Arbeitsgericht Gießen

Beschluss vom - Az: 5 BV 12/12

Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Anordnung von Überstunden

Erteilt der Arbeitgeber Arbeitnehmern Überstunden (hier: an einem aufgrund Betriebsvereinbarung arbeitsfreien Ostersamstag), ohne dass der Betriebsrat dem zugestimmt hat, so stellt dies eine grobe Verletzung gesetzlicher Pflichten dar. Denn dem Betriebsrat steht bei der Anordnung von Überstunden ein Mitbestimmungsrecht nach §87 I Nr.3 BetrVG zu.
In diesem Fall kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, den Arbeitgeber unter Androhung von Ordnungsgeld bis zu 10.000 € zur Unterlassung solcher Anordnungen zu verpflichten.

Tenor

1. Der Bet. zu 2) wird untersagt, eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit („Überstunden“) ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers zu dulden, Arbeitnehmern anzubieten oder mit Arbeitnehmern zu vereinbaren oder gegenüber Arbeitnehmern anzuordnen.

2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1. wird der Bet. zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 EUR (in Worten: Zehntausend und 00/100 Euro) angedroht.

3. Der Bet. zu 2) wird untersagt, Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern am Samstag vor Ostern (Ostersamstag) anzunehmen, zu dulden Arbeitnehmern anzubieten oder mit Arbeitnehmern zu vereinbaren oder gegenüber Arbeitnehmern anzuordnen.

4. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 3. wird der Bet. zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 EUR (in Worten: Zehntausend und 00/100 Euro) angedroht.

5. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 2. gebildete Betriebsrat: Die Beteiligte zu 2. beschäftigt ca. 655 Arbeitnehmer sowie ca. 70 Leiharbeitnehmer. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband ... und die Tarifverträge der hessischen Metall- und Elektroindustrie finden Anwendung.

Bei der Beteiligten zu 2. besteht ein Schichtsystem, das grundsätzlich auch die Arbeit am Samstag vorsieht, wobei die Schichten samstags verkürzt stattfinden, nämlich die Frühschicht von 6:00 bis 12:00 Uhr und die Mittagsschicht von 12:00 bis 18:00 Uhr.

Nach § 2 Ziff. 3 Abs. 3c des Gemeinsamen Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte (GMTV) ist bei Wechselschichtarbeit der Samstag vor Ostern arbeitsfrei. Die Beteiligten schlossen unter dem 24. März 2003 eine Betriebsvereinbarung über „Arbeitszeit Ostersamstag und Pfingstsamstagnachmittag im Schichtbetrieb“, nach deren Ziff. 3 der Ostersamstag für die im Schichtplan vorgesehenen Mitarbeiter mit Urlaub zu belegen ist. Wegen des genauen Inhaltes der Betriebsvereinbarung wird auf Bl. 6 und 7 d. A. verwiesen.

Mit Antrag vom 3. April 2012 hat die Beteiligte zu 2. den Antragsteller um Zustimmung zu Mehrarbeit für den Ostersamstag, den 7. April 2012, für die Mitarbeiter R..., A... A..., F..., T... und P... beantragt. Der Antrag bezog sich nicht nur auf die Zustimmung zur Arbeit am Samstag vor Ostern überhaupt, sondern auch auf die Verlängerung der üblichen Samstagsschichtzeiten von 6 Stunden auf 7,5 Stunden.

Der Antragsteller hat am 5. April 2012 den Antrag abgelehnt und dies der Beteiligten zu 2. mitgeteilt.

Die betroffenen Mitarbeiter haben am Samstag, den 7. April 2012 gearbeitet. Der Antragsteller hat nach Kenntnis hiervon die Beteiligte zu 2. zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Beteiligte zu 2. führte dem Antragsteller gegenüber aus, dass es im 2K-Bereich massive Kapazitätsengpässe gäbe und beim Regierungspräsidium die Genehmigung für Sonn- und Feiertagsarbeit eingeholt worden sei. Vor diesem Hintergrund mache es keinen Sinn, die Maschinen am Ostersamstag abzuschalten. Die Stellungnahme des Antragstellers vom 5. April 2012 habe nicht mehr rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden können und der Antragsteller sowie die betroffenen Mitarbeiter seien nicht mehr zu erreichen gewesen. Die Beteiligte zu 2. habe nicht vorsätzlich gegen das Mitbestimmungsrecht verstoßen und bitte den Antragsteller um Entschuldigung.

Der Antragsteller ist nicht bereit, den Verstoß der Beteiligten zu 2. hinzunehmen. Er ist der Auffassung, er habe gegen die Beteiligte zu 2. einen Anspruch auf Unterlassung gegenüber der Antragsgegnerin sowohl des mitbestimmungswidrigen Verhaltens als auch auf Unterlassung weiterer Verstöße gegen die Betriebsvereinbarung.

Mit seiner am 24. Mai 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift, die der Beteiligten zu 2. am 8. Mai 2012 zugestellt worden ist, beantragt der Antragsteller,

1. der Antragsgegnerin zu untersagen, eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit („Überstunden“) ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers zu dulden, Arbeitnehmern anzubieten oder mit Arbeitnehmern zu vereinbaren oder gegenüber Arbeitnehmern anzuordnen,

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1. der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 EUR (in Worten: Zehntausend und 00/100 Euro) anzudrohen und,

3. hilfsweise zu Ziffer 1. und 2. festzustellen, dass die Antragsgegnerin durch die Duldung, Vereinbarung und Anordnung von Überstunden d von den Arbeitnehmern A..., H..., E..., P..., E..., M... am 07. April 2012 geleistet worden sind das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers verletzt hat,

4. der Antragsgegnerin zu untersagen, Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern am Samstag vor Ostern (Ostersamstag) anzunehmen, zu dulden Arbeitnehmern anzubieten oder mit Arbeitnehmern zu vereinbaren oder gegenüber Arbeitnehmern anzuordnen,

5. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 4. der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld bis 250.000,00 EUR (in Worten: Zweihundertfünfzigtausend und 00/100 Euro) anzudrohen.

Die Beteiligte zu 2. beantragt,

die Anträge zurück zu weisen.

Die Beteiligte zu 2. ist der Auffassung, das anzudrohende Ordnungsgeld bezüglich des allgemeinen Unterlassungsanspruchs dürfe 10.000,00 Euro nicht überschreiten, weil insoweit die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 3 BetrVG zu beachten sei.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Ablichtungen und auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die Anträge sind zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Insbesondere genügen die Anträge dem Bestimmtheitserfordernis. Der Antragsteller begehrt mit seinen Anträgen u. a. die Unterlassung von Maßnahmen, die gegen die Betriebsvereinbarung über „Arbeitszeit Ostersamstag und Pfingstsamstagnachmittag im Schichtbetrieb“ vom 24. März 2003 verstoßen. Werden Unterlassungsansprüche geltend gemacht, müssen die zu unterlassenden Handlungen so genau bezeichnet sein, dass kein Zweifel besteht, welche Maßnahmen im Einzelnen betroffen sind. Richtet sich der Antrag auf die Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens, ist dem Bestimmtheitserfordernis nur dann genügt, wenn die Fallgestaltung konkret bezeichnet wird, für die ein Mitbestimmungsrecht behauptet wird, wobei auch ein sog. Globalantrag grundsätzlich zulässig ist, mit dem für einen bestimmten Vorgang generell ein Mitbestimmungsrecht geltend gemacht wird (vgl. BAG, Beschluss vom 27. Oktober 1992 - 1 ABR 17/92 - AP Nr. 61 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Ob dem zulässigen Globalantrag in dieser Allgemeinheit auch stattzugeben ist, ob also wirklich für alle von ihm erfassten Fallgestaltungen ein Mitbestimmungsrecht besteht, ist eine Frage, die sich erst bei der Prüfung der Begründetheit des Antrags stellt.

Dem Antragsteller steht nach § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG ein Anspruch auf Unterlassung gegenüber der Beteiligten zu 2. zu, eine Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers zu dulden, Arbeitnehmern anzubieten oder mit Arbeitnehmern zu vereinbaren oder gegenüber Arbeitnehmern anzuordnen.

Zu den gesetzlichen Verpflichtungen des Arbeitsgebers gehört nach § 87 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG die Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Anordnung von Überstunden.

Die Beteiligte zu 2. hat durch die Anordnung der Überstunden am Samstag vor Ostern, dem 7. April 2012 ohne Zustimmung des Antragstellers gegen diese Verpflichtung verstoßen.

Dieser Verstoß ist grob i. S. d. § 23 Abs. 3 BetrVG. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, der sich die Kammer anschließt, liegt ein grober Verstoß vor, wenn es sich um eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwer wiegende Pflichtverletzung handelt, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt (BAG, Beschluss vom 19. Januar 2012 - 1 ABR 55/08 - AP Nr. 47 zu § 23 BetrVG 1972).

Die Beteiligte zu 2. hat trotz Widerspruch des Antragstellers die Arbeit am Samstag vor Ostern angeordnet und damit nicht nur gegen den Tarifvertrag und die Betriebsvereinbarung sondern auch gegen § 87 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG verstoßen. Der Verstoß war für die Beteiligte zu 2. auch zweifelsfrei erkennbar.

Dem Antragsteller steht darüber hinaus gem. § 87 Betriebsverfassungsgesetz ein allgemeiner Unterlassungsanspruch wegen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte zu.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, der sich die Kammer anschließt, ergibt sich ein solcher Anspruch aus der sachgerechten Auslegung des § 87 BetrVG im Lichte des § 2 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 BetrVG ist dem Betriebsrat zum Schutze der Belegschaft zugewiesen und dient kollektiven Interessen. Der Betriebsrat selbst muss eine wirksame Möglichkeit haben, aktiv für die Einhaltung seines Mitbestimmungsrechts Sorge zu tragen. Dem Unterlassungsanspruch nach § 87 BetrVG, der nicht auf grobe Verstöße des Arbeitgebers beschränkt ist, kann nicht entgegengehalten werden, der Betriebsrat könne ihn dazu missbrauchen, bei Meinungsverschiedenheiten über den Umfang des Mitbestimmungsrechts seine Auffassung durchzusetzen, indem er erforderliche Maßnahmen verzögert oder gar vereitelt, denn dieses Argument betrifft bei näherer Betrachtung nur die prozessuale Frage, ob und inwieweit der Unterlassungsanspruch bei Unklarheiten über die Auslegung und Anwendung der einzelnen Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG durchgesetzt werden kann. Die Befürchtung, der Betriebsrat könne mit Hilfe seines Unterlassungsanspruchs eine „Blockadepolitik“ betreiben, erweist sich jedoch als unbegründet (vgl. BAG, Beschluss vom 03. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972).

Die Beteiligte zu 2. hat gegen die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung über „Arbeitszeit Ostersamstag und Pfingstsamstagnachmittag im Schichtbetrieb“ vom 24. März 2003 verstoßen.

Die Beteiligte zu 2. hat entgegen der Betriebsvereinbarung Mitarbeiter am Samstag vor Ostern zur Arbeit eingeteilt und deren Arbeitsleistung entgegengenommen.

Der Arbeitgeberin ist auch, wie beantragt, gemäß § 890 Abs. 2 ZPO für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld anzudrohen.

Hinsichtlich des allgemeinen Unterlassungsanspruchs war hierbei die sich - mittelbar - aus § 23 Abs. 3 BetrVG ergebende Obergrenze von EUR 10.000,00 zu beachten (vgl. BAG, Beschluss vom 29. April 2004 - 1 ABR 30/02 - AP Nr. 3 zu § 77 BetrVG 1972).

Bezüglich des darüber hinausgehend beantragten Ordnungsgeldes war der Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.



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