Bundesarbeitsgericht

Urteil vom - Az: 9 AZR 791/14

Rechtsanwälte müssen draußen bleiben

(1.) Soll die Einsicht in die Personalakte auf dem Betriebsgelände erfolgen, steht dem Interesse des Arbeitnehmers, vom Inhalt der Personalakte unter Hinzuziehung eines betriebsfremden Dritten Kenntnis zu nehmen, das Hausrecht des Arbeitgebers gegenüber.

(2.) Den Gerichten für Arbeitssachen obliegt es, die widerstreitenden Rechtspositionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Wege der praktischen Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.

(3.) Erlaubt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, Kopien der in der Personalakte befindlichen Schriftstücke zu fertigen, trägt der Arbeitgeber dem Transparenzinteresse des Arbeitnehmers in hinreichendem Maße Rechnung, ohne dass es der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bedarf.

Im vorliegenden Fall verlangte der Kläger die Einsichtnahme in seine Personalakte und zwar unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts. Gegen die Einsichtnahme selbst hatte der Arbeitgeber keine Einwände. Allerdings werde dem Rechtsanwalt kein Zutritt gewährt; der Kläger könne jedoch Kopien der Aktenschriftstücke anfertigen. Das Bundesarbeitsgericht - wie auch die Vorinstanzen - lehnen vorliegend einen Anspruch des Klägers ab, die Akte in Begleitung eines Rechtsanwalts einzusehen. Dies beruhe auf einer Abwägung im Einzelfall einerseits des Transparenzinteresses des Arbeitnehmers, andererseits des Hausrechts des Arbeitgebers. Da dem Arbeitnehmer sogar die Anfertigung von Kopien ermöglicht worden sei, bestünde keinerlei Interesse auf Seiten des Arbeitnehmers an der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 10. Oktober 2014 - 8 Sa 138/14 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über das Recht des Klägers, zur Einsichtnahme in seine Personalakte seine anwaltliche Vertreterin hinzuzuziehen.          

Im Jahr 1998 trat der Kläger in die Dienste der Beklagten zu 1., die ihn als Lagerist beschäftigte und ihm am 21. März 2013 eine Ermahnung erteilte. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers verlangte mit Schreiben vom 6. Mai 2013, ihr zusammen mit dem Kläger Einsicht in dessen Personalakte zu gewähren. Die Beklagte zu 1. lehnte eine Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten unter Hinweis auf das ihr zustehende Hausrecht ab, erlaubte dem Kläger allerdings mit E-Mail vom 13. Mai 2013, auszugsweise Kopien der in der Personalakte befindlichen Dokumente zu fertigen. Das Arbeitsverhältnis ging mit Wirkung vom 1. Februar 2014 im Wege eines Betriebsübergangs auf die Revisionsbeklagte zu 2. über.          

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei berechtigt, zur Einsichtnahme in seine Personalakte die von ihm bevollmächtigte Rechtsanwältin hinzuzuziehen. Der Anspruch folge aus der arbeitgeberseitigen Schutz- und Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG). Die Personalakte enthalte ihn betreffende personenbezogene Daten, deren Kenntnisnahme er Dritten gestatten dürfe. Die Hinzuziehung seiner Prozessbevollmächtigten sei zudem unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ geboten, da ihm die erforderlichen Rechtskenntnisse fehlten, um zu beurteilen, ob Dokumente unberechtigterweise in die Personalakte aufgenommen worden seien. Die Anfertigung von Kopien sämtlicher in der Personalakte befindlicher Unterlagen sei ihm nicht zumutbar.           

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt,          

die Revisionsbeklagte zu 2. zu verurteilen, ihm mit seiner anwaltlichen Vertreterin, Frau Rechtsanwältin B, Einsicht in seine Personalakte zu gewähren.      

Die Revisionsbeklagte zu 2. hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, die von dem Kläger begehrte Hinzuziehung seiner Rechtsanwältin greife ohne gesetzliche Grundlage in ihr Hausrecht ein. § 83 Abs. 1 BetrVG enthalte eine abschließende Sonderregelung.          

Das Arbeitsgericht hat die zunächst allein gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage erweitert und neben der Beklagten zu 1. die (spätere) Revisionsbeklagte zu 2. in Anspruch genommen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. In der Revisionsinstanz hat der Kläger die Revision im Verhältnis zur Beklagten zu 1. zurückgenommen und verfolgt sein Klageziel nunmehr allein gegenüber der Revisionsbeklagten zu 2. weiter.                        

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch, zur Einsichtnahme in seine Personalakte seine Prozessbevollmächtigte hinzuzuziehen, nicht zu.      

I. Der Kläger kann den von ihm erhobenen Anspruch nicht mit Erfolg auf § 83 Abs. 1 BetrVG stützen. 

Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis das Recht, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen. Er kann hierzu ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen (§ 83 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Die Regelung begründet damit keinen Anspruch des Arbeitnehmers, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen.      

II. Der Anspruch folgt vorliegend auch nicht aus der allgemeinen Pflicht des Arbeitgebers, auf die Interessen und Belange des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Die Schutz- und Rücksichtnahmepflicht, deren inhaltliche Reichweite im Streitfall durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) konkretisiert wird, begründet für den Arbeitnehmer nicht das Recht, zur Einsichtnahme in die Personalakte einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erlaubt, Kopien der in der Personalakte befindlichen Schriftstücke zu fertigen. An die von der Beklagten zu 1. unter dem 13. Mai 2013 erteilte Zusage, den Inhalt der Personalakte auszugsweise kopieren zu dürfen, ist die Revisionsbeklagte zu 2. als Betriebserwerberin gebunden (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB).      

1. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährleistet als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedem Grundrechtsinhaber, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Der durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelte Schutz der Verhaltensfreiheit und Privatheit richtet sich gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf die Einzelperson bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erschöpft sich in seiner Schutzrichtung nicht in einem Abwehrrecht gegen staatliche Datenerhebung und Datenverarbeitung, sondern strahlt im Sinne objektiver Normgeltung auf die Anwendung und Auslegung privatrechtlicher Normen aus (BAG 16. November 2010 - 9 AZR 573/09 - Rn. 37 f., BAGE 136, 156).      

2. Die Frage, ob der Arbeitnehmer grundsätzlich das Recht hat, einen Dritten mit der Einsichtnahme in seine Personalakte zu beauftragen oder einen Dritten, der kein Betriebsratsmitglied ist, bei der Einsichtnahme hinzuzuziehen, wird in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (dagegen LAG Schleswig-Holstein 17. April 2014 - 5 Sa 385/13 - zu II 2 a aa der Gründe; ArbG München 7. März 1979 - 24 Ca 434/79 -; HWGNRH/Rose 9. Aufl. § 83 Rn. 45; Schaub/Linck ArbR-HdB 16. Aufl. § 148 Rn. 10; Gola/Hümmerich BB 1974, 1167, 1172; aA ErfK/Kania 16. Aufl. § 83 BetrVG Rn. 4; Fitting 28. Aufl. § 83 Rn. 12; DKKW/Buschmann 15. Aufl. § 83 Rn. 16; HaKo-BetrVG/Lakies 4. Aufl. § 83 Rn. 12). Der Senat braucht diese Frage vorliegend nicht abschließend zu entscheiden.      

a) Um dem aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Schutzauftrag in der betrieblichen Praxis Wirkung zu verschaffen, hat der Arbeitnehmer ein Einsichtsrecht in die über ihn geführte Personalakte. Im bestehenden Arbeitsverhältnis folgt dies aus § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, im beendeten Arbeitsverhältnis aus § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BAG 16. November 2010 - 9 AZR 573/09 - Rn. 34 und 40, BAGE 136, 156). In der Sache handelt es sich um einen Transparenzschutz, der einem etwaigen Anspruch des Arbeitnehmers auf Beseitigung oder Korrektur vorgelagert ist (vgl. BAG 16. November 2010 - 9 AZR 573/09 - Rn. 42, aaO). Die Beurteilung, auf welche Art und Weise die Einsichtnahme erfolgt, erfordert eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten (vgl. Pramann DB 1983, 1922). Soll die Einsicht in die Personalakte auf dem Betriebsgelände erfolgen, steht dem Interesse des Arbeitnehmers, vom Inhalt der Personalakte unter Hinzuziehung eines betriebsfremden Dritten Kenntnis zu nehmen, das Hausrecht des Arbeitgebers gegenüber. Dieses auf §§ 858 ff., 903, 1004 BGB beruhende Recht erlaubt es dem Arbeitgeber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden, wem er den Zutritt zu dem Betriebsgelände gestattet und wem er ihn verwehrt. Das schließt die Befugnis ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben (vgl. BAG 22. September 2009 - 1 AZR 972/08 - Rn. 57, BAGE 132, 140). Den Gerichten für Arbeitssachen obliegt es, die widerstreitenden Rechtspositionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Wege der praktischen Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.      

b) Erlaubt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, Kopien der in der Personalakte befindlichen Schriftstücke zu fertigen, trägt der Arbeitgeber dem Transparenzinteresse des Arbeitnehmers in hinreichendem Maße Rechnung, ohne dass es der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bedarf. Der Arbeitnehmer kann auf diese Weise nicht nur Einsicht in die Personalakte nehmen, sondern die Gelegenheit zur Kenntnisnahme verstetigen. Die Fertigung von Kopien gestattet es ihm, die in der Personalakte befindlichen Dokumente außerhalb des Betriebsgeländes und unabhängig von den betrieblichen Einsichtnahmezeiten zu studieren und bei Bedarf die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen. Dem Gebot der „Waffengleichheit“ ist damit Genüge getan. Aus diesem Grunde geht auch der Hinweis des Klägers fehl, der Arbeitgeber sei gehalten, bei bestimmten Personalgesprächen, etwa im Vorfeld einer Verdachtskündigung (vgl. BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18), einen vom Arbeitnehmer benannten Rechtsanwalt teilnehmen zu lassen.      

c) Soweit der Kläger geltend macht, aufgrund des Umfangs der Personalakte sei es ihm nicht zumutbar, Kopien der maßgeblichen Dokumente zu fertigen, fehlt es sowohl an tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts als auch an einem substanziierten Sachvortrag seitens des Klägers. Dieser hat weder vorgetragen, wie viele Dokumente die Personalakte umfasst, noch, welchen Umfang diese Dokumente haben, noch, dass er überhaupt einen Versuch unternommen habe, sich diese Informationen zu verschaffen.      

III. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen. Im Verhältnis zur Beklagten zu 1. folgt dies wegen der Rücknahme der Revision aus § 565 iVm. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Im Verhältnis zur Revisionsbeklagten zu 2. ergibt sich die Kostentragungspflicht aus § 97 Abs. 1 ZPO.



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