Bundesarbeitsgericht

Urteil vom - Az: 10 AZR 243/13

Nachvertragliches Wettbewerbsverbot - Karenzentschädigung nach Ermessen

1. Wird bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt, ohne dass eine Mindesthöhe iSv. § 74 Abs. 2 HGB vereinbart wird, ist das Wettbewerbsverbot für den Arbeitnehmer unverbindlich.
(Leitsatz)

(2.) Wird die Höhe der Karenzentschädigung in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt, so bedeutet dies nicht, dass keine Entschädigung zugesagt ist.

(3.) Stellen die Parteien eine Leistung in das Ermessen einer Vertragspartei, hat die Leistungsbestimmung mangels abweichender Anhaltspunkte gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen.
Im Falle einer Karenzentschädigung ist die gesetzgeberische Entscheidung des § 74 Abs. 2 HGB zu beachten, wonach die Entschädigung mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen erreichen muss. In Fällen, in denen das berufliche Fortkommen besonders stark beeinträchtigt wird, kann eine höhere Karenzentschädigung erforderlich sein, damit das Wettbewerbsverbot nicht als unverbindlich iSv. § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB anzusehen ist.
(Orientierungssätze)

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Januar 2013 - 16 Sa 563/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Streithelfer trägt die Kosten der Streithilfe. Der Beklagte hat die übrigen Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung für die Monate September und Oktober 2010.

Der Beklagte produziert und vertreibt Futter- und Pflegemittel für Pferde. Der Kläger war bei ihm seit dem 1. Januar 2008 als Exportvertriebsmitarbeiter angestellt. Er bezog ein Monatsgehalt von 7.500,00 Euro brutto; die private Pkw-Nutzung wurde iHv. 1.089,20 Euro brutto als geldwerter Vorteil bewertet.

Der Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 enthält ua. folgende Regelung:

 „§ 15 Wettbewerbsvereinbarung        

 (1) Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer von 2 Jahren für kein Konkurrenzunternehmen selbstständig oder unselbstständig tätig zu werden.       

(2) Die Firma verpflichtet sich, dem Mitarbeiter für die Dauer des Wettbewerbsverbotes eine Entschädigung zu zahlen, die in ihr Ermessen gestellt wird. Die Karenzentschädigung ist fällig am Ende eines jeden Monats.       

(3) Auf die Karenzentschädigung wird alles angerechnet, was der Mitarbeiter durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

 (4) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Dauer des Wettbewerbsverbotes auf Verlangen Auskunft über die Höhe seiner Bezüge zu geben und die Anschriften seines jeweiligen Arbeitgebers mitzuteilen. Am Schluss eines Kalenderjahres ist er verpflichtet, seine Lohnsteuerbescheinigung vorzulegen.“

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich „aus betriebswirtschaftlichen Gründen“ zum 31. August 2010. Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 31. August 2010, er werde sich an das vertragliche Wettbewerbsverbot halten und erwarte bis zum 15. September 2010 eine Bestätigung, in welcher Höhe der Beklagte die monatliche Karenzentschädigung zahlen werde, mindestens sei sie jedoch in der gesetzlichen Höhe zu leisten.

Der Beklagte focht daraufhin mit Schreiben vom 8. September 2010 den Arbeitsvertrag an. Zur Begründung führte er aus, dass er von dem Kläger über die von ihm erzielbaren Umsätze arglistig getäuscht worden sei. Das Wettbewerbsverbot sei unbestimmt und nichtig. In jedem Fall sei es für ihn unverbindlich. Nur hilfsweise nehme er eine Ermessensausübung vor. Wegen der geringen Umsätze des Klägers sei eine Karenzentschädigung von allenfalls 20 % des letzten Entgelts angemessen.

Der Kläger bezog vom 1. September bis 7. November 2010 Arbeitslosengeld iHv. 74,75 Euro täglich. Den entsprechenden Leistungsbescheid hat er dem Beklagten ebenso übermittelt wie eine Lohnsteuerbescheinigung seines neuen Arbeitgebers für den Zeitraum von 8. November bis 31. Dezember 2010.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das zwischen den Parteien schriftlich vereinbarte Wettbewerbsverbot enthalte eine Entschädigungsregelung und sei deshalb nicht nichtig. Sei die Höhe der Karenzentschädigung zu niedrig, sei das Wettbewerbsverbot lediglich unverbindlich; er habe sich für dessen Einhaltung entschieden. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sei der Beklagte nicht völlig frei, sondern müsse sich an die gesetzliche Mindesthöhe halten. Ein Recht auf Lossagung vom Wettbewerbsverbot in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB habe dem Beklagten nicht zugestanden. Jedenfalls habe er ein solches Recht nicht wirksam ausgeübt, da ein Anfechtungsgrund nicht bestehe und die Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB nicht gewahrt sei.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Karenzentschädigung 4.294,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Oktober 2010 und weitere 4.294,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2010 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das Wettbewerbsverbot sei nichtig. Eine Karenzentschädigung, die in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt werde, genüge dem Schriftformerfordernis des § 74 Abs. 1 HGB nicht, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Auf das Gesetz verweise das Verbot gerade nicht. Eine ergänzende Auslegung, die zu einer Entschädigung in gesetzlicher Höhe führe, finde nicht statt. Aus diesem Grund verbiete sich auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 315 BGB ein Rückgriff auf die Wertung des § 74 Abs. 2 HGB. Die vorsorglich getroffene Ermessensausübung sei rechtsfehlerfrei; aufgrund der schlechten Leistung des Klägers sei eine Karenzentschädigung in Höhe von 20 % des bisherigen Verdienstes angemessen. Im Übrigen habe sich der Beklagte wirksam von dem Wettbewerbsverbot losgesagt; die Gesamtumstände der Anfechtung des Arbeitsvertrags seien ihm erstmals durch das Schreiben des Klägers vom 31. August 2010 bekannt geworden. Letztlich stehe ihm ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB iVm. § 74c HGB zu. Der Kläger habe weder seinen aktuellen Arbeitsvertrag noch eine Steuerbescheinigung am Schluss des Vierteljahres vorgelegt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung. Der Streithelfer ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 24. September 2007 iVm. § 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BGB einen Anspruch auf die begehrte Karenzentschädigung iHv. je 4.294,50 Euro brutto für die Monate September und Oktober 2010 nebst Zinsen.

I. § 15 des Arbeitsvertrags enthält ein wirksames, aber für den Kläger unverbindliches Wettbewerbsverbot iSd. § 74 ff. HGB, für dessen Einhaltung er sich entschieden hat.

1. Das Wettbewerbsverbot sieht in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags eine Entschädigung vor (§ 74 Abs. 2 HGB) und ist deshalb nicht nichtig; das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 74 Abs. 1 HGB) ist eingehalten.

a) Wettbewerbsverbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung vorsehen, sind nichtig (st. Rspr., zuletzt zB BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 11 mwN). Weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber können aus einer solchen Abrede Rechte herleiten. Zwar sieht § 74 Abs. 2 HGB vor, das Wettbewerbsverbot sei ohne eine der Höhe nach ausreichende Entschädigungszusage „unverbindlich“. Wird überhaupt keine Karenzentschädigung vereinbart, sind Unverbindlichkeit und Nichtigkeit aber identisch, weil der Arbeitnehmer auch dann, wenn er das Wettbewerbsverbot einhalten würde, keine Zahlungsansprüche daraus herleiten könnte (BAG 13. September 1969 - 3 AZR 138/68 - Teil I: III 3 der Gründe, BAGE 22, 125).

b) Die Parteien haben einen Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung vereinbart. Dass ihre Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde, bedeutet nicht, dass keine Entschädigung zugesagt wurde. Dies ergibt eine Auslegung von § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags.

aa) Bei der Regelung in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags handelt es sich um eine typische Vertragsregelung, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist (vgl. dazu zuletzt zB BAG 13. Juni 2012 - 10 AZR 313/11 - Rn. 24 mwN).

bb) Durch § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags hat sich der Beklagte - wie schon der eindeutige Wortlaut ergibt - verpflichtet, dem Kläger für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Entschädigung zu zahlen. Damit wird ein Anspruch des Klägers begründet, wenn er seine Verpflichtungen aus dem Wettbewerbsverbot einhält. Daran ändert sich durch den Relativsatz, wonach die Entschädigung in das Ermessen der Firma gestellt wird, nichts. Diese Formulierung betrifft die Höhe des Entschädigungsanspruchs, nicht den Anspruch selbst. Einen übereinstimmenden anderslautenden Willen beider Vertragsparteien oder sonstige Umstände, die darauf hindeuten würden, dass die Parteien entgegen § 74 Abs. 2 HGB ein entschädigungsloses Wettbewerbsverbot vereinbaren wollten (vgl. dazu auch BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 14), behauptet auch der Beklagte nicht. Entgegen dessen Annahme ergibt sich eine Nichtigkeit der Vereinbarung auch nicht daraus, dass er - wie er meint - die Karenzentschädigung auf „Null“ festsetzen könnte. Eine solche Festsetzung wäre schon wegen § 74 Abs. 2 HGB unbillig iSv. § 315 Abs. 1 und Abs. 3 BGB, sodass durch Urteil ein angemessener Entschädigungsanspruch zu bestimmen wäre, der auf § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags beruht (vgl. im Einzelnen unten zu III). Dem Kläger wird daher in jedem Fall - im Rahmen des § 74c HGB - eine Karenzentschädigung gewährt, wenn er seine aus dem Wettbewerbsverbot folgenden Verpflichtungen einhält.

c) Die Parteien haben das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 74 Abs. 1 HGB) eingehalten.

aa) Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot bedarf der Schriftform (§ 74 Abs. 1 HGB iVm. § 126 Abs. 2 BGB). Das Schriftformerfordernis hat neben der Klarstellungs- und Beweisfunktion vor allem eine Warnfunktion. Es sollen nicht nur Streitigkeiten darüber vermieden werden, ob und mit welchem Inhalt eine Wettbewerbsvereinbarung geschlossen wurde. Vielmehr soll der Arbeitnehmer vor übereilten Entschlüssen im Hinblick auf sein künftiges berufliches Fortkommen möglichst bewahrt werden (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 29, BAGE 135, 116; 24. Oktober 1972 - 3 AZR 102/72 - zu I 3 der Gründe). Ein unter Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform vereinbartes Wettbewerbsverbot ist gemäß § 125 BGB nichtig (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 28 mwN, aaO). Auf eine nichtige Vereinbarung können sich beide Vertragsparteien nicht berufen.

bb) Ist durch Gesetz Schriftform vorgeschrieben, muss die Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden (§ 126 Abs. 1 BGB). Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB genügt es, dass jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet, wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden.

cc) Der von beiden Parteien unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 erfüllt die genannten Voraussetzungen. Er enthält in seinem § 15 die vollständige Wettbewerbsvereinbarung einschließlich des Anspruchs des Klägers auf eine Karenzentschädigung. Entgegen der Auffassung des Beklagten verlangt das Schriftformgebot nicht, dass die Karenzentschädigung der Höhe nach bereits festgelegt wäre (BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 - Rn. 16; 14. August 1975 - 3 AZR 333/74 - zu 1 d der Gründe). Entscheidend ist vielmehr, dass der wesentliche Inhalt des der Schriftform unterliegenden Rechtsgeschäfts sich aus der Urkunde ergibt (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 33, BAGE 135, 116 [zu einer zusammengesetzten Urkunde]). Dies ist der Fall.

2. Das vereinbarte Wettbewerbsverbot war für den Kläger unverbindlich, da aus ihm nicht klar erkennbar war, dass die Höhe der Entschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB erreicht wird.

a) Ist in einem Wettbewerbsverbot eine gegenüber der Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB zu niedrige Karenzentschädigung vereinbart, ist dieses nicht nichtig, sondern lediglich unverbindlich. In der Konsequenz kann sich der Arbeitnehmer entscheiden, ob er sich an das Wettbewerbsverbot hält (st. Rspr., zB BAG 18. Januar 2000 - 9 AZR 929/98 - zu II a der Gründe; 13. September 1969 - 3 AZR 138/68 - zu Teil I: III 3 der Gründe, BAGE 22, 125; vgl. auch für den Fall des unzulässig bedingten Wettbewerbsverbots oder des unverbindlichen Vorvertrags: 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 18 ff. mwN, BAGE 135, 116). Über den Fall einer konkret zu niedrigen Karenzentschädigung hinaus tritt die Unverbindlichkeit aber auch ein, wenn aus dem Wettbewerbsverbot selbst unklar bleibt, ob die gesetzliche Entschädigungshöhe erreicht wird (Bauer/Diller Wettbewerbsverbote 6. Aufl. Rn. 454 [„angemessene Entschädigung“]; Oetker/Kotzian-Marggraf HGB 3. Aufl. § 74 Rn. 27; vgl. zur Gefahr der Unklarheit bei der Zusage fester Entschädigungssummen: Preis/Stoffels Der Arbeitsvertrag 4. Aufl. II W 10 Rn. 59). In diesem Fall kann der Arbeitnehmer nämlich nicht bereits bei Abschluss des Wettbewerbsverbots beurteilen, ob ihm eine Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zugesagt ist (BAG 14. Juli 1981 - 3 AZR 414/80 - zu I 1 b der Gründe) und er sich des Wettbewerbs zwingend enthalten muss (vgl. zu diesem Gedanken BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 14, aaO).

b) Ein solcher Fall der Ungewissheit über die Höhe der Entschädigung liegt hier vor. § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags sieht zwar einen Anspruch auf Entschädigung vor. Weder wird jedoch in der Vereinbarung eine konkrete Summe genannt, noch wird durch eine Verweisung auf die gesetzlichen Vorschriften (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung: BAG 28. Juni 2006 - 10 AZR 407/05 -; 14. August 1975 - 3 AZR 333/74 -) für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich gemacht, dass eine Karenzentschädigung mindestens in der gesetzlich geforderten Höhe geschuldet wird.

3. Der Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem unverbindlichen Wettbewerbsverbot setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Karenzzeit für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots entscheidet. Mit Schreiben vom 31. August 2010 hat der Kläger ausdrücklich gegenüber dem Beklagten erklärt, sich an das Wettbewerbsverbot halten zu wollen, und damit sein Wahlrecht ausgeübt. Mit der Wettbewerbsenthaltung entsteht der Anspruch auf Entschädigung (BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 22, BAGE 135, 116).

II. Der Beklagte hat sich nicht wirksam in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB vom Wettbewerbsverbot losgesagt.

1. Der Arbeitgeber kann sich nach § 75 Abs. 1 HGB analog binnen eines Monats von dem Wettbewerbsverbot lossagen, wenn er das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt hat (BAG 23. November 2004 - 9 AZR 595/03 - zu A I 3 der Gründe, BAGE 112, 376; 19. Mai 1998 - 9 AZR 327/96 -) oder die Parteien aus gleichem Grund das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst haben (BAG 26. Januar 1973 - 3 AZR 233/72 -). Gleiches gilt, wenn zwar nur eine ordentliche Kündigung erklärt wurde, aber für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass diese nur das mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung darstellt (BAG 18. November 1967 - 3 AZR 471/66 - BAGE 20, 162). Eine Erklärung nach § 75 Abs. 1 HGB verfolgt das Ziel, dass alle beiderseitigen Rechte und Pflichten aus einer Wettbewerbsvereinbarung wegfallen sollen. Will sich ein Arbeitgeber in dieser Weise von der vereinbarten Konkurrenzklausel lossagen, muss er klar zum Ausdruck bringen, dass er nicht nur selbst keine Karenzentschädigung zahlen, sondern auch den Arbeitnehmer von dessen Unterlassungspflicht entbinden will (BAG 13. April 1978 - 3 AZR 822/76 - zu II 2 der Gründe). Die Lossagung muss eindeutig erfolgen (ErfK/Oetker 14. Aufl. § 75 HGB Rn. 5).

2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine Kündigung aus wichtigem Grund hat der Beklagte mit Schreiben vom 30. Juli 2010 nicht ausgesprochen, sondern eine ordentliche Kündigung aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“. Im Übrigen ist im Hinblick auf diese Kündigung innerhalb der Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB keine Erklärung zum Wettbewerbsverbot abgegeben worden.

Ob eine erfolgreiche Anfechtung des Arbeitsvertrags nach § 123 BGB den Beklagten in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB ebenfalls zur Lossagung berechtigt hätte (so LAG München 19. Dezember 2007 - 11 Sa 294/07 -; zustimmend Bauer/Diller Rn. 653), kann dahinstehen. Das Landesarbeitsgericht hat rechtskräftig festgestellt, dass der Arbeitsvertrag durch den Beklagten mangels Anfechtungsgrund nicht wirksam angefochten wurde. Im Übrigen dürfte das Schreiben vom 8. September 2010 nicht die Anforderungen an eine Lossagungserklärung erfüllen; im Wesentlichen hat der Beklagte sich dort nur auf die vermeintliche Nichtigkeit des Wettbewerbsverbots berufen.

III. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags iVm. § 74 Abs. 2 HGB, § 315 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 BGB einen Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 50 % seiner zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Für die streitgegenständlichen Monate ergibt dies den von ihm beanspruchten Betrag von jeweils 4.294,50 Euro brutto.

1. Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Einhaltung eines für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbots, hat er Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Entschädigung, nicht hingegen auf die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB (vgl. BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 291/09 - Rn. 38, BAGE 135, 116; 18. Januar 2000 - 9 AZR 929/98 - zu II a der Gründe).

2. Vertraglich vereinbart haben die Parteien eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde. Stellen die Parteien eine Leistung in das Ermessen einer Vertragspartei, hat die Leistungsbestimmung mangels abweichender Anhaltspunkte gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen (BAG 12. Oktober 2011 - 10 AZR 746/10 - Rn. 25, BAGE 139, 283 [zur Höhe eines Bonus]).

a) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der Berechtigte zu treffen hat (BAG 10. Juli 2013 - 10 AZR 915/12 - Rn. 28). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, hat der Bestimmungsberechtigte zu tragen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (st. Rspr., zuletzt zB BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 679/12 - Rn. 34 mwN).

b) Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. BAG 23. Januar 2007 - 9 AZR 624/06 - Rn. 29). Diese Sachentscheidung ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten (BAG 15. Mai 2013 - 10 AZR 679/12 - Rn. 35 mwN). Welche Folgen hieraus für die Reichweite der Überprüfung durch das Revisionsgericht zu ziehen sind, kann dahinstehen (vgl. dazu BAG 14. Juli 2010 - 10 AZR 182/09 - Rn. 92 mwN, BAGE 135, 128). Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung hält auch einer uneingeschränkten Überprüfung stand.

3. Die durch den Beklagten mit Schreiben vom 8. September 2010 getroffene Bestimmung der Karenzentschädigung auf 20 % der vom Kläger zuletzt bezogenen Entgelte entspricht nicht billigem Ermessen iSd. § 315 Abs. 1 BGB.

a) Durch die Karenzentschädigung sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die dem Arbeitnehmer durch die Einschränkung seines Erwerbslebens infolge der Karenz entstehen (BAG 14. September 2011 - 10 AZR 198/10 - Rn. 11; 22. Oktober 2008 - 10 AZR 360/08 - Rn. 14). Umgekehrt soll das Wettbewerbsverbot den Arbeitgeber davor schützen, dass Betriebsgeheimnisse bekannt werden oder der Arbeitnehmer sein Wissen um betriebliche Abläufe und Geschäftsverbindungen für eine Konkurrenztätigkeit ausnutzt (vgl. BAG 26. Mai 1992 - 9 AZR 27/91 - zu 3 der Gründe; 19. Mai 1983 - 2 AZR 171/81 - zu B II 2 der Gründe) und in den Kunden- und Lieferantenkreis des Arbeitgebers einbricht (BAG 21. April 2010 - 10 AZR 288/09 - Rn. 15, BAGE 134, 147). Dementsprechend können grundsätzlich alle Umstände Berücksichtigung finden, die mit dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers einerseits und der Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers andererseits in Zusammenhang stehen.

b) Darüber hinaus ist aber die gesetzgeberische Entscheidung des § 74 Abs. 2 HGB zu beachten, wonach die Entschädigung mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen erreichen muss. Der Gesetzgeber hat den dort bestimmten Mindestbetrag als angemessen angesehen, um die gegenseitigen Interessen im Regelfall in Einklang zu bringen. Dieses Mindestmaß an Entschädigung muss gewahrt bleiben, auch wenn die Wettbewerbsbeschränkung nur ein geringes Maß erreicht (BAG 18. November 1967 - 3 AZR 471/66 - zu III der Gründe, BAGE 20, 162; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene 3. Aufl. § 74 Rn. 43). In Fällen, in denen das berufliche Fortkommen besonders stark beeinträchtigt wird, kann eine höhere Karenzentschädigung erforderlich sein, damit das Wettbewerbsverbot nicht als unverbindlich iSv. § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB anzusehen ist (vgl. zum Verhältnis von § 74a Abs. 1 Satz 1 zu Satz 2 und zu den Rechtsfolgen: BAG 21. April 2010 - 10 AZR 288/09 - BAGE 134, 147; Bauer/Diller Rn. 346). Die Festlegung einer geringeren Entschädigung scheidet hingegen aus. Anders als die Revision annimmt, bedeutet dies nicht, dass im Fall eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots eine Karenzentschädigung, die unterhalb der von § 74 Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Höhe liegt, stets auf diesen Betrag zu erhöhen wäre. Der Arbeitnehmer weiß in diesem Fall, welche Entschädigung ihm zusteht, wenn er sein Wahlrecht zugunsten einer Einhaltung des für ihn unverbindlichen Wettbewerbsverbots ausübt und ist dadurch geschützt. Ist aber eine Ermessensentscheidung nach § 315 BGB zu treffen, kann diese nicht ohne Beachtung des vom Gesetzgeber festgelegten Mindestwertes erfolgen.

c) Danach ist die vom Beklagten vorgenommene Leistungsbestimmung schon deshalb unbillig, weil sie den in § 74 Abs. 2 HGB festgelegten Wert unterschreitet.

4. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Bestimmung der Höhe der Karenzentschädigung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB auf die Hälfte der zuletzt bezogenen Vergütung ist danach nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt die Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB. Eine höhere Entschädigung begehrt der Kläger nicht, sodass dahinstehen kann, welche berechtigten Interessen beider Parteien darüber hinaus Berücksichtigung finden müssten.

5. Die Karenzentschädigung ist auch der Höhe nach zutreffend berechnet. Der Kläger erhielt ein Festgehalt von 7.500,00 Euro brutto monatlich; die private Nutzung des ihm überlassenen Kfz wurde als geldwerter Vorteil iHv. 1.089,20 Euro brutto angesetzt (zur Berücksichtigung dieses Sachbezugs bei der Ermittlung der Karenzentschädigung: BAG 17. Juni 1997 - 9 AZR 801/95 - zu II 2 der Gründe). Hieraus folgt grundsätzlich ein Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro brutto.

Ob eine Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung im Wege der Auslegung oder analogen Anwendung des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB überhaupt in Betracht kommt, kann dahinstehen (kritisch BAG 14. September 2011 - 10 AZR 198/10 - Rn. 20 f.). Selbst wenn man zugunsten des Beklagten eine Anrechnungsmöglichkeit unterstellt, kann nur der tatsächliche Auszahlungsbetrag, nicht jedoch ein fiktiv aus dem Arbeitslosengeld hochgerechneter Bruttobetrag angerechnet werden (BAG 14. September 2011 - 10 AZR 198/10 - Rn. 22 ff. mwN). Das Arbeitslosengeld iHv. 2.242,50 Euro monatlich überschreitet zusammen mit der Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro die in den streitgegenständlichen Monaten relevante Grenze von 110 % des vorhergehenden Bruttoentgelts nicht.

Gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergibt sich für die Monate September und Oktober 2010 jeweils ein Anspruch in Höhe von 4.294,50 Euro brutto. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 74b Abs. 1 HGB.

IV. Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB iVm. § 74c Abs. 2 HGB zu (vgl. dazu BAG 23. November 2004 - 9 AZR 595/03 - zu A II der Gründe, BAGE 112, 376; 12. Januar 1978 - 3 AZR 57/76 -). Der Kläger hat dessen Auskunftsanspruch durch Vorlage der Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2010 und des Leistungsbescheids der Agentur für Arbeit erfüllt. Aus diesen Unterlagen ergeben sich alle erforderlichen Angaben zur Berechnung der Höhe der Karenzentschädigung im Streitzeitraum. Die vom Beklagten behauptete Verpflichtung zur Vorlage einer Lohnsteuerbescheinigung am Schluss eines jeden Kalendervierteljahres ergibt sich weder aus § 15 des Arbeitsvertrags noch aus § 74c HGB. Im Übrigen sah § 41b Abs. 1 EStG in der im Streitzeitraum anwendbaren Fassung eine solche Bescheinigung nicht vor.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.



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