Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern

- Az: 3 Sa 135/22

Zurückgelassener Büroschlüssel und aufgeräumtes Arbeitszimmer begründen keine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist dann erschüttert, wenn nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers belastbare Tatsachen vorhanden sind, die erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers belegen.
(Leitsatz des Gerichts)

2. Ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung resultieren nicht allein daraus, dass das Büro des erkrankten Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Krankmeldung aufgeräumt war, der Büroschlüssel bzw. der Schlüssel für den medizinischen Aktenschrank zurückgelassen wurde und das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Donnerstag attestiert war. Hierbei handelt es sich um objektiv mehrdeutig plausibel erklärbare Sachverhalte.
(Orientierungssatz des Gerichts)

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 30.08.2022 - 2 Ca 98/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte für die Zeit vom 14.03.2022 - 31.03.2022.

Der Kläger war in der Zeit vom 15.02.2021 - 31.03.2022 bei der Beklagten als Assistenzarzt gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.500,00 € beschäftigt. Für den Monat März 2022 rechnete die Beklagte zu Gunsten des Klägers einen anteiligen "Festbezug Lohn/Gehalt" in Höhe von 1.887,10 € brutto ab. Zudem findet sich in der entsprechenden Gehaltsabrechnung (Bl. 11 d.A.) folgende Formulierung:

"Unterbrechung: 14. - 31.03.2022; unbezahlte Fehlzeit".

Mit Schreiben vom 28.02.2022 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.03.2022. Nach Erklärung der Eigenkündigung am 28.02.2022 kam der Kläger weiterhin seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nach. Am 11.03.2022 (Freitag) hatte der Kläger einen Tag Urlaub. Am vorhergehenden Donnerstag hatte der Kläger die Büroschlüssel sowie den Schlüssel zum medizinischen Aktenschrank auf seinem Schreibtisch liegen lassen. Private Gegenstände des Klägers befanden sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seinem Büro. Am 14.03.2022 meldete sich der Kläger krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.03.2022 ab, welche eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 31.03.2022 (Donnerstag) bescheinigte (Bl. 10 d.A.). Anlässlich eines Telefonates am 15.03.2022 teilte der Kläger der Chefsekretärin mit, dass sich seine Büroschlüssel und sein Schlüssel zum medizinischen Aktenschrank in seinem Büro befänden.

Das Büro des Klägers lässt sich nur von außen mit einem Schlüssel öffnen. Zugänglich ist dieses Büro außerdem für die bei der Beklagten beschäftigten Ärzte sowie für die Chefsekretärin. Die bei der Beklagten eingesetzten Reinigungskräfte besitzen keinen Schlüssel für dieses Büro, erhalten jedoch zum Zweck der Reinigung der Büros gegebenenfalls Zutritt durch Dritte.

Mit seiner am 16.05.2022 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.250,00 € brutto für die Zeit vom 14.03.2022 - 31.03.2022 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2022.

Mit Urteil vom 30.08.2022 hat das Arbeitsgericht der Klage vollumfänglich stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch beruhe auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Der Kläger habe die Erkrankung ordnungsgemäß durch eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegt. Die Beklagte habe keine hinreichenden Umstände vorgetragen, die ernsthafte Zweifel an dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätten belegen können.

Gegen diese am 05.09.2022 zugestellte Entscheidung richtete sich die am 13.09.2022 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung der Beklagten nebst der am 28.09.2022 eingegangenen Berufungsbegründung.

Die Beklagte hält an ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung fest. Bereits auf der Grundlage des unstreitigen Vortrages der Parteien sei von der Erschütterung des Beweiswertes der von dem Kläger abgereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszugehen. Diesen Umstand habe das erstinstanzliche Gericht unter Überschreitung der Möglichkeiten zur freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO verkannt. Zwar habe das Arbeitsgericht die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zutreffend wiedergegeben. Jedoch sei das erstinstanzliche Gericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, der Beweiswert der von dem Kläger abgereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht erschüttert. So sei unberücksichtigt geblieben, dass das Ende der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausweislich der abgereichten Bescheinigung - insoweit unstreitig - auf den 31.03.2022 und mithin auf einen Donnerstag datiert sei. Dies sei völlig unüblich. Soweit die Beklagte bestreite, dass der Kläger persönlich bei dem die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellenden Arzt vorstellig geworden sei, handele es sich keinesfalls um ein Bestreiten "ins Blaue" hinein. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass zum streitgegenständlichen Zeitraum auch eine telefonische Krankschreibung möglich gewesen sei. Außer Betracht gelassen habe das Arbeitsgericht auch die Tatsache, dass das Arbeitszimmer des Klägers vollständig aufgeräumt gewesen sei und sich weder dienstliche noch private Gegenstände - insoweit unstreitig - in dem Zimmer befunden hätten. Schließlich sei erstinstanzlich der Umstand der durch den Kläger am letzten Arbeitstag hinterlassenen Büroschlüssel rechtsfehlerhaft bewertet worden. Insgesamt seien mithin hinreichende Tatsachen bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt zu Gunsten der Beklagten gegeben (zurückgelassene Büroschlüssel; aufgeräumtes Dienstzimmer; Ende der Erkrankung Donnerstag 31.03.2022), wonach unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von einer Erschütterung der durch den Kläger abgereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgegangen werden müsse.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung kostenpflichtig abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, er sei in der Zeit vom 14.03.2022 - 31.03.2022 aufgrund der Diagnose Rückenschmerzen M54.19G (Radikulopathie: Nicht näher bezeichnete Lokalisation) arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Dies habe sein Hausarzt anlässlich der Untersuchung am 14.03.2022 auch so festgestellt. Bei dem Krankheitsbild des Klägers habe es sich um ein pseudoradikuläres Syndrom gehandelt, welches sich als psychosomatische Reaktion dargestellt habe. Dies könne der Hausarzt des Klägers im Rahmen der insoweit von dem Kläger erklärten Entbindung von der Schweigepflicht auch bestätigen. Der Beweiswert der von seinem Hausarzt erteilten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei keinesfalls erschüttert. Private Gegenstände habe er in seinem Zimmer bereits deshalb nicht hinterlassen, weil auch andere Personen (unstreitig im Hinblick auf das ärztliche Personal und auf die Chefsekretärin) Zugang zu seinem Büro gehabt hätten. Außerdem sei er ein Mann, der keine privaten Gegenstände in seinem Büro benötige. Dies gelte erst recht vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis nur ca. ein Jahr bestanden habe. Er habe zu keinem Zeitpunkt überhaupt private Gegenstände in sein Büro bei der Beklagten verbracht. An dem Donnerstag habe er seine Büroschlüssel im Büro schlicht vergessen. Dies sei immer mal wieder passiert und zwar auch anderen Kolleginnen und Kollegen. Auch sei es völlig normal gewesen, dass sich in seinem Büro keine Patientenakten mehr befunden hätten. Zum einen sei er ohnehin immer bemüht gewesen, diesbezüglich tagfertig zu sein. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der ihm vorgesetzte Arzt ebenfalls habe Urlaub nehmen wollen. Um einen geordneten Übergang zu gewährleisten, sei es im Hinblick auf sein Ausscheiden zum 31.03.2023 erforderlich gewesen, die Patientenakten zu fertigen und seinem Chef zur Verfügung zu stellen.

Zur weiteren Begründung beruft sich der Kläger auf eine von ihm abgereichte Stellungnahme seines Hausarztes, die - soweit hier von Bedeutung - wie folgt lautet:

"M. H. W. S. S. H.

Zur Vorlage zum Praxisbesuch

am 14.3.2022

S. H., 22.08.2022

Betr. des Patienten

Herr l. A.

geb. am 24.08.1993

F.

17459 Ückeritz

Der o.g. Pat. stellte sich am 14.3.2022 in unserer Praxis vor.

Der Pat. ist seit dem 1.11.2021 in unserer Praxis bekannt (Hausarzt).

Laut Computerdokumentation war er in meiner Sprechstunde von 11.06 Uhr bis 11.36 Uhr

Er gab ein lumbales Schmerzsyndrom an.

Dieses war begleitet von massiven muskulären Verspannungen mit einem unklarem pseudoradikulären Syndrom, welche auf eine psychosomatische Provokation hinwiesen.

Bei genauer Anamnese ergab es eine arbeitsbedingte Belastung/Konfliktsituation, wobei diese Stresssituation als Provokation angenommen wurde.

Infolge des pseudoradikulären Syndroms und der Anamnese war von einer psychosomatische Reaktion auszugehen. Dem Pat. wurde zur Verhinderung der Verschlimmerung der Symptomatik eine Arbeitsunfähigkeit vom 14.3.-31.3.2022 ausgestellt.

Und ihm wurde nach einer psychosomatischen Beratung eine Klärung der arbeitsbedingten Situation empfohlen. Im Gespräch kristallisierte sich heraus, dass er dieses schon in Angriff genommen hatte.

Mit freundlichen Grüßen"

Diesbezüglich repliziert die Beklagte, dass das vorgelegte Schreiben des Hausarztes nicht geeignet sei, die angebliche Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu beweisen. Aus der schlecht leserlichen Kopie ergebe sich nicht, an wen dieses Schreiben gerichtet sei und für welchen Zweck es erstellt worden sei. Es werde bestritten, dass es den Behandlungsverlauf korrekt wiedergebe. Es erschöpfe sich in der Beschreibung der Angaben des Klägers, ohne eine konkrete Diagnose und Vorgaben zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu machen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige und insbesondere form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

I.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Arbeitsgericht rechtsfehlerfrei einen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 14.03.2022 - 31.03.2022 bejaht. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch resultiert aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (1.). Auf der Grundlage des gegebenen Sach- und Streitstandes ergeben sich zudem keine ernsthaften Zweifel an der in der Arbeitsunfähigkeit vom 14.03.2022 durch den Hausarzt des Klägers festgestellten Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 14.03.2022 - 31.03.2022 (2.).

1.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Diesbezüglich trägt der sich auf diesen Anspruch berufende Arbeitnehmer nach den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast. Gemäß § 5 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Ziffer 1 EFZG kommt der Arbeitnehmer den benannten Verpflichtungen in der Regel dadurch nach, dass er dem Arbeitgeber eine entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze hat der Kläger vorliegend auf der ersten Stufe ausreichend und anspruchsbegründend einen entsprechenden Entgeltfortzahlungsanspruch dargelegt, indem er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines Hausarztes vom 14.03.2022 der Beklagten mit einem Krankschreibungszeitraum vom 14.03.2022 - 31.03.2022 vorgelegt hat.

2.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergeben sich unter Berücksichtigung des gegebenen Sach- und Streitstandes und bei notwendiger Würdigung des wechselseitigen Parteivortrages gemäß § 286 ZPO keine hinreichenden im Sinne von ernsthaften Zweifel an der hier in Rede stehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Hausarzt des Klägers.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern kann, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Zudem ist mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass der Arbeitgeber diesbezüglich nicht auf die in § 275 Abs. 1a SGB V ausgeführten Regelbeispiele beschränkt ist, sondern sich ernsthafte Zweifel auch darüber hinaus nach dem gesamten Vortrag der Parteien ergeben können (BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21 - Rn. 13, juris). Im Zuge der diesbezüglich näheren Ausformung der wechselseitigen Darlegungslast der Parteien ist zu beachten, dass der Arbeitgeber grundsätzlich keine Kenntnis von den genauen Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, die Tatsachen zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Mithin muss der Arbeitgeber gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem Beweis des Gegenteils zugänglich sind (BAG vom 08.09.2021, a.a.O., Rn. 14, juris).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Voraussetzungen lassen sich ernsthafte Zweifel an der hier vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht feststellen.

a)

Soweit die Beklagte meint, aus dem Umstand des "aufgeräumten Büros" bestünden Zweifel an der vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen. Diesbezüglich hat bereits die I. Instanz zutreffend darauf hingewiesen, dass es keineswegs unüblich ist, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf eine Ausstattung des Arbeitsplatzes mit persönlichen Gegenständen verzichten. Hinzu kommt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 08.02.2023 sehr authentisch und für die Kammer glaubwürdig geschildert hat, weshalb für ihn persönlich eine Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit persönlichen Gegenständen nicht nur entbehrlich, sondern grundsätzlich nicht erforderlich ist. Auch hat der Kläger schriftsätzlich und mündlich plausibel dargestellt, dass für ihn das Mitbringen von persönlichen Gegenständen von vornherein nicht in Frage gekommen ist, weil - insoweit jedenfalls teilweise unstreitig im Hinblick auf Ärzteschaft und Chefsekretärin - andere Personen auch ohne sein Beisein Zutritt zu seinem ehemaligen Büro gehabt hätten. Diesem nachvollziehbaren Vortrag ist die Beklagte auch nicht substanziell entgegengetreten. So trägt die Beklagte zwar vor, das Büro des Klägers habe einen "aufgeräumten Eindruck" gemacht. Jedoch trägt die Beklagte noch nicht einmal vor, dass sich zu einem früheren Zeitpunkt tatsächlich persönliche Gegenstände des Klägers in dessen Büro befunden hätten.

b)

Auch das Zurücklassen der Büroschlüssel bzw. der Schlüssel für den medizinischen Aktenschrank, begründen keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auch insoweit hat der Kläger authentisch und für die Kammer plausibel vorgetragen, dass er den Büroschlüssel schlicht vergessen habe. Diesbezüglich hat der Kläger nachvollziehbar ausgeführt, dass die Büroschlüssel ständig genutzt werden müssten und es immer wieder - auch anderen Kolleginnen und Kollegen - einmal passiert sei, dass Büroschlüssel in den jeweiligen Büros vergessen würden. Dem steht auch nicht entgegen, dass - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 08.02.2023 vorgetragen hat - zum Feierabend hinreichend anderes ärztliches Personal zur Verfügung gestanden hätte, um dem Kläger die Tür noch einmal aufzuschließen. Denn insoweit hat der Kläger wiederum plausibel vorgetragen, dass er vorgehabt habe, sich die Bürotür am 14.03.2022 aufschließen zu lassen und dies auch problemlos möglich gewesen wäre.

c)

Soweit die Beklagte meint, dass attestierte Ende der Arbeitsunfähigkeit auf den 31.03.2022 (Donnerstag) belege ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so vermag die Kammer dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass in der Regel mehrtägige bzw. mehrwöchige Krankschreibungen jeweils freitags enden. Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers es plausibel erscheint, dass ein Arbeitnehmer im Falle des Beginns eines neuen Arbeitsverhältnisses auf eine Verkürzung des Krankheitszeitraumes gegenüber seinem Arzt drängt, um den Bestand des neuen Arbeitsverhältnisses nicht von vornherein zu gefährden.

d)

Soweit die Beklagte vermutet, der Kläger habe sich bei seinem Hausarzt gar nicht vorgestellt, sondern möglicherweise eine telefonische Krankschreibung erreicht, so kann sie mit diesem Vortrag jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 08.02.2023 nicht - mehr - gehört werden. Denn ausweislich der von dem Kläger abgereichten Bescheinigung seines Hausarztes hat sich der Kläger in der Praxis des Hausarztes persönlich am 14.03.2022 in der Zeit von 11:06 Uhr - 11:36 Uhr vorgestellt. Diesem konkretisierenden Vortrag ist die Beklagte weder mit Schriftsatz vom 07.02.2023 noch in der mündlichen Verhandlung vom 08.02.2023 entgegengetreten.

e)

Auch im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des gegebenen Sach- und Streitstandes ergeben sich keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14.03.2022.

Zwar kann die Kammer nachvollziehen, dass angesichts des gegebenen Sachverhalts insbesondere vor dem Hintergrund der subjektiven Betroffenheit bei der Beklagten Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Klägers gereift sind. Jedoch kann diese subjektive Betrachtung nicht den entscheidungserheblichen Maßstab darstellen. Vielmehr ist es erforderlich, dass nach Maßgabe eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare Tatsachen feststellbar und gegebenenfalls beweisbar sind, die ein Ergebnis der ernsthaften Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tragen können. Liegen dagegen hingegen - wie hier - lediglich objektiv mehrdeutig plausibel erklärbare Sachverhalte vor, so sind diese - jedenfalls grundsätzlich - nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne der zitierten Rechtsprechung begründen zu können.

Nach alledem ist wie erkannt zu entscheiden.

II.

Da die Berufung erfolglos geblieben ist, hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.



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