Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom - Az: 1 BvR 484/96

Rechtsweg zur Überprüfung einer Versorungsverschlechterung

Arbeitnehmer, die betrieblich versichert sind (hier: bei der VBL), können eine Satzungsänderung des Versicherungsgebers, welche eine Herabsetzung der Bezüge beinhaltet, nicht von den Arbeitsgerichten überprüfen lassen. Vielmehr muss der Arbeitnehmer bei Ausbleiben der vereinbarten Versorgung den Versorgungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen.

Tenor

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau K...,

 gegen a) den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Januar 1996 - 3 AZN 766/95 -,

b)     das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 1995 - 2 Sa 1171/94 -,

c)     das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 1. September 1994 - 1 Ca 837/92 -

 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 3. Dezember 1998 einstimmig beschlossen:

 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

 Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen des Rechtsschutzes gegen Veränderungen der Zusatzversorgung durch die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder.

1. Die Beschwerdeführerin ist die Witwe eines 1992 verstorbenen früheren Mitarbeiters der Beklagten des Ausgangsverfahrens. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe (Versorgungstarifvertrag) Anwendung. Entsprechend der tarifvertraglichen Verpflichtung wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin seit Beginn der Beschäftigung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zusatzversichert. Seit 1. Mai 1984 erhielt der Beschwerdeführer eine Versorgungsrente, die in der Folgezeit aufgrund der 18. und 19. Änderung der Satzung der VBL gekürzt wurde. Seit dem Tod ihres Ehemanns bezieht die Beschwerdeführerin von der VBL eine Witwenrente.

2. Vor dem Arbeitsgericht begehrte zunächst der Ehemann der Beschwerdeführerin und nach dessen Tod die Beschwerdeführerin von der beklagten Arbeitgeberin einen Ausgleich der durch die Satzungsänderungen erfolgten Minderung der Versorgungsrente. Die Beschwerdeführerin hielt die Satzungsänderungen für verfassungswidrig und sah die VBL lediglich als Zahlstelle der Beklagten an.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht sah die Beklagte nicht als passivlegitimiert an. Die Beschwerdeführerin habe ihren Zahlungsanspruch unmittelbar gegenüber der VBL zu verfolgen, die nicht lediglich Zahlstelle der Beklagten sei. Auch habe die Beklagte im Zusammenhang mit der Versorgung des Ehemanns der Beschwerdeführerin bei der VBL ihre Fürsorgepflicht nicht verletzt. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht blieb vor dem Bundesarbeitsgericht ebenfalls ohne Erfolg.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie Art. 19 Abs. 4 GG. Die Kürzung der Versorgungsansprüche infolge der 18. und 19. Satzungsänderung der VBL verstießen gegen den grundgesetzlichen Eigentumsschutz. Insbesondere fehle es den Satzungsänderungen an einer rechtsstaatlichen Legitimitätsgrundlage. Zu Unrecht sei in den angegriffenen Entscheidungen nicht geprüft worden, ob die Satzungsänderungen rechtswirksam seien und die Kürzungen gegen höherrangiges Recht verstießen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufwirft noch hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet in zivilrechtlichen Streitigkeiten - ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für den Bereich des öffentlichen Rechts -, daß ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht (vgl. BVerfGE 85, 337 <345>; 88, 118 <123>). Die Beschwerdeführerin hat aber keinen Anspruch darauf, daß die von ihr für unwirksam erachteten Satzungsbestimmungen der VBL vor den Arbeitsgerichten sachlich geprüft werden.

Den von ihren Arbeitgebern bei der VBL versicherten Arbeitnehmern steht ein umfassender Rechtsschutz zur Verfügung.

Wie generell im Betriebsrentenrecht ist auch im öffentlichen Dienst zwischen der arbeitsrechtlichen Grundverpflichtung und dem Durchführungsweg (Deckungsgeschäft) zu unterscheiden. Für die Beschäftigten der an der VBL beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ergibt sich die arbeitsrechtliche Grundverpflichtung kraft Tarifbindung oder arbeitsvertraglicher Einbeziehung aus § 4 Versorgungstarifvertrag. Sie gibt dem Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber einen Versorgungsverschaffungsanspruch. Wird die geschuldete Versorgung nicht auf dem vorgesehenen Durchführungsweg, hier über die VBL, abgewickelt, kann der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vor den Arbeitsgerichten in Anspruch nehmen, die Versorgungsleistung selbst zu erbringen. Ein solcher Versorgungsverschaffungsanspruch bestünde auch dann, wenn die Versorgung durch die VBL nicht dem tarifvertraglichen Anspruch (hier: § 4 Versorgungstarifvertrag) entspräche (vgl. BAG, Urteil vom 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 -, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, B III 2 b bb der Entscheidungsgründe; Urteil vom 5. Dezember 1995 - 3 AZR 226/95 - <nicht veröffentlicht>, B I der Entscheidungsgründe).

Erfüllt der Arbeitgeber seine tarifliche Versorgungsverpflichtung durch die Versicherung bei der VBL, entsteht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts keine vertragliche Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und der VBL. Die Rechtsprechung betrachtet vielmehr das Versicherungsverhältnis als eine Gruppenversicherung, bei der nur die Arbeitgeber Versicherungsnehmer sind, den Arbeitnehmern hingegen die Rolle von bloßen Bezugsberechtigten zufällt (BGHZ 103, 370 <377 ff.>; BAG, Urteil vom 5. Dezember 1995 - 3 AZR 226/95 -, B I 5 a cc der Entscheidungsgründe). Aufgrund seiner Bezugsberechtigung kann der Arbeitnehmer aber gegenüber der VBL die satzungsgemäßen Leistungen beanspruchen und auf dem Zivilrechtsweg durchsetzen. Die Satzungsbestimmungen der VBL sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als allgemeine Versicherungsbedingungen einzuordnen und unterliegen damit der zivilrichterlichen Inhaltskontrolle. Da die VBL eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, erstreckt der Bundesgerichtshof diese Kontrolle auch auf die Vereinbarkeit der Bestimmungen mit dem Grundgesetz. Auf diesen Gesichtspunkt beschränkt sich die Prüfung, wenn eine Satzungsbestimmung auf einer tarifvertraglichen Grundentscheidung beruht (vgl. BGH, a.a.O.). Diese rechtliche Einordnung des Versicherungsverhältnisses der VBL und der Kontrolle ihrer Satzungsbestimmungen begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. November 1991 - 1 BvR 825/88 -, BB 1991, S. 2531).

Meint der Arbeitnehmer schließlich, ihm stehe eine höhere Versorgung zu, da der Versorgungstarifvertrag selbst oder eine verschlechternde Änderung dieses Tarifvertrags gegen höherrangiges Recht verstoße, ist hingegen die arbeitsrechtliche Grundverpflichtung betroffen, so daß der Arbeitnehmer einen entsprechenden Versorgungsverschaffungsanspruch vor den Arbeitsgerichten geltend machen kann. Dabei prüft das Bundesarbeitsgericht auch, ob das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauen der Arbeitnehmer in den Fortbestand ihrer betrieblichen Altersversorgung durch eine Tarifvertragsänderung verletzt worden ist (vgl. BAG, AP Nr. 43 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; AP Nr. 19 zu § 1 BetrAVG Ablösung).

Die angegriffenen Entscheidungen gingen in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung davon aus, daß die von der Beschwerdeführerin verfolgten Ansprüche nicht auf eine angebliche Unwirksamkeit von Satzungsänderungen der VBL gestützt werden können, da diese von den Arbeitsgerichten nicht zu überprüfen sind. Ob das Landesarbeitsgericht im Ausgangsverfahren die Passivlegitimation der Beklagten verneinen durfte, soweit Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Änderungstarifverträgen geltend gemacht wurden, kann dahingestellt bleiben. Verfassungsrecht könnte insofern nur verletzt sein, wenn die Willkürgrenze überschritten wäre. Das wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht und ist im übrigen auch nicht erkennbar.

2. Soweit die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde darauf stützt, daß Satzungsbestimmungen der VBL verfassungswidrig seien, gehen die Rügen ins Leere, denn die angegriffenen Entscheidungen beruhen nicht auf einer Sachprüfung dieser Satzungsregelungen.

Im übrigen hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 5. Dezember 1995 - 3 AZR 226/95 - ausdrücklich den 15. Änderungstarifvertrag vom 21. Februar 1984 zum Versorgungstarifvertrag, auf dem weite Teile der 18. und 19. Satzungsänderung beruhen, auf seine Rechtswirksamkeit geprüft und dessen Verfassungsmäßigkeit bejaht. Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht den Abbau der Überversorgung bei der VBL als rechtmäßig angesehen (vgl. Beschluß der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. November 1991 - 1 BvR 825/88 -).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 1 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 



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