Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom - Az: 1 BvR 2022/02

Aussetzung des Schadenersatzverfahrens wegen Verdacht einer Straftat

Nimmt ein Arbeitgeber seinen ehemaligen Arbeitnehmer wegen Schadenersatz in Anspruch und wird gegen den Arbeitnehmer in diesem Zusammenhang wegen Betrug und Untreue zu Lasten des Arbeitgebers ermittelt, so kann das arbeitsgerichtliche Verfahren grundsätzlich bis zur Erledigung des Strafverfahrens ausgesetzt werden.

Vor den Arbeitsgerichten klagte der Beschwerdeführer zunächst gegen einen früheren Arbeitnehmer auf Zahlung von Schadenersatz i.H.v. etwa 215.000 Euro. Dieser soll Schmiergelder erhalten haben, damit Vertragspartner des Beschwerdeführers diesem gegenüber Dienstleistungen abrechnen konnten, die nicht erbracht wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte daher gegen den Ex-Arbeitnehmer wegen dringenden Verdachts des Betrugs und der Untreue. Das arbeitsgerichtliche Verfahren wurde gem. §149 ZPO bis zur Erledigung der Strafsache ausgesetzt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Arbeitgeber die Verletzung effektiven Rechtsschutzes.

Das Bundesverfassungsgericht hilft der Beschwerde nicht ab. Die Aussetzung eines Schadenersatzverfahren sei den Parteien grundsätzlich zumutbar. Die Entscheidung der Arbeitsgerichte befinde sich damit innerhalb der Ermessensgrenzen. Nach Ablauf der Jahresfrist des §149 Abs.2 ZPO und auf Antrag der Beschwerdefüherin müsse das Arbeitsgericht deren Interesse an der Erledigung der Sache aber besonders berücksichtigen, sodass eine weiter andauernde Aussetzung besonders begründet werden müsse.

Tenor

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der M ... GmbH

gegen a) den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. Juli 2002 - 5 Ta 346/02 -,

b)    den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 2002 - 3 Ca 10114/01 -,

c)    den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juni 2002 - 3 Ca 10114/01 -

 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 30. Juni 2003 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob ein fachgerichtliches Verfahren über eine Schadensersatzklage eines Arbeitgebers gegen einen früheren Arbeitnehmer gemäß § 149 ZPO in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG bis zum Abschluss eines Strafverfahrens ausgesetzt werden durfte.

1. Die Beschwerdeführerin nimmt im Ausgangsverfahren einen früheren Arbeitnehmer (den Beklagten des Ausgangsverfahrens) auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte soll die Beschwerdeführerin dadurch geschädigt haben, dass er es ihren Vertragspartnern ermöglichte, nicht erbrachte Dienstleistungen ihr gegenüber abzurechnen. Dafür soll er "Schmiergelder" empfangen haben. Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Beklagten unter anderem wegen des dringenden Verdachts des Betrugs und der Untreue zu Lasten des Vermögens der Beschwerdeführerin.

Vor dem Arbeitsgericht erkannte der Beklagte rund zwei Drittel des geltend gemachten Schadensersatzanspruches an. Der Beklagte bestreitet, dass der Beschwerdeführerin über die anerkannten Beträge hinaus Forderungen zustehen. Die Beschwerdeführerin begehrt nach dem Teilanerkenntnis noch die Zahlung von 420.550,00 DM (= 215.023,80 Euro).

Das Arbeitsgericht setzte im Juni 2002 das Verfahren gemäß § 149 ZPO bis zum Abschluss des Strafverfahrens gegen den Beklagten aus. Der sofortigen Beschwerde half es nicht ab. Das Landesarbeitsgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin blieb erfolglos.

2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Art. 103 Abs. 1 GG durch die Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts. Die Gerichte hätten ihren Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt, weil es unverhältnismäßig gewesen sei, § 149 ZPO in der konkreten Verfahrenssituation anzuwenden.

3. Zur Verfassungsbeschwerde sind das Hessische Ministerium der Justiz und der Beklagte des Ausgangsverfahrens angehört worden (§ 94 Abs. 2 und 3 BVerfGG). Der Beklagte hat sich nicht geäußert. Die Hessische Staatskanzlei hat die Auffassung vertreten, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Die Beschwerdeführerin habe einen Grundrechtsverstoß nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Insbesondere die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zivilrechtlichen Streitigkeiten (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip <Art. 20 Abs. 3 GG>) sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 ff.>; 93, 99 <107 f.>).

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Gehörsrüge unzulässig. Im Übrigen haben die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 149 Abs. 1 ZPO den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verkannt.

1. Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet in zivilrechtlichen Streitigkeiten nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 f.>; 93, 99 <107 f.>). Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf allerdings einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung (vgl. nur BVerfGE 88, 118 <123 f.> m.w.N.; 93, 99 <107>). Das Rechtsstaatsprinzip fordert für das gerichtliche Verfahren einen wirkungsvollen Rechtsschutz des einzelnen Rechtsuchenden, andererseits aber auch die Herstellung von Rechtssicherheit, die voraussetzt, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 99 <107>).

Auch der Richter muss die Tragweite des Grundrechts auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz beachten (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 88, 118 <125>). Er darf verfahrensrechtliche Regelungen, die den vorgenannten Grundsätzen widersprechen, nicht anwenden (Art. 100 Abs. 1 GG). Soweit Verfahrensvorschriften einen Auslegungsspielraum lassen, darf er sie nicht in einem Sinne auslegen, der zu einem solchen Widerspruch führen würde (BVerfGE 88, 118 <125>).

2. Nach diesem Maßstab verletzen die angegriffenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts noch nicht den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

a) Der Gesetzgeber hat den Widerstreit zwischen dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse des Rechtsuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits für Zivilverfahren, in denen die Entscheidung von einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis oder vom Verdacht einer Straftat beeinflusst wird, durch die Aussetzungsvorschriften der §§ 148, 149 ZPO gelöst.

Nach § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Nach § 149 Abs. 2 Satz 1 ZPO in der hier anwendbaren Neufassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz - ZPO-RG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1887) hat das Gericht jedoch die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist. Das gilt nicht, wenn gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen (§ 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

b) Die Gesetzeslage ist mit den verfassungsrechtlichen Garantien eines wirkungsvollen Rechtsschutzes vereinbar. Insbesondere besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass durch die Möglichkeit der Aussetzung eines Zivilprozesses gemäß § 149 ZPO die Gefahr erhöht wird, dass strittige Rechtsverhältnisse nicht in angemessener Zeit geklärt werden.

Der Gesetzgeber hat den Gerichten mit § 149 ZPO die Möglichkeit eingeräumt, für ein zivilgerichtliches Verfahren bei Bestehen eines Verdachts einer Straftat auf die Erkenntnismöglichkeiten eines Strafverfahrens zurückzugreifen. Angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes im Strafverfahren ist es nicht fern liegend, davon auszugehen, dass die Wahrheitsermittlung erleichtert wird, wenn das Zivilgericht die Erkenntnisse des Strafverfahrens nutzen kann. Der Gesetzgeber hat dies allerdings nicht als Regelfall unterstellt, sondern die Abwägung im konkreten Einzelfall, ob die Verwertung des Strafverfahrens den Nachteil der Verzögerung der Entscheidung im Zivilprozess durch die Aussetzung zu rechtfertigen vermag, den Gerichten überlassen, die hierüber nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden müssen.

Allerdings ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass die Zivilgerichte allzu freigiebig von der Möglichkeit der Aussetzung gemäß § 149 ZPO Gebrauch machen. Dem ist der Gesetzgeber nunmehr jedenfalls durch die Neuregelung aufgrund des Zivilprozessreformgesetzes entgegengetreten. Das Risiko einer länger andauernden Aussetzung des Zivilverfahrens gegen den Willen einer Partei wird durch § 149 Abs. 2 ZPO wirkungsvoll begrenzt. Der Gesetzgeber hat § 149 ZPO ausdrücklich um den Absatz 2 ergänzt, um im "Interesse der Parteien" diesen eine "Möglichkeit der Einflussnahme auf den Fortgang des Verfahrens auch vor Erledigung des Strafverfahrens" einzuräumen (Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsrechtsausschusses, BTDrucks 14/6036, S. 121).

Die Jahresfrist in § 149 Abs. 2 ZPO ist angesichts des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei Verfahrensvorschriften nicht unangemessen. Ohnedies sind die Zivilgerichte gegebenenfalls auch schon vorher gemäß § 150 Satz 1 ZPO zur Aufhebung der Aussetzungsentscheidung angehalten, wenn hierzu im Einzelfall Anlass besteht.

c) Die Zivilrichter sind bei der Entscheidung über die Aussetzung gemäß § 149 ZPO verfassungsrechtlich verpflichtet, die Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz zu beachten (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>). Deshalb sind sie verpflichtet, im Einzelnen sorgfältig abzuwägen, ob die (möglicherweise besseren) Aufklärungsmöglichkeiten eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens den Verzögerungseffekt im anhängigen Zivilrechtsstreit rechtfertigen können. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offen zu legen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist zu beachten, dass häufig ein Zuwarten, insbesondere wenn um den Bestand eines Arbeitsverhältnisses gestritten wird, den Parteien nicht zumutbar ist (vgl. § 9 Abs. 1, § 61 a Abs. 1 ArbGG). Dieser Gesichtspunkt tritt zurück, wenn - wie hier - ausschließlich um Geldansprüche gestritten wird.

Vorliegend bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Fachgerichte verkannt haben, dass sie eine Abwägung vorzunehmen und hierbei auch das Interesse der Parteien oder zumindest der Beschwerdeführerin an einer alsbaldigen Erledigung des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits zu beachten und zu würdigen haben. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte angesichts der Komplexität des Sachverhalts zunächst eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 149 Abs. 1 ZPO für sinnvoll hielten. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu kontrollieren, ob nicht auch eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, sondern ob die getroffene Entscheidung im Rahmen des verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens ergangen ist. Da nicht nur die Höhe der von der Beschwerdeführerin behaupteten Zuwendungen im Streite steht, sondern in Einzelfällen der Erhalt der Zuwendungen selbst, war die Aussetzungsentscheidung der Fachgerichte zumindest vertretbar.

Allerdings wird das Arbeitsgericht, falls die Beschwerdeführerin einen entsprechenden Antrag stellen sollte, nunmehr - da die Jahresgrenze des § 149 Abs. 2 ZPO erreicht ist - das Interesse der Beschwerdeführerin an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits besonders berücksichtigen müssen. Eine Aufrechterhaltung der Aussetzung bedarf einer besonderen Begründung. Im Regelfall hat das Gericht die Verhandlung fortzusetzen. An das Vorliegen "gewichtiger Gründe" im Sinne des § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind im Hinblick auf das Interesse der antragstellenden Partei an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits strenge Anforderungen zu stellen. Da es sich insoweit nicht um eine Ermessens-, sondern um eine an das Vorliegen solcher gewichtiger Gründe gebundene Entscheidung des Gerichts handelt, ist gegebenenfalls vom Beschwerdegericht im vollen Umfang zu überprüfen, ob hinreichend "gewichtige Gründe" ausnahmsweise die Aufrechterhaltung der Aussetzung gemäß § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO rechtfertigen können.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 



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