Bundesarbeitsgericht

- Az: 6 AZR 31/22

Rentennähe darf bei der sozialen Auswahl berücksichtigt werden

Im Rahmen der sozialen Auswahl darf bei der Gewichtung des Kriteriums "Lebensalter" zu Lasten des Arbeitnehmers die Möglichkeit berücksichtigt werden, spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses entsprechend der jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Vorgaben die Regelaltersrente oder eine andere Rente wegen Alters - mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen - abschlagsfrei zu beziehen.
(Leitsatz des Gerichts)

Die im Jahr 1957 geborene Klägerin ist seit 1972 bei der Beklagten beschäftigt. Diese ist in die Insolvenz gefallen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte mit dem Betriebsrat einen ersten Interessenausgleich mit Namensliste, in dem u.a. die Klägerin genannt ist. Mit Schreiben vom 27.3.2020 kündigte der beklagte Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.6.2020. Die Klägerin erhob dagegen Kündigungsschutzklage. Der beklagte Insolvenzverwalter führte dagegen an, dass die Klägerin in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig sei. Die Klägerin habe als Einzige die Möglichkeit, ab dem 01.12.2020 – und damit zeitnah im Anschluss – an das beendete Arbeitsverhältnis eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte zu beziehen. Aus diesem Grund falle sie hinter alle anderen vergleichbaren Arbeitnehmer zurück. Nach erneuten Verhandlungen mit dem Betriebsrat beschloss der beklagte Insolvenzverwalter, den Betrieb vollständig stillzulegen und schloss zum 31.05.2021 einen zweiten Interessenausgleich mit Namensliste. Der beklagte Insolvenzverwalter kündigte der auf der Namensliste aufgeführten Klägerin vorsorglich erneut am 29. Juni 2020 zum 30. September 2020. Die Klägerin erhob auch gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage.
Während die Vorinstanzen beide Kündigungen für unwirksam hielten, hatte die Revision des beklagten Insolvenzverwalters hinsichtlich der zweiten Kündigung Erfolg. Die Betriebsparteien dürfen die Rentennähe der Klägerin bei der Sozialwahl bezogen auf das Kriterium „Lebensalter“ berücksichtigen – so der Senat. Sinn und Zweck der sozialen Auswahl sei es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Zwar nehme die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Allerdings falle die soziale Schutzbedürftigkeit ab, wenn
der Arbeitnehmer eine abschlagsfreie Rente oder die Regelaltersrente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen könne. In diesem Fall könne das Lebensalter zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Das gelte auch, wenn er bereits eine (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei bezieht. Lediglich eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen dürfe nicht berücksichtigt werden. Nach dem Kündigungsschutzgesetz seien bei der Sozialauswahl weiterhin die Kriterien wie Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sodass die streitbefangene Kündigung vom 27.03.2020 im Ergebnis unwirksam war.
(Redaktionelle Zusammenfassung)

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten und unter Zurückweisung seiner weitergehenden Revision wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. September 2021 - 16 Sa 152/21 - insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Beklagten im Hinblick auf die Kündigung vom 29. Juni 2020 zurückgewiesen hat.

2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 9. Dezember 2020 - 10 Ca 1380/20 - auch insoweit abgeändert, als es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. Juni 2020 nicht aufgelöst worden ist.

Auch insoweit wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin 4/7 und der Beklagte 3/7 zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit von zwei ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen.

Die am 2. Januar 1957 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 1. August 1972 bei der H GmbH (im Folgenden Schuldnerin) als Sachbearbeiterin Vertriebslogistik beschäftigt. Sie konnte ab dem 1. Dezember 2020 Altersrente für besonders langjährig Versicherte beziehen.

Mit Beschluss vom 1. März 2020 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Dieser zeigte am gleichen Tag drohende Masseunzulänglichkeit an.

Ein erster, vom Beklagten mit dem Betriebsrat der Schuldnerin am 27. März 2020 abgeschlossener Interessenausgleich sah die betriebsbedingte Kündigung von 61 der zu diesem Zeitpunkt beschäftigten 396 Arbeitnehmer vor. Von fünf Arbeitsplätzen im Bereich Vertriebslogistik sollte einer wegfallen. Die zu kündigenden Arbeitnehmer waren in Abschnitt III Ziff. 1 des vom Betriebsratsvorsitzenden und dem Beklagten unterzeichneten Interessenausgleichs namentlich benannt, unter der laufenden Nr. 23 auch die Klägerin.

In Abschnitt IV Ziff. 3 des Interessenausgleichs einigten sich die Betriebsparteien auf die Bildung von Vergleichsgruppen. Der Vergleichsgruppe "Vertriebslogistik" waren neben der Klägerin weitere vier Arbeitnehmer zugeordnet, ua.:

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Herr L, geboren 4. Mai 1986, verheiratet, Eintrittsdatum 15. August 2012,

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Herr S, geboren 21. Juni 1966, verheiratet, Eintrittsdatum 15. Juni 1994 sowie

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Herr Se, geboren 26. Juni 1964, nicht verheiratet, Eintrittsdatum 1. September 1982.

Nach Abschluss des Interessenausgleichs erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 27. März 2020 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin zum 30. Juni 2020.

Nachdem die Betriebsparteien auf Initiative des Beklagten ab Ende April 2020 über einen weitergehenden Personalabbau verhandelt hatten, unterzeichneten sie am 29. Juni 2020 einen zweiten Interessenausgleich. Dieser sah auf der Grundlage der vom Gläubigerausschuss am 24. Juni 2020 beschlossenen Betriebsstilllegung zum 31. Mai 2021 nach Ausproduktion die Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse vor. Dabei verständigten sich die Betriebsparteien darauf, dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer, die für die Ausproduktion nicht benötigt würden, unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist des § 113 InsO zum nächst zulässigen Termin zu kündigen seien. Die für die Ausproduktion notwendigen Arbeitnehmer sollten unverzüglich nach Abschluss des Interessenausgleichs ebenfalls eine Kündigung erhalten, die allerdings nicht zum frühestmöglichen Termin, sondern erst zum geplanten Ende der Ausproduktion am 31. Mai 2021 wirksam werden sollte. Weiter kamen die Betriebsparteien in dem Interessenausgleich überein, dass aufgrund der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse eine soziale Auswahl entbehrlich sei.

Bestandteil des Interessenausgleichs vom 29. Juni 2020 waren drei Namenslisten. Die erste Liste enthielt die Namen der 107 Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse zum nächst zulässigen Termin beendet werden sollten. In der zweiten Liste waren 190 für die Ausproduktion benötigte Arbeitnehmer namentlich genannt, die eine Kündigung zum 31. Mai 2021 erhalten sollten. Aus dem Bereich der Vertriebslogistik war hier als einziger Herr S aufgeführt. In der dritten Namensliste befanden sich 40 Arbeitnehmer - ua. unter der laufenden Nr. 20 die Klägerin -, denen schon auf der Grundlage des ersten Interessenausgleichs vom 27. März 2020 gekündigt worden war und die entweder Kündigungsschutzklage erhoben hatten oder noch erheben konnten. Diesen sollte vorsorglich zum nächst zulässigen Termin erneut gekündigt werden. Dementsprechend erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 29. Juni 2020 eine weitere, vorsorgliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 30. September 2020.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 9. April 2020 eingegangenen Klage sowie ihrer am 30. Juni 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung hat die Klägerin ua. die Unwirksamkeit der beiden Kündigungen vom 27. März 2020 und vom 29. Juni 2020 geltend gemacht.

Hinsichtlich der ersten Kündigung hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die soziale Auswahl sei grob fehlerhaft. Sie, die Klägerin, sei sozial deutlich schutzwürdiger als alle anderen Arbeitnehmer ihrer Vergleichsgruppe, insbesondere als Herr L. Soweit der Beklagte die Auswahlentscheidung auf die Möglichkeit ihres Rentenbezugs ab dem 1. Dezember 2020 verenge, vernachlässige er die übrigen, nach dem Gesetz zu berücksichtigenden sozialen Gesichtspunkte und diskriminiere sie zudem wegen ihres Alters. Überdies lasse er außer Betracht, dass eine Lücke von fünf Monaten bestanden habe, die zu Rentennachteilen führe. Insoweit sei auch sie zur Überbrückung auf Entgeltersatzleistungen angewiesen gewesen.

In Bezug auf die vorsorgliche zweite Kündigung sei ebenfalls eine soziale Auswahl erforderlich gewesen. Bereits deren Fehlen mache diese Kündigung unwirksam. Zudem sei sie wiederum sozial schutzwürdiger als alle anderen Arbeitnehmer ihrer Vergleichsgruppe. Schließlich habe keine endgültige Stilllegungsabsicht bestanden. Ende August und Anfang September 2020 hätten Verhandlungen mit einem Großkunden mit dem Ziel eines Unternehmenskaufs und damit verbunden eines Betriebsübergangs stattgefunden.

Die Klägerin hat - soweit für die Revision relevant - beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung des Beklagten vom 27. März 2020 noch durch die Kündigung des Beklagten vom 29. Juni 2020 aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 27. März 2020 sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Die Klägerin habe eine grobe Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl nicht dargelegt. Sie sei nicht sozial schwächer als die anderen Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe "Vertriebslogistik". Bei der Auswahl der Klägerin sei von der grundsätzlichen Punkteverteilung (ua. ein Punkt pro vollendetem Lebensjahr, max. 55 Punkte; ein Punkt pro vollendetem Beschäftigungsjahr, max. 40 Punkte; für den Familienstand verheiratet/eingetragene Lebenspartnerschaft vier Punkte) abgewichen und eine Einzelfallbewertung vorgenommen worden. Diese habe dazu geführt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Möglichkeit, ab dem 1. Dezember 2020 eine ungekürzte Altersrente zu beziehen, hinter alle anderen Arbeitnehmer ihrer Vergleichsgruppe zurückgefallen sei. Sie sei als einzige nicht auf Entgeltersatzleistungen angewiesen gewesen, sondern habe kurzfristig ein Ersatzeinkommen beziehen können.

In Bezug auf die vorsorgliche Kündigung vom 29. Juni 2020 habe es einer sozialen Auswahl nicht bedurft, da aufgrund der Betriebsstilllegung zum 31. Mai 2021 alle Arbeitsplätze entfallen seien und er sämtlichen Arbeitnehmern - wenn auch zu unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten - gekündigt habe. § 1Abs. 3 KSchG sehe eine soziale Auswahl nur dann vor, wenn weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden. Nur dann könne der Zweck der Sozialauswahl, die Sozialkassen langfristig zu schonen, überhaupt erreicht werden. Stehe der Entfall aller Arbeitsplätze, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten, bei Kündigungsausspruch fest, würden die Sozialkassen in jedem Fall voll - mit allen Arbeitnehmern - belastet. Eine soziale Auswahl sei daher zwecklos. Selbst wenn eine solche vorliegend erforderlich gewesen sein sollte, wäre die Klägerin aufgrund ihrer Rentennähe wiederum weit weniger schutzwürdig als alle vergleichbaren Arbeitnehmer. Sähe man die Berücksichtigung der Rentennähe als fehlerhaft an, ergäben sich unter Heranziehung des Punkteschemas im Vergleich mit Herrn Se lediglich sieben Punkte mehr zu Gunsten der Klägerin. Bei einem solch marginalen Unterschied sei die Klägerin nicht deutlich schutzwürdiger als Herr Se. Daher hätte dieser und nicht die Klägerin anstelle von Herrn S die einzige in der Vergleichsgruppe erklärte, erst zum Ende der Ausproduktion am 31. Mai 2021 wirkende Kündigung erhalten. Der mögliche Auswahlfehler hätte sich auf das Auswahlergebnis nicht ausgewirkt.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage in Bezug auf beide Kündigungen stattgegeben sowie den Beklagten zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen. Im Hinblick auf die beiden Kündigungsschutzanträge hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen diesbezüglichen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Gründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist nur teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. März 2020 nicht aufgelöst worden ist. Hingegen ist, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Kündigung vom 29. Juni 2020 sozial gerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30. September 2020 aufgelöst.

I. Der Kündigungsschutzantrag die Kündigung vom 27. März 2020 betreffend ist zulässig und begründet. Diese Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, da sie wegen grober Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl sozial nicht gerechtfertigt ist, § 1Abs. 1, Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO.

1. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht stillschweigend davon ausgegangen, dass der Interessenausgleich wirksam zustande gekommen ist.

a) Es liegt eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vor. Um eine solche handelt es sich auch bei einem bloßen Personalabbau, wenn - wie vorliegend - die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht sind (st. Rspr., vgl. zB BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 18, BAGE 147, 89). Bei dem im März 2020 geplanten Personalabbau sollte von 396 Arbeitnehmern 61 und damit mehr als 25 Arbeitnehmern gekündigt werden. Dies sind auch mehr als 10 Prozent der Belegschaft. Insoweit besteht zwischen den Parteien kein Streit.

b) Die Betriebsparteien haben einen formwirksamen Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen. Sowohl der Beklagte als auch der Betriebsratsvorsitzende haben alle fest miteinander verbundenen Seiten des Interessenausgleichs vom 27. März 2020 unterzeichnet. In Abschnitt III Ziff. 1 dieses Interessenausgleichs waren die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich benannt, so auch die Klägerin unter der laufenden Nr. 23 dieser Namensliste.

c) Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum Zustandekommen der Namensliste sind zwar widersprüchlich. Einerseits hat es festgestellt, dass sich "der Beklagte" bei der Sozialauswahl an einem Punkteschema orientiert habe, andererseits hat es angenommen, "die Betriebsparteien" hätten die Rentennähe der Klägerin übergewichtet. Das stellt jedoch die Eignung des Interessenausgleichs vom 27. März 2020 als Vermutungsbasis nicht in Frage. § 125 Abs. 1 InsO knüpft die Vermutungswirkungen des Interessenausgleichs allein daran, dass sich die Betriebsparteien - dokumentiert durch die Unterschriften der wechselseitig Zeichnungsberechtigten - auf eine Namensliste und damit zugleich auf die dieser zugrundeliegenden Grundsätze der Sozialauswahl geeinigt haben. Darauf, ob und wie intensiv der Betriebsrat vor Unterzeichnung des Interessenausgleichs mit Namensliste über diese verhandelt hat, kommt es nicht an. Ob der Betriebsrat seiner ihm vom Gesetzgeber übertragenen hohen Mitverantwortung für Betriebsänderungen iSv. § 111 BetrVG (dazu BAG 17. März 2016 - 2 AZR 182/15 - Rn. 36, BAGE 154, 303) tatsächlich gerecht geworden ist, unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 386/11 - Rn. 33).

2. Gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG unter Außerachtlassung einer etwaigen Schwerbehinderung nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Das gilt nicht nur für die Auswahlkriterien und ihre relative Gewichtung selbst, sondern auch für die Bildung der auswahlrelevanten Arbeitnehmergruppe. Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter, also ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt (st. Rspr., vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 21 f. mwN, BAGE 147, 89). Das ist beispielsweise der Fall, wenn einzelne Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit eindeutig überhöhter Bedeutung berücksichtigt worden sind (BAG 24. Oktober 2013 - 6 AZR 854/11 - Rn. 40, BAGE 146, 234; 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - zu II 1 c bb der Gründe, BAGE 115, 225; APS/Künzl 6. Aufl. InsO § 125 Rn. 25 mit weiteren Beispielen). Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Kündigung vom 27. März 2020 auch diesem eingeschränkten Maßstab nicht standhält.

a) Allerdings erweist sich die Auswahlentscheidung vorliegend nicht bereits deswegen als grob fehlerhaft, weil überhaupt zu Lasten der Klägerin deren "Rentennähe" berücksichtigt worden ist. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 InsO lässt iVm. § 1 Abs. 3 KSchG im Rahmen der einer Namensliste in einem Interessenausgleich zugrundeliegenden Auswahlentscheidung bei der Gewichtung des Kriteriums "Lebensalter" nicht nur die Berücksichtigung der Möglichkeit zu, bereits eine Regelaltersrente zu beziehen (vgl. dazu BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - BAGE 159, 82). Die Betriebsparteien dürfen danach zu Lasten des Arbeitnehmers auch die Möglichkeit berücksichtigen, spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses, dh. nach Ablauf der vorgesehenen Kündigungsfrist, entsprechend der jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Vorgaben die Regelaltersrente oder eine andere (vorgezogene) Rente wegen Alters abschlagsfrei zu beziehen. Letzteres gilt nur dann nicht, wenn es sich um eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach §§ 37, 236aSGB VI handelt.

aa) Ist durch betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung für einen oder mehrere Arbeitnehmer entfallen und übersteigt die Zahl der vom Rückgang des Beschäftigungsbedarfs betroffenen Arbeitnehmer die der verbliebenen Arbeitsplätze, wird durch die Sozialauswahl nach § 1Abs. 3 Satz 1 KSchG ermittelt, welchem der Arbeitnehmer tatsächlich gekündigt werden muss (Individualisierungsfunktion). Die verbleibenden Arbeitsplätze sollen unter den Arbeitnehmern möglichst gerecht verteilt werden (vgl. APS/Kiel 6. Aufl. KSchG § 1Rn. 592; LSSW/Schlünder 11. Aufl. § 1 Rn. 413). Die Kündigung soll also grundsätzlich den Arbeitnehmer "treffen", der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist (vgl. BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 15 mwN, BAGE 159, 82).

bb) Durch die Berücksichtigung des Lebensalters bei der sozialen Auswahl sollen abstrakt die Vermittlungschancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt nach einer Kündigung abgebildet werden. Damit soll die Arbeitsplatzsicherheit der Arbeitnehmer gestärkt werden, deren Chancen aufgrund ihres Alters typischerweise schlechter stehen, überhaupt oder doch zeitnah ein dauerhaftes "Ersatzeinkommen" zu erzielen. Zugleich sollen die Kosten der Arbeitsförderung gesenkt werden (vgl. BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 15, BAGE 159, 82; 7. Juli 2011 - 2 AZR 476/10 - Rn. 50 mwN). Die Berücksichtigung des Lebensalters erfordert dabei keine konkret-individuelle, bezogen auf den einzelnen Arbeitnehmer, den Betrieb oder die Branche vorzunehmende Bewertung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das Gesetz selbst nimmt eine typisierende Betrachtung vor, an die der Arbeitgeber oder die Betriebsparteien anknüpfen können (vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 476/10 - Rn. 50 mwN). Ungeachtet dessen führt aber auch eine auf den Betrieb oder die Branche bezogene Bewertung nicht allein deswegen zu einer nicht ausreichenden Berücksichtigung des Auswahlkriteriums "Lebensalter" iSd. § 1Abs. 3 KSchG.

cc) Bei der Gewichtung des Sozialauswahlkriteriums "Lebensalter" darf berücksichtigt werden, dass es sich dabei um eine ambivalente Größe handelt (vgl. BAG 21. Januar 1999 - 2 AZR 624/98 - zu II 2 b bb der Gründe; LAG Köln 17. August 2005 - 7 Sa 520/05 - zu II 4 d der Gründe; LKB/Krause 16. Aufl. § 1 Rn. 934; KR/Rachor 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 733; ErfK/Oetker 23. Aufl. KSchG § 1Rn. 332a).

(1) Die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers im Hinblick auf das Risiko, ein dauerhaftes "Ersatzeinkommen" für das entfallende Arbeitseinkommen erzielen zu können, steigt mit zunehmendem Lebensalter zunächst an, weil sich die Vermittlungschancen mit zunehmendem Alter typischerweise verschlechtern. Dieser Befund des Senats aus dem Jahr 2014 (vgl. BAG 18. September 2014 - 6 AZR 636/13 - Rn. 38, BAGE 149, 125) ist immer noch zutreffend. Zwar sind Beschäftigte in der Altersgruppe zwischen 55 und 65 Jahren weniger von Arbeitslosigkeit bedroht. 2021 lag das Risiko, aus einer Beschäftigung heraus arbeitslos zu werden, für die älteren Arbeitnehmer bei monatsdurchschnittlich 0,41 Prozent, im Durchschnitt aller Altersklassen bei 0,56 Prozent. Hierbei dürfte einerseits eine Rolle spielen, dass ältere Arbeitnehmer bei Kündigungen durch Arbeitgeber bei der Sozialauswahl vielfach Vorteile gegenüber jüngeren haben. Andererseits versuchen Arbeitgeber häufig Fachkräfte - insbesondere mit langjähriger Erfahrung - an den Betrieb zu binden (BfA Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt - Situation Älterer am Arbeitsmarkt April 2022 S. 18, 21 f.). Ist die Arbeitslosigkeit aber erst einmal eingetreten, haben ältere Arbeitnehmer empirisch nach wie vor deutlich geringere Chancen, sie durch Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wieder zu beenden. Diese Abgangschance ist bei ihnen mit 3,25 Prozent nur gut halb so hoch wie die im Durchschnitt über alle Altersklassen mit 6,39 Prozent (BfA aaO S. 18, 22). Die schwierigere Rückkehr in eine Erwerbstätigkeit führt auch zu einer längeren Dauer der Arbeitslosigkeit. Die durchschnittliche bisherige Arbeitslosigkeitsdauer von 55-Jährigen und Älteren ist mit 89 Wochen deutlich länger als die Dauer über alle Altersklassen mit 70 Wochen (BfA aaO S. 22). Damit korrespondiert ein vergleichsweise höherer Anteil an Langzeitarbeitslosen in der Altersgruppe der 55- bis 65-Jährigen: Während 2021 im Durchschnitt der 15- bis unter 65-Jährigen 39 Prozent der Arbeitslosen bereits seit mindestens einem Jahr arbeitslos war, traf dies bei den älteren Arbeitslosen auf 47 Prozent zu (BfA aaO S. 20, 22; BfA Berichte: Analyse Arbeitsmarkt - Arbeitsmarkt für Ältere [Monatszahlen] November 2022 S. 43). Schließlich müssen ältere Arbeitnehmer zur Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit häufig schlechtere Arbeitsbedingungen als im beendeten Arbeitsverhältnis und damit zusätzlich weitere Nachteile in ihrem späteren Arbeitsleben sowie in ihrer Rentenbiografie in Kauf nehmen (vgl. BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 24, BAGE 159, 82; Däubler/Beck/Brors AGG 5. Aufl. § 10 Rn. 52).

(2) Durch das Kriterium "Lebensalter" soll allerdings nicht der generelle Erhalt des Arbeitsplatzes bis zur Regelaltersgrenze oder dem selbstgewählten Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben sichergestellt werden (vgl. Gaul/Bonanni BB 2008, 218, 223). Darum darf berücksichtigt werden, dass dieses Kriterium im Hinblick auf seinen Zweck, dem Arbeitnehmer mit dem Arbeitsplatz seine entscheidende Einkommensquelle zu sichern, mit dessen näherrückender versorgungsrechtlicher Absicherung an Aussagekraft verliert und der dadurch angestrebte Schutz mit dem Erreichen dieser Absicherung endet (vgl. LAG Niedersachsen 23. Mai 2005 - 5 Sa 198/05 - zu I 1 a der Gründe; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 135 Rn. 23; KR/Rachor 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 733; SPV/Preis 11. Aufl. Rn. 1084; Koch FS Preis 2021 S. 655, 661 f.; Klösel/Reitz NZA 2014, 1366, 1371; Gravenhorst FS Leinemann 2006 S. 325, 328). Das gilt umso mehr, als auch das Kriterium "Betriebszugehörigkeit" zwar mit der Belohnung der Betriebstreue einen anderen Aspekt der sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers bei der Sozialauswahl berücksichtigt, tendenziell jedoch ältere Arbeitnehmer begünstigt (BAG 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - Rn. 58, BAGE 140, 169).

dd) Dieser Ambivalenz des Kriteriums "Lebensalter" dürfen der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei dessen Gewichtung für die zu treffende Auswahlentscheidung Rechnung tragen. Seine Grundlage findet dieser Wertungsspielraum in § 1 Abs. 3 KSchG bzw. in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, die nur eine "ausreichende" bzw. nicht "grob fehlerhafte" Berücksichtigung der gesetzlich vorgegebenen Kriterien verlangen. Der Gesetzgeber hat damit zu erkennen gegeben, dass keine objektiv bestmögliche Sozialauswahl erforderlich ist, sondern der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei der Abwägung die Sozialdaten unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Zwecks gewichten dürfen (vgl. BAG 29. Januar 2015 - 2 AZR 164/14 - Rn. 11, BAGE 150, 330). Der Gesetzeswortlaut legt zudem nicht fest, wie das Lebensalter zu berücksichtigen ist, insbesondere nicht, dass sich ein zunehmendes Lebensalter ausschließlich zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken darf (vgl. Gravenhorst FS Leinemann 2006 S. 325, 328). Darum darf in der Gruppe der älteren Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die zeitnah versorgungsrechtlich abgesichert sind, und Arbeitnehmern, bei denen das (noch) nicht der Fall ist, differenziert werden (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 202). § 125 InsO lässt insoweit über die Verweisung auf § 1 Abs. 3 KSchG auch eine Begrenzung der Bevorzugung älterer Arbeitnehmer in Bezug auf das Kriterium "Lebensalter" zu, wenn und weil der Arbeitnehmer des dadurch bezweckten Schutzes nicht mehr uneingeschränkt oder gar nicht mehr bedarf, weil er zeitnah bedarfsunabhängig sozial abgesichert ist.

Damit wird kein zusätzliches Auswahlkriterium der "sozialen Absicherung" bzw. der "Rentenberechtigung oder -nähe" geschaffen (aA Preis/Sagan/Preis/Reuter EuArbR 2. Aufl. Rn. 6.90). Vielmehr wird lediglich die reale Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers in Bezug auf sein Lebensalter entsprechend der mit diesem Kriterium verfolgten Intention des Gesetzgebers unter Nutzung des von diesem eröffneten Wertungsspielraums gewichtet und mit der Schutzwürdigkeit anderer, im Ergebnis regelmäßig ebenfalls älterer Arbeitnehmer austariert (vgl. Koch FS Preis 2021 S. 655, 662). Weil die typischerweise längere Betriebszugehörigkeit rentennaher Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl uneingeschränkt zu berücksichtigen ist, profitieren von der Berücksichtigung der Rentennähe in der Praxis vor allem ebenfalls bereits schwieriger zu vermittelnde "jüngere" ältere Beschäftigte ab 55 Jahren (sh. Rn. 72), bei denen eine lange Betriebszugehörigkeit vorliegt und/oder die noch Unterhaltspflichten zu erfüllen haben. Diesen Personenkreis trifft eine Arbeitslosigkeit bei typisierender Betrachtung härter als rentennahe Arbeitnehmer, weil ältere Arbeitnehmer weniger flexibel als kürzer beschäftigte Betriebszugehörige sind bzw. als weniger flexibel gelten (BAG 18. September 2014 - 6 AZR 636/13 - Rn. 40, BAGE 149, 125). Unter anderem deshalb sind ältere, aber noch "rentenferne" Arbeitnehmer länger arbeitslos, müssen uU auch bedarfsabhängige Sozialleistungen in Anspruch nehmen und zuvor Rücklagen mit Ausnahme des Schonvermögens einsetzen. Auch sind für diesen Personenkreis bis zum Anspruch auf Altersrente regelmäßig größere Rentennachteile als bei rentennahen Arbeitnehmern zu erwarten (vgl. BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 24, BAGE 159, 82).

ee) Diesem Normverständnis steht § 41 SGB VI nicht entgegen.

(1) § 41 Satz 1 SGB VI untersagt lediglich die Kündigung wegen des Anspruchs auf eine Altersrente. Damit bleibt die Berücksichtigung eines (zeitnahen) Anspruchs auf den Bezug einer Altersrente bei der Sozialauswahl bezogen auf das Kriterium "Lebensalter" möglich (BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 18, BAGE 159, 82). Im Unterschied zu einer Kündigung wegen der Rentenberechtigung wird bei der Berücksichtigung der Rentenberechtigung oder -nähe bei nur einem der Kriterien der Sozialauswahl zum Nachteil des Arbeitnehmers dieser nicht allein aufgrund des zeitnahen Anspruchs auf eine Altersrente zur Kündigung ausgewählt (so aber BeckOGK/Seiwerth SGB VI § 41 Stand 1. März 2022 Rn. 29.4). Seine Schutzwürdigkeit sinkt dadurch lediglich ab.

(2) Allerdings war in § 41 Abs. 4 Satz 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung geregelt, dass der Anspruch auf eine Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres bei der Sozialauswahl nicht berücksichtigt werden dürfe. Diese Regelung hat der Gesetzgeber jedoch gestrichen und - im Gegensatz zu § 8Abs. 1 Halbs. 2 AltTZG - nicht reaktiviert. Mit der Wiederherstellung der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Rechtslage für das Altersteilzeitrecht wollte er der Gefahr begegnen, dass mit dem Inaussichtstellen einer Kündigung auf den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung hingewirkt werde (BT-Drs. 14/1831 S. 9). Eine vergleichbare Drucksituation kann bei einer betriebsbedingten Kündigung nicht entstehen. Darum fehlt es an einem hinreichend erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die Berücksichtigung einer Rentenberechtigung bei der Sozialauswahl weiterhin auszuschließen. Im Gegenteil liegt eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers vor, die es erlaubt, nunmehr die Rentenberechtigung sowie -nähe bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen (vgl. Fichte in Hauck/Haines SGB VI K § 41 Stand Februar 2015 Rn. 14 f.; im Ergebnis ebenso KR/Rachor 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 733; aA: LSSW/Schlünder 11. Aufl. § 1 Rn. 452; BeckOGK/Seiwerth SGB VI § 41 Stand 1. März 2022 Rn. 29.3; LKB/Krause 16. Aufl. § 1 Rn. 940). In dieser Auslegung verbleibt § 41 SGB VI nF entgegen einer Annahme im Schrifttum (BeckOGK/Seiwerth aaO Rn. 13.1, 29.2) auch ein Anwendungsbereich. Dadurch ist sichergestellt, dass auch außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes und bei dessen Änderung oder Abschaffung eine Kündigung nicht allein auf die Rentenberechtigung gestützt werden kann.

ff) Schließlich steht die Berücksichtigung der Rentenberechtigung bzw. -nähe nicht im Widerspruch dazu, dass die Vermögensverhältnisse der Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl außer Betracht bleiben (aA BeckOGK/Seiwerth SGB VI § 41 Stand 1. März 2022 Rn. 29.2). Bei diesen besteht der erforderliche Zusammenhang mit dem Lebensalter nicht.

gg) Unter Zugrundelegung vorstehenden Normverständnisses hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der Regelaltersrente beziehen kann oder eine solche tatsächlich bezieht, jedenfalls hinsichtlich des Sozialauswahlkriteriums "Lebensalter" deutlich weniger schutzbedürftig ist als Arbeitnehmer ohne einen solchen Anspruch (BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 14 ff., BAGE 159, 82; zustimmend: Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 135 Rn. 23; LKB/Krause 16. Aufl. § 1 Rn. 940; APS/Kiel 6. Aufl. KSchG § 1Rn. 640; KR/Rachor 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 733; LSSW/Schlünder 11. Aufl. § 1 Rn. 451; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 91; Richter Benachteiligung wegen des Alters im Erwerbsleben S. 372; aA: Preis/Sagan/Preis/Reuter EuArbR 2. Aufl. Rn. 6.90; Temming Altersdiskriminierung im Arbeitsleben S. 181 ff.; Bütefisch Die Sozialauswahl S. 263 f.; die Berücksichtigung des Lebensalters wegen des unionsrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung gänzlich ablehnend AR/Kaiser 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 204).

hh) Mit den gesetzlichen Vorgaben ist es darüber hinaus vereinbar, wenn der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigen, dass dieser nach den jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses abschlagsfrei Rente wegen Alters (§ 33 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI) beziehen kann. Die Berücksichtigung der so verstandenen Rentennähe hält sich noch in den Grenzen des durch den Gesetzgeber eingeräumten Wertungsspielraums. Eine Auswahlentscheidung, die in einem solchen Fall eine geringere Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf das Auswahlkriterium "Lebensalter" annimmt, verwirklicht die sozialpolitisch erwünschte Generationengerechtigkeit. Zugleich schwächt sie die in § 1 Abs. 3 KSchG angelegte Bevorzugung älterer Arbeitnehmer nur insoweit ab, wie es in Abwägung mit den Interessen anderer, vor allem "jüngerer" älterer Beschäftigter (dazu vorstehend Rn. 30) erforderlich ist. Sie berücksichtigt die mit der zeitnahen Möglichkeit des Rentenbezugs bei typisierender Betrachtung einhergehende wirtschaftliche, nicht bedarfsabhängige Absicherung angemessen (vgl. BAG 28. Juni 2012 - 6 AZR 682/10 - Rn. 32, BAGE 142, 225; 15. Dezember 2011 - 2 AZR 42/10 - Rn. 63, BAGE 140, 169; vgl. auch Koch FS Preis 2021 S. 655, 662). Da das Gesetz einen typisierenden Maßstab anlegt, hängt die geringere Schutzbedürftigkeit grundsätzlich auch nicht von der konkret zu erwartenden Rentenhöhe ab (EuGH 5. Juli 2012 - C-141/11 - [Hörnfeldt] Rn. 42, 47; 12. Oktober 2010 - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 48). Dessen ungeachtet können der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien in Härtefällen die Rentennähe unberücksichtigt lassen (vgl. Klösel/Reitz NZA 2014, 1366, 1371).

Dieses Verständnis der Rentennähe ist das Ergebnis der Abwägung der Interessen der von einem drohenden Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer. Hinsichtlich des zeitlichen Abstands zur Möglichkeit des Rentenbezugs ist es vom Sozialversicherungsrecht unabhängig, auch wenn es dessen aktueller Ausgestaltung entspricht, wie sie ua. in der zurzeit längstmöglichen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld im Umfang von 24 Monaten gemäß § 147Abs. 2 SGB III sowie der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 (BGBl. I S. 734) zum Ausdruck kommt. Eine Korrelation besteht nur bezüglich der rentenversicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen.

(1) Die geringere Schutzbedürftigkeit wegen der Möglichkeit einer anderweitigen bedarfsunabhängigen Absicherung besteht zum einen, wenn der Beschäftigte nach Maßgabe des jeweils geltenden Rentenversicherungsrechts die Möglichkeit hat, spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses Regelaltersrente gemäß §§ 35, 235 SGB VI zu beziehen.

(2) Zum anderen liegt eine Rentennähe auch vor, wenn der Beschäftigte spätestens innerhalb dieses Zeitraums abschlagsfrei eine (vorgezogene) Altersrente gemäß §§ 36, 236 SGB VI (Altersrente für langjährig Versicherte) oder §§ 40, 238 SGB VI (Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute) beziehen kann, weil er die hierfür im SGB VI geregelten Voraussetzungen, ua. die jeweilige Wartezeit (vgl. § 50 SGB VI), erfüllen wird.

(3) Schließlich liegt eine Rentennähe auch vor, wenn der Beschäftigte spätestens zwei Jahre nach Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine abschlagsfreie Rente nach §§ 38, 236b SGB VI (Altersrente für besonders langjährig Versicherte) erwirbt. Bei dieser Rentenart ist allerdings zu berücksichtigen, dass gemäß § 51Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Buchst. a SGB VI Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung wie Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn außer bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden (zur Verfassungskonformität dieser Regelung BSG 17. August 2017 - B 5 R 8/16 R - Rn. 41 ff., BSGE 124, 58, Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, BVerfG 1. Juni 2022 - 1 BvR 323/18 -). Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses diese Wartezeit noch nicht erfüllt haben, gelten damit - außer bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe - nach der gegenwärtigen Ausgestaltung des Rentenversicherungsrechts nicht als rentennah, weil und soweit sie gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Buchst. a SGB VI durch den Bezug von Arbeitslosengeld keine weiteren Wartezeitmonate erwerben können. Dabei dürfen die Betriebsparteien nicht zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers den Umstand berücksichtigen, dass es nicht gänzlich ausgeschlossen ist, dass dieser wieder Arbeit finden und in diesem Rahmen weitere Wartezeitmonate erwerben könnte. Demgegenüber ist ein Arbeitnehmer - wie im Fall der Klägerin - aber dann rentennah, wenn er bei erfüllten 45 Jahren Wartezeit das für den Rentenbezug erforderliche Mindestalter bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (noch) nicht aufweist, dieses aber in den zwei Jahren danach erreichen wird. Hier bedarf es, anders als im Fall der Wartezeit, lediglich noch des bloßen Zeitablaufs.

(4) Dagegen darf die Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß §§ 37, 236a SGB VI auch im Anwendungsbereich des § 125 InsO (zur Rechtslage im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 KSchG APS/Kiel 6. Aufl. KSchG § 1 Rn. 640; Isenhardt Anm. BB 2017, 2111) nicht in die Abwägung einbezogen werden. Deren Berücksichtigung führte zu einer unzulässigen mittelbaren Diskriminierung dieses Personenkreises wegen der Behinderung und der daran anknüpfenden sozialversicherungsrechtlichen Bevorzugung im Hinblick auf das Renteneintrittsalter iSv. §§ 1, 3 Abs. 2 AGG. Damit würde den behinderten Beschäftigten die Chance genommen, sich im Rahmen der Sozialauswahl in Bezug auch auf das Kriterium "Lebensalter" durchzusetzen. Von einem etwaigen Arbeitsplatzverlust wird dieser Personenkreis jedoch besonders schwer getroffen. Das Risiko gerade älterer schwerbehinderter Menschen, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes keine Anschlussbeschäftigung zu finden, ist noch einmal erhöht. So ist die Abgangsrate aus der Arbeitslosigkeit bei schwerbehinderten Menschen ab 55 Jahren im Schnitt nur halb so hoch wie bei den 25- bis 54-Jährigen in dieser Gruppe. Die gleiche Relation besteht im Verhältnis zu der Gruppe der nicht schwerbehinderten Arbeitslosen ab 55 Jahre (vgl. BfA Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt - Arbeitsmarktsituation schwerbehinderter Menschen 2021 Mai 2022 S. 15 für die Jahre 2017 bis 2021). Zudem erhöhen sich in der Regel mit zunehmendem Alter auch die unabweisbaren finanziellen Aufwendungen, denen schwerbehinderte Personen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung ausgesetzt sind (vgl. EuGH 19. September 2018 - C-312/17 - [Bedi] Rn. 51 ff.; BAG 11. Oktober 2022 - 1 AZR 129/21 - Rn. 23 ff.; 5. September 2019 - 6 AZR 533/18 - Rn. 22 ff., BAGE 167, 382). Daher ist § 1 Abs. 3 KSchG unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen für die Frage der "Rentennähe" unberücksichtigt zu bleiben hat. Möglich bleibt jedoch, in solchen Fällen eine Rentennähe im Hinblick auf den Bezug einer Regelaltersrente anzunehmen. Bei dieser nicht an das Merkmal der (Schwer-)Behinderung anknüpfenden Rente werden behinderte und nicht behinderte Beschäftigte gleichbehandelt.

(5) Keine Rentennähe ist hingegen anzunehmen, wenn der betroffene Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses eine (vorgezogene) Altersrente vorzeitig und daher nur mit Abschlägen in Anspruch nehmen kann. Dies beträfe in der Praxis lediglich die Altersrente für langjährig Versicherte, weil vorgezogene Altersrenten für schwerbehinderte Menschen, wie ausgeführt, generell nicht berücksichtigt werden dürfen. Außer schwerbehinderten Menschen können nach derzeitiger Rechtslage nur langjährig Versicherte gemäß § 36 Satz 2, § 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI die Altersrente vorzeitig bereits mit Vollendung des 63. Lebensjahres unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen aufgrund der Verminderung des sog. Rentenzugangsfaktors gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI in Anspruch nehmen. Besonders langjährig Versicherte haben diese Möglichkeit ebenso wenig wie Bezieher von Regelaltersrente (BSG 20. Mai 2020 - B 13 R 10/18 R - Rn. 15 ff. zur Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte). Eine solche Ausdehnung der Rentennähe auf Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (erst) das 61. Lebensjahr vollendet haben, wäre eine nicht mehr angemessene und damit nach dem Gesetz nicht mehr ausreichende Berücksichtigung des Auswahlkriteriums "Lebensalter", die den Gedanken der Generationengerechtigkeit überstrapazierte. Dieser gebietet es nicht, einem Beschäftigten Rentenabschläge durch einen vorzeitigen Renteneintritt zuzumuten, um einem lebensjüngeren Beschäftigten den Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. KR/Rachor 13. Aufl. § 1 KSchG Rn. 733; aA APS/Kiel 6. Aufl. KSchG § 1 Rn. 640 aE).

(6) Dass der rentennahe Arbeitnehmer bis zum tatsächlichen Rentenbeginn regelmäßig Arbeitslosengeld in Anspruch nimmt, stellt kein Verschieben der Beschäftigungsrisiken älterer Arbeitnehmer auf die Sozialversicherung dar (aA BeckOGK/Seiwerth SGB VI § 41 Stand 1. März 2022 Rn. 29.4), sondern ist nur ein Reflex der geringeren Schutzbedürftigkeit des rentennahen Arbeitnehmers und der danach erfolgenden sozialen Auswahl. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit den Regelungen in § 50 Abs. 5, § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Buchst. a SGB VI bei der Rente für besonders langjährig Versicherte (dazu vorstehend Rn. 40) das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwecks Frühverrentung verhindert (dazu BSG 21. Oktober 2021 - B 5 R 11/20 R - Rn. 21; 17. August 2017 - B 5 R 8/16 R - Rn. 23 ff., BSGE 124, 58).

(7) Dem Arbeitgeber bzw. den Betriebsparteien obliegt es im Rahmen des ihnen zustehenden Wertungsspielraums festzulegen, ob und wie sie die Rentennähe im Rahmen des Auswahlkriteriums "Lebensalter" im konkreten Fall berücksichtigen, solange die soziale Auswahl insgesamt die in § 1 Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Auswahlkriterien ausreichend berücksichtigt und damit den gesetzlichen Vorgaben genügt. Dabei ist es zulässig, wenn der Arbeitgeber bzw. die Betriebsparteien bei Zugrundelegung eines Punkteschemas bei nach vorstehenden Maßgaben rentennahen Arbeitnehmern die für das Lebensalter vorgesehenen Sozialpunkte kappen, Punkte abziehen oder diese sogar auf null setzen.

ii) Die Berücksichtigung der Rentennähe knüpft an das Recht, eine Altersrente zu beziehen, an und ist daher untrennbar mit dem dafür gesetzlich bestimmten Lebensalter verbunden. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 InsO iVm. § 1 Abs. 3 KSchG verstößt in vorstehend dargelegter Auslegung nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG. Das kann der Senat ohne eine an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtete Vorlage nach Art. 267 AEUV entscheiden.

(1) Die Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert das als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anzusehende allgemeine Diskriminierungsverbot, das nunmehr in Art. 21 GRC verankert ist. Unterfällt eine gesetzliche Regelung des nationalen Rechts dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG und widerspricht sie dieser, dürfen die nationalen Gerichte deshalb das nationale Recht auch in einem zwischen Privatpersonen geführten Rechtsstreit nicht anwenden, sofern es nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann (EuGH 19. April 2016 - C-441/14 - [DI] Rn. 22 f., 43).

(2) Die Eröffnung der Möglichkeit, beim Kriterium des Alters in der Sozialauswahl auch die Rentenberechtigung und -nähe zu berücksichtigen, diskriminiert ältere, rentennahe Arbeitnehmer nicht, sondern stellt unter Abwägung der divergierenden Interessen einen gerechten Ausgleich zwischen den Betroffenen her (zu diesem Erfordernis EuGH 16. Oktober 2007 - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 71). Sie ist deshalb gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt.

(a) Die Gewichtung des Lebensalters unter Berücksichtigung der Rentennähe soll dazu beitragen, die noch vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten gerecht zu verteilen (vgl. EuGH 12. Oktober 2010 - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 43 ff.). Von ihr profitieren im Ergebnis vor allem "jüngere" ältere Arbeitnehmer, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes besonders belastet werden (vorstehend Rn. 29 f.). Das stellt ein Instrument der nationalen Arbeitsmarktpolitik und damit ein legitimes Ziel iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2000/78/EG dar.

(b) Die Berücksichtigung der Rentenberechtigung bzw. -nähe ist angemessen, erforderlich und auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Sie erhöht für "jüngere" ältere und damit schutzwürdigere Beschäftigte die Chance, ihren Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 202; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 91; Klösel/Reitz NZA 2014, 1366, 1372; aA Däubler/Beck/Brors AGG 5. Aufl. § 10 Rn. 54), lässt aber auch die legitimen Interessen der rentennahen Arbeitnehmer nicht außer Betracht. Die verbleibenden zwei bzw. - im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG - drei weiteren Sozialauswahlkriterien können in der Gesamtbetrachtung insbesondere bei besonders langer Betriebstreue (vgl. nachstehend Rn. 57) den Ausschlag zu Gunsten des rentennahen Arbeitnehmers geben. Es besteht kein Automatismus zwischen der Berücksichtigung der Rentennähe eines Arbeitnehmers und einer Auswahlentscheidung zu seinen Lasten (vgl. BAG 27. April 2017 - 2 AZR 67/16 - Rn. 24, BAGE 159, 82).

(3) Die Berücksichtigung der Rentennähe widerspricht auch nicht den Zielen der Europäischen Beschäftigungspolitik, die in der Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent erreichen und Anreize zu Vorruhestandsregelungen abbauen will (aA Däubler/Beck/Brors AGG 5. Aufl. § 10 Rn. 32, 54). Zum einen werden durch das Zurücktreten des Kriteriums "Lebensalter" betroffene, rentennahe Arbeitnehmer häufig schon 64 Jahre alt sein. Zum anderen würde der alternativ eintretende Arbeitsplatzverlust jüngerer Arbeitnehmer die angestrebte Beschäftigungsquote ebenfalls senken.

(4) Der Durchführung eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Die Grundsätze zum Verständnis und zur Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 Richtlinie 2000/78/EG sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt. Die Prüfung, ob eine nationale Regelung den danach feststehenden unionsrechtlichen Anforderungen entspricht, liegt allein in der Kompetenz der nationalen Gerichte. Das gilt insbesondere für die Frage, ob die gewählten Mittel unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 3. Juni 2021 - C-914/19 - [Ministero della Giustizia (Notaires)] Rn. 40, 43; 26. September 2013 - C-476/11 - [HK Danmark] Rn. 69; 21. Juli 2011 - C-159/10 - [Fuchs] Rn. 71; 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 49 f.).

jj) Die Berücksichtigung der Rentennähe im Rahmen des Sozialauswahlkriteriums "Lebensalter" ist auch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

(1) Eine grundrechtliche Prüfung hat sich im vorliegenden Zusammenhang primär an den Grundrechten des Grundgesetzes zu orientierten (vgl. BVerfG 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - Rn. 42, BVerfGE 152, 152). Die Richtlinie 2000/78/EG legt ausweislich ihres Art. 8 lediglich Mindestanforderungen fest, ohne günstigere mitgliedstaatliche Regelungen auszuschließen (vgl. BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 64, BAGE 147, 60).

(2) Art. 12 Abs. 1 GG garantiert weder den einmal gewählten Arbeitsplatz noch schützt es unmittelbar vor dessen Verlust. Aufgrund seiner Schutzpflicht ist der Staat jedoch verpflichtet, ein Mindestmaß an Kündigungsschutz zu gewährleisten, dem er mit Erlass des KSchG hinreichend nachgekommen ist (vgl. BVerfG 15. November 2018 - 1 BvR 1572/17 - Rn. 16; 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14 ua. - Rn. 47, BVerfGE 149, 126; AR/Pessinger 10. Aufl. Art. 12GG Rn. 8). Die Berücksichtigung der Rentennähe im Rahmen des Kriteriums "Lebensalter" führt nicht dazu, dass dieses Mindestmaß nicht mehr gewahrt wäre. Rentennahe Arbeitnehmer haben nicht von vornherein mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zu rechnen. Das KSchG gestaltet auch in der vorstehend entwickelten Auslegung die grundrechtliche Mindestgewährleistung hinsichtlich der Sozialauswahl lediglich in zulässiger Weise aus.

kk) Danach ist die am 2. Januar 1957 geborene und seit 1. August 1972 durchgehend bei der Schuldnerin beschäftigte Klägerin "rentennah". Sie hatte ungeachtet des Umstands, dass hier gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3 Buchst. a Teilsatz 3 SGB VI die Rückausnahme der Insolvenz des Arbeitgebers vorlag, im Zeitpunkt der in Aussicht genommenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 2020 die Wartezeit von 45 Jahren bereits erfüllt. Am 2. November 2020 und damit innerhalb von zwei Jahren nach dem 30. Juni 2020 hat die Klägerin zudem das in ihrem Fall maßgebliche Mindestalter für den Bezug der Rente für besonders langjährig Versicherte von 63 Jahren und 10 Monaten (§ 236b Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 SGB VI) erreicht. Somit konnte sie ab 1. Dezember 2020 (§ 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) diese Rente abschlagsfrei beziehen.

b) Die soziale Auswahl ist gleichwohl grob fehlerhaft.

aa) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die der Namensliste zugrundeliegende Auswahlentscheidung sei evident unausgewogen und deswegen grob fehlerhaft, weil das Kriterium "Betriebszugehörigkeit" eindeutig unzureichend bewertet worden sei und letztlich keine Rolle gespielt habe, hält dem für die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 1 Abs. 3 KSchG und des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO geltenden eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab (dazu BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 36 mwN, BAGE 147, 89) in jeder Hinsicht stand. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Auswahl zu Lasten der Klägerin erfolgt, weil sie aufgrund ihrer Rentennähe hinter alle anderen Arbeitnehmer der Vergleichsgruppe zurückgefallen sei. Diese allein auf die Rentennähe verengte Auswahlentscheidung hatte zur Folge, dass bei der Sozialauswahl jeder noch so erhebliche Unterschied bei Betriebszugehörigkeit sowie Unterhaltspflichten unberücksichtigt blieb. Das führte im Ergebnis dazu, dass der von der Klägerin benannte, 40 Jahre kürzer beschäftigte Herr L statt der Klägerin weiterbeschäftigt wurde.

bb) Soweit der Beklagte in der Revisionsbegründung anführt, neben der größeren Schutzwürdigkeit des Herrn L im Hinblick auf das Kriterium "Lebensalter" sei die im Vergleich zu diesem deutlich längere Betriebszugehörigkeit der Klägerin zwar berücksichtigt worden, gleichwohl sei aber die Klägerin insgesamt als sozial weniger schutzbedürftig angesehen worden, handelt es sich um in der Revisionsinstanz grundsätzlich unbeachtlichen neuen Sachvortrag (§ 559 ZPO), der zudem gänzlich unsubstantiiert ist.

II. Der Kündigungsschutzantrag die Kündigung vom 29. Juni 2020 betreffend ist zulässig, aber unbegründet. Diese Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. September 2020 aufgelöst. Sie ist entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 1, Abs. 3 KSchG. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich und von der Klägerin nicht geltend gemacht.

1. Der Beklagte kann sich in Bezug auf diese Kündigung ebenfalls auf die Privilegierungen des § 125 Abs. 1 InsO stützen. Es liegt eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vor. Der Beklagte beabsichtigte, den Betrieb zum 31. Mai 2021 stillzulegen. Die Betriebsparteien haben unter dem 29. Juni 2020 wiederum einen formwirksamen Interessenausgleich mit drei Namenslisten abgeschlossen. Die Vermutungsbasis entfällt nicht deshalb, weil die Namen der zu Kündigenden nicht in einer einheitlichen Liste zusammengefasst sind. Dem Interessenausgleich liegt die einheitliche Planung der Stilllegung als Betriebsänderung mit gestaffelten Kündigungsfristen zugrunde. Er erfasst damit alle Stufen der Betriebsänderung insgesamt. Ebenso erfassen die Namenslisten in der Gesamtschau alle zum Zeitpunkt der Stilllegung gekündigten Arbeitnehmer. Darum liegen keine "Teil-Namenslisten" vor, die den Anforderungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht genügten (vgl. BAG 17. März 2016 - 2 AZR 182/15 - Rn. 33 f., BAGE 154, 303; Salamon BB 2022, 2612, 2614). Der Name der Klägerin ist unter der laufenden Nr. 20 auf der Liste derjenigen Arbeitnehmer genannt, denen ungeachtet der auf der Grundlage des ersten Interessenausgleichs vom 27. März 2020 ausgesprochenen Kündigung vorsorglich erneut gekündigt werden sollte, weil sie entweder bereits Kündigungsschutzklage erhoben hatten oder diese noch erheben konnten.

2. Damit wird vermutet, dass die Kündigung vom 29. Juni 2020 durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO). Diese Vermutung hat die Klägerin nicht widerlegt. Soweit sie die endgültige und dauerhafte Stilllegungsabsicht in Abrede gestellt hat, weil Verkaufsabsichten bestanden hätten, wie die Verhandlungen im August und September 2020 belegen würden, lässt dies die unternehmerische Entscheidung für die bereits zuvor zugegangene Kündigung vom 29. Juni 2020 nicht entfallen.

3. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Betriebsparteien verpflichtet waren, die Entscheidung, welche Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des § 113 InsO zum nächstmöglichen Termin und welche unter Verlängerung der in dieser Norm enthaltenen Frist erst zum 31. Mai 2021 gekündigt werden, nach sozialen Auswahlkriterien zu treffen. Ungeachtet des Umstands, dass der Interessenausgleich die Stilllegung des gesamten Betriebs und damit die Kündigung aller Arbeitsverhältnisse zum Gegenstand hatte, machte die von den Betriebsparteien gewählte zeitliche Staffelung der Beendigungstermine nach dem im Rahmen der Ausproduktion verbleibenden Beschäftigungsbedarf eine Sozialauswahl erforderlich.

a) Die Notwendigkeit einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG, ggf. iVm. § 125 InsO, entfällt grundsätzlich, wenn allen Arbeitnehmern gekündigt wird. Ihr Zweck (dazu vorstehend Rn. 24), eine Rangfolge der von der unternehmerischen Entscheidung betroffenen Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit zu bilden, kann nicht erreicht werden, wenn es auf die Frage, welcher Arbeitnehmer aufgrund seiner Sozialdaten am wenigsten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist, nicht ankommt, weil alle Arbeitsplätze wegfallen (BAG 10. Oktober 1996 - 2 AZR 651/95 - zu II 3 a der Gründe).

aa) Einer Sozialauswahl bedarf es deshalb nicht, wenn der Arbeitgeber in Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung alle Arbeitsverhältnisse zu demselben Termin (im Fall der Betriebsschließung idR dem Stilllegungstermin) kündigt, dabei aber die Kündigungen entsprechend der jeweils geltenden, unterschiedlich langen Kündigungsfristen zeitlich gestaffelt erklärt, sodass die Arbeitnehmer mit den kürzesten Kündigungsfristen die Kündigungserklärung zuletzt erhalten (vgl. BAG 27. Oktober 2005 - 8 AZR 568/04 - Rn. 31; 10. Oktober 1996 - 2 AZR 651/95 - zu II 3 a der Gründe).

bb) Die Sozialauswahl ist auch überflüssig, wenn der Arbeitgeber alle Arbeitsverhältnisse zeitgleich zum (jeweils) nächstmöglichen Kündigungstermin kündigt, sodass die Arbeitsverhältnisse entsprechend der für den jeweiligen Arbeitnehmer maßgeblichen Kündigungsfrist zu unterschiedlichen Zeitpunkten enden (vgl. BAG 7. Juli 2005 - 2 AZR 447/04 - zu II 1 a der Gründe).

cc) In beiden Konstellationen behandelt der Arbeitgeber alle betroffenen Arbeitnehmer gleich. Unterschiede hinsichtlich des Kündigungsausspruchs bzw. des Beendigungstermins ergeben sich allein und zwangsläufig aus den unterschiedlichen Kündigungsfristen. Verlangte man gleichwohl eine Sozialauswahl, hätte das im Ergebnis lediglich die Verlängerung der Kündigungsfrist der sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer zur Folge. Eine solche Verlängerung ist aber nicht Zweck der Sozialauswahl (BAG 22. September 2005 - 6 AZR 526/04 - zu II 3 e der Gründe, BAGE 116, 19; 7. März 2002 - 2 AZR 147/01 - zu B II 3 a der Gründe; LKB/Krause 16. Aufl. § 1 Rn. 862).

b) Dagegen ist eine Sozialauswahl erforderlich, wenn sich der Arbeitgeber zu einer etappenweisen Betriebsstilllegung entschlossen hat. Hier muss er bei jeder Etappe mit Ausnahme der letzten eine soziale Auswahl vornehmen. Außer bei der letzten Etappe geht es jeweils um die Frage, welche von mehreren Arbeitnehmern, und sei es auch nur befristet bis zur nächsten Etappe bzw. zur endgültigen Schließung, weiter zu beschäftigen sind. Die Antwort hierauf gibt die soziale Auswahl entsprechend der gesetzlichen Vorgaben dahingehend, dass dem sozial schutzbedürftigsten Arbeitnehmer der Arbeitsplatz möglichst weitgehend erhalten bleiben soll (vgl. BAG 10. Oktober 1996 - 2 AZR 651/95 - zu II 3 a der Gründe; 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - zu B I 2 a der Gründe).

c) Kündigt der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall zwar allen Arbeitnehmern gleichzeitig, orientiert sich bezüglich der Beendigung aber nicht an der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist, sondern an dem sich nach und nach verringernden Beschäftigungsbedarf im Rahmen einer "Ausproduktion", liegt entgegen der Annahme der Revision ein Unterfall einer etappenweisen Stilllegung vor, sodass eine Sozialauswahl erforderlich ist. Darum sind die innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdigen Arbeitnehmer zu den früheren Beendigungsterminen zu kündigen (Salamon BB 2022, 2612, 2617). In solchen Fällen geht es nicht nur um eine Verlängerung der Kündigungsfrist, sondern darum, dem sozial schutzbedürftigsten Arbeitnehmer die nach dem Konzept der Ausproduktion am längsten bestehende Beschäftigungsmöglichkeit zu eröffnen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn betriebliche, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung sozial bessergestellter, vergleichbarer Arbeitnehmer bedingen. Dann ermöglicht § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG es auch im Fall einer Betriebsstilllegung mit Ausproduktion, berechtigten Belangen des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Für die Abwicklung unentbehrliche Arbeitnehmer können daher in jedem Fall weiterbeschäftigt werden (vgl. BAG 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - zu B I 2 c der Gründe für den Fall der etappenweisen Betriebsstilllegung).

d) Nach diesen Grundsätzen hätten die Betriebsparteien bei der Erstellung der Namenslisten zum Interessenausgleich vom 29. Juni 2020 eine soziale Auswahl vornehmen müssen. Die Kündigungen sollten zwar zeitgleich erfolgen, aber nicht unter Anwendung der jeweils geltenden Kündigungsfrist, sondern unter Berücksichtigung des sich durch die Ausproduktion verringernden Beschäftigungsbedarfs. Die danach (befristet) weiter bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten hätten nach sozialen Auswahlkriterien verteilt werden müssen.

4. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat sich der Fehler im Auswahlverfahren aber nicht auf das Auswahlergebnis ausgewirkt, sodass das Unterlassen der sozialen Auswahl nicht kausal für die Kündigung der Klägerin war. Der Beklagte hat aufgezeigt, dass mit der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis der Klägerin in der "ersten Welle" zum 30. September 2020 zu kündigen, eine objektiv vertretbare Auswahl getroffen worden ist und sich deshalb die Auswahlentscheidung bezogen auf die Klägerin als nicht grob fehlerhaft erweist.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Sozialauswahl nur dann unwirksam, wenn sich auch ihr Ergebnis als fehlerhaft erweist. Die Würdigung des Gerichts, die soziale Auswahl sei nicht ausreichend bzw. grob fehlerhaft, setzt deshalb die Feststellung voraus, dass der vom Arbeitnehmer konkret gerügte Auswahlfehler tatsächlich vorliegt, also ein bestimmter mit dem Gekündigten vergleichbarer Arbeitnehmer in dem nach dem Gesetz erforderlichen Maß weniger schutzbedürftig ist (BAG 10. Juni 2020 - 2 AZR 420/09 - Rn. 19). Selbst ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen, nicht (grob) fehlerhaften Auswahlergebnis führen. Ist eine Sozialauswahl gar nicht oder methodisch fehlerhaft durchgeführt worden, ist die Kündigung jedenfalls nicht aus diesem Grund unwirksam, wenn die tatsächlich getroffene Auswahl des Gekündigten, sei es auch zufällig, objektiv vertretbar ist (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 476/16 - Rn. 41 mwN; 20. September 2012 - 6 AZR 483/11 - Rn. 25 mwN). Daher ist es entgegen der Annahme der Vorinstanz (wie diese LAG Düsseldorf 5. Oktober 2011 - 7 Sa 1677/10 - zu II 1 b der Gründe; LAG Hamm 21. Januar 2009 - 2 Sa 1351/08 - zu I 1 der Gründe) nicht erforderlich, dass der sich auf die fehlende Kausalität eines Auswahlfehlers berufende Arbeitgeber darlegt, dass die Kündigung des klagenden Arbeitnehmers die einzig zulässige Auswahlentscheidung gewesen ist. Es ist ausreichend, dass es sich um eine (von ggf. mehreren) objektiv vertretbaren Auswahlentscheidung handelt, die zu einem jedenfalls nicht grob fehlerhaften Auswahlergebnis geführt hat. Insoweit gilt der Maßstab des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO weiter (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 790/12 - Rn. 22 mwN, BAGE 147, 89; zur Darlegungslast BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 476/16 - Rn. 41 mwN; 20. September 2012 - 6 AZR 483/11 - Rn. 25, 27). Der Arbeitgeber muss demgemäß darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass die getroffene Auswahlentscheidung im Ergebnis unter Berücksichtigung der Kriterien "Betriebszugehörigkeit", "Lebensalter" und "Unterhaltspflichten" erfolgt und nicht grob fehlerhaft ist.

b) Zwar kann sich der Beklagte auch bezüglich der Kündigung vom 29. Juni 2020 nicht darauf berufen, die Auswahlentscheidung habe allein anhand der Rentennähe der Klägerin zu deren Lasten getroffen werden können. Dies stellte eine unzulässige Überbetonung des Kriteriums "Lebensalter" unter Außerachtlassung der übrigen Auswahlkriterien dar und wäre grob fehlerhaft (vgl. vorstehend Rn. 57). Der Beklagte hat aber dargelegt, dass aufgrund der geringen Unterschiede in der sozialen Schutzbedürftigkeit zwischen der Klägerin und Herrn Se letzterer statt Herrn S erst zum 31. Mai 2021 gekündigt worden wäre. Herr Se war Ende Juni 2020 56 Jahre alt, also sieben Jahre jünger als die Klägerin, nicht verheiratet und seit knapp 38 Jahren und damit rund zehn Jahre kürzer bei der Schuldnerin beschäftigt. Unter Berücksichtigung des Umstands der Rentennähe der Klägerin, die ab Dezember 2020 eine ungekürzte Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch nehmen konnte, wäre es noch eine objektiv vertretbare, nicht zu einem grob fehlerhaften Auswahlergebnis führende Auswahlentscheidung gewesen, die im Vergleich zu Herrn Se längere Betriebszugehörigkeit der Klägerin sowie deren Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Ehemann wegen ihrer hinsichtlich des Lebensalters deutlich geringeren Schutzbedürftigkeit zurücktreten zu lassen und so im Ergebnis Herrn Se als "jüngeren" älteren Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zu erhalten.

III. Die Kostenentscheidung folgt unter Berücksichtigung des vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen und in der Revision nicht mehr streitgegenständlichen Weiterbeschäftigungsverlangens der Klägerin aus § 92 Abs. 1 ZPO.



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