Landesarbeitsgericht Hessen

Urteil vom - Az: 18 Sa 594/12

Vergütung - Teilanfechtung des Arbeitsvertrages

(1.) Die Teilanfechtung eines Arbeitsvertrages ist nur möglich, wenn der bei Wegfall des angefochtenen Teils verbleibende Rest bei objektiver, vom Willen der Beteiligten absehender Betrachtung als selbständiges, unabhängig von den anderen Teilen bestehendes Rechtsgeschäft denkbar ist.
(2.) Sieht eine Klausel im Arbeitsvertrag eine Vergütungserhöhung nach 6 Monaten der Betriebszugehörigkeit vor, so kann dieser Teil des Arbeitsvertrages nicht als selbständiger Teil angefochten werden, da ansonsten eine Vergütungsregelung für die Zeit ab dem 7. Beschäftigungsmonat fehlten würde.
(3.) Wird ein Tarifvertrag in den Arbeitsvertrag einbezogen, so hat dieser nur eine die Vergütungsregelung ergänzende, nicht aber ersetzende, Wirkung.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30. November 2011 - 5 Ca 152/11 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.817,92 EUR (in Worten: Sechstausendachthundertsiebzehn und 92/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 568,16 EUR (in Worten: Fünfhundertachtundsechzig und 16/100 Euro) brutto seit 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011 und 01.07.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 01.07.2011 hinaus Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrages Versorgungsbetriebe (TV-V) zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen eines Anspruchs auf Erhöhung der Arbeitsvergütung um eine Teilanfechtung des Arbeitsvertrages.

Der am XX.XX.19XX geborene Kläger ist seit 01. Januar 2010 bei der Beklagten, einem Versorgungsunternehmen mit Sitz in A, als Vertriebsmitarbeiter für den Stromverkauf beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung.

Der Kläger, der sich aus eigener Initiative bei der Beklagten um eine Stelle als kaufmännischer Angestellter im Vertrieb beworben hatte, äußerte bei einem Vorstellungsgespräch den Wunsch, ca. 55.000,00 € brutto im Jahr zu verdienen. Die Beklagte bot für die Stelle „Sachbearbeiter Segment 100+“ zunächst nur eine Vergütung von ca. 39.000,00 € brutto im Jahr.

Nachdem die Besetzungskommission der Beklagten sich für den Kläger entschieden und der Betriebsrat dessen Einstellung zugestimmt hatte, erstellte die Beklagte durch ihre Personalabteilung einen Arbeitsvertrag, welchen sie dem Kläger mit Begleitschreiben vom 19. November 2009 übersandte. Wegen des Inhalts des Begleitschreibens wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift verwiesen (Bl. 6 d.A.). Im Arbeitsvertrag vom 19. November 2009, welchen der Kläger unterzeichnete, ist zur Vergütung geregelt:

 „Der/Die Arbeitnehmerin ist in der Entgeltgruppe 9, Stufe 4 der Anlage 1 zum TV-V eingruppiert (§ 5 Abs. 1 TV-V). Die Eingruppierung ändert sich nach 6 Monaten in die Entgeltgruppe 11.“

Wegen des Inhaltes des Vertrags im Übrigen wird auf die zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 5 d.A.).

Nach Ablauf der ersten sechs Beschäftigungsmonate erhielt der Kläger keine Gehaltserhöhung. Der Kläger wandte sich deshalb spätestens am 30. August 2010 mit einer E-Mail an die Personalsachbearbeiterin Frau B. Auf den Inhalt der E-Mail wird Bezug genommen (Anlage K 3 zur Klageschrift, Bl. 7 d.A.). Der Kläger hat behauptet, er habe wegen der ausgebliebenen Gehaltserhöhung bereits am 16. August 2010 mit Frau B telefoniert, was die Beklagte bestreitet.

Der Kläger erhielt am 10. September 2010 ein Schreiben der Beklagten mit Datum vom 09. September 2010, welches auszugsweise folgenden Inhalt hat (Anlage K 4 zur Klageschrift, Bl. 8 d.A.):

 „(...) in Ihrem Arbeitsvertrag ist uns ein offensichtlicher Fehler unterlaufen, den wir mit diesem Schreiben korrigieren möchten. Unter § 4 Eingruppierung Satz 2 ist entgegen unseren Absprachen der Hinweis „Die Eingruppierung ändert sich nach 6 Monaten in die Entgeltgruppe 11.“ erschienen. (...) Da es sich bei dem Schriftstück zu diesem Punkt um einen Irrtum auf unserer Seite handelt, ist der Zusatz zurückzunehmen. (...)“

Der Kläger wandte sich mit diesem Schreiben an seinen Vorgesetzten Wacholder, der ihm eine Überprüfung und einen Antrag auf Höhergruppierung ankündigte. Außerdem bat der Kläger den Betriebsrat um Hilfe. Es wurden Versuche einer Einigung unternommen. Mit E-Mail vom 08. Dezember 2010 bestätigte die Beklagte dem Kläger, dass ein Bewertungsantrag über seine Stelle eingegangen sei und bat ihn um Geduld (Anlage K 9 zum Schriftsatz des Klägers vom 04. November 2011, Bl. 56 d.A.). Eine endgültige ablehnende Antwort erhielt der Kläger am 10. Mai 2011 (Anlage K 10 zum Schriftsatz des Klägers vom 04. November 2011, Bl. 57 d.A.). Folgend wandte sich der Kläger mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 19. Mai 2011 und 24. Juni 2011 an die Beklagte (Anlagen K 5, K 6 zur Klageschrift, Bl. 9, 10 d.A.). Die Beklagte lehnte mit Schreiben 29. Juni 2011 u.a. eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11, rückwirkend ab 01. Juli 201, erneut ab (Anlage K 7 zur Klageschrift, Bl. 11 d.A.).

Mit seiner am 11. Juli 2011 bei dem Arbeitsgericht Kassel eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung der monatlichen Gehaltsdifferenz zwischen der Entgeltgruppe 9 TV-V und der Entgeltgruppe 11 TV-V von jeweils 568,16 € brutto für die Monate Juli 2010 bis Juni 2011 verlangt. Außerdem hatte die Feststellung begehrt, dass die Beklagte auch künftig verpflichtet sei, ihm eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 VTV-V zu zahlen. Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte habe die Zusage der Gehaltssteigerung in § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages nicht wirksam angefochten.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.817,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 568,16 EUR seit dem 01. August 2010, dem 01. September 2010, dem 01. Oktober 2010, dem 01. November 2010, dem 01. Dezember 2010, dem 01. Januar 2011, dem 01. Februar 2011, dem 01. März 2011, dem 01. April 2011, dem 01. Mai 2011, dem 01. Juni 2011 und dem 01. Juli 2011 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm auch über den 01. Juli 2011 hinaus Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrages Versorgungsbetriebe (TV-V) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

Die Beklagte hat behauptet, der zweite Satz in § 4 des Arbeitsvertrages sei durch einen Irrtum der für die Erstellung des Arbeitsvertrages zuständigen Personalsachbearbeiterin Frau B in den Vertragstext gelangt. Frau B habe bei der Anfertigung des Vertrags einen bereits in der EDV vorhandenen Arbeitsvertrag benutzt und inhaltlich auf den Kläger angepasst. Dabei habe sie übersehen, den im Ausgangsarbeitsvertrag vorgesehenen Zusatz einer Gehaltserhöhung nach Ablauf von 6 Monaten zu streichen. Dieser Fehler sei auch der Personalleiterin Frau C bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages nicht aufgefallen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ihr Schreiben vom 09. September 2010 sei als Teilanfechtung zu verstehen. Diese Teilanfechtung sei wirksam.

Das Arbeitsgericht Kassel hat die von der Beklagten benannten Zeuginnen B und C zu den Umständen der Anfertigung und Unterzeichnung des Arbeitsvertrages vernommen (vgl. Beweisbeschluss vom 12. Oktober 2011, Sitzungsniederschrift der Bl. 43 d.A.). Zur Wiedergabe der Aussagen der Zeuginnen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30. November 2011 Bezug genommen (Bl. 58 d.A.). Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 30. November 2011 abgewiesen. Die Beklagte habe die im Arbeitsvertrag zugesicherte Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 11 TV-V nach Ablauf der Probezeit wirksam angefochten. Das Schreiben vom 09. September 2010 sei als Anfechtung auszulegen. Die Beklagte könne sich auf einen Anfechtungsgrund berufen, ihr sei ein Inhaltsirrtum unterlaufen. Es handele sich nicht um eine unzulässige Teilanfechtung, denn diese beziehe sich nicht auf einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsvertrages. Die verbleibenden Vertragselemente könnten aufrecht erhalten bleiben. Schließlich sei die Anfechtung fristgerecht erfolgt.

Zur vollständigen Wiedergabe der Erwägungen des Arbeitsgerichts sowie des weiteren Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen (Bl. 63 - 75 d.A.).

Der Kläger hat gegen das ihm am 18. April 2012 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist am 16. Mai 2012 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Begründung der Berufung erfolgte mit einem Schriftsatz, welcher nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18. Juli 2012 am 03. Juli 2012 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht einging.

Mit der Berufung nimmt der Kläger Bezug auf seinen Vortrag aus erster Instanz und bekräftigt seine Ansicht, dass das Schreiben der Beklagten vom 09. September 2010 nicht als Anfechtungserklärung ausgelegt werden könne. Die Beklagte habe nur eine “Zurücknahme des Zusatzes“ erklärt. Dies dürfe nach dem Empfängerhorizont nur als Angebot einer Abänderung verstanden werden. Es handele sich außerdem um eine unzulässige Teilanfechtung. Damit werde die Hauptpflicht der Beklagten aus dem Vertrag einseitig zu ihren Gunsten verändert. Schließlich sei davon auszugehen, dass die entsprechend anzuwendende Frist nach § 626 Abs. 2 BGB versäumt worden sei. Der Kläger behauptet, Frau B habe die Personalleiterin Frau C bereits nach seinem Anruf am 16. August 2010 informiert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 30. November 2011 - 5 Ca 152/11 - abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.817,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 568,16 EUR seit dem 01. August 2010, dem 01. September 2010, dem 01. Oktober 2010, dem 01. November 2010, dem 01. Dezember 2010, dem 01. Januar 2011, dem 01. Februar 2011, dem 01. März 2011, dem 01. April 2011, dem 01. Mai 2011, dem 01. Juni 2011 und dem 01. Juli 2011 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm auch über den 01. Juli 2011 hinaus Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 des Tarifvertrages Versorgungsbetriebe (TV-V) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und nimmt ebenfalls Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, die Personalleiterin Frau C sei erst nach dem 30. August 2010 von der Personalsachbearbeiterin Frau B über die streitige Regelung im Arbeitsvertrag des Klägers informiert worden. Der Kläger habe auch nicht am 16. August 2010 mit Frau B wegen der Entgeltzusage telefoniert.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 07. November 2012 (Bl. 122. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Die Berufung ist erfolgreich. Die Beklagte ist an die Vergütungszusage in § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien gebunden. Sie konnte diese Regelung über die Höhe der Vergütung ab dem siebten Monat des Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam anfechten.

I. Der von dem Kläger neben dem Zahlungsantrag (Antrag zu 1) gestellte Feststellungsantrag (Antrag zu 2) ist zulässig gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Es besteht kein Vorrang der Leistungsklage, denn der Antrag zielt auf künftige Leistungen zum Zeitpunkt der Klageerhebung, die nur nach § 259 ZPO gefordert werden könnten.

II. Dieser Feststellungsantrag ist begründet. Die Beklagte ist nach § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien verpflichtet, diesem seit 01. Juli 2011 eine der Entgeltgruppe 11 TV-V entsprechende Vergütung zu zahlen.

Die Beklagte hat diese Regelung durch ihr Schreiben vom 09. September 2010 nicht wirksam angefochten. Dieser Teil des Arbeitsvertrages ist nicht gem. §§ 142, 139 BGB nichtig.

1. Es bestehen bereits Zweifel, ob eine wirksame Anfechtungserklärung gemäß § 143 BGB vorliegt. Dem Urteil des Arbeitsgerichts ist nur teilweise zu folgen. Das Schreiben kann zwar insoweit als Anfechtung verstanden werden, als die Beklagte sich ausdrücklich auf einen Irrtum berufen hat. Die Erklärung vom 09. September 2010 steht aber unter der nicht ausdrücklich erklärten, aber vorausgesetzten Einschränkung, dass der Vertrag trotz des Irrtums ansonsten wirksam bleibt. Denn die Beklagte hat dem Kläger seine zugesagte Vergütung, die auf der Entgeltgruppe 9 basiert, bestätigt und eine Überprüfung seines Entgelts für die Zukunft in Aussicht gestellt.

Eine Anfechtung ist jedoch bedingungsfeindlich. Eine Teilanfechtung, die nur unter der Voraussetzung erklärt wird, dass der Bestand des Rechtsgeschäfts im Übrigen unberührt bleibt, ist unzulässig (BGH Urteil vom 05. April 1973 - II ZR 45/71 - WM 1973, 637; Staudinger/Roth [2010], § 142 BGB Rz 26). Die Frage, ob eine zulässige Teilanfechtung auch zu einer nur teilweisen oder aber einer vollständigen Nichtigkeit führt, ist nach § 139 BGB zu beantworten.

Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 09. September 2010 zu erkennen gegeben, dass der Arbeitsvertrag der Parteien nicht vollständig beseitigt werden soll. Erstrebt war nur eine Anpassung durch die Beseitigung des zweiten Satzes in § 4 des Vertrages. Eine Einschränkung, dass das Geschäft trotz des Willensmangels auf jeden Fall teilweise fortbestehen soll, steht einer Auslegung der Erklärung als Teilanfechtung entgegen. Denn damit hätte die Beklagte eine bedingte und deshalb unwirksame Erklärung abgegeben.

2. Unterstellt man im Sinne der Beklagten, dass ihr Schreiben vom 09. September 2010 als unbedingte Teilanfechtung zu verstehen ist, also eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung ex nunc nicht ausgeschlossen werden sollte, ist diese Teilanfechtung unzulässig.

a) Eine Teilanfechtung ist nur möglich, wenn der bei Wegfall des angefochtenen Teils verbleibende Rest bei objektiver, vom Willen der Beteiligten absehender Betrachtung als selbständiges, unabhängig von den anderen Teilen bestehendes Rechtsgeschäft denkbar ist. Daher kommt es für die Frage, ob eine Teilanfechtung begrifflich möglich ist, nicht auf den Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten an, sondern allein ob die auf die objektive (gedankliche) Zerlegbarkeit des Rechtsgeschäfts (BAG Urteil vom 24. Februar 2011 - 6 AZR 626/09 - NZA-RR 2012, 148; BGH Urteil vom 05. November 1982 - V ZR 166/81 - WM 1983, 92; BGH Urteil vom 05. April 1973 - II ZR 45/71 - WM 1973, 637). Es ist also nicht darauf abzustellen, ob der Kläger den ihm angebotenen Vertrag auch angenommen hätte, wenn ihm keine höhere Vergütung ab dem siebten Beschäftigungsmonat zugesagt worden wäre. Ebenso ist nicht erheblich, dass die Parteien in § 7 des Vertrages geregelt haben, dass die etwaige Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen die Wirksamkeit der übrigen Vertragsbestimmungen unberührt lässt. Diese Vereinbarung betrifft die erst nach Billigung der Teilanfechtung gem. § 139 BGB in einem zweiten Schritt zu prüfende Frage, ob die Teilanfechtung nur zur teilweisen oder zur völligen Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts führt (BGH Urteil vom 05. April 1973 - II ZR 45/71 - WM 1973, 637; Staudinger/Roth [2010], § 142 BGB Rz 26 iVm. § 139 BGB Rz 30 ff.).

b) Eine Teilanfechtung ist ausgeschlossen, da bei objektiver, vom Willen der Beteiligten absehender Betrachtung ein selbständiges, unabhängig von den anderen Teilen bestehendes Rechtsgeschäft nicht denkbar ist.

Der Arbeitsvertrag der Parteien ist bei einer Streichung des zweiten Satzes in § 4 nur scheinbar vollständig. Tatsächlich fehlt eine Vergütungsregelung für die Zeit ab 01. Juli 2011. § 4 Satz 1 darf nicht so ausgelegt werden, dass damit eine über den sechsten Monat der Beschäftigung hinausgehende Festlegung des Entgelts erfolgen sollte. Ein solches Verständnis ist nur möglich, wenn der zweite Satz als von vornherein nicht geschrieben gedacht wird. Dies ist nicht zulässig, da damit das Ergebnis der Teilanfechtung vorweggenommen würde. Eine Parallele zu dem bei einer AGB-Kontrolle nach § 306 BGB vorzunehmenden „blue-pencil-test“ ist ausgeschlossen. Denn für die ab dem siebten Beschäftigungsmonat auftretende Regelungslücke kommt keine gesetzliche Regelung entsprechend § 306 Abs. 2 BGB in Betracht.

Die Frage, welche Vergütung in dem Kläger ab dem 01. Juli 2010 zustehen sollte, lässt sich auch nicht durch Anwendung des TV-V füllen, der Vertrag bliebe unvollständig.

Wie mit den Parteien in der Verhandlung vom 07. November 2012 erörtert, ist dem Kläger bereits für die Zeit von 01. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 eine Vergütung zugesagt worden, welcher sich zwar an den Entgeltgruppen des TV-V orientiert, dem jedoch keine Eingruppierung seiner Tätigkeit zu Grunde liegt. Dem Kläger ist als Berufsanfänger eine Vergütung der Stufe 4 in der Entgeltgruppe 9 angeboten worden, obwohl er die Voraussetzungen für die Erlangung der Stufe 4 nach seiner Betriebszugehörigkeit nicht erfüllte. Die Beklagte hat außerdem ausgeführt, dass die Tätigkeit als „Sachbearbeiter Segment 100+“ nur eine Vergütung nach den Entgeltgruppen 7 bis 9 rechtfertige (Schriftsatz vom 19. Juli 2011, S. 8, Bl. 25 d.A.).

Es ist danach ausgeschlossen, die durch den - gedachten - Wegfall der Regelung in § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages entstehende Lücke mit einer Regelung zu füllen, wonach der Kläger ab dem siebten Monat seiner Tätigkeit die tarifliche Vergütung erhalten sollte. Eine tarifliche Vergütung ist zwischen den Parteien nicht vereinbart worden. Die Bestimmung in § 2 des Arbeitsvertrages, wonach der TV-V gilt, hat nur ergänzende Wirkung, die unter § 4 getroffene Vergütungsregelung ist vorrangig.

Danach bleibt es bei dem Ergebnis, dass eine Teilanfechtung zu einem unvollständigen Arbeitsvertrag führen würde. Sie ist danach ausgeschlossen. Es kommt nicht zu einer Prüfung des § 139 BGB.

Es kann damit auch dahinstehen, ob die Personalsachbearbeiterin C der Beklagten schon am 16. August 2010 oder kurz danach von dem Fehler im Arbeitsvertrag erfuhr.

III. Auch der Klageantrag zu 1) ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger Vergütung in Höhe von 6.817,92 € brutto nachzuzahlen.

Die Beklagte ist der Berechnung der Vergütungsdifferenz zwischen der Entgeltgruppe 9, Stufe 4, und der Entgeltgruppe 11 nicht entgegengetreten.

Der Kläger hat die sechsmonatige Ausschlussfrist nach § 20 TV-V gewahrt. Die Parteien haben bis zum endgültigen Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 29. Juni 2011 darüber verhandelt, ob und gegebenenfalls welche Bestimmung an die Stelle der Regelung nach § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages treten solle. Bis dahin war der Beginn der Verfallfristen entsprechend § 203 BGB gehemmt. Der Kläger hat dann zeitnah am 11. Juli 2011 die Klage erhoben.

Der Zinsanspruch ist der Höhe nach gemäß § 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, dem Zeitpunkt nach gemäß § 6 Abs. 2 TV-V.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG ist nicht geboten.



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