Landesarbeitsgericht Köln

Urteil vom - Az: 7 Sa 1204/11

Stoffturnschuhe sind kein per se ungeeignetes Schuhwerk

Der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle erlischt, wenn der Arbeitnehmer die Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Anspruchsausschließend wirkt jedoch nur solches Verhalten, bei welchem es sich um einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen handelt. Erforderlich ist ein besonders leichtfertiges oder gar vorsätzliches Verhalten des Arbeitnehmers, welches dann auch darin bestehen kann, dass der Arbeitnehmer in grober Weise seiner Sicherheit dienende Anordnungen des Arbeitgebers nicht beachtet.
Hier: Rutscht eine Restaurantangestellte auf dem feuchtgewischten Restaurantboden aus, weil sie Stoffturnschuhe mit glatter Sohle trägt, so stellt dies noch kein besonders leichtfertiges Verhalten dar. Bei Stoffturnschuhen handelt es sich nicht per se um ein ungewöhnliches und schon auf den ersten Blick für den Einsatz bei der Arbeit oder im sonstigen Alltag ungeeignetes Schuhwerk, wie z. B. Stöckelschuhe. Resultiert aus dem Sturz eine Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin, erlischt ihr Fortzahlungsanspruch nicht.
Auch die Tatsache, dass die Angestellte am Vortag von zwei Vorgesetzten auf ihr nicht-rutschfestes Schuhwerk hingewiesen wurde, ändert nichts an dieser Wertung.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 31.08.2011 in Sachen9 Ca 2528/11 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 22.12.2010 bis 18.01.2011 daran scheitert, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, der Klage stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 31.08.2011 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 26.09.2011 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 26.10.2011 Berufung eingelegt und diese zugleich auch begründet.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Klägerin den Arbeitsunfall vom 22.12.2010, auf welchem der streitige Entgeltfortzahlungsanspruch beruht, im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG selbst verschuldet habe. Die gegenteilige Auffassung des Arbeitsgerichts sei nicht überzeugend begründet. Insbesondere habe das Arbeitsgericht dem Umstand zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dass die Klägerin am Vortage des Unfalls zu verschiedenen Zeiten von zwei verschiedenen Vorgesetzten unabhängig voneinander darauf angesprochen worden sei, dass ihre Schuhe nicht ausreichend rutschfest seien. Gleichwohl sei die Klägerin am Unfalltage wiederum mit denselben ungeeigneten Schuhen - Stoffturnschuhe mit glatter Sohle - zur Arbeit erschienen. Indem sie sich bei der Wahl ihres Schuhwerkes über die Anweisungen gleich zweier Vorgesetzter hinweggesetzt habe, habe sie ein grobes Verschulden an den Tag gelegt, das einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausschließe.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 31.08.2011,Az. 9 Ca 2528/11, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte hält ebenfalls an ihrer Auffassung fest, dass sie an dem Unfall vom 22.12.2010 nicht einmal ein leichtes Verschulden treffe. Sie habe am Unfalltag schwarze Lederschuhe mit rutschfester Sohle getragen. Die Klägerin bestreitet weiterhin, dass ein Warnschild darauf hingewiesen habe, dass der Restaurantfußboden frisch feucht aufgewischt gewesen sei. Sie meint, zu dem Unfall habe beigetragen, dass der Zeuge S den von ihm frisch aufgewischten Fußboden nicht getrocknet habe.

Wegen weiterer Einzelheiten der Argumentation der Parteien wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift und der Berufungserwiderungsschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 31.08.2011 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch fristgerecht im Sinne von § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Köln hat der Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit vom 22.12.2010 bis 18.01.2011 in rechnerisch unstreitiger Höhe zu Recht stattgegeben. Der Entgeltfortzahlungsanspruch scheitert nicht daran, dass die Klägerin ihre unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG selbst verschuldet hätte.

1. Will der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung mit der Begründung verweigern, der Arbeitnehmer habe die Arbeitsunfähigkeit schuldhaft im Sinne des Gesetzes herbeigeführt, so trifft ihn für die Tatsachen, aus denen sich der Ausschließungsgrund ergeben soll, die Darlegungs- und Beweislast (BAG vom 23.11.1971, AP Nr. 9 zu § 1 LohnFG; seitdem std. Rspr.; ferner: ErfK/Dörner,§ 3 EFZG Rdnr. 32).

2. Die Darlegungen der Beklagten reichen im vorliegenden Fall nicht aus, um einen Fall selbst verschuldeter Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG anzunehmen.

a. Die Beklagte stützt ihre Rechtsauffassung auf folgende Kernbehauptungen: Die Klägerin habe am Unfalltage wie am Vortage dieselben Stoffturnschuhe mit glatter Sohle getragen; am Vortage hätten aus gegebenem Anlass zwei Vorgesetzte unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihre Schuhe nicht rutschfest und daher ungeeignet seien; es könne ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, am Unfalltag mit anderen, besser geeigneten Schuhen zur Arbeit zu erscheinen. Schließlich behauptet die Beklagte, der frisch aufgewischte Bereich des Restaurantfußbodens, in welchem sich der Unfall ereignet hat, sei durch ein gelbes Warnschild gekennzeichnet gewesen.

b. Die Klägerin hat ihrerseits jede dieser Kernbehauptungen der Beklagten bestritten. Die Klägerin behauptet, sie habe schwarze Lederschuhe mit ausreichend rutschfester Sohle getragen; sie sei am Vortag des Unfalls von keinem ihrer Vorgesetzten auf ihre Schuhe und deren nicht ausreichende Rutschfestigkeit angesprochen worden; sie hätte auch zwischen der Schicht vom Vortag und der Schicht am Unfalltag zeitlich keine Möglichkeit gehabt, sich andere Schuhe zu besorgen. Schließlich bestreitet die Klägerin auch, dass der noch feuchte Fußbodenbereich durch ein Warnschild gekennzeichnet gewesen sei.

c. Weder das Arbeitsgericht noch das Berufungsgericht haben sich ein eigenes Bild von den Schuhen machen können, die die Klägerin zum Unfallzeitpunkt getragen hat. Nach Aussage der Klägerin existieren diese Schuhe nicht mehr.

d. Einer Beweisaufnahme zu den streitigen Kernbehauptungen der Parteien bedurfte es nicht. Auch wenn man nämlich die streitigen Behauptungen der Beklagten zu ihren Gunsten als wahr unterstellt, führt dies nicht zu der von der Beklagten erstrebten Rechtsfolge; auch dann kann nämlich aufgrund der Umstände des vorliegenden Einzelfalls noch nicht von einem eigenen Verschulden der Kläger an dem zur Arbeitsunfähigkeit führenden Unfall vom 22.12.2010 ausgegangen werden, das ein Ausmaß erreicht, welches für den Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG genügt.

aa. Die Beklagte verkennt im Rahmen ihrer Argumentation den Verschuldensmaßstab, der bei § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für den Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur vorauszusetzen ist. Das in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erwähnte Verschulden des Arbeitnehmers entspricht nicht dem in § 276 BGB definierten Begriff über die Verantwortlichkeit des Schuldners. Im Entgeltfortzahlungsrecht wird vielmehr nur ein solches Verhalten als anspruchsausschließend bewertet, bei welchem es sich um einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen handelt (BAG vom 11.03.1987, AP Nr. 71 zu § 1 LohnFG; BAG vom 30.03.1988,AP-Nr. 77 zu § 1 LohnFG). Ein im allgemeinen Sprachgebrauch als leichtsinnig bezeichnetes Verhalten erfüllt den Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 1S. 1 EFZG daher noch nicht (ErfK/Dörner, § 3 EFZG Rdnr. 23).

bb. Das bedeutet: Erforderlich ist vielmehr ein besonders leichtfertiges oder gar vorsätzliches Verhalten des Arbeitnehmers, welches dann auch darin bestehen kann, dass der Arbeitnehmer in grober Weise seiner Sicherheit dienende Anordnungen des Arbeitgebers nicht beachtet (ErfK/Dörner, § 3 EFZG, Rdnr. 23 u. 26).

cc. Selbst wenn man die Behauptungen der Beklagten zu den Äußerungen der Vorgesetzten über die Rutschfestigkeit der Schuhe der Klägerin als wahr unterstellt, kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin in dem eben genannten Sinne in grober Weise ihrer Sicherheit dienende Anordnungen missachtet hätte, als sie am Unfalltage mit denselben Schuhen am Arbeitsplatz erschien wie am Vortage.

aaa. Die Beklagte behauptet bekanntlich, die Klägerin habe Stoffturnschuhe mit glatter Sohle getragen. Hierbei handelt es sich nicht etwa per se um ein ungewöhnliches und schon auf den ersten Blick für den Einsatz bei der Arbeit oder im sonstigen Alltag ungeeignetes Schuhwerk, wiez. B. Stöckelschuhe oder Vergleichbares. Vielmehr handelt es sich bei solchen Stoffturnschuhen um ein insbesondere in der jüngeren Generation sehr weit verbreitetes Schuhmaterial, das gerade im Alltag massenhaft getragen wird.

bbb. Bereits das Arbeitsgericht hat sinngemäß darauf hingewiesen, dass jeder Beurteilung der „Rutschfestigkeit“ von Turnschuhsohlen auch ein nicht unerhebliches subjektives Moment innewohnt. Die Beklagte nimmt für sich in Anspruch, dass die Beurteilung der Rutschfestigkeit durch die beiden Vorgesetzten richtig gewesen sein müsse, weil sie durch das Unfallereignis gerade bestätigt wurde. Es kann jedoch nicht auf den Kenntnisstand abgestellt werden, der unter Einbeziehung des späteren Unfallgeschehens erwachsen sein mag, sondern es muss auf den Zeitpunkt vor dem Unfall abgestellt werden, als die Klägerin ihre Entscheidung traf, trotz der behaupteten Einwände der Vorgesetzten nochmals mit denselben Schuhen zur Arbeit zu erscheinen. Selbst wenn man dieses Verhalten dann in Anbetracht der Einwände der Vorgesetzten dennoch als leichtsinnig beurteilen wollte, läge hierin, wie bereits ausgeführt, noch kein für den Ausschlusstatbestand des§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ausreichendes Verschulden vor und insbesondere auch noch kein grober Verstoß gegen arbeitgeberseitige Anordnungen.

e. Diese Einschätzung wird letztlich auch durch das eigene Verhalten der Beklagten bzw. der für sie tätig werdenden Vorgesetzten bestätigt:

aa. So behauptet die Beklagte, der Zeuge S habe die Klägerin bereits um 14:15 Uhr des Vortages auf die Ungeeignetheit ihrer Schuhe hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin am Vortage noch mehr als fünf Stunden zu arbeiten. Hätte der Zeuge S den Eindruck gehabt, dass das Tragen derartiger Schuhe am Arbeitsplatz so exorbitant leichtsinnig sei, wie die Beklagte nunmehr glauben machen will, so hätte er die Anordnung getroffen und auch treffen müssen, dass die Klägerin sofort ihre Schuhe zu wechseln habe. Ebenso hätte er in diesem Fall am Folgetag sofort eingegriffen und auch eingreifen müssen, als die Klägerin wiederum mit denselben Schuhen zur Arbeit erschien. Dass er beides nicht getan hat, spricht dafür, dass er das Verhalten der Klägerin zwar für verbesserungswürdig, aber keinesfalls so exorbitant leichtfertig gehalten hat, wie die Beklagte es nunmehr darstellt. Es spricht ferner auch dafür, dass der Hinweis auf die mangelnde Geeignetheit des Schuhwerks noch nicht den Charakter einer Anordnung im Sinne einer Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts hatte.

bb. Vor allem aber: Der Gefahrenbereich des feucht aufgewischten Fußbodens, in welchem sich der Unfall der Klägerin ereignete, befand sich in dem auch den Gästen des Restaurants zugänglichen Bereich. Da, wie bereits ausgeführt, Schuhe derjenigen Art, wie sie die Klägerin der Beklagten zufolge am Unfalltag getragen haben soll, unter jüngeren Leuten im Alltag weit verbreitet sind, musste die Beklagte jederzeit damit rechnen, dass eine Vielzahl ihrer Gäste das Restaurant mit entsprechendem Schuhwerk betreten werde. Gleichwohl haben die Verantwortlichen der Beklagten nicht verhindert, dass die Restaurantbesucher den Gefahrenbereich betreten konnten, sondern sich allenfalls auf das Aufstellen eines Warnschildes beschränkt. Wären die Gefahren, die aus dem Betreten des feuchten Restaurantbodens mit derartigen Schuhen entstehen können, tatsächlich so naheliegend und so groß, wie die Beklagte es der Klägerin durch ihren Vorwurf grob leichtfertigen Fehlverhaltens unterstellt, hätte die Beklagte den Gefahrenbereich für ihre Kunden unbedingt unzugänglich halten müssen. Dass sie dies nicht getan hat, spricht dafür, dass ihre Verantwortlichen die Gefahren ebenfalls als nicht so groß eingeschätzt haben, wie dies der Vorwurf eines besonders leichtsinnigen Fehlverhaltens gegenüber der Klägerin voraussetzt.

f. Selbst wenn man somit zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Klägerin mit der Wahl ihres Schuhwerks am Unfalltag in Anbetracht etwaiger vorheriger Hinweise bzw. Anweisungen ihrer Vorgesetzten „leichtsinnig“ gehandelt hat, so erscheint ihr Verhalten nach Lage der Dinge dennoch keineswegs als so grob schuldhaft, dass ein Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG in Betracht käme.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.



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