Sozialgericht Berlin

- Az: S 98 U 50/21

Schlägerei wegen zugeparkter Betriebseinfahrt ist kein Arbeitsunfall

Kehrt eine als Beschäftigte im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Person auf dem Weg zu ihrem PKW nochmals um, um einen Dritten, der die Einfahrt zu seiner Arbeit versperrt, aber nicht sein Wegfahren behindert, zu ermahnen, ist dies eine privatnützige Tätigkeit. Da diese Tätigkeit objektiv nicht mehr Betriebszwecken dienlich ist, steht die versicherte Person nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie bei der anschließenden Auseinandersetzung verletzt wird.
(Leitsatz des Gerichts)

Geklagt hatte ein Bauleiter, dem die Zufahrt auf das Betriebsgelände durch einen anhaltenden LKW nicht möglich war. Nachdem der LKW-Fahrer trotz mehrfacher Aufforderung, die Zufahrt zum Gelände freizumachen, nicht nachgekommen war, ließ der Kläger sein Fahrzeug außerhalb des Betriebsgeländes stehen und ging zu Fuß. Als der Kläger kurz daraufhin zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, um einen neuen betrieblichen Termin wahrzunehmen, wurde der Kläger vom LKW-Fahrer als „egoistisches Arschloch" und „Scheiß-Ausländer" tituliert. Der Kläger schlug die Wagentür seines Fahrzeuges zu und ging daraufhin auf den LKW-Fahrer zu, um die Sache „auszudiskutieren“. Im Verlauf des Streitgesprächs wurde der Kläger vom LKW-Fahrer mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Kläger musste daraufhin wegen einer Mittelgesichtsfraktur operiert werden. Die beklagte Unfallversicherung erkannte den Vorfall nicht als Arbeitsunfall an – zu Recht.
Obwohl sich der Kläger auf einem versicherten Betriebsweg befand, sei kein Arbeitsunfall gegeben. Als der Kläger seine Wagentür zuschlug, um die Angelegenheit "auszudiskutieren", habe er den Betriebsweg wieder verlassen. Das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen diene nicht der betrieblichen Tätigkeit, sodass hieraus resultierende Verletzungen – unabhängig vom Verschulden – dem privaten Lebensbereich zuzurechnen seien.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1978 geborene Kläger, der als angestellter Bauleiter bei der B. GmbH arbeitet, begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 28. Februar 2020 als Arbeitsunfall  

Die Beklagte erfuhr durch einen Durchgangsarztbericht von der Charité - Campus Virchow Klinikum - davon, dass der Kläger von dem Zeugen D. einen Schlag in das Gesicht erhalten habe. Der Unfallvorgang wird dort wie folgt beschrieben: 

„Einfahrt zu dem Betrieb des Verletzten wurde von Auto eines Unbekannten zugeparkt. Verletzter parkte daraufhin hinter diesem Auto und ging zu Fuß Werkzeug verladen. Nach Rückkehr Diskussion mit unbekanntem Fahrer des PKW, daraufhin schlug dieser dem Verletzten einmal in das Gesicht und traf ihn auf der linken Maxilla. Kein Bewusstseinsverlust, keine Amnesie zum Ereignis. Aktuell ausgeprägte Übelkeit ohne Erbrechen, Schwindel sowie Kopfschmerzen.“

Der Kläger wurde zunächst in die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie aufgenommen. Am 13. März 2020 wurde der Kläger in der Charité - Campus Virchow Klinikum – operiert, dabei wurde eine Reposition und Osteosynthese der lateralen Mittelgesichtsfraktur links und eine Rekonstruktion des Orbitabodens links mittels Ethisorb-Patch durchgeführt. Am 9. Juni 2020 wurde das Material entfernt.  

Die Beklagte forderte die Akte der Polizei zu dem Vorfall an, hinsichtlich des Inhalts wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Hierin findet sich u. a. ein „Äußerungsbogen“, in welchem der Zeuge D. den Vorfall beschreibt; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. 

Mit Schreiben vom 10. Juli 2020 hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, das Ereignis vom 28. Februar 2020 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Streit sei nicht Ausfluss der versicherten Tätigkeit des Klägers gewesen. Ein betrieblicher Hintergrund des Streits sowie der körperlichen Auseinandersetzung sei nicht zu erkennen gewesen. Gleichzeitig bat die Beklagte die den Kläger behandelnden Ärzte, keine Behandlungen mehr zu ihren Lasten vorzunehmen. 

Mit Schreiben vom 28. Juli 2020 meldete sich die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers und teilte mit, dass sie Akteneinsicht in die Akten der Amtsanwaltschaft und anschließend Stellung nehmen werde. Mit einem auf den 15. Juli 2020 datierten Schreiben, welches per Fax am 17. August 2020 einging, teilte die Verfahrensbevollmächtigte mit, dass aus ihrer Sicht ein betrieblicher Hintergrund für den Streit gegeben sei, da sich das Ereignis auf dem Weg zur Arbeit und darüber hinaus auf dem Betriebsgelände ereignet habe. Anlass für den Streit sei anhaltendes Parken des vom Zeugen D. geführten LKWs in der Zufahrt des Betriebsgeländes. Dem Kläger sei es somit verwehrt geblieben, auf das Betriebsgelände zu fahren und seiner ihm übertragenen Tätigkeit nachzugehen. Mehrfachen Aufforderungen, die Zufahrt zum Gelände freizumachen, sei der Zeuge D. nicht nachgekommen. Der Kläger, der einen dringenden betrieblichen Termin wahrzunehmen hatte, habe sein Fahrzeug stehen lassen und zu Fuß weiter auf das Gelände gehen müssen. Als der Kläger kurze Zeit später zurückgekommen sei, sei er vom Zeugen D. als „egoistisches Arschloch" und „Scheiß-Ausländer" betitelt worden. Der Kläger sei daraufhin auf Herrn D. zugegangen, um ihm zu sagen, dass er auch nur seine Arbeit verrichten möchte und sich den Ton verbitte, wobei er „mit dem linken Arm geschlenkert“ habe. In diesem Moment wurde sei er vom Zeugen D. mehrere Meter weit immer wieder geschubst und mit der Faust mehrfach ins Gesicht geschlagen worden. 

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2020 lehnte die Beklagte es ab, das Ereignis vom 28. Februar als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Kläger habe keinen Versicherungsfall erlitten, ein Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe nicht. Voraussetzung für die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung sei das Vorliegen eines Versicherungsfalls. Ein Arbeitsunfall (Versicherungsfall) liege vor, wenn eine versicherte Person infolge einer versicherten Tätigkeit einen Unfall erleide. Unfälle seien zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führten. Der Gesundheitsschaden müsse dabei rechtlich wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein (§ 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)).

Zum Unfallzeitpunkt habe der Kläger zum Kreis der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Personen gehört. Zum Unfallzeitpunkt habe der Kläger sich jedoch nicht bei einer unfallversicherten Tätigkeit befunden, da er sich zu diesem Zeitpunkt von der eigentlich versicherten Tätigkeit gelöst habe. Ein Arbeitsunfall infolge einer Streitigkeit sei nur dann anzuerkennen, wenn die Streitigkeit aus Gründen entstanden sei, die mit der Arbeit zusammenhingen oder eine besondere Betriebsgefahr eingewirkt habe. Nach der vorliegenden Akte der Amtsanwaltschaft Berlin sei es zu der verbalen Auseinandersetzung gekommen, da die Einfahrt zum Gelände des Arbeitgebers des Klägers durch ein anderes Fahrzeug versperrt gewesen sei. Die zunächst verbale Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Fahrer des anderen Fahrzeugs habe ihre Ursache nicht in der versicherten Tätigkeit als Bauleiter gehabt, sondern sei aus der persönlichen Verärgerung über die versperrte Einfahrt entstanden. Diese persönliche Verärgerung und das hieraus resultierende Verhalten könne nicht dem betrieblichen Risikobereich zugerechnet werden. Eine besondere betriebliche Gefahr habe ebenfalls nicht zur Entstehung des Unfalls beigetragen.

Hiergegen erhob die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 Widerspruch. Der Kläger habe die Zufahrt zum Betriebsgelände verlassen, um einen betrieblichen Termin wahrzunehmen. Die Auseinandersetzung mit dem Fahrer des die Zufahrt versperrenden LKWs sei daher in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit erfolgt. Da der Kläger den Weg in unmittelbarem Betriebsinteresse zurückgelegt habe, habe er sich auf einem Betriebsweg befunden. Es sei daher auch nicht richtig, wenn in dem angegriffenen Bescheid die Annahme zugrunde gelegt werde, dass die Auseinandersetzung mit dem Fahrer des LKWs Folge der „persönlichen Verärgerung“ des Klägers über die versperrte Ausfahrt gewesen sei. Es sei unstreitig, dass der Kläger im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses die Einfahrt habe verlassen wollen, um einen betrieblichen Termin wahrzunehmen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Verletzungen des Klägers auf die von dem Zeugen D. verursachte Verkehrsbehinderung zurückzuführen seien. Der Zeuge D. habe selbst eingeräumt, dass er mit dem LKW die Einfahrt versperrt und den Kläger „egoistisches Arschloch“ beschimpft habe. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die verbale Auseinandersetzung sei aufgrund der persönlichen Verärgerung über die versperrte Einfahrt erfolgt und habe ihre Ursache nicht in der versicherten Tätigkeit als Bauleiter gefunden. Eine solche persönliche Verärgerung und das darauf resultierende Verhalten könne nicht dem betrieblichen Risikobereich zugerechnet werden. Wie aus den vorliegenden Unterlagen hervorgehe, habe der Kläger sich bereits zu Beginn der Auseinandersetzung von seiner versicherten Tätigkeit als Bauleiter gelöst, als er seine persönliche Verärgerung über die versperrte Einfahrt dem Zeugen D. mitteilte, Auch die nachfolgende Beleidigung der beteiligten Person sowie die tätliche Auseinandersetzung sei nicht im Zusammenhang mit der beruflichen Sphäre als Bauleiter erfolgt, sondern aus der persönlichen Differenz mit dem Zeugen D.  erfolgt. Im Gegensatz zum angeführten Urteil des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.11.2017, Az. L 1 U 1277/17) haben der Kläger seinen versicherten Weg, und damit auch die versicherte Tätigkeit, noch nicht wiederaufgenommen. Vielmehr habe er, nachdem die Einfahrt freigemacht wurde, seinen PKW wieder verlassen, um nochmals auf den Unfallgegner zuzugehen und die persönliche Auseinandersetzung fortzuführen.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er erweitert und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchverfahren. Die Beklagte übergehe bei ihrer Entscheidung, dass er sein Fahrzeug in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit aufgesucht habe und ausschließlich das Verhalten des LKW-Fahrers – zunächst die Beleidigung und nachfolgend der körperliche Angriff – ihn hiervon abgehalten habe. Die Annahme einer „nachfolgenden Beleidigung“ unterstelle eine vorherige, nicht der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnende Handlung des Klägers, welche einen Anlass hierfür gesetzt haben könnte. 

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 6. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 2021 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 28. Februar 2020 um einen Arbeitsunfall handelte.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. 

Sie verweist zur Begründung auf die streitgegenständlichen Bescheide.

Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die Akte der Amtsanwaltschaft Berlin (Az. 3031 Js 4784/20) hat zur mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung vorgelegen. In der mündlichen Verhandlung ist außerdem der Zeuge D. vernommen worden. Auf die Verwaltungsvorgänge, die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird ergänzend verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Bei dem Ereignis vom 28. Februar 2020 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall. 

Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit, nach Satz 2 sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. zum Vorstehenden nur BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R, juris, Rn. 16 ff.).

Die Kammer hat nach der mündlichen Verhandlung keine Zweifel daran, dass der Kläger zum versicherten Personenkreis gehörte. Nach § 2 Abs. 1 SGB VII sind u. a. Beschäftige versichert. Daran, dass der Kläger bei der B. GmbH als Bauleiter angestellt war und auch am 28. Februar 2020 bereits seine Arbeit aufgenommen hatte, zweifelt die Kammer nicht. Der Kläger befand sich daher auf einem versicherten sogenannten Betriebsweg zwischen zwei versicherten Tätigkeiten, als er sich zu seinem Auto begab und dieses aufschloss. 

Allerdings steht zur Überzeugung der Kammer auch fest, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt, als der Zeuge D. ihn schlug, nicht seiner versicherten Tätigkeit nachging. Es stehen nämlich nicht alle Wege, die ein Beschäftigter während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte zurücklegt, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern nur solche Wege, bei denen ein sachlicher Zusammenhang zwischen der - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist, weil der Weg durch die Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses oder den Aufenthalt auf der Betriebsstätte bedingt ist (vgl. dazu BayLSG, Urt. v. 24. September 2020, L 17 U 370/17, juris Rn. 35). 

Auch wenn es sich vorliegend um einen Betriebsweg handelte und nicht um einen Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, können die für die Wege von und zur Arbeit entwickelten Grundsätze übertragen werden. Danach muss der Weg wesentlich zu betrieblichen Zwecken zurückgelegt werden, die hierauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden. Allerdings muss auch die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges, d. h. hier des Betriebsweges, stehen. Bei der Feststellung des inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit gehört. Daraus folgt, dass während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, so genannten eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (vgl. nur mit weiteren Nachweisen BayLSG, a. a. O. Rn. 37) 

Zur Überzeugung der Kammer gab es in dem Moment eine klare Zäsur, als der Kläger im Begriff war in sein Auto einzusteigen, die Autotür öffnete, anschließend aufgrund der Beleidigung durch den Zeugen D. die Tür wieder schloss und sich zu ihm begab, um mit ihm „die Sache auszudiskutieren“. Ab diesem Moment diente das Handeln des Klägers privaten Zwecken, nämlich dem Zur-Rede-Stellen des Zeugen D. Dass sich der Sachverhalt so zutrug, ergibt sich übereinstimmend aus den Schilderungen im Verwaltungsvorgang der Beklagten, den polizeilichen Vernehmungsprotokollen und schließlich der Anhörung des Klägers und der Vernehmung des Zeugen D. in der mündlichen Verhandlung. 

Zum einen hat der Kläger den Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung genauso geschildert:

„Ich bin dann nach hinten in mein Büro gegangen und habe noch eine E-Mail geschrieben und bin dann zurückgegangen zum Auto. Dort habe ich zunächst die Autotür aufgemacht, hörte aber, wie der Zeuge mich von hinten unter anderem als „egoistisches Arschloch“ beschimpfte. Daraufhin habe ich meine Wagentür wieder geschlossen und bin zum Zeugen hingegangen, ich wollte das ausdiskutieren. Die Einfahrt ist so groß, dass eigentlich zwei Autos nebeneinander hinpassen. Ich habe ihm gesagt: warum parkst du so, meinst du deine Zeit ist wertvoller als meine. Er begann mich daraufhin zu schubsen und weiter zu beschimpfen.“

Auch der Zeuge D. beschrieb in der mündlichen Verhandlung den Vorgang dergestalt, dass der Kläger bereits sein Auto erreicht habe und erst auf seinen Zuruf hin umgekehrt sei. Dies deckt sich auch mit der kurz nach dem Ereignis von ihm gefertigten schriftlichen Darstellung des Ereignisses in der Ermittlungsakte der Polizei (Äußerungsbogen v. 9. März 2020): 

„Er erwiderte ich habe Termine und öffnete die Tür seines Fahrzeugs und war im Begriff das Fahrzeug zu entfernen. Ich meinte dann zu ihm er sei ein „egoistisches Arschloch“ worauf er ziemlich erbost reagierte die Tür des Fahrzeugs zu knallte und auf mich zu kam, mit einem Blick wie man ihn nur von Adrenalin gepuschten Jugendlichen kennt und mich sofort tätig angriff er schuppste mich erst mit beiden Händen in Richtung eines Bauzauns der hinter mir stand, ich fühlte mich sehr stark bedroht von diesem wütenden Mann. “

Da der Zeuge sich im ersten Teil seiner Äußerung mit der Beleidigung und damit der Provokation des Klägers selbst belastete, erscheint der Kammer die Schilderung des Vorgangs insoweit glaubhaft. Ob der Kläger hingegen den Zeugen zuerst angriff oder es umgekehrt war, bedarf vorliegend für die unfallversicherungsrechtliche Beurteilung keiner Klärung. 

Lediglich bei der ersten Vernehmung durch die Polizei unmittelbar nach dem Geschehen hatte der Kläger angegeben, dass der Zeuge D. ihn ohne Vorwarnung auf dem Weg zu seinem Auto angegriffen habe. Dort findet allerdings auch nicht die unbestrittene, von beiden geschilderte Beleidigung Erwähnung. Demgegenüber schilderte bereits die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers in ihrem Schreiben an die Beklagte vom 15. Juli 2020 den Sachverhalt so, dass der Kläger nach der Beleidigung auf den Zeugen D. zugegangen sei, sich den Ton verbeten und dabei mit dem linken Arm geschlenkert habe. Auch in dieser Schilderung ist ein geteilter Geschehensablauf zu erkennen. 

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit dient und etwaige hieraus resultierende Verletzungen unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind (BayLSG a. a. O., Rn. 39; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. September 2020, L 17 U 626/16, juris Rn. 53 ff.). Vergleichbar liegt der Fall hier: der Kläger reagierte in erster Linie auf die persönliche Beleidigung als „egoistisches Arschloch“ und wollte den Zeugen D. zur Rede stellen. Er unterbrach den von ihm aufgenommenen Weg zu seinem Auto und wandte sich dem Zeugen D. zu, woraufhin es zu seiner Verletzung kam. 

Umgekehrt überzeugte die Kammer die Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht, dass er vorrangig die freie Zufahrt zum Grundstück seines Arbeitgebers habe sichern wollen. Schließlich hatte er sein Auto bereits erreicht und war im Begriff einzusteigen, als er sich wegen der Beleidigung durch den Zeugen D. wieder umdrehte und auf diesen zuging. Bis zu der Beleidigung war es nach den objektiven Umständen nicht seine Absicht, den Zeugen noch einmal zu ermahnen die Einfahrt freizuhalten. Die Einfahrt selbst hätte er schließlich zügiger freimachen können, wenn er gleich in sein Auto eingestiegen und fortgefahren wäre. Dies war bis zu der Beleidigung auch ersichtlich seine Absicht gewesen. 

Soweit die Verfahrensbevollmächtigte insbesondere auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg verweist (Urt. v. 22. November 2017 – L 1 U 1277/17, juris Rn. 36 ff.), führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Hier war der Konflikt zwischen Arbeitskollegen auf dem Heimweg zunächst beendet gewesen. Nach den ausdrücklichen Feststellungen in dem Urteil hatte der Versicherte bereits seinen Heimweg nach dem (vorläufigen) Abschluss der Auseinandersetzung wiederaufgenommen. Erst als er hielt, um die beim fluchtartigen Verlassen offenstehenden Türen des Kleinbusses zu schließen, eilte ihm sein Kollege nach und verletzte ihn. Die weiteren Ausführungen zu dem Ursprung der Auseinandersetzung im privaten oder beruflichen Bereich in dem Urteil dienen ausschließlich der Abgrenzung zu Verletzungen aufgrund privater Konflikte während der Arbeit(szeit), die in keinem Fall unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. 

Die Kammer kommt daher zu der Wertung, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt seiner Verletzung durch den Zeugen D. von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst hatte. Ein Versicherungsfall lag nicht vor, die Klage war abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. 



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