Landesarbeitsgericht München

Urteil vom - Az: 5 Sa 397/14

Wahrung einer zweistufigen Ausschlussfrist bei Klagezustellung nach Fristablauf

1. Wird in einer Verfallklausel vertraglich vereinbart, dass Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis binnen einer bestimmten Frist einzuklagen sind, ist, wenn kein abweichender Wille der Parteien erkennbar ist, regelmäßig davon auszugehen, dass die Frist nach der in § 167 ZPO aufgestellten Regel eingehalten werden kann.
(Leitsatz)

(2.) Demnach ist für die Einhaltung einer vertraglichen Klagefrist (lediglich) vonnöten, dass die betreffende Klage innerhalb der Frist eingereicht und "demnächst" zugestellt wird. Nicht notwendig ist also die Zustellung der Klage innerhalb der vertraglichen Verfallsfrist.
(Orientierungssatz)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 29.04.2014 - Az. 14 Ca 13434/13 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien, deren Arbeitsverhältnis beendet ist, streiten darüber, ob der klägerische Anspruch auf eine variable Vergütung für das Jahr 2012 nach einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel entfallen ist.

Der Kläger war bei der Beklagten als Vertriebsleiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach Maßgabe des Abwicklungsvertrages vom 08.11.2013 (Anl. K 10, Bl. 48 ff. d. A.) aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung mit Ablauf des 31.01.2014. In § 8 des Abwicklungsvertrages vereinbarten die Parteien eine Erledigungsklausel und nahmen hiervon ausdrücklich die Provisionsansprüche 2012 aus.

Für 2012 bestand ein zwischenzeitlich der Höhe nach unstreitiger Anspruch des Klägers auf variable Vergütung in Höhe von 10.666,39 € brutto. Mit Schreiben vom 18.04.2013 (Anl. K 5, Bl. 15 d. A.) gab die Beklagte die Höhe der „Sonderzahlung“ mit 2.500,- € an und zahlte die variable Vergütung in dieser Höhe mit der April-Abrechnung 2013 aus. Mit Schreiben vom 17.05.2013 (Anl. K 7, Bl. 17 d. A.) bezifferte der Kläger seinen Provisionsanspruch für 2012 auf 12.300,- € und forderte die Auszahlung des hiernach noch ausstehenden Betrages. Mit Klageschrift vom 08.11.2013, beim Arbeitsgericht München eingegangen am 12.11.2013, beantragte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von variabler Vergütung für 2012 in Höhe von noch 8.166,39 € brutto. Die Klage wurde der Beklagten am 21.11.2013 zugestellt.

Die Beklagte beruft sich darauf, dass die Forderung nach den arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen verfallen sei. In § 14 des Arbeitsvertrages vom 19.04.2011 (Anl. K 1, Bl. 6 ff. d. A.) hatten die Parteien Folgendes vereinbart:

 „§ 14 Ausschlussfristen

Die beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Verlust des Anspruchs. Trotz rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung der Ansprüche verfallen sie, wenn sie bei Ablehnung oder Schweigen durch die Gegenpartei nicht binnen einer Frist von weiteren sechs Monaten ab Geltendmachung eingeklagt wurden.“

Der Kläger hat sich darauf berufen, dass § 167 ZPO auch auf arbeitsvertragliche Ausschlussfristen anzuwenden sei (zum erstinstanzlichen Vortrag des Klägers im Einzelnen wird auf seine Schriftsätze vom 08.11.2013, Bl. 1 ff. d. A., und 07.03.2014, Bl. 43 ff. d. A., samt Anlagen, Bezug genommen).

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verpflichtet, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 8.166,39 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.05.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und die Auffassung vertreten, die §§ 166 ff. ZPO seien jedenfalls nicht auf individualvertraglich vereinbarte Fristen anzuwenden (zum erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten im Einzelnen wird auf ihren Schriftsatz vom 10.02.2014, Bl. 36 ff. d. A., Bezug genommen).

Mit Urteil vom 29.04.2014 gab das Arbeitsgericht der Klage statt. Die zweite Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist sei vom Kläger gewahrt. Zwar trete die Rechtshängigkeit eines Anspruchs gem. §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO erst mit Zustellung der Klageschrift ein. § 167 ZPO, wonach die Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung eintrete, wenn die Zustellung demnächst erfolge, sei aber auch im vorliegenden Fall, in dem es um die Einhaltung einer vertraglichen Ausschlussfrist gehe, anwendbar. Nach dem Gesetzeswortlaut gelte die Vorschrift nicht ausschließlich für gesetzliche und gerichtliche Fristen. Für tarifvertragliche Verfallfristen sei die Anwendung des § 167 ZPO anerkannt. Die Vorschrift des § 167 ZPO sei auf materielle Ausschlussfristen, die durch gerichtliche Geltendmachung gewahrt werden könnten, grundsätzlich anwendbar (zur Begründung des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf das Urteil vom 29.04.2014, Bl. 59 ff. d. A., Bezug genommen).

In ihrer Berufungsbegründung hält die Beklagte daran fest, dass § 167 ZPO bei der zweiten Stufe einer vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist nicht zur Anwendung komme. Das Arbeitsgericht stehe damit im Widerspruch zu einer von ihm selbst zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und auch zu einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln. Das Zustandekommen von tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen sei miteinander nicht vergleichbar. Mit der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag erkläre sich der Arbeitnehmer mit der Ausschlussfrist einverstanden, wohingegen die Existenz tarifvertraglicher Ausschlussfristen in vielen Fällen im Vorfeld nicht bekannt sei. Wie angesichts des Untertitels „Zustellung von Amts wegen“ der §§ 166 - 190 ZPO der Gesetzeswortlaut so gelesen werde, dass nicht nur gesetzliche und gerichtliche Fristen gemeint seien, sei nicht nachvollziehbar (zur Berufungsbegründung der Beklagten im Einzelnen wird auf ihren Schriftsatz vom 16.07.2014, Bl. 75 ff. d. A., Bezug genommen).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 29.04.2014 (Az.: 14 Ca 13434/13) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die von der Beklagten herangezogenen Urteile seien nicht vergleichbar, denn das Bundesarbeitsgericht habe über eine erst nach Ablauf der Ausschlussfrist eingereichte Klage zu entscheiden gehabt und das Landesarbeitsgericht Köln habe ausgeführt, dass § 167 ZPO bei zweistufigen Ausschlussfristen nicht auf die erste Stufe anwendbar sei. In einem aktuellen Urteil wende das Bundesarbeitsgericht § 167 ZPO auf eine einstufige Ausschlussfrist an, umso mehr müsse dessen Anwendbarkeit für die zweite Stufe gelten. Es sei zu berücksichtigen, dass durch die Einhaltung der ersten Stufe das schutzwürdige Vertrauen darauf, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, nicht mehr bestehe (zur Berufungserwiderung des Klägers im Einzelnen wird auf seinen Schriftsatz vom 22.08.2014, Bl. 92 ff. d. A., Bezug genommen).

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung bei der Prüfung, ob die zweite Stufe der von den Parteien in § 14 des Arbeitsvertrages vereinbarten Ausschlussfrist eingehalten ist, § 167 ZPO zur Anwendung gebracht.

1. Soweit die arbeitsvertragliche Klausel in § 14 Satz 3 des Arbeitsvertrages vom 19.04.2011 voraussetzt, dass der Anspruch auf der zweiten Stufe binnen einer Frist von sechs Monaten ab Geltendmachung eingeklagt wird, setzt dies in der Regel voraus, dass der Anspruch rechtzeitig rechtshängig gemacht wird. Die Rechtshängigkeit eines Anspruchs tritt gem. §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift ein.

2. Das Arbeitsgericht hat - was von den Parteien in der Berufungsinstanz nicht mehr in Frage gestellt wird - zutreffend festgestellt, dass die Sechs-Monats-Frist nach § 14 Satz 3 des Arbeitsvertrages mit Ablauf des 17.11.2013 endete.

Zwar wurde die Klage der Beklagten erst am 21.11.2013 zugestellt, die Frist ist dennoch gewahrt. Die Zustellung wirkt nach § 167 ZPO auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klage beim Arbeitsgericht am 12.11.2013 zurück, denn die Zustellung erfolgte „demnächst“ i. S. der Vorschrift. § 167 ZPO gilt auch im Falle einer vertraglich vereinbarten zur Fristwahrung notwendigen Klageerhebung.

a) § 167 ZPO erfasst alle prozessualen und materiellen Fristen, die durch gerichtliche Geltendmachung zu wahren sind. Hierunter fallen zunächst einmal die gesetzlich geregelten Fristen. Es ist anerkannt, dass die Vorschrift auch für die Fristwahrung bei einer tarifvertraglich notwendigen fristgebundenen Klageerhebung gilt (vgl. BAG v. 11.02.2009 - 5 AZR 168/08, Rn. 21).

Strittig ist die Anwendung des § 167 ZPO in Fällen, in denen durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, die auch durch außergerichtliche Geltendmachung gewahrt werden kann. Hierzu wird vertreten, dass, wenn ein Gläubiger die Möglichkeit hat, die Ausschlussfrist auch in anderer Form, z. B. durch einfaches Schreiben, einzuhalten, er aber dennoch die Form der Klage wählt, es zu seinen Lasten geht, wenn eine Klageschrift nicht innerhalb der Ausschlussfrist dem Schuldner zugestellt wurde (vgl. BAG v. 25.09.1996 - 10 AZR 678/95, Rn. 39 für einstufige tarifvertragliche Ausschlussfrist). Demgegenüber geht neuere Rechtsprechung jedenfalls des Bundesgerichtshofs nunmehr auch in diesen Fällen von einer Anwendbarkeit des § 167 ZPO aus. Wer mit der Klage die stärkste Form der Geltendmachung von Ansprüchen wähle, müsse sich darauf verlassen können, dass die Einreichung der Klageschrift die Frist wahre (ausführlich BGH v. 17.07.2008 - I ZR 109/05, Rn. 19 ff.).

b) Von letzterer Konstellation ist die vorliegende Fallgestaltung zu unterscheiden. Die zweite Stufe der Ausschlussfrist gem. § 14 des Arbeitsvertrages konnte der Kläger ausschließlich durch Klageerhebung wahren.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine vertraglich vereinbarte und damit nicht gesetzlich oder tarifvertraglich vorgegebene Frist handelt. Wie die Frist einzuhalten ist, ist deshalb in erster Linie eine Frage der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB (vgl. LAG Köln v. 31.01.2012 - 5 Sa 1560/10, Rn. 58). Wird - wie hier - vertraglich vereinbart, dass die Ansprüche binnen einer bestimmten Frist „eingeklagt“ werden, wird man in aller Regel - d. h. wenn kein abweichender Wille der Parteien erkennbar ist - davon ausgehen müssen, dass die Frist nach der in § 167 ZPO aufgestellten Regel eingehalten werden kann. Die Fristwahrung tritt also mit Eingang der Klage beim Arbeitsgericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Aus einer solchen vertraglichen Regelung ergeben sich vom Standpunkt des objektiven Empfängers keine Anhaltspunkte dafür, dass zwar zur Fristwahrung eine gerichtliche Geltendmachung vorgegeben sein soll, die das Thema Fristwahrung durch Klageerhebung bestehenden prozessualen Vorschriften aber nicht gelten sollen. Sinn und Zweck des § 167 ZPO, eine interessengerechte Regelung dafür zu finden, wenn der Anspruchsteller auf eine Mitwirkung des Gerichts angewiesen ist, gilt bei einer vertraglichen Regelung in gleicher Weise.

c) Die Anwendung der in § 167 ZPO aufgestellten Regel widerspricht auch nicht, wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung argumentiert, den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 18.11.2004 (6 AZR 651/03) und des Landesarbeitsgerichts Köln vom 31.01.2012 (5 Sa 1560/10).

Dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.11.2004 lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Antrag erst nach Ablauf der Ausschlussfrist bei Gericht einging (vgl. Rn. 31). Nach dem Landesarbeitsgericht Köln (aaO) kommt § 167 ZPO auf der „ersten Stufe“ einer vertraglich geregelten zweistufigen Ausschlussfrist nach Auslegung in aller Regel nicht zur Anwendung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird für die Beklagte nach § 72 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.



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