Arbeitsgericht Berlin

Urteil vom - Az: 28 Ca 2405/15

Unwirksame Kündigung wegen Geltendmachung des Mindestlohns

1. Beantwortet der Arbeitgeber eines Kleinstbetriebes den Wunsch eines seit rund sechs Jahren bei 5,19 Euro (brutto) pro Stunde und wöchentlich 14 Arbeitsstunden beschäftigten Hauswartes nach Bezahlung des "Mindestlohns" mit einer Kündigung, so ist durch das objektive Geschehen ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB indiziert.

2. Den Konsequenzen ist regelmäßig nicht mit dem nicht näher erläuterten Einwand des Arbeitgebers abgeholfen, er habe unlängst festgestellt, dass der Hauswart für seinen Aufgabenbereich anstelle der vertraglich bedungenen 14 Arbeitsstunden pro Woche auch mit 32 Stunden pro Monat auskomme, und sich deshalb die Kündigung selber zuzuschreiben habe, weil er sich weigere, einen entsprechend geänderten Arbeitsvertrag (mit praktisch gleicher Endvergütung: 325,-- Euro statt bisher 315,-- Euro) abzuschließen.
(Leitsätze)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 28. Januar 2015 nicht zum 30. April 2015 aufgelöst worden ist.

II. Es wird festgestellt, dass sein Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 30. April 2015 hinaus fortbesteht.

III. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für Januar 2015 weitere 200,67 EUR (brutto) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2015 zu zahlen

IV. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 02. Februar 2009 geregelten Arbeitsbedingungen mit der Maßgabe als Hausmeister bis zu einer rechtskräftigten Entscheidung über den Feststellungsantrag zu beschäftigen, dass der Stundenlohn 8,50 EUR (brutto) beträgt.

V. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

VI. Der Wert des Streitgegenstandes wird für dieses Teilurteil auf 1.460,67 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Es geht um Kündigung und um Vergütungsdifferenzen (zum „Mindestlohn“). - Vorgefallen ist folgendes:

I. Der (heute ) 42-jährige Kläger trat mit dem 1. März 2009 als „Hauswart“ in die Dienste der Beklagten, einer Hauseigentümergemeinschaft im Bezirk Prenzlauer Berg (Berlin), deren einziger Mitarbeiter er ist . Der nach Erscheinungsbild und Diktion von der Beklagten gestellte Arbeitsvertrag (Kopie: Urteilsanlage I.) trifft unter anderem folgende Bestimmungen:

㤠2 Arbeitszeit

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 14 Wochenstunden. Die zeitliche Verteilung und der jeweilige Arbeitsbeginn orientieren sich an den betrieblichen Erfordernissen.

Die in der Anlage genannten Arbeiten sind regelmäßig während der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 20.00 Uhr, ggf. an Sonn- und Feiertagen bis 14.00 Uhr durchzuführen.

§ 3 Vergütung/Lohnsteuer/Sozialversicherung

a) Der Arbeitnehmer erhält eine monatliche Vergütung von

EURO 315,00 in Worten (Dreihundertundfünfzehn).

b) Die Vergütung wird jeweils am Letzten eines Monats fällig. Die Zahlung erfolgt bargeldlos durch Überweisung auf ein vom Arbeitnehmer zu benennendes Girokonto“.

II. Anlässlich der Einführung des sogenannten gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 kam es auf Initiative des Klägers zu Konsultationen zwischen den Parteien, zu deren Einzelheiten ihre Darstellungen teilweise auseinander gehen. Fest steht, dass die Beklagte ihm am 27. Januar 2015 den Entwurf einer (neuen) Vertragsurkunde (Kopie: Urteilsanlage II.) zukommen ließ, kraft derer seit 1. Januar 2015 unter anderem folgendes Reglement gelten sollte:

㤠2 Arbeitszeit

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 32 Stunden monatlich. Die zeitliche Verteilung und der jeweilige Arbeitsbeginn orientieren sich an den betrieblichen Erfordernissen.

Die in der Anlage genannten Arbeiten sind regelmäßig während der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 20.00 Uhr, ggf. an Sonn- und Feiertagen bis 14.00 Uhr durchzuführen.

§ 3 Vergütung/Lohnsteuer/Sozialversicherung

a) Der Arbeitnehmer erhält eine monatliche Vergütung von

EURO 325,00 in Worten (Dreihundertundfünfundzwanzig).

b) Die Vergütung wird jeweils am Letzten eines Monats fällig. Die Zahlung erfolgt bargeldlos durch Überweisung auf ein vom Arbeitnehmer zu benennendes Girokonto“.

III. Dieses Schriftstück unterzeichnete der Kläger nicht. - Zwei Tage später (29. Januar 2015) empfing er folgende Nachricht der Beklagten (Kopie: Urteilsanlage III.).

„Hauswart-Dienstvertrag vom 02.02.2009

G.straße …., 10437

Kündigung

… hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Dienstleistungsverhältnis gemäß Vertrag vom 02.02.2009 fristgerecht mit Wirkung

zum 30. April 2015.

Mit freundlichen Grüßen“.

IV. Damit will es er Kläger nicht bewenden lassen: Er nimmt die Beklagte, die ihm für Januar 2015 noch 315,-- Euro als „Festlohn Aushilfe“ (Kopie : Urteilsanlage IV.) überwiesen hatte, mit seiner am 17. Februar 2015 bei Gericht eingereichten und acht Tage später (25. Februar 2015) zugestellten Klage auf Feststellung in Anspruch, dass die vorerwähnte Kündigung sein Arbeitsverhältnis nicht beendet habe. Außerdem wünscht er für Januar 2015 die Zahlung weiterer (515,67 Euro ./. 315,-- Euro = ) 200,67 Euro (brutto) nebst Verzugszinsen, da die Beklagte angesichts seines Arbeitspensums von (14 Wochenarbeitsstunden x 13 Wochen : 3 Monate = ) 60,67 Stunden pro Monat als Mindestlohn 515,67 Euro hätte entrichten müssen . Er hält die Kündigung für unwirksam, da diese sich als – verbotene - Maßregelung im Sinne des § 612 a BGB darstelle : Sie stehe nämlich im direkten Zusammenhang mit der tags zuvor (27. Januar 2015) von ihm geltend gemachten Bezahlung des Mindestlohns . Beanstandungen hinsichtlich seiner Arbeitsleistung hätten nicht bestanden . Zudem lasse der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen der Geltendmachung seines Anliegens und der Reaktion der Beklagten keinen anderen Schluss zu . - Mit Schriftsatz vom 16. April 2015 hat der Kläger seine Zahlungsklage um Vergütungsdifferenzen gleicher Höhe (200,67 Euro) für Februar und März 2015 erweitern lassen.

IV. Der Kläger beantragt hiernach zuletzt sinngemäß,

1. festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten im Schreiben vom 28. Januar 2015 nicht zum 30. April 2015 aufgelöst wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30. April 2015 hinaus fortbesteht;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm für Januar 2015 weitere 200,67 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2015 zu zahlen;

4. die Beklagte im Falle seines Obsiegens mit dem Klage-antrag zu 1. und/oder zu 2. zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 2. Februar 2009 geregelten Arbeits-bedingungen unter der Maßgabe, dass der Stundenlohn 8,50 Euro (brutto) beträgt, als Hausmeister bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu beschäftigen;

5. die Beklagte zu verurteilen, ihm für Februar 2015 weitere 200,67 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2015 sowie für März 2015 weitere 200,67 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

V. Sie hält die Klagebegehren der Sache nach für gegenstandslos: Zwar sei richtig, dass sich der Kläger eine Erhöhung seines Salärs unter Hinweis auf das Mindestlohngesetz gewünscht habe . Richtig sei auch, dass sie dies abgelehnt habe . Das liege aber nicht nur an ihrer Verpflichtung gegenüber den Mietern, die Wirtschaftlichkeit der Betriebskosten zu wahren, sondern auch an der „Tatsache“, dass die im Vertrag genannte Stundenzahl nach ihren „Feststellungen“ für die Ausübung der Hauswarttätigkeit „nicht benötigt“ werde . Deshalb bestreite sie, dass er für die übernommene Hauswarttätigkeit 14 Stunden wöchentlich aufwende . Ihre Skepsis werde auch durch die Tatsache bestätigt, dass der Kläger nicht bereit sei, Beginn und Ende sowie Dauer der Arbeitszeit entsprechend der Vorgabe nach dem Mindestlohngesetz zu dokumentieren . Jedenfalls habe er die entsprechende Aufforderung bereits mündlich im Gespräch am 27. Januar 2015 mit ihrem befassten Sachwalter (Herrn P. M.) „kategorisch“ abgelehnt, als dieser ihm (Kläger) einen Änderungsvertrag angeboten habe . - Am Folgetag (28. Januar 2015) habe der Kläger beim Geschäftsführer der Hausverwaltung (Herrn C.-R. B.) vorgesprochen . Dieser habe dem Kläger „die Notwendigkeit“ erklärt, „die Zahl der Stunden dem Leistungsumfang anzupassen“, da die im Vertrag genannte Zahl der Arbeitsstunden tatsächlich nicht benötigt werde . Der Kläger habe den angebotenen Änderungsvertrag jedoch abgelehnt, eine Erhöhung des Entgelts auf über 500,-- Euro „ohne ,wenn und aber'“ verlangt und einen Nachweis der geleisteten Stunden nicht für erforderlich gehalten . Damit habe er die Kündigung also „provoziert“ .

VI. Hierzu erwidert der Kläger, der die Klageerwiderung für verspätet hält , mit Schriftsatz vom 16. April 2015 unter anderem, entscheidungserhebliche Einwände zur Zahlungsklage seien darin nicht ersichtlich : Die Beklagte habe durch Abrechnung und Auszahlung seines vertragsmäßigen Lohnes unstreitig gestellt, dass er seine vertraglich geschuldete Leistung erbracht habe . Dennoch lässt er – „unter Protest gegen die Beweislast“ - einen „Stundennachweis“ für Januar bis März 2015 (Kopie: Urteilsanlage V.) zu den Gerichtsakten reichen. - Es treffe auch nicht zu, dass das mit 14 Stunden vereinbarte vertragliche Wochenarbeitspensum – wie nunmehr unsubstantiiert behauptet - „überhöht“ sei . Die aufgetragene Arbeit lasse sich nicht in kürzerer Zeit erledigen . Es dürfte, so der Kläger weiter, auch „kein Zufall sein, dass die Beklagte zuvor ganze sechs Jahre lang keinerlei Zweifel daran hatte, dass die vereinbarte Arbeitszeit nötig“ gewesen sei, um die genauestens vorgeschriebenen Arbeiten zu verrichten . Es sei angesichts des Umstandes auch nicht nachvollziehbar, wie sie auf diesen Gedanken gekommen sei : Da er nach ihrer Darstellung ja keinerlei Aufzeichnungen oder Angaben zu seiner Arbeitszeit gemacht habe, könne sie nicht feststellen, dass seine Aufgaben auch in kürzerer als der vertraglich bedungenen Zeit hätten erledigt werden können . Tatsächlich beschränke sich ihre Haltung darauf, dass sie „eben einfach nicht mehr zahlen“ wolle . Nachdem er sich genau damit nicht einverstanden erklärt habe, habe sie ihm gekündigt . - Schließlich lässt er bestreiten, dass er es in den Personalgesprächen am 27. und 28. Januar 2015 „kategorisch“ abgelehnt habe, seine Arbeitsstunden zu dokumentieren . Tatsächlich habe es ihr eigener Vertreter „kategorisch“ abgelehnt, ihm den Mindestlohn zu zahlen . Wenn die Beklagte nun demgegenüber meine, er habe mit seiner Ablehnung einer – zumal rückwirkenden – Änderung seines Arbeitsvertrags bei obendrein identischem Aufgabenanfall die Kündigung „provoziert“, so sei dies der geradezu klassische Lehrbuchfall einer verbotenen sittenwidrigen Kündigung .

VII. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften verwiesen. Nicht inbegriffen sind die Ausführungen im vorerwähnten Schriftsatz des Klägers vom 16. April 2015, weil die Beklagte dazu kein ausreichendes rechtliches Gehör mehr erhalten hat. Soweit hier aus diesem Schriftsatz zitiert oder berichtet wird, geschieht dies daher ausschließlich zur Illustration.

Entscheidungsgründe

A. Da der Rechtsstreit wegen der Ausgangsklage entscheidungsreif ist, hat das Gericht insoweit aufgrund der § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG , §§ 495 Abs. 1 , 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO Teilurteil erlassen.

B. Diesbezüglich ist den Klagebegehren der erstrebte Erfolg nicht zu versagen. - Im Einzelnen:

I. Die Kündigung

Soweit der Kläger mit seinem Klageantrag zu 1. die Feststellung begehrt, die im Schreiben vom 28. Januar 2015 erklärte Kündigung (Urteilsanlage III.) beende sein Arbeitsverhältnis nicht, erweist sich das Rechtsschutzbegehren als gerechtfertigt. - Der Reihe nach:

1. Der Kläger hat seine Feststellungsklage binnen dreier Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens (29. Januar 2015) bei Gericht einreichen lassen (17. Februar 2015). Die Zustellung ist am 25. Februar 2015 bewirkt worden. Damit hat der Kläger bei rechtlich gebotener Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen aus § 167 ZPO die ihm durch § 4 Satz 1 KSchG zur Klageerhebung gesetzte dreiwöchige Frist gewahrt. Die Kündigung „gilt“ folglich nicht schon kraft Gesetzes nach § 7 (1. Halbsatz) KSchG als „von Anfang an rechtswirksam“. Zwar bedurfte sie wegen der sich in seiner Person erschöpfenden Beschäftigtenzahl der Beklagten (s. § 23 Abs. 1 KSchG ) keines besonderen Grundes. Sie darf jedoch – selbstverständlich – nicht gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen und insbesondere kein normativ diskreditiertes Motiv verfolgen.

2. Letzteres tut sie aber: Denn die Beklagte nimmt erkennbar den Wunsch des Klägers nach Anhebung seines vertraglichen Salärs auf das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns zum Anlass, ihm die seit immerhin sechs Jahren bisher offenbar anstandslos durchgeführte Vertragsbeziehung aufzukündigen. Damit überschreitet sie die Grenzen ihrer rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht. Infolgedessen kann ihre Kündigung keine Lösungswirkung entfalten, also auch nicht zum 30. April 2015 . - Der Reihe nach:

a. § 612 a BGB verbietet dem Arbeitgeber bekanntlich, einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme gerade deshalb zu benachteiligen, weil dieser „in zulässiger Weise seine Rechte ausübt“. Dass eine Kündigung – geradezu prototypisch - zu solchen „Nachteilen“ gehört, braucht nicht vertieft zu werden . Dass es zudem Teil der ureigensten „Rechte“ von Arbeitspersonen ist, beim Arbeitgeber zu ihren Gunsten als normativ zwingend erlassene Gesetzesvorgaben (s. hier §§ 1 Abs. 1 , 20 MiLoG) für sich selbst gegen erklärte Widerstände tatsächlich in Anspruch zu nehmen, versteht sich gleichfalls von selbst.

b. Bei dieser Sachlage ist für den Streitfall der Folgerung nicht auszuweichen, dass die Beklagte hier vermeintliche operative Gestaltungsmacht zu Unrecht mobilisiert, um sich den wirtschaftlichen Konsequenzen der neuen Gesetzeslage zu entziehen. Ihre Einwände können daran nichts ändern:

ba. So führt kein Weg daran vorbei, dass die Beklagte die Initiative des Klägers, ihm für sein vertragliches Arbeitspensum von wöchentlich 14 Stunden anstelle bisheriger 5,19 Euro (brutto) ab Januar 2015 8,50 Euro (brutto) pro Stunde (§ 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG ) zu zahlen, im Ergebnis mit Kündigung des Arbeitsverhältnisses beantwortet hat. Schon damit liegt auf der Hand (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ), dass sein vom kodifizierten Gesetzesrecht beflügelter Wunsch nach Anhebung seiner bisherigen Vergütung auf den danach intendierten „Mindestlohn“, das nach der Judikatur der Gerichte für Arbeitssachen zur Anerkennung der Kausalität der fraglichen Maßnahme mit der bewussten Rechtsausübung geforderte „wesentliche“ Motiv bzw. den „tragenden Beweggrund“ bildete.

bb. Soweit die Beklagte demgegenüber zu vermitteln sucht, es seien andere Umstände gewesen, die nach sechsjähriger Zusammenarbeit nun den auf seine Änderungswünsche hin ihrerseits urplötzlich aufgetauchten Trennungswunsch motiviert hätten, folgt das Gericht dem nicht (neuerlich: § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO ):

(1.) Das gilt zunächst für ihre Angaben zur „Feststellung“ (s. oben, S. 5 [vor VI.]), dass die vertraglich bedungene Stundenzahl für die Arbeit des Klägers „nicht benötigt“ werde. Zwar trifft es zu, dass die Beklagte dem Kläger am 27. Januar 2015 den Entwurf einer Vertragsurkunde (s. oben, S. 2 [II.]; Urteilsanlage II.) zur Unterschrift hat vorlegen lassen, wonach er künftig bei (möglicheweise ) gleichem Leistungsumfang anstelle bisheriger 60,66 Stunden (s. oben, Fn. 58) nur noch 32 Stunden pro Monat für die Beklagte tätig sei. Das ist aber nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems : Denn abgesehen davon, dass sie – wie schon der Kläger anmerkt - nicht mitteilt, woraus sie solche Einsichten denn eigentlich gewonnen habe, wenn er ihr jegliche Aufzeichnungen über seine betriebsnützigen Aktivitäten „kategorisch“ vorenthalte (s. oben, S. 5 [vor VI.]), stellt sich in der Tat die Frage, warum die ihrer Klientel doch von Anbeginn auf tunlichst wirtschaftliche Verwendung fremder Mittel verpflichtet war, sich gerade jetzt nach nahezu sechs Jahren auf ein angeblich zu großzügig bemessenes Zeitkontingent im Arbeitsvertrag besinnt. Allein diese zeitliche Koinzidenz genügte indessen nach zutreffender Judikatur der Gerichte für Arbeitssachen zur normativen Diskreditierung der hiesigen Kündigung als „Maßregelung“ im Sinne des § 612 a BGB .

(2.) Nicht besser bestellt ist es um Ihre eben schon gestreifte Darstellung (s. nochmals oben, S. 5 [vor VI.]), der Kläger verweigere ihr die besagten Dokumentationshilfen: Allerdings ist wiederum richtig, dass den Arbeitgeber aufgrund des § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG unter anderem die Verpflichtung trifft, entsprechende Aufzeichnungen zu fertigen und aufzubewahren, will er sich nicht bei ungünstigem Verlauf der Dinge mit der Verhängung von Bußgeldern (s. § 21 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG ) bis zur Höhe von 30.000,-- Euro (§ 21 Abs. 3 MiLoG ) konfrontiert sehen. Richtig ist auch, dass den Arbeitnehmer im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB durchaus eine Verpflichtung treffen kann, entsprechende Daten im Rahmen des Zumutbaren beizusteuern. Es ist jedoch - wiederum – nicht ersichtlich, dass die Beklagte sich gerade wegen der (behaupteten) Weigerung des Klägers zur etwaigen Zeiterfassung bewogen gesehen hätte, die hiesige Kündigung zu erklären. Immerhin springt insofern schon ins Auge, dass in ihrem Vertragsentwurf (Urteilsanlage II.) hinsichtlich des Pflichtenkreises des Adressaten keine Rede von irgendwelchen zu fertigenden Stundenaufzeichnungen ist. Bei dieser Sachlage kann es mit der Prominenz dieses Anliegens nicht weit her gewesen sein. - Im Übrigen bliebe nicht nur anzumerken, dass der Arbeitgeber entgegen ebenso verbreiteter wie ungeprüfter Plausibilitätsstrukturen auf eine Kündigung oft gar nicht angewiesen ist, um bestehenden vertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers gebührenden Nachdruck zu verschaffen. Hierfür sei einmal mehr auf Herbert Buchner verwiesen, der schon im Jahre 1989 in einer Fachschrift der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände überzeugend daran erinnert hatte, dass der „Nichterfüllung vertraglicher Pflichten … zunächst mit den Behelfen zu begegnen (sei), die generell zur Durchsetzung vertraglicher Erfüllungsansprüche zur Verfügung stehen, also mit der Abmahnung der vertraglichen Leistung, der Leistungsklage und eventuellen Schadensersatzforderungen“. Ist die Angelegenheit zudem eilbedürftig, so hilft ggf. auch der einstweilige Rechtsschutz (s. § 62 Abs. 2 ArbGG ; §§ 935 , 940 ZPO) weiter. - Schließlich bliebe anzumerken, dass der Beklagten – selbstverständlich – keine „Bußgelder“ drohten, solange ihr Unvermögen zur Beibringung der von § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG geforderten Arbeitszeitaufzeichnungen am Kläger läge: Dies bedarf angesichts der rechtsstaatlichen Prägung des geltenden Ordnungswidrigkeitenrechts gleichfalls keiner weiteren Ausführungen.

3. Die Konsequenzen dieser Rechtslage spiegelt der Tenor zu I. dieses Teilurteils.

II. Der „Schleppnetzantrag“

Der Klage war ihr Erfolg auch nicht zu versagen, soweit der Kläger mit seinem Klageantrag zu 2. festgestellt sehen will, dass sein Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern über den 30. April 2015 hinaus fortbestehe: Es ist in der Judikatur der Gerichte für Arbeitssachen bekanntlich anerkannt, dass ein Arbeitnehmer mit seiner Klage gegen die Kündigung vorsorglich auch den sogenannten allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO stellen kann, um zu verhindern, dass der Arbeitgeber sich während des Rechtsstreits überraschend auf andere – zuweilen schlicht untergeschobene - Beendigungstatbestände beruft . Dieses Klagebegehren wird daher im Fachschrifttum auch pointiert als „Schleppnetzantrag“ bezeichnet . Das ihm zugrunde liegende Schutzbedürfnis ist auch dem hiesigen Kläger – ohne gegen die Akteure der Beklagten persönlichen Argwohn zu hegen – objektiv nicht abzusprechen. - Daher also: Tenor zu II.

III. Die Prozessbeschäftigung

Dass der Kläger bis zur Beendigung des Kündigungsrechtsstreits seine vorläufige Weiterbeschäftigung fordern kann (s. Klageantrag zu 4.), ergibt sich dem Grunde nach aus den bekannten Grundsätzen in BAGE 48, 122 . Allerdings bot sich in diesem Zusammenhang in der Tat die vom Kläger denn auch erbetene Klarstellung an, dass seine Vergütung nicht hinter den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zurückbleiben dürfe. - Dem trägt der Tenor zu III. folglich Rechnung.

IV. Die Zahlungsklage

Als begründet erweist sich auch die Zahlungsklage. Daran können die Einwände der Beklagten nichts ändern. - Insofern, letztmalig, der Reihe nach:

1. Dem Kläger steht die beanspruchte Differenzvergütung zu. Das folgt für die Hauptforderung aus (entsprechender Anwendung des) § 612 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 MiLoG , während die Zinsen nach Maßgabe der §§ 288 Abs. 1 , 286 Abs. 2 Nr. 1 , 614 Satz 1 BGB und § 3 Abschnitt b) Satz 1 ArbV (s. oben, S. 2 [I.]) zu entrichten sind. Dafür sei klargestellt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB hier zwar deshalb aus-scheidet, weil die Parteien die Vergütungshöhe ja in der Tat nicht etwa offen gelassen („nicht bestimmt“), sondern sehr wohl – nur eben mittlerweile gesetzwidrig – geregelt haben. Die Lösung des vermeintlichen „Rätsels“ ergibt sich aber daraus, dass die Gerichte für Arbeitssachen die zitierte Vorschrift des § 612 BGB entsprechend anzuwenden pflegen , wenn eine Vergütung zwar – wie hier - tatsächlich „vereinbart“, die Vereinbarung aber im Lichte normativer Begrenzungen der Vertragsfreiheit rechtlich diskreditiert und daher unwirksam ist.

2. Ihrer sich hieraus ergebenden – und rechnerisch zutreffend ermittelten (s. oben, S. 3 [IV.]) - Zahlungspflicht kann die Beklagte nicht mit ihren in anderem Zusammenhang schon gewürdigten Einwänden (s. oben, S. 5 [vor VI.]) entgehen. - Keiner dieser Einwände erweist sich als stichhaltig:

a. Soweit sie zunächst in Zweifel zieht, dass das einst von ihr selber bedungene Stundenpensum vom Kläger „nicht benötigt“ werde, bliebe das schon aus rechtlichen Gründen unerheblich: Wenn sie vom Kläger von seinen lebenszeitlichen Ressourcen nämlich 14 Stunden pro Woche gleichsam für sich „reserviert“ (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ArbV; Urteilsanlage I.), haftet sie für deren etwaige Nichtausschöpfung im Zweifel nach den Grundsätzen des sogenannten Annahmeverzugs (§ 615 BGB ). - Im Übrigen weist schon der Kläger zutreffend darauf hin (s. oben, S. 5 [VI.], dass sie ihm immerhin vorbehaltlose Abrechnung seiner vertraglichen Vergütung (§ 108 Abs. 1 GewO ) erteilt habe. Bei dieser Sachlage machte sie es sich jedenfalls mit schlichtem Bestreiten ordnungsgemäßer Vertragserfüllung deutlich zu leicht.

b. Ebenso wenig könnte sie im Ergebnis mit dem Einwand gehört werden, der Kläger trage nicht gehörig zur Erfüllung der erwähnten Dokumentationspflichten aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG (s. oben, S. 11 [(2.)]) bei. Dabei kann offen bleiben, welche Bedeutung den von ihm mittlerweile vorgelegten Aufzeichnungen (s. oben, S. 5-6; Urteilsanlage V.) insoweit zukäme. Denn jedenfalls bestände insoweit kein Recht der Beklagten, dem Kläger eine mit 315,-- Euro (brutto) verabredete oder auch mit 515,67 Euro geschuldete Arbeitsvergütung zu verweigern: Soweit die Beklagte dazu im Verhandlungstermin am 17. April 2015 den Gedanken an ein Zurückbehaltungsrecht (§§ 273 Abs. 1 , 274 BGB) ins Gespräch gebracht hat, griffe dieses schon deshalb nicht durch, weil das besagte Salär des Klägers unpfändbar wäre (s. §§ 850 Abs. 1 , 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO): Insoweit gilt nicht nur das kodifizierte Aufrechnungsverbot nach § 394 Satz 1 BGB . Vielmehr schließt genau dieselbe gesetzliche Wertung nach ebenso eingespielter wie zutreffender Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen auch ein Zurückbehaltungsrecht aus, weil anderenfalls das Aufrechnungsverbot durch reine Umbenennung der Aktion umgangen werden könnte .

3. Ergebnis: Tenor zu IV.

C. Für Kosten und Streitwerte lässt es sich kurz machen:

I. Soweit das Gericht zu gegebener Zeit auch ohne bekundeten Wunsch der Parteien über die Verpflichtung zur Tragung der Kosten seiner Inanspruchnahme zu entscheiden haben wird, bedarf es hierzu keines Antrags (§ 308 Abs. 2 ZPO ). - Allerdings ist diese Frage dem Schlussurteil vorzubehalten (Tenor zu V.).

II. Den Wert der Streitgegenstände hat das Gericht aufgrund des § 61 Abs. 1 ArbGG jedoch für dieses Teilurteil im Tenor festgesetzt und für die Kündigungsschutzklage in Anlehnung an die Wertungen aus § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG mit der dreifachen (vertraglichen) Monatsvergütung des Klägers, also mit (3 x 315,-- Euro = ) 945,-- Euro bemessen. Der „Schleppnetzantrag“ ist nach neueren Gepflogenheiten der Gerichtspraxis ohne gesonderten Ansatz geblieben, während der Wunsch nach Prozessbeschäftigung mit einer weiteren Monatsvergütung (von 315,-- Euro) zu Buche schlägt. Die Zahlungsklage ist schließlich mit ihrem bezifferten Wert bemessen, also mit nochmals 200,67 Euro. - Das macht zusammen (945,-- Euro + 315,-- Euro + 200,67 Euro = ) 1.460,67 Euro und erklärt den Tenor zu VI.



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