Bundesarbeitsgericht

Beschluss vom - Az: 7 ABR 58/03

Entsendung von BR-Mitgliedern in Gesamtbetriebsrat - Mehrheitsbeschluss statt Verhältniswahl

1. Der Betriebsrat entscheidet über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs 2 BetrVG durch Geschäftsführungsbeschluss mit einfacher Stimmenmehrheit nach § 33 Abs 1 BetrVG.
2. Die Verhältniswahl ist kein allgemeines Prinzip der Betriebsverfassung. Sie ist auch nicht aus Gründen des Minderheitenschutzes bei der Entscheidung des Betriebsrats über die Entsendung von Mitgliedern in den Gesamtbetriebsrat geboten. (Leitsätze)

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 10. Juli 2003 - 9 TaBV 114/02 - werden zurückgewiesen.

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Beschlüssen des Betriebsrats über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat.

Die Antragsteller zu 1) und 2) sind Mitglieder des zu 3) beteiligten Betriebsrats, der im Mai 2002 im Betrieb K der zu 4) beteiligten Arbeitgeberin gewählt wurde. Der Beteiligte zu 5) ist der Gesamtbetriebsrat. Die Beteiligten zu 6) bis 11) sind die in den Gesamtbetriebsrat als Mitglieder oder Ersatzmitglieder entsandten Betriebsratsmitglieder.

Der Betriebsrat besteht aus 11 Mitgliedern, von denen sieben auf der Liste Transnet-GdED und vier - darunter die Beteiligten zu 1) und 2) - auf der Liste GDL/GDBA kandidiert hatten.

Auf der Sitzung des Betriebsrats vom 28. Mai 2002 wurde ua. die Entsendung von zwei Mitgliedern in den Gesamtbetriebsrat beschlossen. Dabei stellte der Beteiligte zu 1) den Antrag, über die Entsendung im Wege der Verhältniswahl abzustimmen. Der Antrag wurde mit sieben Nein- bei vier Ja-Stimmen abgelehnt. Sodann wurden Betriebsratsmitglieder namentlich für die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat vorgeschlagen. Für jede Position gingen zwei Vorschläge ein. Die sieben über die Liste der Transnet-GdED in den Betriebsrat gewählten Mitglieder schlugen Bewerber aus ihrer Reihe vor. Die vier von der Liste der GDL/GDBA gewählten Betriebsratsmitglieder benannten Kandidaten aus ihrem Kreis. Die für die vorgesehenen Ämter nacheinander durchgeführten Abstimmungen ergaben - auch bei der Bestimmung der Ersatzmitglieder - bei jeweils sieben Ja- gegen vier Nein-Stimmen die Wahl der Kandidaten aus der Liste der Transnet-GdED.

Mit ihrer am 11. Juni 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift haben sich die zu 1) und 2) beteiligten Betriebsratsmitglieder gegen das Wahlverfahren gewandt.

Sie haben die Auffassung vertreten, die in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Mitglieder des Betriebsrats hätten durch Verhältniswahl gewählt werden müssen.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben beantragt,

1. den Ablehnungsbeschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, die Entsendung von zwei Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat der D AG im Wege der Verhältniswahl durchzuführen, für unwirksam zu erklären;

2. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, das Betriebsratsmitglied U in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

3. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, das Betriebsratsmitglied K in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

4. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002 das Betriebsratsmitglied B als erstes Ersatzmitglied für das Betriebsratsmitglied U in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

5. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, das Betriebsratsmitglied S als zweites Ersatzmitglied für das Betriebsratsmitglied U in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

6. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, das Betriebsratsmitglied M als erstes Ersatzmitglied für das Betriebsratsmitglied K in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

7. den Beschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, das Betriebsratsmitglied D als zweites Ersatzmitglied für das Betriebsratsmitglied K in den Gesamtbetriebsrat der D AG zu entsenden, für unwirksam zu erklären;

8. den Betriebsrat zu verpflichten, die erneut vorzunehmende Entsendung in den Gesamtbetriebsrat bei Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge im Wege der Verhältniswahl durchzuführen.

Der Betriebsrat und der Arbeitgeber haben beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der antragstellenden Betriebsratsmitglieder zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen diese ihre Anträge weiter. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die mit den Anträgen zu 2) bis 7) angegriffenen Beschlüsse des Betriebsrats über die Entsendung der Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BetrVG sind nicht fehlerhaft. Der Betriebsrat hat die Beschlüsse zu Recht nach § 33 Abs. 1 BetrVG mit einfacher Mehrheit gefasst. Er musste keine Verhältniswahl durchführen. Die Anträge zu 1) und 8) sind unzulässig.

I. Die Anträge zu 1) und 8) sind unzulässig, die Anträge zu 2) bis 7) sind zulässig.

1. Der Antrag zu 1) ist darauf gerichtet, den Ablehnungsbeschluss des Betriebsrats vom 28. Mai 2002, die Entsendung von zwei Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat im Wege der Verhältniswahl durchzuführen, für unwirksam zu erklären. Beschlüsse des Betriebsrats können nicht selbständig angefochten werden. § 19 BetrVG ist mangels gesetzlicher Grundlage auf sie nicht anwendbar (Fitting BetrVG 22. Aufl. § 33 Rn. 51; ErfK/Eisemann 4. Aufl. § 33 BetrVG Rn. 6; Däubler/Kittner/Klebe-Wedde BetrVG 9. Aufl. § 33 Rn. 23; GK-BetrVG/Wiese/Raab 7. Aufl. § 33 Rn. 48; Richardi-Thüsing BetrVG 9. Aufl. § 33 Rn. 39).

Der Antrag wäre auch als allgemeiner Feststellungsantrag unzulässig. Es fehlt bereits am besonderen Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO. Denn die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit eines Beschlusses des Betriebsrats ist nicht an ein besonderes gerichtliches Verfahren gebunden. Sie kann auch als Vorentscheidung im Rahmen eines anderen gerichtlichen Verfahrens getroffen werden (Richardi/Thüsing BetrVG § 33 Rn. 49). Mit den Anträgen zu 2) bis 7) stellen die beiden antragstellenden Betriebsratsmitglieder die Wirksamkeit der Entsendungsbeschlüsse des Betriebsrats vom 28. Mai 2002 zur gerichtlichen Überprüfung. Insoweit ist bereits als Vorfrage zu prüfen, ob die Abstimmungen nach dem Verhältniswahlprinzip hätten erfolgen müssen. Daneben besteht kein gesondertes Feststellungsinteresse hinsichtlich des dieser Abstimmung vorangegangenen Beschlusses.

2. Der Antrag zu 8) ist unzulässig. Die Betriebsratsmitglieder sind nicht antragsbefugt.

Im Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, als er eigene Rechte geltend macht. Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Er muss durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein können. Dies ist regelmäßig nur der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht (BAG 18. Februar 2003 - 1 ABR 17/02 - AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 4, zu B III 2 a der Gründe mwN). Mit dem Antrag zu 8) machen die beiden antragstellenden Betriebsratsmitglieder keine eigenen Rechte geltend. Sie vertreten selbst nicht die Ansicht, ihnen stehe auf Grund einer betriebsverfassungsrechtlichen Norm ein individueller Anspruch gegen den Betriebsrat auf Beachtung eines bestimmten Wahlverfahrens bei der Bestimmung der in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Betriebsratsmitglieder zu.

3. Die Anträge zu 2) bis 7) sind zulässig. Sie sind als Gestaltungsanträge darauf gerichtet, die Beschlüsse des Betriebsrats vom 28. Mai 2002 über die Entsendung der Betriebsratsmitglieder und der Ersatzmitglieder in den Gesamtbetriebsrat für unwirksam zu erklären. Beschlüsse über die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG sind als betriebsratsinterne Wahl in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich (BAG 15. August 2001 - 7 ABR 2/99 - AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 47 Nr. 8, zu B III 1 der Gründe).

Die beiden Betriebsratsmitglieder sind antragsbefugt, obwohl die Anfechtung nicht durch mindestens drei Wahlberechtigte erfolgte (§ 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Für die Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen ist zwar § 19 BetrVG entsprechend anzuwenden (BAG 15. Januar 1992 - 7 ABR 24/91 - BAGE 69, 228 = AP BetrVG 1972 § 26 Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 37, zu B II 2 der Gründe). Allerdings ist die Beschränkung der Anfechtungsberechtigung auf mindestens drei Wahlberechtigte nicht sachgerecht. Zur Anfechtung betriebsratsinterner Wahlen ist jedes Betriebsratsmitglied befugt, das wie hier geltend macht, in seiner Rechtsstellung als Betriebsratsmitglied oder einer Schutz genießenden Minderheit verletzt zu sein (BAG 15. August 2001 - 7 ABR 2/99 - AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 10 = EzA BetrVG 1972 § 47 Nr. 8, zu B I 2 d der Gründe; 13. November 1991 - 7 ABR 18/91 - BAGE 69, 49 = AP BetrVG 1972 § 27 Nr. 3 = EzA BetrVG 1972 § 27 Nr. 7, zu B II 2 b der Gründe).

Sie haben auch die Zwei-Wochen-Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG eingehalten. Am 28. Mai 2002 wurde das Ergebnis der Beschlussfassung über die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat bekannt gegeben. Fristgerecht am 11. Juni 2002 ging die Anfechtungsschrift beim Arbeitsgericht ein.

II. Die Anträge zu 2) bis 7) sind nicht begründet. Die vom Betriebsrat am 28. Mai 2002 über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat gefassten Mehrheitsbeschlüsse sind wirksam. Die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BetrVG zu entsendenden Betriebsratsmitglieder sind nicht vom Betriebsrat durch Verhältniswahl zu bestimmen. Es handelt sich nicht um eine Wahl, sondern um Geschäftsführungsbeschlüsse des Betriebsrats nach § 33 Abs. 1 BetrVG.

1. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz BetrVG idF des BetrVG-Reformgesetzes vom 23. Juli 2001 entsendet jeder Betriebsrat mit mehr als drei Mitgliedern zwei seiner Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat. Damit ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, ob die Entsendung durch einen Beschluss des Betriebsrats nach § 33 BetrVG oder durch eine Wahl nach dem Verhältniswahlprinzip zu erfolgen hat. Die Auslegung des Gesetzes ergibt jedoch, dass der Betriebsrat durch Beschluss nach § 33 BetrVG mit einfacher Mehrheit entscheiden kann (so schon mehr nebenher BAG 15. August 1978 - 6 ABR 56/77 - BAGE 31, 58 = AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 3 = EzA BetrVG 1972 § 47 Nr. 2, zu III 2 a der Gründe; ebenso im Schrifttum ErfK/Eisemann 4. Aufl. § 47 BetrVG Rn. 8; GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 47 Rn. 38; Richardi-Annuß BetrVG 9. Aufl. § 47 Rn. 29; Fitting BetrVG 22. Aufl. § 47 Rn. 33; Stege/Weinspach/Schiefer BetrVG 9. Aufl. § 47 Rn. 3; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock BetrVG 6. Aufl. § 47 Rn. 43; Däubler/Kittner/Klebe-Trittin BetrVG 9. Aufl. § 47 Rn. 30; Hanau ZIP 2001, 2163, 2166; aA Löwisch BB 2002, 1366 ff.).

2. Die Möglichkeit, einen Beschluss nach § 33 Abs. 1 BetrVG zu fassen, folgt schon aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Danach “entsendet“ jeder Betriebsrat Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat. Ein bestimmtes Wahlverfahren schreibt § 47 BetrVG nicht vor. Der Begriff “Wahl“ wird im Gegensatz zur Betriebsratswahl (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG), der Wahl des Vorsitzenden des Betriebsrats und dessen Stellvertreter (§ 26 BetrVG), der Wahl der Ausschussmitglieder (§ 27 Abs. 1 Satz 3, § 28 BetrVG) und der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder (§ 38 Abs. 2 BetrVG) nicht verwandt. Diese unterschiedliche Wortwahl spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat im Regelfall nicht durch eine Wahl entschieden haben wollte, sondern durch Mehrheitsbeschluss nach § 33 BetrVG.

3. Nichts anderes folgt aus der historischen Auslegung. Vor dem In-Kraft-Treten des Betriebsverfassungs-Reformgesetzes 2001 bestand nach § 47 Abs. 2 BetrVG aF ein Gruppenschutz. Die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten wählten jeweils ihren Gruppenvertreter. Die Frage, ob die gruppeninterne Wahl nach dem Verhältniswahlprinzip durchzuführen war, stellte sich daher nicht. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Abschaffung des Gruppenschutzes einen Minderheitenschutz durch ein einzuführendes Verhältniswahlsystem gewährleisten wollte, gibt die amtliche Begründung (BT-Drucks. 14/5741 S. 42) keinen Anhaltspunkt.

4. Dies ergibt sich auch aus der Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes. In den Fällen, in denen der Gesetzgeber die Beachtung der Verhältniswahl für geboten hält, hat er dies ausdrücklich in die betreffende Norm aufgenommen (§ 27 Abs. 1 Satz 3, § 28, § 38 Abs. 2 BetrVG). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass in den übrigen Fällen das Mehrheitsprinzip gilt. Der in den genannten Normen enthaltene Minderheitenschutz enthält kein allgemeines Prinzip des BetrVG (BAG 11. Juni 1997 - 7 ABR 5/96 - AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 22 = EzA BetrVG 1972 § 38 Nr. 17, zu B II 2 der Gründe; aA Löwisch BB 2002, 1366, 1367).

5. § 47 Abs. 2 BetrVG ist auch nicht verfassungskonform so auszulegen, dass die Entsendung auf Grund Verhältniswahl zu erfolgen hat. Das ist weder auf Grund verfassungsrechtlicher Wahlgrundsätze noch nach Art. 9 Abs. 3 GG geboten.

a) Die Wahlgrundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl gelten als ungeschriebenes Verfassungsrecht auch über den Anwendungsbereich der Art. 28 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 1 GG hinaus (BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - BVerfGE 60, 162, 167, zu B I der Gründe mwN) und damit auch für die Wahlen nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Zu den dort genannten Wahlrechtsgrundsätzen gehört jedoch nicht die Bindung an das Verhältniswahlsystem. Der einfache Gesetzgeber ist vielmehr frei, sich für die Verhältnis- oder für die Mehrheitswahl zu entscheiden oder beide Systeme miteinander zu verbinden (BVerfG 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335, 349, zu C I 1 der Gründe; Maunz-Dürig GG Stand Februar 2003 Art. 38 Rn. 56). So enthält das Betriebsverfassungsgesetz Vorschriften beider Systeme. Der Betriebsrat wird grundsätzlich nach dem Verhältniswahlprinzip (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) gewählt. Dagegen gilt Mehrheitswahl, wenn nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird oder der Betriebsrat im vereinfachten Wahlverfahren nach § 14a BetrVG zu wählen ist, § 14 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Ausschussmitglieder werden - außer bei nur einem Wahlvorschlag - nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt, § 27 Abs. 1 Satz 3 und 4, § 28 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (BAG 21. Juli 2004 - 7 ABR 62/03 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Das gleiche gilt für die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder, § 38 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG. Für die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat hat der Gesetzgeber von der Anordnung der Verhältniswahl abgesehen.

b) Auch der Schutz der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG zwingt nicht zu einer anderen Auslegung des § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Die Gewerkschaften fördern im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder und nehmen dadurch eine verfassungsrechtlich geschützte Funktion wahr (BVerfG 24. Februar 1999 - 1 BvR 123/93 - BVerfGE 100, 214, 222, zu B II 2 b bb der Gründe). Mit dieser durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gesicherten Betätigungsfreiheit der Koalitionen ist im Grundsatz auch deren volle Gleichberechtigung bei Betriebsrats-/Personalvertretungswahlen verbunden (zu Personalratswahlen: BVerfG 16. Oktober 1984 - 2 BvL 20 und 21/82 - BVerfGE 67, 369, 370, zu A I der Gründe). Ein Gesetzgeber, der sich für das System der Verhältniswahl entscheidet, nimmt die damit verbundene Einbuße an Geschlossenheit der Personalvertretung im Interesse einer Repräsentanz auch kleinerer Minderheiten in Kauf (BVerfG 23. März 1982 - 2 BvL 1/81 - BVerfGE 60, 162, 171, zu B II der Gründe).

Hieraus lässt sich aber kein Verfassungsgebot herleiten, das Verhältniswahlsystem auch für die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat vorzuschreiben. Der Gesetzgeber hat die verfassungsmäßigen Grenzen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Denn die Teilhabe von Minderheitenkoalitionen an der betriebsverfassungsrechtlichen Interessenvertretung ist nicht gänzlich ausgeschlossen.

Es stellt einen grundlegenden Unterschied dar, ob eine Gewerkschaft - etwa durch ein zu hohes Unterschriftsquorum - an einer Betriebsratstätigkeit überhaupt gehindert ist oder ob ihre Mitglieder zwar dem Betriebsrat angehören, aber an einer Mitarbeit im Gesamtbetriebsrat gehindert sind, weil auf sie bei der Fassung des Entsendebeschlusses keine Mehrheit der Stimmen entfiel. Gehören die Mitglieder einer Koalition bereits nicht dem Betriebsrat an, ist sie von vornherein von der betrieblichen Mitbestimmung ausgeschlossen. Sie kann ihre verfassungsrechtlich geschützte Funktion im Betrieb nicht wahrnehmen. Demgegenüber wird eine Minderheitskoalition, die wegen der gesetzlichen Ausgestaltung des Entsenderechts keine Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsenden kann, weniger beeinträchtigt. Sie nimmt auf betrieblicher Ebene einschließlich der Arbeit in den Ausschüssen an der Mitbestimmung teil. Die Mitglieder der im Betriebsrat vertretenen Minderheitskoalition können auf die in den Gesamtbetriebsrat entsandten Betriebsratsmitglieder Einfluss nehmen und somit zumindest mittelbar an Entscheidungen des Gesamtbetriebsrats mitwirken. Die Rechtsposition der Minderheitenliste kann auch nicht dadurch nachhaltig geschwächt werden, dass der Betriebsrat durch Mehrheitsbeschluss Angelegenheiten auf den Gesamtbetriebsrat überträgt, § 50 Abs. 2 BetrVG. Dies ist nämlich nur im Hinblick auf eine bestimmte Angelegenheit und nicht für ganze Sachbereiche zulässig (BAG 26. Januar 1993 - 1 AZR 303/92 - AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 102 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 109, zu II 2 c cc der Gründe).



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