Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 13 Sa 590/12

Urlaubsanspruch - Wechsel von Voll- in Teilzeit in der Jahresmitte

Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 22. April 2010 - C 486/09 - "Tirolentscheidung" ist der Jahresurlaub eines Vollzeitbeschäftigten, der unterjährig in ein Teilzeitarbeitsverhältnis mit weniger Arbeitstagen/Woche wechselt, pro rata im Verhältnis der Zahl der Wochenarbeitstage zu der Zahl der Wochenarbeitstage eines Vollzeitbeschäftigten umzurechnen. (Leitsatz)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2012 - 8 Ca 5832/11 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Gewährung dreier restlicher Urlaubstage für das Jahr 2010 nebst entsprechendem Urlaubsentgelt vor dem Hintergrund seines Wechsels aus einer Vollzeittätigkeit in eine Teilzeittätigkeit am 15. Juli 2010.

Der zum Zeitpunkt der Klageerhebung 55 Jahre alte Kläger ist seit 01. Juni 2004 bei der Beklagten, und zwar im A in B beschäftigt. Der TVÖD ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Der Kläger war bis 15. Juli 2010 in Vollzeit bei der Beklagten tätig zu einem Bruttomonatsgehalt von ca. 3200,00 €, orientiert an Entgeltgruppe 11 TVÖD. Ab dem 16. Juli 2010 wechselte er in eine Teilzeittätigkeit an 4 Tagen pro Woche. Das entspricht 32 Stunden und 82,02 % der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden Vollzeitbeschäftigten.

Gemäß § 26 TVÖD stehen einem Vollzeitbeschäftigten ab dem 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage an Jahresurlaub zu. Konkret heißt es dort:

 „...

Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 5 Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr ... nach dem vollendeten vierzigsten Lebensjahr 3 Arbeitstage. ... Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf 5 Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend.

...“

Auf seinen Antrag hin gewährte die Beklagte dem Kläger nach dem Wechsel in die Teilzeittätigkeit, also nach dem 16. Juli 2010, 24 Urlaubstage für das Kalenderjahr 2010.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, dass er auf Grund seiner Vollzeitbeschäftigung bis zum 15. Juli 2010 für die erste Hälfte des Kalenderjahres Urlaubsansprüche entsprechend seiner Vollzeitbeschäftigung erworben habe. Ihm stünden deshalb aus dem Kalenderjahr 2010 nicht nur 24 Urlaubstage, sondern 27 Urlaubstage zu, nämlich 15 aus der ersten Jahreshälfte (Vollzeitbeschäftigung) und 12 aus der zweiten Jahreshälfte (Teilzeitbeschäftigung).

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass ihm aus dem Kalenderjahr 2010 noch ein Urlaubsanspruch in Höhe von drei Werktagen zusteht;

2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, ihm die noch nicht genommenen drei Werktage Urlaub aus 2010 als Freizeitausgleich zu gewähren;

3. festzustellen, dass sich das zu zahlende Urlaubsentgelt für den noch ausstehenden Urlaubsanspruch aus 2010 nach dem Bruttoverdienst der bis zum 16. Juli 2010 gezahlten Vollzeitvergütung bemisst.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, auch unter Berücksichtigung des Wechsels von der Vollzeit- in die Teilzeittätigkeit stünden dem Kläger nur 24 Urlaubstage für das Jahr 2010 zu, die er unstreitig auch erhalten hat. Die Beklagte habe dabei die seit 16. Juli 2010 geltende 4-Tage-Woche des Klägers zugrunde gelegt und den Jahresurlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen, dem einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 5 Arbeitstage in der Kalenderwoche zu Grunde liege, um ein Fünftel (6 Arbeitstage) reduziert.

Mit Urteil vom 28. Februar 2012 hat das Arbeitsgericht der Klage bei ausdrücklicher Zulassung der Berufung stattgegeben, im Wesentlichen mit der Begründung, dem Kläger hätten, wie er es selbst berechnet, für die erste Jahreshälfte 2010 15 anteilige Urlaubstage und für die zweite Jahreshälfte 2010 12 weitere Urlaubstage zugestanden. Der regelmäßige arbeitsfreie Tag pro Woche ab dem 16. Juli 2010 könne nicht einem Urlaubstag gleichgesetzt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 38 bis 43 d. A.).

Gegen dieses der Beklagten am 25. April 2012 zugestellte Urteil hat diese mit einem beim erkennenden Gericht am 16. Mai 2012 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 20. Juli 2012 mit einem am 19. Juli 2012 beim erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen im Wesentlichen mit weiteren rechtlichen Erwägungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2012 - 8 Ca 5832/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit ergänzendem rechtlichen Vortrag.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschrift der Berufungsverhandlung vom 30. Oktober 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß den §§ 8 Abs. 2 ArbGG; 511 ZPO an sich statthafte Berufung begegnet nach ausdrücklicher Zulassung der Berufung hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken (§ 64 Abs. 3 ArbGG). Sie ist nach Maßgabe der im Tatbestand mitgeteilten Daten form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG; 517; 519; 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

In der Sache hat die Berufung Erfolg.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hat der Kläger weder Anspruch auf die Feststellung, dass ihm drei restliche Urlaubstage aus dem Jahr 2010 zustehen noch auf die Feststellung eines Vergütungsanspruchs für diese drei Tage.

Die entsprechende Feststellungsklage zu dem Antrag zu 1) ist zwar zulässig. Das gemäß § 256 Abs 1 ZPO hierfür notwendige Feststellungsinteresse besteht. Der Umfang des Urlaubsanspruchs des Klägers aus dem Jahr 2010 ist ein Rechtsverhältnis, an dessen Klärung der Kläger ein rechtliches Interesse hat. Eine Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehung oder Folgen aus dem einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken - Elementenfeststellungsklage - (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BAG vom 19. Oktober 2011 - 4 AZR 811/09 -, DB 2011, 2783).

Dem Hilfsantrag zu 2) stehen ebenfalls keine Bedenken wegen der Zulässigkeit entgegen.

Im Klageantrag zu 1) ist die Klage jedoch unbegründet.

Der Kläger kann sein Feststellungsbegehren insbesondere weder auf § 26 TVÖD noch auf die Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes stützen.

§ 26 TVÖD geht, wie im Tatbestand dargestellt, von einem 30-tägigen Urlaubsanspruch bei einer 5-Tage-Woche aus. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf 5 Tage pro Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Daran hat sich die Beklagte gehalten, als sie den Urlaubsanspruch des Klägers für 2010, von einer 4-Tage-Woche ausgehend, auf 30:5x4=24 Arbeitstage errechnet hat.

Auch nach den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes wird eine anteilige Berechnung des Urlaubs vorgenommen, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer regelmäßig an weniger Arbeitstagen pro Woche als Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmer arbeiten. In diesen Fällen ist der für Vollzeit beschäftigte geltender Jahresurlaub für Teilzeit Beschäftigte pro rata im Verhältnis der Zahl der Wochenarbeitstage zu der Anzahl der Wochenarbeitstage eines Vollzeitbeschäftigten umzurechnen. Diese Umrechnung ist in dem Bundesurlaubsgesetz nicht einmal erwähnt, ergibt sich aber aus der Natur der Sache und entspricht herrschender Auffassung (Powietzka/Christ, NJW 2010, 3397; Fieberg, NZA 2010, 925; ErfK Gallner, 12. Auflage 2012, § 3 BUrlG Randziffer 13; Leinemann/Linck, DB 99, 1498; Sponer/Steinherr, TVÖD, § 26 Randziffer 163; vgl. jetzt auch in diesem Sinne § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX für den Zusatzurlaub von Schwerbehinderten). Auch der EuGH hat die generelle Zulässigkeit einer solchen pro-rata-Umrechnung des Urlaubsanspruchs für Teilzeit Beschäftigte nicht bezweifelt (EuGH vom 22. April 2010 - C-486/08 - „Tirolentscheidung“, NZA 2010, 557).

Zu Recht hat die Beklagte bei ihrer Berechnung die Tatsache außer Acht gelassen, dass der Kläger erst ab 16. Juli 2010 von einer Vollzeit- in eine Teilzeittätigkeit wechselte. Nach weit überwiegender Ansicht ist der nach der Änderung der Arbeitszeit genommene Urlaub hinsichtlich der Zahl der zustehenden Freistellungstage (Urlaubstage) entsprechend der dann geltenden Arbeitszeitverteilung - also „umgerechnet“ - zu berechnen und zwar unabhängig davon, ob der Urlaubsanspruch ganz oder teilweise vor der Änderung der Arbeitszeitverteilung erworben wurde oder nicht. Nur diese Berechnungsweise stellt sicher, dass die Arbeitnehmer unabhängig von der Verteilung ihrer Arbeitszeit - gleich ob vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt - denselben Urlaubszeitraum im Sinne derselben Ruhezeit zur Verfügung haben (BAG vom 28. April 1998 - 9 AZR 314/97 -, NZA 1999, 156; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Auflage 2001, § 3 BUrlG, Randziffer 53; Fieberg, a. a. O.; Powietzka/Christ, a. a. O.: Sponer/Steinherr, a. a.O., Randziffer 167; a. A. Hohmeister, BB 1999, 798; ErfK Gallner, a. a. O., Randziffer 15) und sorgt dafür, dass Arbeitnehmer, die im Laufe des Kalenderjahres von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle mit weniger Arbeitstagen pro Woche wechseln, nicht mehr Urlaub im Sinne längerer Freistellungszeit erhalten als vergleichbarer Vollzeitbeschäftigte (vgl. dazu das Beispiel 1 bei Powietzka/Christ, a. a.O. und Sponer/Steinherr, a. a. O., Randziffer 169.2). Darauf weist auch die Berufung zu Recht hin.

Diese Grundsätze werden nach Auffassung der erkennenden Kammer auch nicht durch die oben zitierte „Tirolentscheidung“ des EuGH vom 22. April 2010 berührt. Dort hatte der EuGH auf eine Vorlage des Landesgerichts Innsbruck festgestellt, dass bei Arbeitnehmern, die ihren Urlaub nicht vor dem Wechsel in eine Teilzeitbeschäftigung genommen haben, der Urlaub weder anteilig gekürzt noch das Urlaubsentgelt auf der Basis der reduzierten Teilzeitvergütung berechnet werden kann.

Unabhängig von der Frage, ob diese Feststellungen des EuGH nur den gesetzlichen Mindesturlaub betreffen oder nur Fälle, in denen der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch aus der Vollzeitphase seines Arbeitsverhältnisses in derselben nicht hat nehmen können, liegt im vorliegenden Fall eben gerade keine Verminderung des Urlaubsanspruchs im Sinne dieser Entscheidung vor, sondern nur ein „Umrechung“, die unter Berücksichtung des Gleichheitssatzes dafür Sorge trägt, dass der betreffende Arbeitnehmer dieselbe Freistellungsdauer im Urlaubsjahr hat wie seine Vollzeit beschäftigten Kollegen.

Offenbar wollte der EuGH nur zum Ausdruck bringen, dass eine generelle pro-rata-Kürzung des Urlaubsanspruchs bei einer Reduzierung der Arbeitszeit uroparechtswidrig wäre (vgl. ebenso Fieberg, a. a. O.; Powietzka/Christ, a. a. O. Sponer/Steinherr, a. a. O. Randziffer 169.2; Rudkowski, NZA 2012, 74; zweifelnd für den Fall von „Kurzarbeit Null“: ArbG Passau, Vorlagebeschluss vom 13. April 2011 - 1 Ca 62/11-, BB 2012, 1262). Im vorliegenden Fall hat die o. a. Umrechnung keine Auswirkungen auf die Urlaubsdauer. Es bleibt bei einer Urlaubsdauer von insgesamt 6 Wochen pro Jahr für den Kläger.

Damit scheitert nicht nur das Klagebegehren zu 1) und der Hilfsantrag zu 2), sondern auch das Klagebegehren zu 3), dieses sogar als unzulässig. Ihm fehlt das Rechtsschutzinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO), nachdem feststeht, dass dem Kläger keine drei weiteren Urlaubstage aus dem Jahre 2010 zustehen. Die Berechnung der Urlaubsvergütung für diese Tage käme der Erstattung eines Gutachtens zu einer hypothetischen Rechtsfrage gleich. Die Erstellung solcher Gutachten ist den Gerichten gesetzlich verwehrt.

Als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist begründet aus § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.



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