Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss vom - Az: 7 TaBVGa 1219/14

Zur Untersagung einer Betriebsänderung wegen fehlender Interessenausgleichsverhandlungen

1. Ein Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung einer Betriebsänderung dient nur der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs für den Interessenausgleich, nicht losgelöst hiervon, der Untersagung der Betriebsänderung selbst.

2. Durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung können nur solche Maßnahmen des Arbeitgebers untersagt werden, die den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats rechtlich oder faktisch in Frage stellen (hier verneint).
(Leitsätze)

Vorliegend wird der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats deswegen verneint, weil von der geplanten Betriebsänderung nur eine kleine, umkehrbare Teilmaßnahme durchgeführt werden soll. Konkret möchte der Arbeitgeber zwei Betriebsstandorte mit insgesamt 323 Mitarbeitern zusammenlegen, wobei Streitgegenstand die Versetzung von 20 Mitarbeitern ist. Der Betriebsrat habe hier noch immer alle Optionen zur Verwirklichung seines Verhandlungsanspruchs betreffend eines Interessenausgleichs, so das Gericht.

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Juni 2014 - 8 BVGa 8228/14 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Der Antragsstellende Betriebsrat begehrt zur Sicherung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Einsatz von 20 namentlich benannten Mitarbeitern, die die Arbeitgeberin im Rahmen einer geplanten Zusammenlegung ihrer beiden Berliner Betriebsstätten in S. und Alt-T. mit derzeit 323 Mitarbeitern ab dem 1.7.2014 an dem neuen Standort in Berlin-A. einsetzen will, untersagt werden soll.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13. Juni 2014 ohne mündliche Verhandlung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen diesen dem Betriebsrat am 17.06.2014 zugestellten Beschluss richtet sich seine Beschwerde, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 17.06.2014 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und begründet hat. Der Betriebsrat hält den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung zur Sicherung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich für erforderlich.

Der Betriebsrat beantragt, ohne mündliche Anhörung, hilfsweise unter Abkürzung der Ladungs- und Einlassungsfristen im Wege des Erlasses einer einstweiligen Verfügung,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichtes Berlin vom 13.05.2014 zum Az. 8 BVGa 8228/14 der Beteiligten zu 2 aufzugeben, es zu unterlassen, folgende Mitarbeiter am Standort „Am St. 16“ in Berlin-A. auf Grundlage einer direktionsrechtlichen Weisung einzusetzen bzw. die Tätigkeit folgender Mitarbeiter an diesem Standort zu dulden, bis die Verhandlungen (im Rahmen eines möglichen Einigungsstellenverfahrens) über den Abschluss eines Interessenausgleichs durch Abschluss eines Interessenausgleichs oder im Rahmen der Verhandlungen in einer Einigungsstelle endgültig gescheitert sind: ..........

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde des Antragsstellers zurückzuweisen.

2. Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig, indes unbegründet. Seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung konnte nicht entsprochen werden.

2.1 Die Beschwerde ist zulässig. Das als Beschwerde im Beschlussverfahren bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 85 Abs. 2, § 567 ZPO statthaft. Da das Arbeitsgericht ohne mündliche Verhandlung den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen hat, war gegen diese Entscheidung gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG, § 567 ZPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben (Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 8. Auflage 2013, § 85 Rz. 48). Sie ist form- und fristgerecht gemäß § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt und begründet worden.

In Anbetracht der dem einstweiligen Verfügungsverfahren innewohnenden Eilbedürftigkeit, die durch den Antrag beider Seiten auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unterstrichen wird, und der Einlegung der Beschwerde unmittelbar beim Landesarbeitsgericht, hat das Beschwerdegericht von einer Vorlage zur Prüfung einer Abhilfeentscheidung abgesehen (vgl. LAG Hamm Beschluss v. 20.09.2006 - 10 Ta 294/06 - in juris; Zöller ZPO § 572 Rz. 4). Die Durchführung des Nichtabhilfeverfahrens ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Beschwerdeentscheidung.

2.2 Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Betriebsrat steht im vorliegenden Fall der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den von der Arbeitgeberin geplanten Einsatz von 20 Arbeitnehmern am neuen Standort nicht zu.

2.2.1 Ob dem Betriebsrat ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich zusteht oder ob im Rahmen des § 111 BetrVG ein Unterlassungsanspruch bereits vom Grundsatz her nicht in Betracht kommt, ist umstritten. Zum Teil wird ein solcher Anspruch wegen der fehlenden gesetzlichen Regelung und unter Hinweis auf den Nachteilsausgleich in § 113 BetrVG verneint. Nach einer anderen Auffassung steht dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung bis zum Zustandekommen oder endgültigen Scheitern eines Interessenausgleichs zu (LAG Hamm v. 20.04.2012 - 10 TaBVGa 3/12 - juris mit ausführlichen Nachweisen zum Streitstand; LAG Berlin v. 07.09.1995 - 10 TaBV 5 und 9/95 - NZA 1996, 1284). Begründet wird dies mit dem Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nach § 112 BetrVG hinsichtlich eines Interessenausgleichs. Da nach Abschluss der Betriebsänderung Ansprüche des Betriebsrats auf Durchführung von Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs nicht mehr gegeben seien, müsse dem Betriebsrat zur Realisierung des Verhandlungsanspruchs ein Anspruch dahingehend zustehen, dass der Arbeitgeber nicht durch einseitige Handlungen diese Position des Betriebsrats, die ihm der Verhandlungsanspruch einräume, zunichte mache (LAG Berlin v. 07.09.1995 - NZA 1996, 1284). In diesem Sinne hat auch das LAG Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 12.12.2013 - 17 TaBVGa 2058/13 zur Sicherung der Unterrichtungs- und Beratungsansprüche des Betriebsrats nach § 111 BetrVG eine einstweilige Verfügung zur Untersagung von Kündigungen für möglich erachtet, den Anspruch des Betriebsrats im konkreten Fall indes verneint, weil seine Unterrichtungs- und Beratungsansprüche nicht gefährdet seien. Nach LAG Hamm (Beschluss v. 20.04.2012 - 10 TaBVGa 3/12 - juris) korrespondiert mit dem Verhandlungsanspruch des Betriebsrats bei einer Betriebsänderung ein Unterlassungsanspruch, der sich gegen jede einseitige Durchführung der Betriebsänderung richten soll.

2.2.2 Im Streitfall kann dahinstehen, welcher Auffassung zu folgen ist. Denn auch wenn mit den Entscheidungen des LAG Berlin bzw. LAG Berlin-Brandenburg und dem LAG Hamm ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats grundsätzlich zu bejahen wäre, liegen die Voraussetzungen eines solchen im Streitfall nicht vor. Nach den obigen Grundsätzen dient der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats nur der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs, nicht aber losgelöst hiervon, der Untersagung der Betriebsänderung selbst. Mithin können durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung nur solche Maßnahmen des Arbeitgebers untersagt werden, die den Verhandlungsanspruch des Betriebsrats rechtlich oder faktisch in Frage stellen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn wegen der Schaffung eines fait accompli die Position des Betriebsrats substantiell beeinträchtigt würde.

Dies ist bei der hier im Streit stehenden Maßnahme des Arbeitgebers, Umsetzung von im Antrag namentlich benannten 20 Arbeitnehmern an den neuen Standort, nicht der Fall. Diese Maßnahme stellt für sich genommen keinen Akt dar, der die vorgenannten Voraussetzungen erfüllen würde. Es handelt sich nur um eine geringe Zahl der von der geplanten Betriebsänderung insgesamt betroffenen Arbeitnehmer und die Maßnahmen sind auch nicht unumkehrbar. Der Bestand der Arbeitsverhältnisse wird nicht tangiert. Auch wenn die Umsetzung Teil der von der Arbeitgeberin insgesamt geplanten Betriebsänderung ist, erlöschen die Rechte des Betriebsrats mit der Durchführung dieser Maßnahme nicht. Der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats lässt sich immer noch mit allen Optionen verwirklichen. Der Arbeitgeber lehnt Verhandlungen über einen Interessenausgleich auch nicht etwa generell ab, sondern hat den Betriebsrat zu solchen Verhandlungen mindestens seit dem 09.04.2014, nach seinen Behauptungen sogar schon im März 2014, aufgefordert und mittlerweile auch einen entsprechenden Antrag beim Arbeitsgericht nach § 98 ArbGG gestellt.

Auch eine an der Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft orientierte Auslegung der §§ 111 BetrVG erfordert keine weitergehenden Unterlassungsansprüche. Diese Richtlinie betrifft die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer. Darauf sind die in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie angesprochenen Sanktionen bezogen. Dem wird ein die Rechte des Betriebsrats nach §§ 111, 112 BetrVG sichernder Unterlassungsanspruch gerecht Darüber hinaus gehende Unterlassungsansprüche sind dem Gesetzgeber vorbehalten.

2.3 Aus diesen Gründen war der Antrag des Betriebsrats auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen. Auf die von der Arbeitgeberin in ihrer erstinstanzlichen Schutzschrift und in ihrer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren angesprochenen Frage, welche Bedeutung der zwischen den Beteiligten im Rahmen der seit 2012 verhandelnden Einigungsstelle mit der Thematik „Anforderungen an die Planung, Gestaltung und Ausstattung von Arbeitsstätten für Büroarbeitsplätze“ abgeschlossene Betriebsvereinbarung mit den Regelungen zur Einigungsstelle und dem Zeitablauf zwischen der arbeitgeberseitigen Aufforderung zu Verhandlungen und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beizumessen ist (vgl. zum fehlenden Verfügungsgrund durch Zeitablauf LAG Hessen vom 18.01.2011 - 4 Ta 487/10 - juris), kam es nicht an.

3. Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende allein getroffen werden (§ 78 Satz 3 ArbGG). Einer Kostenentscheidung bedurfte es im Beschlussverfahren nicht.

4. Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 92 Abs. 1 Satz 3, § 85 Abs. 2 ArbGG).



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