieblicher Übung iVm. der BV vom 12.03.2019 verpflichtet gewesen, den Mitarbeitern die Ziele in der tabellarischen Form der MBO-Karte schriftlich jeweils zum 01.03. auszuhändigen. Jedenfalls hätte die Beklagte die Ziele überhöht angesetzt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des streitigen Klägervortrags wird auf die Darstellung im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (S. 4 des Urteils vom 23.11.2022, Bl. 286 d.A.).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.035,94 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die maßgeblichen Unternehmenskennzahlen seien bereits am 26.03.2019 im Rahmen einer Präsentation, an welcher der Kläger teilgenommen habe, mitgeteilt worden. Erneut seien diese im Heads Meeting am 16.04.2019, an dem der Kläger ebenfalls teilgenommen habe, hinsichtlich Umsatzziel und E-Ziel mitgeteilt worden. Die vorgegebenen Unternehmensziele seien realistisch und ex ante erreichbar gewesen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des streitigen Beklagtenvortrags wird auf die Darstellung im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (S. 5 f. des Urteils vom 23.11.2022, Bl. 287 f. d.A.).
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2022 abgewiesen. Dem Kläger stehe die eingeklagte variable Vergütung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die Beklagte habe die hier streitigen Unternehmensziele noch innerhalb der Zielperiode spätestens im Herbst 2019 für das Jahr 2019 festgelegt. Da die Zielperiode noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei eine Festlegung der Ziele gemäß § 275 Abs. 1 BGB nicht unmöglich geworden und habe noch erfolgen können. Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten werde, dass auch eine verspätete Zielfestlegung zur Unmöglichkeit nach § 275 BGB führe, so dass die Vornahme der Zielvorgabe nicht mehr erfüllungstauglich sei, sei dem jedenfalls für den hier gegebenen Fall der Vorgabe von Unternehmenszielen nicht zu folgen. Dieser Ansatz verfange allenfalls im Bereich von Zielvorgaben hinsichtlich von Individualzielen, bei denen der Arbeitnehmer die Zielerreichung im Wesentlichen selber maßgeblich beeinflussen könne; diese seien aber nicht streitig. Vorliegend sei nur zu prüfen, ob die von der Beklagten vorgegebenen Unternehmensziele nach pflichtgemäßer Beurteilung ex ante erreichbar gewesen seien. Hiervon sei die Kammer zuletzt ausgegangen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts (S. 8 des Urteils vom 23.11.2022, Bl. 290 d.A.) wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 01.12.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.12.2022 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.02.2023 am 28.02.2023 im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen Individualzielen und Unternehmenszielen in Bezug auf die Anreizwirkung sei verfehlt. Die Feststellung des Arbeitsgerichts, die Motivation des Mitarbeiters würde allein von einer verspäteten Vorgabe von Individual-, nicht aber von Unternehmenszielen betroffen, greife zu kurz. Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründe, könne entsprechend dem Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne und wisse, auf das Erreichen welcher persönlicher oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert lege und deshalb bereit sei, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen. Eine dem Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum sei nicht möglich. Die bloß mündliche Präsentation der Unternehmensziele sei überdies formunwirksam, was das Arbeitsgericht unberücksichtigt gelassen habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 16.035,94 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das arbeitsgerichtliche Urteil. Der Kläger könne nicht einerseits die sehr großzügige Annahme einer Zielerreichung von 142 % zur Berechnung eines ihm genehmen vermeintlich hohen Schadensersatzanspruches nutzen und andererseits rügen, dass keine Vorgabe der individuellen Ziele erfolgt sei, deren pauschalen Ansatz mit 142 % er nicht in Zweifel gezogen habe. Wolle der Kläger nun den Zielerreichungsgrad hinsichtlich der Unternehmensziele mit 100 % in Ansatz gebracht sehen, müsse dies auch für die individuellen Ziele gelten. Ob die Bekanntgabe der maßgeblichen Unternehmensziele bereits am 26.09.2019 oder erst am 15.10.2019 als Zielvorgabe zu werten seien, könne dahinstehen, da die Zielvorgabe jedenfalls innerhalb der Zielperiode erfolgt sei und der Kläger noch mehrere Monate Zeit gehabt hätte, um die Ziele weiter zu verfolgen. Der Umstand, dass der Kläger sein Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung zum 30.11.2019 vorzeitig beendet habe, könne der Beklagten nicht zum Nachteil gereichen. Die Vorgabe sei auch nicht formwidrig erfolgt; die BV sehe - anders als § 4.2 des Arbeitsvertrags - keine Formvorschriften für die Vorgabe vor; selbst wenn es zuvor üblich gewesen sei, eine MBO-Karte zu nutzen, wäre dieses Erfordernis mit Abschluss der BV ab 2019 entfallen.
Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft und form- und fristgerecht nach §§ 64 Abs. 6, 66Abs. 1 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO am 03.01.2023 gegen das am 01.12.2022 zugestellte Urteil eingelegt und innerhalb der bis zum 28.02.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden.
II. Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in der begehrten Höhe wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019 gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, §§ 283, 252 BGB iVm. § 4 des Arbeitsvertrags iVm. C III Abs. 1 BV.
1. Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB Ersatz des hieraus entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Nach § 280 Abs. 3 BGB kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung allerdings nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281 BGB, des § 282 BGB oder des § 283 BGB verlangen. Insoweit bestimmt § 283 Satz 1 BGB, dass der Gläubiger, sofern der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht, unter den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann.
2. Die Beklagte war vorliegend aufgrund von C III Abs. 1 Satz 1 BV verpflichtet, dem Kläger bis zum 01.03.2019 eine mit ihm zuvor zu besprechende Zielvorgabe nach näherer Maßgabe von C III Abs. 1 Satz 2 bis Satz 5 BV zu machen.
3. Das aus C III Abs. 1 BV folgende Pflichtenprogramm hat die Beklagte mit Blick auf die vorzugebenden Unternehmensziele in mehrfacher Hinsicht verletzt.
a) Anders als Zielvereinbarungen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird (BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 37 mwN, BAGE 173, 269). Die Bestimmung der Leistung nach § 315 Abs. 1 BGB ist gegenüber dem anderen Vertragspartner zu erklären. Die Erklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit rechtsgestaltendem Charakter (BeckOGK/Netzer Stand 01.09.2022 BGB § 315 BGB Rn. 65 mwN).
b) Eine Zielvorgabe hat die Beklagte dem Kläger bis zum 01.03.2019 unstreitig nicht erteilt. Dass die BV am 01.03.2019 noch nicht abgeschlossen war, sondern erst am 12.03.2019 abgeschlossen wurde und nach Maßgabe von F Abs. 1 Satz 1 BV rückwirkend zum 01.01.2019 die Vergütungsordnung regelt, ändert nichts an der Wirksamkeit der aus ihr folgenden Verpflichtung zur Erteilung der Zielvorgabe, § 311a Abs. 1 BGB.
c) Die Beklagte hat dem Kläger aber auch in der Folgezeit keine Zielvorgabe gemacht, die sie zuvor mit ihm besprochen hätte, wie es C III Abs. 1 Satz 1 BV vorsieht. Eine solche vorherige Besprechung behauptet die Beklagte noch nicht einmal.
d) Ungeachtet der nicht erfolgten vorherigen Besprechung hat die Beklagte eine zeitnahe Zielvorgabe generell nicht getroffen.
aa) Soweit die Beklagte behauptet, dass dem Kläger die Umsatz- und E-Ziele im Rahmen einer Präsentation am 26.03.2019 sowie im Heads Meeting am 16.04.2019 mitgeteilt worden seien, folgt daraus keine ordnungsgemäße Zielvorgabe nach C III Abs. 1 Satz 1 BV im Hinblick auf die Unternehmensziele. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass allein aus der Mitteilung dieser Ziele nicht erkennbar ist, inwiefern diese als Zielvorgabe für die variable Vergütung des Klägers von Relevanz sein sollten. Weder eine Gewichtung der Ziele noch ein Zielkorridor wurden dem Kläger vorgegeben.
bb) Überdies spricht die E-Mail des Geschäftsführers der Beklagten vom 26.09.2019 deutlich dagegen, dass die für die variable Vergütung der Mitarbeiter mit Führungsverantwortung maßgeblichen unternehmensbezogenen Parameter im März oder April 2019 schon feststanden und somit überhaupt vorgegeben werden konnten. Der Geschäftsführer führt in der E-Mail vom 26.09.2019 aus, dass die Rahmenbedingungen für das diesjährige MBO, also bezüglich der Zielvorgabe für die variable Vergütung, "Ende September 2019" "final" sei; man habe "jetzt" die Parameter "Umsatz, E und Individuelles Ziel für alle 142%" definiert. Der Inhalt der E-Mail ist nur so erklärlich, dass es vor Ende September gerade noch keine finale Zielvorgabe gab, die man dem Kläger hätte machen können.
e) Selbst, wenn man unterstellen wollte, die unternehmensbezogenen Parameter der Zielvorgabe für 2019 seien bereits im März/April 2019 von der Beklagten getroffen worden, hätte sie diese gegenüber dem Kläger nicht erklärt. Darauf, ob der Kläger aus den Begleitumständen schließen konnte, dass für ihn eine jeweils hälftige Gewichtung von E-Ziel und Umsatzziel mit jeweils 35 % für seine variable Vergütung maßgeblich sein sollten, kommt es nicht an, da diese nicht die Qualität von (zumindest konkludenten) Willenserklärungen im Hinblick auf die Zielvorgaben für 2019 haben und sie einen entsprechenden Rückschluss auch sonst nicht zulassen.
aa) Aus den Zielvorgaben der Vorjahre konnte der Kläger nicht darauf schließen, dass diese beiden Kenngrößen mit jeweils hälftigem Anteil für seine Zielvorgabe maßgeblich sein sollten, denn die Zielvorgaben der Vorjahre waren nicht einheitlich. So war im Jahr 2017 als Unternehmensziel lediglich ein E-Ziel - kein Umsatzziel - mit einer Gewichtung von 20 % der Gesamtzielbewertung vorgegeben; 2018 setzte die Beklagte das Unternehmensziel für den Kläger mit 60 % der Gesamtzielbewertung an, wobei je 30 % auf EBITDA-Ziel und Umsatzziel verteilt waren.
bb) Aus dem Umstand, dass sich der Company-Bonus für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung gemäß B II Abs. 2 BV aus einer hälftigen Komponente, die sich nach der Erreichung des E-Unternehmensziels richtet, sowie einer hälftigen Komponente, die sich nach der Erreichung des Umsatz-Unternehmensziels richtet, zusammensetzt, folgt nicht, dass dies auch für die variable Vergütung der Mitarbeiter mit Führungsverantwortung nach C III BV gelten würde. Dort wurde eine Festlegung bestimmter einzelner Komponenten - sowohl nach dem Gegenstand als auch nach der Gewichtung - gerade nicht vorgenommen.
4. Diese Pflichtverletzung hat die Beklagte auch gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu vertreten. Was einer entsprechenden einseitigen Festsetzung der Ziele entgegengestanden haben sollte, ist nicht ersichtlich.
5. Nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 BGB kann der Kläger von der Beklagten Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch eingetreten ist, dass die Beklagte die Ziele schuldhaft nicht einseitig festgesetzt hat.
a) Der Kläger kann gemäß § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden ist.
aa) Das Bundesarbeitsgericht geht in gefestigter Rechtsprechung, der sich die Berufungskammer anschließt, davon aus, dass eine Zielvereinbarung spätestens nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hat, nicht mehr möglich ist. Eine Zielvereinbarung könne entsprechend dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne und wisse, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert lege und deshalb bereit sei, bei Erreichung dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen. Eine der Leistungssteigerung und dem Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum sei deshalb nicht möglich. Jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode könne der betroffene Arbeitnehmer deshalb Schadensersatz statt Erfüllung verlangen (BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 46; 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 47, BAGE 125, 147; ebenso LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 54).
bb) Offengelassen hat das Bundesarbeitsgericht bisher, was gilt, wenn der Arbeitgeber zu einer (einseitigen) Zielvorgabe verpflichtet ist, diese aber nicht innerhalb der Zielperiode erfolgt (vgl. BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 23, BAGE 125, 147) und ob die einen Schadensersatzanspruch statt des Erfüllungsanspruchs begründende Unmöglichkeit bereits vor Ablauf der Zielperiode eintreten kann, also bei Abschluss einer Zielvereinbarung etwa erst gegen Ende der Zielperiode oder zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zweck der Leistungssteigerung und Motivation aus anderen Gründen nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 47, BAGE 125, 147).
cc) Nach Auffassung der Berufungskammer ist eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe in gleicher Weise zulasten des Arbeitgebers schadensersatzauslösend, wie die pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossene Zielvereinbarung (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 56; LAG Köln 26.01.2018 - 4 Sa 433/17 - Rn. 44 ff.; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.2015 - 8 Sa 201/15 - Rn. 79; LAG München 20.06.2012 - 10 Sa 951/11 - Rn. 54; LAG Hamm 02.10.2008 - 15 Sa 1000/08 - Rn. 92; aA LAG Köln 15.12.2014 - 5 Sa 580/14 - Rn. 73; LAG Düsseldorf 29.10.2003 - 12 Sa 900/03 - Rn. 19; jeweils zitiert nach juris), allerdings ohne dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers in Betracht kommt. Zwar unterliegt die einseitige Zielvorgabe als Leistungsbestimmung der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB, mit der Folge, dass bei einem Unterbleiben der Zielvorgabe die Leistungsbestimmung grundsätzlich durch Urteil vorzunehmen ist (vgl. BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 23, BAGE 125, 147; LAG Köln 15.12.2014 - 5 Sa 580/14 - Rn. 73, zitiert nach juris). Nach teilweise vertretener Auffassung gilt dies auch dann, wenn die Zielperiode abgelaufen und wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig ist (LAG Düsseldorf 29.10.2003 - 12 Sa 900/03 - Rn. 19; LAG Köln 15.12.2014 - 5 Sa 580/14 - Rn. 73; jeweils zitiert nach juris). Hiergegen spricht jedoch, dass die Gründe, aus denen das Bundesarbeitsgericht im Falle einer unterbliebenen Zielvereinbarung nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung der Ziele durch Urteil für ausgeschlossen hält und grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch annimmt, für den Fall der unterbliebenen einseitigen Zielvorgabe unterschiedslos ebenso zutreffen; auch im Hinblick auf die einseitige Zielvorgabe ist deren Zweck, nämlich die Motivation der Mitarbeiter durch das Setzen eines Leistungsanreizes, nicht mehr erreichbar, wenn die Zielperiode abgelaufen ist (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 56 f.; LAG Köln 26.01.2018 - 4 Sa 433/17 - Rn. 45; LAG Rheinland-Pfalz 15.12.2015 - 8 Sa 201/15 - Rn. 79; jeweils zitiert nach juris). Gleiches gilt für die betreffend die unterbliebene Zielvereinbarung erfolgte Erwägung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 26, BAGE 125, 147), die nachträgliche Ermittlung angemessener, fallbezogener Ziele durch die Gerichte sei angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Gewichtung möglicher Ziele und auf Grund sich ständig ändernder Rahmenbedingungen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar gar nicht möglich (ebenso LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 57; LAG Köln 26.01.2018 - 4 Sa 433/17 - Rn. 45; jeweils zitiert nach juris). Mit dieser Begründung lehnte das Bundesarbeitsgericht die Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB auf Fälle der unterbliebenen Zielvereinbarung ab. Zudem ist es nicht möglich, den Umstand, dass die Leistungsbestimmung verzögert wurde, im Urteil zu berücksichtigen (LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 57; LAG Köln 26. Januar 2018 - 4 Sa 433/17 - Rn. 45; aA LAG Düsseldorf 29.10.2003 - 12 Sa 900/03 - Rn. 18, zitiert nach juris).
dd) Ob eine ordnungsgemäße Zielvorgabe binnen der Zielperiode bereits deswegen zu verneinen ist, weil die Beklagte es unterließ, dem Kläger eine entsprechende MBO-Karte für 2019 als Anlage zum Arbeitsvertrag auszuhändigen, kann vorliegend dahinstehen. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass eine bloß mündliche Zielvorgabe ausreichend sein sollte, wäre diese nach Überzeugung der Kammer zu einem derart späten Zeitpunkt erfolgt, dass Unmöglichkeit nach § 275 BGB eingetreten wäre. Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien ist eine zumindest mündliche Festsetzung der Unternehmensziele noch innerhalb der Zielperiode im Heads Meeting am 15.10.2019 erfolgt; der E-Mail des Geschäftsführers der Beklagten vom 26.09.2019 lässt sich eine Gewichtung der Unternehmensziele sowie ein Zielkorridor noch nicht entnehmen, so dass nur der 15.10.2019 als maßgeblicher Zeitpunkt gelten kann. Zu diesem Zeitpunkt war nach Überzeugung der Berufungskammer jedoch bereits Unmöglichkeit iSd. § 275 BGB eingetreten, so dass die Vornahme der Zielvorgabe nicht mehr erfüllungstauglich war. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr - wie hier - bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist (so im Ergebnis auchKaempf, ArbRAktuell 2022, 4, 7: Unmöglichkeit der Zielvorgabe bei Ablauf von mehr als der Hälfte des Geschäftsjahres; offenlassend insoweit LAG Hessen 30.04.2021 - 14 Sa 606/19 - Rn. 58). Dem Arbeitnehmer bleibt dann kein hinreichender Zeitraum mehr, die vorgegebenen Jahresziele effektiv zu verfolgen. Die Vereinbarung von Zielen ist sinnentleert, wenn diese nicht mehr der Motivation des Mitarbeiters dienen können. So liegt es hier, wobei es nach Überzeugung der Kammer insoweit ohne Belang ist, dass der Kläger bereits aufgrund Eigenkündigung zum 30.11.2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und nicht noch bis zum 31.12.2019 tätig war; auch ohne die Eigenkündigung zum 30.11.2019 wäre der verbleibende Zeitraum im Hinblick auf die Anreizfunktion mit nur noch zweieinhalb Monaten zu knapp bemessen gewesen, um als erfüllungstauglich bewertet werden zu können.
ee) Dem steht nicht entgegen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betraf, auf deren Erfüllung der Kläger weniger Einfluss gehabt hätte als auf die Erfüllung von persönlichen Zielen. Es mag zwar zutreffen, dass die Einflussmöglichkeiten insoweit unterschiedlich sind. Eine Anreizfunktion von unternehmensbezogenen Zielen wird dadurch aber nicht per se ausgeschlossen. Gerade Mitarbeiter auf hohen Hierarchieebenen können in gewissem Umfang Einfluss auf die Unternehmenskennzahlen nehmen. Wäre dies anders, wäre es auch nicht gerechtfertigt, diese zum Gegenstand einer Zielvorgabe zu machen, deren Erreichen im Fall des Klägers immerhin 21 % seines Jahreszielgehalts (70 % unternehmensbezogener Anteil von 30 % variabler Vergütung) ausmacht. Auch das Bundesarbeitsgericht behandelt persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion gleich (vgl. BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 40, BAGE 173, 269; 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 47, BAGE 125, 147).
b) Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.
aa) Nach § 252 Satz 1 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit eine Bonuszahlung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. § 252 Satz 2 BGB enthält für den Geschädigten eine § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung. Der Geschädigte hat nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung der §§ 252 BGB, 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden (BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 50, BAGE 173, 269; BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 48, BAGE 125, 147).
bb) Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe. Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen (BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 51, BAGE 173, 269; BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 49, BAGE 125, 147).
cc) Grundlage bei der abstrakten Schadensberechnung nach § 252Satz 2 BGB ist in den Fällen, in denen die Festlegung von Zielen schuldhaft unterblieben ist, der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände - etwa, dass der Arbeitnehmer die vorgegebenen Ziele auch in den Vorjahren nicht erreicht hat (vgl. BAG 12.05.2010 - 10 AZR 390/09 - Rn. 24, BAGE 134, 242) - diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen (BAG 17.12.2020 - 8 AZR 149/20 - Rn. 53, BAGE 173, 269; 12.12.2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 50, BAGE 125, 147).
dd) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der dem Kläger entstandene Schaden vorliegend auf 16.035,94 Euro brutto zu schätzen.
(1) Der Betrag entspricht der noch offenen Differenz der variablen Vergütung bei der Annahme einer hundertprozentigen Zielerreichung im Hinblick auf die Unternehmensziele entsprechend der zutreffenden und von der Beklagten insoweit nicht in Frage gestellten Berechnung des Klägers.
(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Betrag nicht deshalb zu kürzen, weil bei Zugrundelegung einer Zielerreichung von 100 % im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Ziele die Zielerreichung im Hinblick auf die individuellen Ziele von 142 % ebenfalls auf 100 % reduziert werden müsste. Dies ist nicht der Fall. Der von der Beklagten angesetzte Zielerreichungsgrad von 142 % im Hinblick auf die individuellen Ziele erfolgte nicht gleichsam als Ausgleich für einen geringeren Zielerreichungsgrad im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Ziele. Die Beklagte bildete ihn ausweislich der E-Mail des Geschäftsführers vom 26.09.2019 aus dem "Durchschnitt aller individuellen Ziele aller Führungskräfte mit MBP der vergangenen drei Jahre", nachdem sie auch die Vorgabe von individuellen Zielen für ihre Führungskräfte nicht rechtzeitig getroffen hatte.
(3) Sonstige Umstände, die eine Kürzung rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Der Kläger hat in den Vorjahren hinsichtlich der ihm vorgegebenen Unternehmensziele einen jeweils über 100 % liegenden Erreichungsgrad erlangt, so dass der Ansatz von zumindest 100 % im hiesigen Fall nicht zu beanstanden ist.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Beklagte zu tragen.
IV. Die Berufungskammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zugelassen.