Bundesarbeitsgericht
Urteil vom - Az: 5 AZR 298/15
Entgeltfortzahlung in der Kur
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. März 2015 - 10 Sa 1005/14 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anrechnung einer ambulanten Kur auf den Urlaub.
Die 1958 geborene Klägerin ist seit 2002 beim beklagten Land als Köchin beschäftigt und wird bei der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen eingesetzt. Sie erhält Vergütung nach Entgeltgruppe 7 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2013 erteilte die AOK Niedersachsen der Klägerin eine Kostenzusage für eine dreiwöchige ambulante Vorsorgekur auf der Insel L. Die Krankenkasse übernahm die kurärztliche Behandlung auf Badearztschein und 90 % der Kosten der Kuranwendungen. Die sonstigen Kosten bezuschusste sie mit 13,00 Euro täglich. Nachdem das beklagte Land sich weigerte, der Klägerin für die vorgesehene Maßnahme Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung zu erteilen, beantragte sie für den Zeitraum der Kur Urlaub. Dieser wurde ihr bewilligt.
Vom 4. bis zum 24. Oktober 2013 kurte die Klägerin auf der Insel L. Im dortigen Kur- und Wellnesscenter erhielt sie - nach ihrem Vorbringen - 30 Anwendungen, nämlich je sechs Meerwasserwarmbäder, Bewegungsbäder, Massagen, Schlickpackungen und Lymphdrainagen. Außerdem sollte sie täglich in der Brandungszone inhalieren.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 reklamierte die Klägerin einen Resturlaubsanspruch für dieses Jahr im Umfang der für die Kur eingebrachten Tage. Dies lehnte das beklagte Land ab.
Mit der am 18. Februar 2014 eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, bei der ambulanten Kur auf der Insel L habe es sich um eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge iSd. § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG gehandelt. Der genommene Urlaub dürfe nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden. Zudem habe das beklagte Land sie für die Dauer der Kur unter Fortzahlung der Vergütung nach § 29 Abs. 1 lit. f TV-L freistellen müssen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihr 15 Tage restlichen Urlaub für das Kalenderjahr 2013 zu gewähren.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, eine medizinische Notwendigkeit für die Maßnahme sei nicht erkennbar und von der Klägerin nicht dargelegt. Zudem sei die Kur nicht in einer Einrichtung nach § 107 Abs. 2 SGB V durchgeführt worden und habe einen urlaubsmäßigen Zuschnitt gehabt. Der Freistellungsanspruch des § 29 Abs. 1 lit. f TV-L umfasse nicht ambulante Kuren.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der Feststellungsantrag ist als sog. Elementenfeststellungsklage (zu deren Voraussetzungen etwa BAG 25. März 2015 - 5 AZR 874/12 - Rn. 13 ff. mwN) zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, weil durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der (alleinige) Streit der Parteien darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin für das Kalenderjahr 2013 weitere 15 Tage Urlaub zu gewähren, endgültig beigelegt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt wird.
Zudem wäre eine Leistungsklage auf Gewährung von (weiterem) Urlaub weder prozesswirtschaftlicher als die Feststellungsklage noch wäre sie der Klägerin zumutbar (vgl. im Einzelnen BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 13 ff., BAGE 137, 328).
II. Die Klage ist unbegründet. Der Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2013 ist durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).
1. § 29 Abs. 1 lit. f TV-L stützt das Klagebegehren nicht. Die Tarifnorm gewährt weder einen (zusätzlichen) Urlaubsanspruch noch verbietet sie die Anrechnung von Urlaub auf den Urlaubsanspruch für Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation.
a) § 29 Abs. 1 TV-L benennt verschiedene Anlässe, die - abschließend - als vorübergehende Verhinderung iSd. § 616 Satz 1 BGB gelten (BAG 5. August 2014 - 9 AZR 878/12 - Rn. 19, BAGE 149, 32; zur Abdingbarkeit des § 616 BGB vgl. nur ErfK/Preis 16. Aufl. § 616 BGB Rn. 13; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 616 Rn. 66, jeweils mwN). Ist der Beschäftigte aus den dort genannten Gründen an der Arbeitsleistung verhindert, erhält ihm die Tarifnorm - wie § 616 Satz 1 BGB - trotz Nichtarbeit den Vergütungsanspruch.
Aufgrund des genommenen Urlaubs war die Klägerin für die Dauer der ambulanten Kur nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet, sie erlitt auch keinen Verdienstausfall. Eine - wie auch immer geartete - „nachträgliche Freistellung“ sieht die Tarifnorm nicht vor.
b) Außerdem erfasst § 29 Abs. 1 lit. f TV-L nur eine ärztliche Behandlung, die während der Arbeitszeit erfolgen muss, einschließlich erforderlicher Wegezeiten. Dazu zählen nach der Niederschriftserklärung zu § 29 Abs. 1 lit. f TV-L die ärztliche Untersuchung und die ärztlich verordnete Behandlung, nicht aber Maßnahmen der medizinischen Vorsorge im Rahmen einer Kur. § 29 Abs. 1 TV-L konkretisiert lediglich § 616 Satz 1 BGB. Wie bei diesem bleibt deshalb für die Anwendung der Tarifnorm bei Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation neben den leges speciales § 9 EFZG und § 10 BUrlG kein Raum (vgl. ErfK/Reinhard 16. Aufl. § 9 EFZG Rn. 2; HWK/Krause 7. Aufl. § 616 BGB Rn. 5, 20 f.; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 616 Rn. 6).
2. § 10 BUrlG, der bestimmt, dass Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nicht auf den Urlaub angerechnet werden dürfen, soweit ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht, hinderte die wirksame Gewährung von Urlaub in der Zeit vom 4. bis zum 24. Oktober 2013 nicht. Die ambulante Kur auf der Insel L löste einen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aus. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG haben Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse als gesetzlich Versicherte Anspruch auf Entgeltfortzahlung für eine Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, die ein Träger der gesetzlichen Renten-, Kranken- oder Unfallversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger bewilligt hat und die in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.
a) Die AOK Niedersachsen hat zwar der Klägerin mit Schreiben vom 2. Juli 2013 eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge bewilligt. Dazu zählen auch ambulante Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten. Nach der Streichung des Wortes „stationär“ in § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG aF durch Art. 38 des Begleitgesetzes zum SGB IX vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046) erfasst die Vorschrift auch ambulante Maßnahmen iSd. § 23 Abs. 2 SGB V (vgl. ErfK/Reinhard 16. Aufl. § 9 EFZG Rn. 10; HWK/Schliemann 7. Aufl. § 9 EFZG Rn. 6; Schmitt EFZG 7. Aufl. § 9 Rn. 16, jeweils mwN).
b) Doch setzt § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG für den Entgeltfortzahlungsanspruch weiter voraus, dass die Maßnahme in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Daran mangelt es im Streitfall. Das Kur- und Wellnesscenter L ist keine Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung iSd. § 107 Abs. 2 SGB V. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG aF verweist das Gesetz mit der Formulierung „Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation“ auf die Begriffsbestimmung in § 107 Abs. 2 SGB V (BAG 19. Januar 2000 - 5 AZR 685/98 - zu I 2 b cc der Gründe, BAGE 93, 205). Daran hat der Gesetzgeber bei der Streichung des Erfordernisses der stationären Durchführung der Maßnahme festgehalten, ohne den Begriff der Einrichtung abweichend zu bestimmen und die Rechtsprechung zu korrigieren. Die Änderung stehe lediglich, so die Gesetzesbegründung, im Zusammenhang mit § 45 SGB IX und § 20 SGB VI, die künftig während der Ausführung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gegen die Rentenversicherungsträger einen Anspruch auf Übergangsgeld vorsehen würden, unabhängig davon, ob die Leistung stationär oder ambulant erbracht werde (BT-Drs. 14/5074 S. 127).
Der Gesetzgeber hat - anders als in § 9 Abs. 1 Satz 2 EFZG - auch nicht die Durchführung der Maßnahme in einer „vergleichbaren Einrichtung“ genügen lassen. Damit fehlt ein Anhaltspunkt dafür, das Gesetz wolle den Begriff der Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation in § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG anders verstanden wissen als er in § 107 Abs. 2 SGB V krankenversicherungsrechtlich definiert ist. Vielmehr erlaubt Satz 2 den Umkehrschluss für Satz 1.
Deshalb löst eine ambulante Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nur dann einen Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers aus, wenn sie in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung iSd. § 107 Abs. 2 SGB V durchgeführt wird (im Ergebnis ebenso ErfK/Reinhard 16. Aufl. § 9 EFZG Rn. 11; HWK/Schliemann 7. Aufl. § 9 EFZG Rn. 6; Staudinger/Oetker 2011 § 616 Rn. 267; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 99 Rn. 9; Schmitt EFZG 7. Aufl. § 9 Rn. 29 ff.; Kittner/Zwanziger/Deinert/Stumpf 8. Aufl. § 39 Rn. 333; Treber EFZG 2. Aufl. § 9 Rn. 25; Vogelsang EFZG Rn. 746).
bb) Dem steht nicht entgegen, dass die Maßnahme seit der Änderung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht mehr stationär durchgeführt werden muss. Damit entfiel lediglich das Erfordernis, in der Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation untergebracht und verpflegt zu werden, nicht jedoch, sich dort behandeln zu lassen.
3. Fehlt es schon an einem anderen Erfordernis des § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob im Streitfall ein Entgeltfortzahlungsanspruch auch deshalb ausscheidet, weil die Durchführung der ambulanten Kur - wie das beklagte Land vorbringt - die Lebensführung der Klägerin während ihres Aufenthalts auf der Insel L nicht maßgeblich gestaltet, sondern urlaubsähnlichen Charakter gehabt haben soll (vgl. BAG 19. Januar 2000 - 5 AZR 685/98 - BAGE 93, 205; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 99 Rn. 9).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.